Nadal schlägt ein Ass gegen Federer. Schnell, trocken, schnörkellos, crosscourt. Rotes Staubwölkchen. Es ist das Finale der French Open, Göttin der Tennisturniere auf Sand. Federer bewegt die Lippen. Er stöhnt. Aha. Er stöhnt wollüstig. Warum? "Was möchten Sie trinken?", fragt der Barkeeper und reißt meinen verzweifelten Blick vom Fernseher, der über der Theke angebracht ist. „Cola, bitte." Das Stöhnen hört nicht auf, Verdrängung zwecklos. Jetzt ist es sogar ein Duett - nein, mehr ein Kanon. Von überall her bedrängt es mich, die dazugehörigen Handlungen rattern am geistigen Auge vorbei, furchtbar. Warum bin ich hergekommen, nicht der French Open wegen, Augen auf, gesteh es dir ein, du bist: im Pornokino.
Frankfurt, Kaiserstraße, Sonntagnachmittag. Er dünkt mich nun eine schlechte Idee, mein Selbstversuch. Charlotte Roche geht fiktiv in den Puff, ich zu Analysezwecken ins reale Pornokino. Die unbedarfte Recherchefrage ist: Warum geht ein Mann für intime Handlungen an einen öffentlichen Ort, wenn er es zuhause einfacher haben kann? Die DVD macht es doch möglich.
Der mitgebrachte männliche Beschützer lehnt auch nicht mehr ganz so locker an der Theke und meint: „Lass uns reingehen." Muss das sein? An der Cola festhalten. Hier sind nur Männer. Alte, junge, schöne, bierbäuchige. Es riecht nach Männerschweiß, blaues Kunstlicht glimmert aus allen Ritzen. Die fünf kleinen Kinos sind durch Stellwände voneinander getrennt, Durchgang erwünscht. Wenn es der Lust denn dient. Ich konzentriere mich auf meine Rolle als Besucher zweiter Ordnung. Ich beobachte die anderen, während sie beobachten.
Von der Bar zu Kino 1 sind es ein paar Meter. Einige ältere Herren räumen höflich nickend den Eingang frei, erheben sich von den Sitzen, um Ankommende durchzulassen, wie im Theater. Galanterie im Pornokino, wer hätte das gedacht. Die Augen gewöhnen sich schnell, zu schnell an die Dunkelheit. Das Filmchen läuft und wir setzen uns. Alle Blicke sind auf uns gerichtet: Oh, ein Pärchen. Ob Federer den dritten Satz in Paris gewinnt?
Jetzt bedrückt mich das Fremdschämen. Für die Darsteller rein mechanischen Poolorgie. Für die Synchronsprecher, deren Gejaule zeitversetzt zu der Sexualgymnastik plärrt. Vielleicht muss ich erst im Geiste ein Mann werden, um das da vorne gut zu finden. Die Herren sind hier stiller als beim Fußball, sitzen aufrecht in den Ledersesseln. Wer nutzt die Öffentlichkeit als Aphrodisiakum? Offensichtlich keiner. Die meisten stehen hinter der letzten Reihe am Eingang, Hände in den Taschen vergraben. Hoffentlich nur vergraben. Niemand nähert sich unzüchtig, niemand gafft. Beim leisesten verdächtigen Geräusch ruft ein Aufpasser: „Wenn Film, dann Ruhe!" Wenn Pornokino, dann diszipliniert!
Mittlerweile ist die Cola leer, wo sind denn eigentlich die sanitären Einrichtungen? Den düster-blauen Gang entlang. Hier hängt die deutsche Flagge neben der Werbung für ein Bier mit „Potenzholzextrakt" namens „69, das Popp-Bier". Prost. Noch nicht mal Kondome gibt es auf dem Abort, dafür Lavendelseife vom dm. In diesem Etablissement passiert mir heute nichts mehr. Die Nervosität schwindet. Was hatte ich erwartet? Orgien. Erregungselend. Lässig gehe ich zurück ins Kino.
Etwas dort ist anders. Der Film hat gewechselt. Statt Wasserschlachten zu dritt gibt es nun ein Solo der blonden Verführerischen. Das zeitigt Konsequenzen. Oh nein. Sind Männer tatsächlich so einfach gestrickt? Die Akteurin beschäftigt sich nur mit sich selbst - die Anwesenden auch. Aus dem Augenwinkel sehe ich schon zwei aktive Männer. Distanziere dich! Du wolltest beobachten! Es ist keine Tagesschau, sondern ein Porno. Besucher verfolgen einen Zweck. Dem gehen sie jetzt auch nach. Ungeniert und öffentlich. Schweigsam und ausdauernd.
Bis zum Ende. Bis in den Feuchtgebieten die Dämme brechen. Wahnsinn. Dann allgemeines Zusammensinken. Das Zewa Softie noch zückend dreht sich ein glatzköpfiger Mitdreißiger glotzend zu mir um. Das ist zu viel. Auch diszipliniertes Massenmasturbieren ist degoutant. Ich muss gehen, raus in die Sonne. Im Halbdunkel des Tabus fröstelt es mich vor so viel Körperlichkeit. Beim Rausgehen werden wir freundlich verabschiedet: „Bis zum nächsten Mal!" Danke. Tabu gebrochen, Bedarf gedeckt.