Das Schreckliche ist bei ihm ein Mittel zum Zweck: Wolf Haas vor einer Geisterbahn im Wiener Prater.
SZ-Magazin: Herr Haas, wie stellen Sie sich Ihren Tod vor?
Wolf Haas: Ich gehöre eher zu den Leuten, die sich vornehmen, alt zu werden und sich langsam zu verabschieden. Gemütlich.
Einzel- oder Doppelgrab?
Unbedingt Einzelgrab!
Weil das ruhiger ist?
Nein. Ohne nachzudenken, war jetzt vor mir einfach dieses Bild: ein Einzelgrab.
Urne oder Sarg?
Sarg. Aber ich kann mich jetzt gerade nicht mehr konzentrieren. Ich muss an diese Nummer vom Josef Hader denken: Er sagt, er fürchtet sich nicht davor, tot zu sein, nur davor, dass es da unten so kalt ist. Ihn störts, dass die nicht tiefer graben, wo es schon wieder warm wird.
Was wird auf dem Grabstein von Wolf Haas stehen?
Alfred Hitchcock hat einmal vorgeschlagen: »Das passiert mit kleinen Jungs, wenn sie böse sind.« Das gefällt mir.
Wir haben jüngst eine Todesanzeige gelesen, in der es hieß: »Erst viel Humor, dann viel Tumor«.
Das wiederum finde ich abscheulich. Mich erinnert das daran, dass es oft heißt, Scheitern sei eigentlich auch ein Erfolg. Nein. Ich möchte gescheitert sein, ohne das umzudeuten. Und genauso ist es mit dem Tod. Man sollte ihm gefälligst seine Traurigkeit lassen.
Dabei wird doch in Ihren Büchern humorvoll gestorben. Einmal gerät ein Verbrecher in die Rotoren eines Hubschraubers, und der Wind trägt den abgeschlagenen Kopf in ein benachbartes Kinderschwimmbecken.
Es ist keine Absicht von mir, den Tod lustig abzuhandeln. Der Flug des Kopfes war eigentlich ein technokratischer Entschluss: Ich wollte eine Luftaufnahme im Roman haben. Aus den Augen des fliegenden Kopfes konnte ich den Park von oben zeigen.
Und die Knochenmehlmaschine, in die der Eigentümer einer Backhendlstation seine Opfer steckt?
Ich wollte in dem Roman eine akustische Ebene einführen: Im Keller rattert die Knochenmehlmaschine, die man überall im Gasthaus hört.
In wenigen Tagen erscheint Ihr Krimi Brennerova. Darin werden zwei Menschen die Hände abgehackt. Fast passiert in der Klinik eine Verwechslung, nämlich dass die Ärzte die Hände an den falschen Körper nähen.
Daran hat mir gefallen, dass es ein Kommentar zum Thema Schrift war. Nur an den tätowierten Schriftzeichen wird der Irrtum erkannt.
Das Schreckliche ist bei Ihnen ein Mittel zum Zweck?
Ich nutze es, um Spannung zu erzeugen. Es ist nie so, dass ich mich hinsetze und sage: Jetzt brauche ich noch einen originellen Todesfall. Es ist fast immer so, dass ich ein Problem lösen muss. Im Roman Komm, süßer Tod gibt es einen Rettungsfahrer, der heißt Groß. In der Urversion des Romans hat er gelebt bis zum Schluss. Aber dann fiel mir dieser Dialog ein: »Der Tod ist groß.« – »Der Groß ist tot.« Das fand ich so lustig, dass ich den gesamten Roman umkonstruiert habe, nur damit ich den sterben lassen kann.
Wie stirbt denn der Groß?
Erschossen. Oder Moment, nein, mit dem eigenen Goldkettchen erwürgt!
Ist es ein Wunder, dass man den Wienern eine gewisse Lust am makabren Humor nachsagt?
Ach, ich weiß nicht. Ich bin ja nicht in Wien aufgewachsen, sondern in einem Dorf in Salzburg.
Sie mögen das Thema nicht?
Manche Klischees sind so festbetoniert. Da wehre ich mich. Aber vielleicht wehre ich mich so sehr dagegen, das so zu sehen, dass ich es zu wenig so sehe.
Wie meinen Sie das?
Ich bin ja erst mit 30 Jahren nach Wien gekommen, vorher war ich eine Zeit in England. Ich bin also am Wiener Flughafen gelandet und mit der S-Bahn in die Stadt gefahren. Und da fährt man gefühlte 20 Minuten am Zentralfriedhof vorbei. Das war mein erster Eindruck von Wien.
»Wenn das Haus fertig ist, zieht der Tod ein.«
Wolf Haas ist einer der erfolgreichsten deutschsprachigen Krimi-Autoren. Seine Kriminalromane um den Ermittler Simon Brenner verkaufen sich millionenfach, vier sind verfilmt worden. Zuvor arbeitete Haas als Werbetexter und Deutschlehrer. Der 53-Jährige lebt in Wien.
Mögen Sie Friedhöfe?
Ich habe das ehrlich gesagt noch nie erwähnt, weil ich immer Angst hatte vor einer Psychologisierung, aber ich bin direkt gegenüber einem Friedhof aufgewachsen. Wenn ich das Fenster meines Zimmers geöffnet hab, war der Friedhof davor. Das nimmt man als Kind nicht als etwas Schlimmes wahr. Ich finde Dorffriedhöfe schön. Die Witwen pflegen die Gräber, bringen Blumen … In vielen Dörfern gibt es am Friedhof mehr Leben als auf dem Dorfplatz. Außerdem ist die Aussicht viel schöner, als wenn man ein Haus davor hätte.
Was war Ihre erste Erfahrung mit dem Tod?
Als ich vier oder fünf Jahre alt war, ist unsere Nachbarin überfahren worden. Die Familie hatte gerade ihr Haus gebaut, ich habe noch als Bild im Kopf, wie die Nachbarin da gearbeitet und gemalt hat. Und an dem Tag, an dem sie fertig geworden sind, sind alle zusammen feiern gegangen, und dann ist sie von einem Auto überfahren worden. Es gibt ja dieses Sprichwort: »Wenn das Haus fertig ist, zieht der Tod ein.« Ich habe ein bisschen Skrupel, das zu erzählen, weil es die private Geschichte der Kinder dieser Frau ist.
In einem Ihrer Liebesromane sind Sie ein einziges Mal persönlich geworden und haben über den Tod Ihres Vaters geschrieben.
Das ist meine schönste Schreib-Erinnerung. Humor ist ja beim Schreiben ein Trick, Distanz zu halten. Bei dieser ernsten Passage habe ich gemerkt, ich schaffe etwas, was mir noch nie gelungen ist: dass mir etwas wirklich nahegeht im Schreiben. Dass ich die Kontrolle abgebe. Es war, als würde ich mir ein warmes Bad einlassen. Ja, es war schön. Liebevoll.
Haben Sie Angst vor dem Tod?
Ich kenne das vor allem als Angst um die anderen. Vielleicht ist das eh relativ verbreitet: die Angst vor dem Tod meiner geliebten Menschen. Ich bin so einer, der selbst nicht aufpasst beim Über-die-Straße-Gehen, aber zu den anderen sagt: Pass gut auf! Selbst finde ich mich quasi eh unverwundbar. Dieses Gefühl der Unverwundbarkeit habe ich mir gut erhalten.
Sie sind also ein mutiger Mensch?
Das ist auch wieder falsch. Wenn man die Menschheit in 50 Prozent Ängstliche und 50 Prozent Nichtängstliche teilen würde, gehörte ich wohl zu den Ängstlichen.
Wovor haben Sie denn Angst?
Ich hab eine Tendenz zur Panik. Vor Kurzem hab ich in einem Flugzeug erlebt, dass sich die Türen nicht mehr öffnen ließen nach der Landung. Da sitzt man dann eine Stunde lang und wartet. Ich kann nicht anders, als mir vorzustellen: Was ist, wenn diese Tür nie wieder aufgeht? Panik habe ich manchmal auch bei Lesungen. Wenn es so dunkel ist, dass man die Zuhörer nicht sieht. Ich weiß, da sitzen 1000 Leute, die zusammengekommen sind, damit ich ihnen etwas vorlese. Und plötzlich hab ich Angst, das Atmen zu vergessen, gleich umzufallen, und sage mir: Eine Seite noch, dann gehe ich raus. Aber nach dieser Seite geht es dann immer wieder.
Ihre Lesungen erinnern manchmal an Rockkonzerte: 3000 Zuhörer. Ist das nicht einfach nur schön?
Das ist ein supergeiles Dominanzgefühl: Ich kann jetzt reden, die anderen müssen ruhig sein, und ich weiß schon vorher, an dieser oder jener Stelle wird es Gelächter geben. Das ist schon sehr befriedigend. Aber der Moment, in dem man plötzlich wieder sinnlos im Hotelzimmer sitzt, der ist nicht schön. Weil man sich so aufgeblasen hat auf der Bühne. Und ich verstehe auch, dass Schauspieler und Popmusiker, die das andauernd machen, so oft zu Trinkern oder Drogensüchtigen werden.
Sie trinken nicht?
Ich bin eher ein Feind des Alkohols. Bis ich 35 war, habe ich überhaupt nichts getrunken. Heute bin ich ein normaler Konsument. Im Wienerischen gibt es, wenn man sich volllaufen lässt, den schönen Begriff »sich umhacken«. Also: zu versuchen zu vergessen, indem man trinkt. Wenn ich dazu jemals neige, dann ist es in dieser Situation: im Hotelzimmer nach den Lesungen.
Drei Ihrer Romane sind verfilmt worden, bald kommt der vierte Film mit Josef Hader als Detektiv Brenner: Das ewige Leben. Müssen Sie beim Schreiben des Brenner mittlerweile an Hader denken?
Ja, schon. Am Anfang hatte ich noch mein eigenes Bild vom Brenner, wie er aussieht und so weiter. Eine Zeit lang gab es dann zwei Brenner für mich: den aus dem Film und den aus dem Buch. Mittlerweile vermischt sich das etwas. Aber eigentlich ist die Hauptfigur in den Büchern nicht der Brenner, sondern der Erzähler. Ohne ihn hätte ich keinen der Brenner-Romane schreiben können.
Mit falscher Grammatik oder Formulierungen wie »Pass auf jetzt« und »Na was glaubst du« gibt der Erzähler den Krimis einen eigenen Ton.
Nur dadurch lassen sich diese haarsträubenden Geschichten überhaupt erzählen. In einem ganz ernsten Krimiton würde ich mich das gar nicht schreiben trauen. Vor zwanzig Jahren, als ich begonnen habe, hat das viele vor den Kopf gestoßen. Damals galt Unterhaltung in der Literatur als etwas extrem Böses. Ich wollte aus dieser Ecke raus. Humor ist dafür ein gutes Mittel.
Welchen Humor finden Sie denn nun gut?
(Er macht eine lange Pause, überlegt.)
Wir haben gelesen, Sie mögen folgenden Schüttelreim:
»Ein Leibesriese
ging auf Liebesreise.
Er sagte: Reib es, Liese,
und sie rieb es leise.«
Ja! Der ist aber leider nicht von mir. Ich glaub, das ist Volksgut. In meinem Freundeskreis haben sich die Menschen, glaube ich, eher gewundert, dass ich lustige Bücher schreibe. Ich bin nicht so ein lustiger Kampl. Aber das möchte man auch nicht sein. Es gibt nichts Öderes als Leute, die einem ununterbrochen Witze erzählen.
Und über welchen Witz konnten Sie wirklich mal lachen?
Ich hab sehr gelacht, als vor ein paar Jahren der Deutsche Buchpreis verliehen wurde, da haben ja schon die Spatzen von den Dächern gepfiffen, dass die Herta Müller ihn kriegen soll, völlig zu Recht, wie ich finde. Die hat dann aber den Nobelpreis bekommen. Man konnte ihr den Buchpreis nicht mehr geben. Dann hat den Preis ein Roman bekommen, der von einer Gehirnblutung handelt. Das kam mir so entlarvend für die deutsche Literatur vor: Wenn schon nicht Lagerhaft und Folter, dann wenigstens Gehirnblutung. Das fand ich sehr, sehr lustig.
Fotos: Paul Kranzler