Claudio konnte einem das Gefühl geben, alles sei ganz leicht. Als gäbe es keine Sorgen, keine Probleme, sagt Mona. Kennengelernt hatte sie ihn an einem Freitagabend, es war in einem Club in ihrer Stadt, einer größeren Stadt in Norddeutschland. Wie man sich eben so kennenlernt. Ein Blick, noch ein Blick. Ein Getränk. Ein paar Sätze. Dann tanzten sie. Und wie er tanzte! Mona sagt, er hielt sie so, dass sie nie mehr woanders sein wollte als in seinen Armen. Und ja, er sah gut aus. Italiener eben. Dunkle Augen. Schwarze Locken. Klischee, klar. Aber umwerfend. Das ganze Programm.
An diesem ersten Abend passierte nichts. Sie begegneten einander wieder. Sie tanzten. Mona beobachtete sich dabei selbst und fragte sich: Was ist denn hier los? Warum fühlt sich das so gut an, in seinen Armen? Verliebe ich mich?
Am Ende dieser langen Nacht bot sie Claudio an, ihn heimzufahren. Sie war fast dreißig, ungebunden, er ein paar Jahre älter. Er lehnte ab. Das fand sie eigenartig. Aber spannend. Da war doch etwas zwischen ihnen gewesen, ein Funkeln. Und jetzt? Jedes Mal, wenn sie sich danach trafen, schien Claudio erfreut – aber er bremste. Meinte, er habe nicht viel Zeit. Müsse am nächsten Tag früh raus. Er war wie auf der Flucht. Heute meint Mona, das habe vielleicht ihren Jagdinstinkt geweckt.
Schließlich der erste Abend, an dem sie sich länger unterhielten. Claudio erzählte unvermittelt, dass er verheiratet sei und zwei Kinder habe. Mona war enttäuscht, aber Claudio sah sie an, mit diesen dunklen Augen, und murmelte, komm, gehen wir ein bisschen raus. Sie standen draußen auf der Straße, Mona sagte, schade. Echt schade. Er fragte, bist du verliebt in mich? Heute sagt Mona, es sei diese direkte Art gewesen, die sie beeindruckte, so eigen, so undeutsch. Er lehnte sie vorsichtig an ein Auto und küsste sie. Und Mona dachte, oh Gott, ich verliere die Kontrolle, das sollte nicht weitergehen.
Ging es aber. Sie fuhren zu Monas Wohnung. Wilde Stunden, wunderbare Stunden. Claudio blieb nicht über Nacht, um vier Uhr am Morgen fuhr sie ihn heim. Zu der Wohnung mit der Frau und den zwei Kindern. Unterwegs fragte Mona, ob er ein schlechtes Gewissen habe – nein, sagte Claudio, wie kann man bei so etwas Schönem ein schlechtes Gewissen haben?
Ein verheirateter Mann. Mona hatte kein gutes Gefühl. Aber eine Woche später trafen sie sich wieder. Vor dem Club, wo alle immer hingingen. Claudio wartete an der Tür. Sie fuhren direkt zu ihr nach Hause. Unausweichlich. So ging es weiter. Immer weiter. Er blieb jedes Mal nur ein paar Stunden, aber es waren die schönsten Stunden der Woche, des Monats, des Jahres.
Wenn Claudio ab und zu von seiner Familie sprach, kam es Mona nicht vor wie die große Liebe. Seine Frau schien vom Leben mitgenommen, depressiv. Wenn er von ihr erzählte, hatte Mona den Eindruck, er fängt seine Frau auf, er sieht darin so etwas wie eine Aufgabe. Er sagte, wenn er seine Frau verließe, das würde sie nicht überstehen. Mona wunderte das nicht. Auch sie fühlte sich bei ihm so sicher, so geborgen. Heute sagt sie, er konnte eine gute Atmosphäre schaffen, immer, überall, ich habe mich bei ihm so verstanden gefühlt. Das war sein Talent.
Es war nicht einfach vorbei nach ein paar schönen Nächten. Es ging erst richtig los. Nach drei Monaten ein gemeinsamer Ausflug übers Wochenende. Er sagte seiner Frau, er besuche seinen Bruder. In Wirklichkeit fuhren Claudio und Mona in ein kleines Hotel auf dem Land. Auf der Fahrt fragte er Mona wieder, bist du verliebt? Und er sagte zum ersten Mal: Ich bin auch verliebt. Aber du weißt, ich werde meine Frau nie verlassen. Heute sagt Mona, sie habe es irgendwie geschafft, das auszublenden. Es ging ihr nur um den Moment. Um die Nähe. Es fühlte sich an wie eine richtige Beziehung, viel mehr als nur eine Affäre. Es war, das sagt Mona heute noch, die große Liebe. Sie wollte nicht darüber nachdenken, was später ist.
Claudio konnte sich nie festlegen, er konnte nie planen, seine Familie wartete. Oder das Fitnessstudio. Oder Freunde. Es war immer irgendwas. Mona gewöhnte sich an, alle anderen Verabredungen nur unter Vorbehalt zu treffen. Es konnte ja immer sein, dass er sich plötzlich meldet, zu Hause weg kann, Zeit für sie hat. So lief es über Jahre. Mona hatte für Claudio einen eigenen Klingelton auf ihrem Handy eingestellt. Wenn sie mit Freundinnen unterwegs war und dieser Klingelton kam, wurde ihr heiß. Sie musste los, sie musste raus. Sie brach unter absurden Ausreden auf. Ihn treffen.
Claudio schwor, dass seine Frau nichts von Mona weiß. Er sagte, bevor ich dich getroffen habe, bin ich oft fremdgegangen, es waren unbedeutende Geschichten, One-Night-Stands. Mit dir ist das anders. Mona sagt, er hat mir das Gefühl gegeben, ich bin seine einzige Liebe, die große, wahre Liebe.
Es gab nie einen Moment des Zusammenlebens, des Alltags. Nie nebeneinander Zähne putzen im Bad. Nie zusammen im Supermarkt einkaufen. Und weil nie Normalität einkehrte, sagt Mona heute, war sie vier Jahre lang ununterbrochen frisch verliebt. Immer das Gefühl, sie hat zu wenig von ihm, immer das Gefühl, sie braucht mehr Zeit. Immer das nervöse Warten auf die nächste Begegnung.
Zwei Jahre. Drei Jahre. Vier, fünf Jahre. Dann endlich ein Augenblick Ruhe. Er auf Reisen. Sie allein zu Hause. Zum ersten Mal denkt Mona, es kann so nicht weitergehen. Ein Geburtstag, noch ein Geburtstag, sie war jetzt Mitte dreißig. Mona spürte, sie will ein Kind. Aber sie wusste, mit Claudio, das würde nichts werden. Wie sollte das gehen? Er würde seine Frau nicht verlassen.
Krise. Mona hing zwischen den Stühlen. Sie redete mit Claudio, versuchte sich von ihm zu trennen, schaffte es nie länger als ein paar Wochen. Wollte ausbrechen, schaffte es nicht. Wollte ihn aus dem Kopf kriegen, schaffte es nicht. Mona sagt, ich hatte immer das Gefühl, einen wie ihn treffe ich nie wieder!
Claudio blieb ruhig, die ganze Zeit. Sagte, ich stehe hinter allem, was du tust. Triff andere Männer, vielleicht verliebst du dich ja. Klang das viel zu lässig? Mona ist sich heute nicht ganz sicher, damals erschien es ihr wie ein Zeichen der Liebe, er meinte es ja gut, er wollte ihr helfen.
Mona versuchte es. Sie schlief mit einem anderen Mann. Erzählte Claudio davon. Er drehte fast durch. Konnte es nicht ertragen, sagte er. Er wandte sich von Mona ab. Funkstille. Sie war am Boden zerstört. Als sie dann wieder zusammenkamen – natürlich kamen sie wieder zusammen –, war alles grausam klar. Klarer als je zuvor. Ich wusste, sagt Mona heute, ich habe keine Freiheiten mehr, ich muss immer aufpassen, dass ich diese fragile Beziehung nicht zerstöre. Und Claudio sagte, du bist doch mein Engel, ich liebe dich. Damals fühlte sich dieser Satz an wie das reine Glück, heute sagt Mona, ich war völlig unfrei. Abhängig.
Schließlich, das Ganze ging schon seit fast acht Jahren, wusste Mona, sie will ein Kind. Jetzt. Von ihm. Auch wenn sie nicht zusammen sind. Nie sein werden. Sie wusste, er würde seine Frau nicht verlassen, aber vielleicht war das gar nicht nötig. Vielleicht kann man sich einen Mann auch teilen. Claudio sagte ihr, auch er träume von einem gemeinsamen Kind mit ihr, er habe nur Angst vor den Konsequenzen. Da war immer ein Funken Hoffnung in seinen Worten, oder zumindest fand Mona ihn immer. Sie bot ihm sogar an, lass uns ein Kind kriegen, ich entbinde dich von allen Verpflichtungen. Er sagte, ich kann das nicht machen. Er sagte, ich fände es schlimm, wenn du als Zweitfrau ein Kind bekommst. Ich will dir das nicht antun, das hast du nicht verdient. Du solltest nicht in Lüge leben müssen.
Irgendwann konnte sie nicht mehr. Liebe ohne Hoffnung. Kinderwunsch ohne Erfüllung. Der erste ernsthafte Versuch einer Trennung. Kostete sie unendlich viel Kraft. Kein Appetit. Kaum Schlaf. Sie schlich um ihr Handy herum. Sie schaffte ein paar Monate Abstand. Dann trafen sie sich wieder. Sie waren nicht mehr zusammen. Aber sie fanden doch immer wieder zueinander. Für Momente. Für einzelne Nächte. Abstand. Treffen. Bett. Wieder Abstand. Treffen. Bett. Glück. Hölle.
Der Club, in dem sie sich kennengelernt hatten. Ein Freitagabend. Wieder. Sie tanzten. Er hielt sie. Es war wie damals, ganz am Anfang. Und am Ende, gegen drei, sagte er, komm, ich fahr dich nach Hause. In dieser Nacht wurde Carla gezeugt.
Mona ahnte nichts davon. Sie sagte zu Claudio, wir müssen jetzt endlich Abstand halten. Er sagte, es ist traurig, dass wir keine Kinder zusammen haben werden. Nach ein paar Wochen merkte Mona, sie muss einen Schwangerschaftstest machen. Eindeutiges Ergebnis. Monas erstes Gefühl: nichts als Freude. Keine Sekunde des Zweifels. Mona war klar, ich will dieses Kind. Sie schrieb Claudio eine SMS: Können wir uns treffen, ich muss mit dir reden. Er antwortete: Wieso können wir nicht telefonieren? Sie schrieb: Nein, komm bitte vorbei. Er kam, saß schweigend auf dem Sofa. Sie fragte, du hast überhaupt keine Idee, warum ich dich sprechen wollte?
Ich bin schwanger. Ein kurzes Funkeln in seinen Augen, dann ein Blick ins Leere, Claudio nahm seinen Kopf zwischen die Hände und seufzte, du hast das schlimmste Timing meines Lebens er-wischt. Timing? Mona beschloss, sich erst mal keine Gedanken zu machen. Sie redeten. Er sagte, er wolle sich entschuldigen für alles, was er ihr in den letzten zwei Jahren angetan hatte. Mona wurde stutzig. In den letzten zwei Jahren? Was meinte er damit? Claudio sagte, es gibt da etwas, was ich dir noch nicht gesagt habe. Als Mona fragte, was, schwieg er. Lange. Dann murmelte er, das möchte ich dir erst nach der Geburt sagen.
Danach Stille. Tage. Wochen. Plötzlich meldete sich Claudio wieder. Er schrieb Mona, ach, es gibt doch eigentlich nichts Schöneres, gleich zwei Frauen lieben mich und wollen Kinder von mir. Sollen wir nicht einfach die Beziehung wieder aufnehmen, wie sie mal war? Mona verstand nicht, was in ihm vorging, aber die Aussicht darauf, das alles gemeinsam zu erleben … immerhin. Ihr Kind sollte einen Vater haben. Sie trafen sich. Aber, sagt Mona heute, es kam mir alles rein technisch vor. Nicht wirklich gefühlt. Als spiele er nur eine Rolle. Und immer wieder fragte er, wie läuft das mit dem Unterhalt? Heute sagt Mona, sie glaubt, er habe das alles nur gemacht, weil er hoffte, so aus der Unterhaltsfrage rauszukommen. Dass sie auf das Geld verzichtet, solange er nur irgendwie da ist und ein bisschen hilft.
Zwei Wochen bis zur Geburt. Mona ging mit einer Freundin essen, die auch Claudio kannte. Sie hatten sich mehr als ein Jahr nicht gesehen. Die Freundin hatte in der Zwischenzeit geheiratet, war Mutter geworden, sie freute sich mit Mona über ihre Schwangerschaft. Gelöste Stimmung. Mona erzählte ihr, von wem das Kind ist. Erzählte ihr von der großen, wilden, wunderbaren Liebesgeschichte mit Claudio. Die Freundin sah sie lange an. Dann sagte sie, es tut mir leid, dass ich dir das jetzt sagen muss. Ich war auch jahrelang mit Claudio zusammen. Mona wurde schwindlig. Sie fragte, wann genau wart ihr zusammen? Die beiden rechneten. Es waren sieben Jahre gewesen. Sieben Jahre, in denen Claudio mit beiden gleichzeitig eine Affäre hatte. Die Freundin erzählte, er ist manchmal noch nach dem Fitnessstudio vorbeigekommen, oder nach dem Ausgehen. Genau wie bei mir, dachte Mona. Heute sagt sie, er hatte sich das offenbar in aller Ruhe ausgesucht, welche Frau er wann trifft. Der einen erzählt, er wäre im Fitnessstudio, der anderen, er wäre mit Freunden unterwegs.
Trotz allem wollte Mona, dass er bei der Geburt dabei ist. Ich dachte, das ist wichtig für die Vater-Kind-Bindung, sagt sie. Es war einer der ersten warmen Frühlingstage, die Geburt verlief gut. Ein gesundes, hübsches Mädchen. Carla. Dunkle Augen wie er. Dunkle Locken wie er. Claudio war tatsächlich dabei. Er kam spät, musste dann plötzlich noch mal weg. War stundenlang fort. Kam zurück. Sagte, er müsse noch mal umparken. Aber als Carla auf der Welt war, nahm er sie in den Arm und lächelte.
Am dritten Tag nach der Geburt kam Claudio ins Krankenhaus, er wirkte nervös. Machte überdrehte Witze. Wochenbettdepression, Milcheinschuss, schlaflose Nächte. Der denkbar schlimmste Zeitpunkt, aber Mona fragte, hey, was ist los? Claudio sagte, ich will dir die Wahrheit ersparen. Mona blieb eisern. Sag mir, was los ist. Schließlich sagte Claudio, es gibt da noch eine andere Frau. Sie ist auch schwanger. Wann kommt ihr Kind, fragte Mona. Es kann jeden Moment so weit sein, sagte Claudio. Am Tag, bevor Mona ihm gesagt hatte, dass sie schwanger ist, hatte auch die andere Frau ihm gesagt, dass sie schwanger ist.
Drei Tage nach Carla kam das Kind zur Welt. Den Namen erfuhr Mona, als Claudio bei ihr im Krankenhaus anrief und sich versprach. Er fragte, na, wie geht’s der kleinen Jana?
Claudio verschwand für Wochen. Mona wusste nicht mehr weiter. Sie wusste gar nichts mehr. Ein schreiendes winziges Bündel neben sich. Mutterglück und Enttäuschung. Freude und Hass. Dann rief sie Claudio an, sagte, ich will sie kennenlernen. Claudio sagte, das geht nicht. Er hatte der anderen Frau nichts von Mona erzählt.
Ein Albtraum, sagt Mona heute. Ich hatte gerade eine Sicht auf die Dinge gefunden, mit der ich leben konnte: Ich wollte dieses Kind. Von diesem Mann. Ich war nicht mit ihm zusammen, aber ich liebte ihn. Okay. Aber plötzlich hat sich alles gedreht. Ich wusste nicht mehr, was ich glauben soll. Ob ich ihn noch lieben soll. Mona sagt, ich weiß nicht, vielleicht gab es noch mehr Frauen? Noch mehr Affären, noch mehr Geschichten, noch mehr, wer weiß, Kinder?
Wenn Claudio jetzt vor der Tür stünde und sagte, lass es uns versuchen – ich könnte es nicht mehr, sagt Mona. Ich habe all die Jahre gehofft, er trennt sich von seiner Frau. Wenn er es jetzt täte und zu mir käme, es wäre trotzdem vorbei. Ich könnte ihm nie wieder vertrauen. All die Jahre habe ich gehofft, sie kriegt alles mit und schmeißt ihn raus. Jetzt könnte es so weit sein. Und es bringt mir nichts mehr.
Aber es wird schon alles irgendwie gehen, sagt Mona. Sie bekommt Elterngeld, sie hat ein bisschen Erspartes, die Familie hilft. Es ist eng. Aber es passt. Carla ist jetzt neun Monate alt. Mona sitzt auf dem Sofa, auf dem Claudio immer gesessen hat. Carla auf ihrem Schoß, lachend, mit strahlenden dunklen Augen. Während der Schwangerschaft hatte sie Angst, dass sie im Gesicht ihres Kindes immer nur ihn sehen könnte. Dass Carlas Anblick sie ständig an Claudio erinnert. Es ist nicht so.
Mona lächelt und sagt, ich schaffe das. Ich liebe mein Kind. Was auch immer passiert, Carla und ich, das ist richtig so. Das ist ein Happy End.
Und dann sagt Mona: Ich habe gelebt. Ich bin meinem Herzen gefolgt. Ich bereue nichts.
Illustration: Marion Fayolle