Das literarische Quartett

Die bestverkauften Bücher stammen derzeit von vier Komikern. Sie treffen die Seelenlage ihrer Leser, wie es nur großen Autoren gelingt.

Er ist ganz oben angekommen. Der bayrische Kabarettist Michael Mittermeier stand wochenlang auf Platz eins der Sachbuchliste in Deutschland und in der Schweiz. Ausgerechnet er, der als bekennender TV-Junkie seine Comedy-Karriere begann, der seine Kindheit zwischen den Fernsehkanälen verbrachte, sich durchs Leben zappte, auf der Bühne wirkte wie ein aufgedrehter menschlicher Videoclip, ausgerechnet Mittermeier landet mit Achtung Baby!, mit den kuriosen Erfahrungen rund um seine noch junge Vaterschaft, einen Bestseller in Buchstaben. Michael Mittermeier ist nicht der Erste seines Standes, der als Buchautor solche Erfolge feiert. TV-Entertainer scheinen die neuen und besseren Seelsorger für die Masse zu sein. Sie beglücken die Menschen mit Lebenshilfe in Lebensfragen – und die professionelle Beratungsbranche hat das Nachsehen. Kein Pfarrer oder Therapeut oder Psychologe erreicht die Leute so direkt und umfassend wie die populären Spaßmacher.

Seit mehr als einem Jahr hält sich Eckart von Hirschhausen in den Top Ten. Nicht
weniger als das höchste aller Gefühle, das Glück, hat sich der promovierte Mediziner und Stand-up-Comedian vorgenommen. Offensichtlich ist von Hirschhausen der Arzt, dem nicht nur die Frauen vertrauen. Sein Bestseller Glück kommt selten allein … steht bei über einer Million verkaufter Exemplare. Das sind sagenhafte Dimensionen in einem Buchmarkt, wo schon 10 000er-Auflagen als anständiger Erfolg gelten.

Meistgelesen diese Woche:

Doch über allen schwebt Hape Kerkeling. Der Schwarm jeder Schwiegermutter. Der Antizyniker unter den Komikern. Seine Reise auf dem Jakobsweg – Ich bin dann mal weg – sprengt alle Maßstäbe. Fast vier Millionen Leser teilten mit Kerkeling sein Tagebuch über die erlebten Pilgerstrapazen und Pilgerfreuden. Eine Unzahl schreibender Lemminge nutzten das Fahrwasser, um etwas vom Boom abzubekommen mit Titeln wie Warum nicht mal pilgern?, Faszination Pilgern, Anleitung zum Pilgern bis hin zum frechsten Plagiat: Dann pilgern wir auch mal los.

Was macht es aus, dass Comedians die Menschen so unmittelbar ansprechen? Es ist eine Fähigkeit, die ihre Arbeit auch auf der Bühne auszeichnet: Sie schauen aufs Leben, auf die Nachbarn, auf sich selber. Ihr Fokus: das Du und das Ich. Der komisch überhöhte Alltag. Der Witz wird dabei wie ein Brennglas verwendet: Er legt den zwischenmenschlichen Knatsch frei, was mitunter wehtut. Nur: Auch in der Medizin beginnt manches Heilmittel mit einem ersten Schmerz zu wirken.

In einer Gesellschaft, in der das Denken und Reden zunehmend reglementiert werden, wo ganze Berufszweige wie Gleichstellungsbeauftragte oder Rassismusexperten die Öffentlichkeit nach verbalen Ausrutschern abscannen, nehmen sich Kabarettisten die Freiheit, genau dort zu wühlen, wo die meisten Verbotsschilder herumstehen.

Sie reißen Witze über die ganz heiklen Tretminen-Themen Religion und Sex. Sie nehmen sich Tabu-Minderheiten vor wie einzelne Ausländergruppen – oder sie wagen sich an Tabu-Mehrheiten wie die Frauen. Comedians sind Klartexter minus Verbissenheit. Ein Pitbull ist nicht lustig. Aber ein Pinscher, der wie ein Pitbull alle großen Tiere anpisst. Komiker sind solche kleinen Kläffer mit mutigem Herzen. Darum geben die Menschen ihnen einen Glaubwürdigkeitsvorsprung, auch wenn es um ganz andere Fragen geht: um den Weg zu sich selbst und zu Gott oder um die Suche nach einem Stückchen Lebensglück.

(Lesen Sie auf der nächsten Seite: Großkomiker Mario Barth ist die Quadratur des Kreises gelungen: Er stellte sich der herkulischen Aufgabe, ein Buch für ein Publikum zu schreiben, das normalerweise keine Bücher liest.)

Dabei machen die an der Satire geschulten Autoren dem Leser nichts vor. Der »Hobbywallfahrer« (Kerkeling über Kerkeling) kämpft ganz profan mit seinen wund gelaufenen Füßen und gegen heiratswillige Brasilianerinnen, die den Jakobsweg offenbar als besonders ergiebiges Jagdrevier entdeckt haben. Trotz mystischer Mission und magischen Momenten, Kerkeling bleibt auch beim Pilgern, was die Besten seines Faches sind: feine Beobachter mit unprätentiöser Sprache.

Jeder kennt die quälende Peinlichkeit, wenn ein Witz ohne Reaktion verhallt. Komiker sind darauf getrimmt, verständlich zu reden oder eben verständlich zu schreiben. Darin liegt wohl der wesentlichste Unterschied zu Therapeuten und anderen Akademikern, die sich an ihrem Fachjargon festklammern. Inspiriert von Kerkelings Bestseller, verfasste eine deutsche Universitätsabsolventin eine Diplomarbeit Pilgern als eine spezifische Form von sozialpädagogischer Einzelfallhilfe – analysiert anhand eines konkreten Falls. Das macht Appetit auf weniger.

Einleitend beschreibt die Autorin die Absicht ihrer Studie: »So soll die in dieser
Arbeit untersuchte intensivpädagogische Wandermaßnahme zeigen, dass durch einen Betreuerschlüssel von 1:1 und Rund-um-die-Uhr-Betreuung für den Jugendlichen bei der erlebnispädagogischen Maßnahme Situationen geschaffen werden können, in denen das eigene Tun und Handeln und damit die Wirksamkeit der eigenen Handlungen und Handlungsplanung unmittelbar erkannt, reflektiert und erfahren werden können.« Ein Satz – und keiner möchte weiterlesen. Theoriekost ohne Biss.

Wenn es bei der Diplom-Sozialpädagogin heißt, man möchte mit dieser »intensivpädagogischen Wandermaßnahme« einen neuen Bezug zu sich selbst und eine bessere »Konfliktbearbeitungsfähigkeit« einleiten, steht bei Kerkeling jeweils am Ende jedes Kapitels eine schlichte »Erkenntnis des Tages«. Nach der ersten Etappe heißt es da zum Beispiel: »Erst mal herausfinden, wer ich selbst bin.«
Am zweiten Wandertag, der in die verregneten Pyrenäen führt, steht der Satz: »Obwohl ich den Gipfel durch den Nebel nicht sehen kann, ist er doch da.« Eine scheinbar simple Einsicht, die aber mehr doppelten Boden aufweist als die ganze oben zitierte 126-Seiten-Abhandlung.

Ähnlich unaufgeregt versteht Eckart von Hirschhausen sein Buch. »Sollte es Sie glücklich machen, freut mich das. Aber der größere Effekt könnte sein, dass Sie sich nicht mehr für unglücklicher halten, als Sie sind.«

Es wäre dünkelhaft, den Vierten im Bunde der erfolgreichen Comedy-Seelsorger zu verschweigen: Mario Barth. Der Mann, der Fußballstadien füllt und das Feuilleton erschauern lässt. Mit Einsichten wie »Liebe Frauen, wir Männer sind einfach ein wenig doof, aber glücklich« lässt sich von Hartz IV bis ins mittlere Bankkader lachen.

Der Erfolg gibt ihm recht, und man muss ihm zugutehalten, dass er als eine Art Pionier wirkte. Sein 2004 im Langenscheidt-Design erschienenes Buch Frau – Deutsch/Deutsch – Frau ist die Mutter aller Comedy-Bestseller. Mit mehr als 1,6 Millionen verkauften Exemplaren. Großkomiker Mario Barth ist damit die Quadratur des Kreises gelungen: Er stellte sich der herkulischen Aufgabe, ein Buch für ein Publikum zu schreiben, das normalerweise keine Bücher liest.

Zwischen Publikum und Comedian herrscht eine mehrschichtige Vertrautheit. Man kennt sich aus dem (Fernseh-)Wohnzimmer, man spricht die gleiche Sprache, hat gemeinsam über sich selber gelacht. Mehr geht nicht. Satiriker unterhalten die Leute und vertreten gleichzeitig eine eigene Meinung. Kerkeling, von Hirschhausen und wie sie alle heißen sind die perfekten Seelsorger des 21. Jahrhunderts.

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Es gibt eine neue deutsche Leichtigkeit, findet der Schweizer Peter Keller, 39. Nicht nur beim Fußball, sondern im Wohnzimmer vor dem Fernsehapparat. Bereits eine Generation Deutscher ist mit Harald Schmidt, Michael Mittermeier, Dieter Nuhr aufgewachsen. Oder woher soll Stürmerstar Thomas Müller die Verschmitztheit haben, wenn nicht von Hape Kerkeling? Dank Kabelfernsehen hat auch die Schweiz vom TV-Humor aus Deutschland profitiert. Kellers Breitbild-Hausgott heißt übrigens Stefan Raab.

(Klartext minus Verbissenheit von Peter Keller, erschienen in "Die Weltwoche" 16/2010)

Illustration: Dirk Schmidt, Foto: André Mühling