»Zur Not schreiben Sie auf den eigenen Arm«

Sieben Autorinnen und Autoren verraten, wie man einen Bestseller verfasst.

    Foto: «© luxuz::./photocase.com»

    Margaret Atwood
    1. Wenn Sie im Flugzeug schreiben wollen, nehmen Sie einen Bleistift mit. Kugelschreiber und Füller tropfen. Bricht der Bleistift ab, kann man ihn nicht anspitzen, weil Sie kein Messer mit an Bord bringen dürfen. Packen Sie also einen zweiten Bleistift ein.
    2.
    Brechen beide Bleistifte ab, kann man sie mit einer Nagelfeile aus Metall oder Glas anspitzen.
    3. Haben Sie immer etwas dabei, worauf sich schreiben lässt. Papier ist gut. Zur Not tut es auch ein Stück Holz oder der eigene Arm.
    4.
    Machen Sie Rückenübungen. Schmerzen lenken ab.
    5. Fesseln Sie die Aufmerksamkeit der Leser. (Das funktioniert umso besser, wenn Sie selbst dabei hinreichend aufmerksam bleiben können.) Leider kennen Sie Ihre Leser nicht. Was A fasziniert, langweilt B zu Tode.
    6. Sie werden wahrscheinlich ein Synonymwörterbuch benötigen, ein Buch für allgemeine Grammatikfragen und einen gesunden Bezug zur Realität. Schreiben ist Arbeit. Außerdem ein Glücksspiel: Man bekommt keinen Rentenanspruch dafür.
    7. Hier und da können Ihnen andere Menschen weiterhelfen, aber im Grunde sind Sie auf sich selbst gestellt. Niemand zwingt Sie dazu: Sie haben sich das so ausgesucht, es wird also nicht gejammert.
    8.
    Geben Sie Ihr Buch erst einem oder zwei Freunden, die gern lesen, bevor Sie es irgendwem aus der Verlagswelt zeigen. Sie sollten aber mit keinem dieser Freunde amourös verbandelt sein, es sei denn, Sie wollen Schluss machen.
    9.
    Wenn Sie in den Wald geraten, bleiben Sie nicht dort hocken. Haben Sie sich im Plot verzettelt oder hängen Sie fest, gehen Sie zurück an die Stelle, an der Sie den falschen Weg eingeschlagen haben. Nehmen Sie nun den richtigen und/oder wechseln Sie die Person. Zur Not den ersten Absatz.
    10. Es mag hilfreich sein zu beten. Oder ein anderes Werk zu lesen. Oder sich ständig den Heiligen Gral vor Augen zu halten: Ihr prächtiges, fertiges und veröffentlichtes Buch.

    Jonathan Franzen
    1. Der Leser ist weder Gegner noch Publikum, er ist ein Freund.
    2. Niemals das Wort »dann« als Bindewort verwenden – zu diesem Zweck haben wir »und«. Es durch »dann« zu ersetzen ist die Nicht-Lösung des trägen Autors für das Problem zu vieler »unds« auf einer Seite.
    3.
    Schreiben Sie in der dritten Person, es sei denn, ein wirklich markanter Ich-Erzähler drängt sich unwiderstehlich auf.
    4.
    Die reinste Form des autobiografischen Romans setzt pure Einbildungskraft voraus. Niemand hat je eine stärker autobiografische Geschichte als Die Verwandlung geschrieben.
    5. Im Stillstand erkennt man mehr, als wenn man einer Sache hinterherjagt.
    6.
    Man darf bezweifeln, dass jemand, der an seinem Arbeitsplatz Internetverbindung hat, gute Romane schreibt.
    7.
    Interessante Verben sind selten sonderlich interessant.
    8.
    Man muss erst lieben, bevor man unnachgiebig sein kann.

    Joyce Carol Oates
    1. Stellen Sie sich nicht den »idealen Leser« vor – es gibt ihn vielleicht, aber er liest andere Autoren.
    2.
    Stellen Sie sich nicht den »idealen Leser« vor – höchstens für Sie selbst als Autor, irgendwann in ferner Zukunft.
    3.
    Seien Sie Ihr eigener Lektor/Kritiker. Mitfühlend, aber gnadenlos!
    4.
    Wenn Sie nicht gerade etwas sehr Avantgardistisches schreiben – denken Sie daran, hin und wieder Absätze zu machen.
    5. Wenn Sie nicht gerade etwas sehr Postmodernes schreiben, denken Sie daran, auch mal schlichte, geläufige Worte anstatt mehrsilbiger »großer« Worte zu verwenden.
    6.
    Denken Sie an Oscar Wilde: »Ein wenig Aufrichtigkeit ist eine gefährliche Sache, und viel davon ist tödlich.«
    7.
    Seien Sie heiter und hoffnungsfroh. Aber rechnen Sie mit dem Schlimmsten.

    Meistgelesen diese Woche:

    Neil Gaiman
    1. Schreiben Sie.
    2.
    Schreiben Sie ein Wort nach dem anderen. Suchen Sie nach dem richtigen Wort.
    3.
    Schreiben Sie Ihren Text fertig. Egal, was Sie tun müssen, um das hinzukriegen.
    4. Legen Sie ihn beiseite. Lesen Sie ihn so, als hätten Sie ihn noch nie gelesen. Zeigen Sie ihn Freunden, deren Meinung Sie achten.
    5. Wenn Leute sagen, dass irgendwas daran falsch ist oder ihnen nicht plausibel erscheint, liegen sie fast immer richtig. Wenn sie Ihnen genau erklären, was sie für falsch halten und wie man es beheben kann, liegen sie fast immer daneben.
    6.
    Denken Sie daran, dass Sie den Text früher oder später loslassen und dann den nächsten schreiben müssen. Perfektion ist wie die Jagd nach dem Horizont. Bleiben Sie niemals stehen.
    7. Lachen Sie über Ihre eigenen Witze.
    8.
    Die oberste Regel für Schriftsteller lautet: Man darf tun, was man will, solange man es mit ausreichend Zuversicht und Selbstvertrauen tut. Also schreiben Sie Ihre Geschichte so, wie sie geschrieben werden muss. Schreiben Sie aufrichtig und so gut Sie können. Ich glaube nicht, dass es noch andere Regeln gibt. Jedenfalls keine, auf die es ankommt.

    Roger Willemsen
    1. Sitz gerade.
    2.
    Gut schreiben ist etwas Anderes als flott schreiben. Entscheide dich.
    3. Leiste dir eine hohe Meinung vom Umgang mit Ideen. Alles wird besser, wenn es gut gedacht ist.
    4. Schreiben ist eine Organisation von Informationen. Misstraue deinem Stoff, vertraue deiner Form.
    5.
    Streich die Hälfte aller spontan kommenden Adjektive,  nenne Cognac niemals eine »scharfe, bernsteinfarbene Flüssigkeit«.
    6.
    Wo Du unsicher wirst: Ein Satz pro Gedanke.
    7.
    Große Gefühle und gedehnte Beobachtungen machen einen Text nicht groß, sondern erstmal lang.
    8.
    Du musst beides und beides sogar zugleich können: kurz sein und genau sein.
    9.
    Wenn Du langweilst, tu es mit Programm.
    10. Suche Wirkung, nicht Effekt.

    Harriet Köhler  
    1. Fang an zu arbeiten, statt darauf zu warten, dass dich die Muse küsst. Der größte Unterschied zwischen einem Schriftsteller und jemandem, der gern einer wäre, ist: Der eine schreibt bereits Bücher, der andere nicht.
    2.
    Wenn dein Text nicht den richtigen Ton hat, fange nochmal von vorne an. Ja, ganz von vorn.
    3.
    Versuch, deiner Geschichte gerecht zu werden. Versuche nicht, ständig zu beweisen, was für ein toller Autor du bist. Deine Leser wollen ein gutes Buch, keine Beweise deiner Virtuosität. Sprachliche Rocaillen ohne Funktion sind ärgerlich.
    4. Achte auf den Herzschlag des Textes. Das unpräzisere Wort mag manchmal das präzisere sein, doch der Rhythmus muss stimmen.
    5. Wenn es nicht mal dir wehtut, wie soll es da den Leser berühren?
    6. Je weniger du deine Figuren beschreibst, umso genauer wird sie der Leser vor sich sehen.
    7. Liebe deine Figuren – und es ist dem Leser egal, wie gut oder böse sie sind.
    8. Schreiben ist Schweiß, Überarbeiten Blut und Tränen.
    9. Such dir einen Kritiker, dem du vertraust - und pfeif auf das, was die anderen sagen.
    10.
    Doch, du kannst auch woanders Schriftsteller sein – nicht nur in Berlin. 

    Tanja Dückers
    1. Gebe niemandem Dein Manuskript zu lesen, wenn es sich noch im Rohzustand befindet. Die Reaktionen könnten Dich verunsichern und am Weiterarbeiten hindern. Und andere haben auch nur ihre eigene Meinung.
    2.  Lese keine Kritiken oder habe zumindest einen »Vorkoster«, der für Dich journalistische Fastfood-Ware von Rezensenten, die Dein Buch nur quer gelesen oder eine unüberprüfte Meinung über Dich als Person haben, von vernünftigen Rezensionen trennt. Glaube niemals, dass es Objektivität in der Beurteilung der Qualität (was auch immer das genau ist) eines Buchs gibt.
    3. Überlege Dir nicht, ob ein Thema gerade in den literarischen oder soziopolitischen Zeitgeist passen würde. Habe keine Sorge, dass ein Thema »durch« sein könnte. Das Wie interessiert an einem Buch mehr als das Was.
    4.  Ich halte es mit der irischen Schriftstellerin Anne Enright: »Only bad writers believe they've written very good books.« Betrachte Deine Bücher immer nur als bestmögliche Versuche.
    5.  Wenn Du vorm weißen, leeren Bildschirm sitzt, denke daran, dass Du nur Versuche unternimmst - das kann eine entlastende Wirkung haben. Habe nicht die Erwartung an Dich selbst, gleich druckreife Sätze zu schreiben. Schreibe Dich warm, bevor es an die Arbeit geht -  gönne Dir zum Auftakt die Niederschrift von ziemlichem Unsinn.
    6. Lass Dich, nur weil Du nicht so feste Arbeitszeiten wie ein Büroangestellter hast, niemals von anderen Leuten um Deine (tägliche) Arbeitszeit bringen oder unterbrechen, wenn nicht unbedingt nötig. Wenn man gerade schreibt, kann man nicht »nur mal kurz« telefonieren, weil es irgend einer Bekannten wieder mal schlecht geht. Nimm Deine Arbeit so ernst, dass Du sie auch anderen gegenüber mit ihren zeitlichen Erfordernissen verteidigen kannst.
    7. Laß Dir von anderen nicht einreden, »richtiger« Urlaub bedeute, nicht zu arbeiten. Wer schreibt, liebt seine Arbeit oft so sehr, dass er viel lieber auch noch am Strand ein paar Gedanken festhält und abends in der Skihütte den Lap Top ausklappt als noch in geselliger Runde Doppelkopf zu spielen. Beim Schreiben zerfließen die Grenzen zwischen Arbeit und Privatbeschäftigung, zwischen Anspannung und Entspannung, Leichtigkeit und Mühe - man ist kein Workalolic, nur weil man gern oft und viel schreibt.
    8. Lies nicht zuviel, wenn Du selber gerade intensiv schreibst. Es besteht die Gefahr, dass - auch wenn man meint, dies verhindern zu können (Irrtum!) - , etwas vom Gestus und Tonfall der Bücher, die Du gerade liest, in Deine noch fragile Welt übergeht und auf sie abfärbt. Gehe lieber in den Botanischen Garten, auf einen Spielplatz oder ins Planetarium. Oder...
    9.  ... fahre Fahrrad. Diese Tätigkeit erfordert nur eine gewisse Konzentration, die genug Kapazitäten für gute Einfälle übrig läßt. Gleichzeitig ist das Denken nicht zu richtungslos-chaotisch, weil man eben doch ein bißchen aufpassen muß. Beim Fahrradfahren kommen viel eher gute Gedanken als beim manischen Auf-den-Bildschirm-Starren.
    10.  Iss Schokolade, wenn Du abends arbeitest. Es hält auf angenehme Weise wach, beschleunigt das Denken aber nicht so sehr wie Kaffee, was der Langsamkeit, die das Schreiben erfordert, oft eher abträglich ist - Theobromin fördert ein genußvoll-entspanntes Wachsein, keine Nervosität - ein guter Geisteszustand, um zu schreiben.