Roberto Blanco

Seine Eltern kamen als kubanische Varieté-Stars nach Europa, bald starb seine Mutter, der zweijährige Roberto wurde bei französischen Nonnen in Beirut untergebracht. Dank seinem Vater, einem Sänger und Tänzer, lernte Blanco dann die Welt kennen, und schon nach wenigen Jahren hatte der heute 76-Jährige mehr erlebt als andere in ihrem ganzen Leben (oder wie oft waren Sie zur Privataudienz beim Papst?).

Jeder kennt ihn, aber wie viel weiß man wirklich über ihn? Roberto Blanco, 76.

SZ-Magazin: Herr Blanco, Ihre Mutter Mercedes starb, als Sie noch nicht einmal zwei Jahre alt waren. Können Sie sich an sie erinnern?
Roberto Blanco:
Nein, leider nicht. Sie starb so entsetzlich früh. Aber ich habe viele Fotos von ihr und mein Vater hat mir viel erzählt. Nur über den Tod meiner Mutter wollte er nicht reden. Da hatte er immer Tränen in den Augen.

Woran ist sie gestorben?
Es war irgendeine Krankheit, die sehr plötzlich kam und schnell zum Tod führte. Mehr kann ich Ihnen nicht sagen.

Was wissen Sie über Ihre Mutter, was war sie für eine Frau?
Sie war eine tolle Sängerin und Tänzerin und muss ein unglaubliches Charisma gehabt haben. Mein Vater hat mir oft erzählt, wie sie überall, wo sie auftrat, das Publikum begeistert hat.

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Wie haben sich Ihre Eltern eigentlich kennengelernt?
Sie trafen sich Anfang der Dreißigerjahre im Teatro Terry von Cienfuegos in Zentralkuba, einem schönen alten Varieté. Meine Mutter war die Haupttänzerin, mein Vater ihr Partner. Sie verliebten sich auf der Bühne, kurze Zeit später wurden sie von Sponsoren aus Havanna entdeckt, die eine Revue mit den besten kubanischen Künstlern um die Welt schicken wollten. Zuerst reisten sie jahrelang durch Südamerika, dann quer durch Europa. Als ich im Sommer 1937 zur Welt kam, gastierte die Revue gerade in Tunis.

Aufgewachsen sind Sie aber in Beirut. Was hat Sie dorthin verschlagen?
Nach Tunis trat die Revue noch eine Zeitlang in Paris auf. Meine Eltern waren dort mit dem kubanischen Botschafter befreundet, der sie im Frühjahr 1939 darauf ansprach, dass es möglicherweise Krieg in Europa geben würde. »Wenn ihr zurück nach Kuba wollt, fahrt jetzt«, sagte er. »Wir wollen aber nicht zurück«, antworteten sie, »wo können wir sonst hin?« Er empfahl ihnen den Libanon, das sei ein sicheres Land. Damit hatte er recht, aber für meine Eltern war es trotzdem kein glücklicher Ort: Kaum waren wir dort angekommen, ist meine Mutter gestorben.

Nun stand Ihr Vater also im Sommer 1939 in Beirut, einer fremden Stadt, und musste sich um seinen zweijährigen Buben kümmern. Was hat er gemacht?
Er hat damals im besten Nachtclub von Beirut gearbeitet, und sein Boss gab ihm den Tipp, es bei den Nonnen vom Kloster Heiliger Josef zu versuchen. Das war ein riesiges Kloster mitten in Beirut, in dem französische Nonnen eine Mädchenschule betrieben. »Aber mein Roberto ist doch ein Junge!«, rief mein Vater. Trotzdem wurde dann ein Termin mit der Oberin gemacht, den ich noch schemenhaft im Gedächtnis habe – ich glaube, das ist meine älteste Erinnerung.

Was ist dort geschehen?
Die Oberin hat zugestimmt, mich im Kloster zu behalten. Sie meinte aber, dass es für alle am einfachsten sei, wenn ich gleich dabliebe. Die Szene sehe ich bis heute vor mir: Die Nonnen nehmen mich mit, mein Vater geht weg – und ich schreie wie am Spieß.

Wie lange haben Sie gebraucht, um sich an das Leben im Kloster zu gewöhnen?
Nicht lange. Ich habe dort viel Liebe und Wärme bekommen.

Hatten Sie im Kloster eine Ersatzmutter?
Eine Nonne, Schwester Alfonse, hat sich besonders um mich gekümmert, ich habe sogar in ihrem Zimmer geschlafen, wo noch zwei anderen Nonnen hinter Vorhängen ihre Betten hatten. Auch Schwester Marie, die Oberin, war immer sehr nett zu mir, ich wurde dort schon sehr verwöhnt. Das änderte sich, als ich mit sieben auf das Jungen-Internat Sacre Cœur kam. Wenn die Mitschüler sonntags Besuch von ihren Müttern bekamen, hätte ich auch gern eine Mutter gehabt. Da hat mir manchmal die Geborgenheit gefehlt. Aber ich habe dort gelernt, mich durchzusetzen und auf eigenen Füßen zu stehen. Es war nicht immer leicht, aber doch eine wichtige Erfahrung für mich.

Wie präsent war Ihr Vater damals in Ihrem Leben?
Mein Vater war selten in Beirut, er ist schließlich immer irgendwo aufgetreten – in Damaskus, in Kairo, in Teheran vor dem Schah von Persien. Aber obwohl wir uns nicht oft gesehen haben, hatten wir eine besonders enge Vater-Sohn-Liebe. Ich war die Nummer eins für ihn und wusste das auch. Viele sagen, er hätte in mir meine Mutter gesehen.

Es war damals gar nicht so einfach, Kontakt zu halten. Haben Sie sehnsüchtig auf seine Briefe gewartet?
Er hat Briefe geschrieben und sonntags angerufen. Vor allem hat er aber schon sehr früh Reisen für mich arrangiert. Ich bin schon mit sechs allein nach Kairo geflogen, um ihn zu besuchen. Später habe ich dann immer meine dreimonatigen Sommerferien dort verbracht, wo er gerade gastierte – Rom, Athen, Holland, Kairo, Kopenhagen, wo auch immer. Um diese Reisen haben mich meine Schulkameraden schwer beneidet, da habe ich nämlich oft ziemlich viel erlebt.

So? Was denn?
Stellen Sie sich vor, Sie kommen nach den Ferien zurück an ein katholisches Internat und erzählen allen, dass sie zu einer Privataudienz bei Papst Pius XII. in Castel Gandolfo eingeladen waren. Zuerst hat mir das keiner geglaubt, aber ich hatte ein kleines Beweisfoto, und als das die Runde machte, wurde ich sofort zum Direktor gerufen. Ich habe ihm erzählt, dass ich den Papst von ihm gegrüßt hätte und nun ganz herzlich zurückgrüßen solle. Von dem Moment an war ich der Star der Schule.

Wie war es denn zu dieser Audienz gekommen?
Die hatte der kubanische Botschafter in Rom arrangiert; der amerikanische Filmstar Tyrone Power und die Schauspielerin Anna Magnani waren auch dabei. Im Auto hatte mir mein Vater eingeschärft, nur etwas zu sagen, wenn ich angesprochen würde. Aber kaum standen wir vor dem Papst, plapperte ich los: Ich sei der Roberto und würde in Beirut auf die Brüderschule gehen und so weiter und so fort. Da hat der Papst kein Wort mehr mit meinem Vater geredet, sondern nur noch mit mir. Als die Audienz vorbei war, guckte mein Vater mich an und sagte nur: »Das ist mein Roberto!«

»Ich weiß, was ich kann, und glaube an mich. Deshalb konnte ich auch negative Kritik immer gut wegstecken.«

Der kleine Roberto in der Uniform der ägyptischen Armee - sein Vater war mit einem ägyptischen General befreundet, der die Kinderuniform extra anfertigen ließ.

Über Ihren Vater hatten Sie Einblick in die Welt der Nachtclubs und Varietés. Wie hat diese Welt damals auf Sie gewirkt?
Ich durfte mich leider nie nachts in den Clubs aufhalten, dafür war ich noch zu klein. Bei den Proben war ich oft, aber einen Auftritt meines Vaters habe ich in diesen Jahren nur ein einziges Mal gesehen – in Athen, wo ich vom Beleuchterzimmer aus zugucken durfte. Er war so elegant, wie überhaupt jeder in diesen Nachtclubs extrem elegant gekleidet war. Die Damen trugen Abendkleid und teuren Schmuck, selbst die Kellner trugen Smoking oder Frack. Der Club in Athen war einer der schönsten, aber sehr spektakulär war auch die »Auberge des Pyramides« in Kairo, dort hat König Faruk riesige Partys geschmissen. Als Bub saß ich dort auf dem Schoß von Zarah Leander, die auf Faruks Wunsch extra aus Europa eingeflogen worden war.

Von Ihrem Vater Don Alfonso Zerquera sagt man, er habe großen Erfolg bei den Frauen gehabt.
»Papa, schon wieder eine?«, habe ich als Kind immer gesagt.

Hat es Sie gestört, dass Ihr Vater oft neue Freundinnen hatte?
Nein, die mussten ja immer nett zu mir sein. Man muss auch unterscheiden: Es gab Zeiten, wo er ungebunden war, da hatte er dann häufiger neue Freundinnen, er war aber auch noch mehrmals verheiratet, mit einer sehr hübschen Türkin, einer Amerikanerin, einer Libanesin und einer Schweizerin. Ich habe aus diesen Jahren fünf Halbgeschwister. Mein Vater hat sein Leben gelebt.

Es heißt, Sie hätten bereits mit zwölf Ihre Unschuld verloren.
Ich sah aber schon aus wie 14!

Was ist passiert?
Es war in Athen. Während mein Vater auftrat, spielte ich abends immer noch ein paar Runden Dame mit den Portiers in unserem Hotel. Eines Tages war da eine Frau: schlank, vollbusig, schwarze Haare bis zu den Knien – eine rassige Griechin. Alle Männer waren begeistert. Manchmal saß sie abends an der Bar, hat etwas getrunken, geraucht. Eines Abends fragt sie mich, ob ich mit ihr spielen möchte. Wir spielen also zusammen Dame, bis sie irgendwann fragt, ob ich nicht schlafen gehen müsse. Ich sage »Ja«, sie erwidert »Komm, wir gehen« und nimmt mich mit auf ihr Zimmer. Am nächsten Tag ist sie abgereist und hat beim Portier ein Paket mit Schokolade für mich hinterlassen.

Haben Sie Ihrem Vater von dem Ereignis erzählt?
Er hat gleich gemerkt, dass etwas passiert war. Als ich ihm dann alles gebeichtet hatte, war er total überrascht und hat gleich seine Musiker zusammengeholt. Er hat eine Runde Cognac bestellt, ich bekam auch ein paar Tropfen, wir haben angestoßen, und mein Vater sprach: »Mein Sohn ist jetzt ein Mann.«

Was sind die wichtigsten Dinge, die Sie von Ihrem Vater gelernt haben?
Von ihm habe ich natürlich die Musikalität und die Professionalität, die es braucht, um im Showgeschäft oben zu bleiben. Aber noch wichtiger ist vielleicht, wie er meinen Charakter geformt hat. Er sagte zu mir: »Roberto, du bist du. Sei kein Egoist, aber denke zuerst an dich. Du musst erst dir selbst helfen, bevor du anderen helfen kannst.« Sein Vorbild hat mich, glaube ich, zu einem eigenständigen Menschen gemacht. Ich weiß, was ich kann, und glaube an mich. Deshalb konnte ich auch negative Kritik immer gut wegstecken.

Die vielen Reisen, die Sie schon in jungen Jahren unternommen haben, dürften Sie ebenfalls geprägt haben.
Im Libanon habe ich erlebt, wie verschiedene Religionen miteinander klarkommen, ich habe viele Länder gesehen, viele interessante Menschen kennengelernt. Ich spreche sieben Sprachen, inklusive Arabisch – ich bin überall zu Hause! Von kleinkarierten Menschen habe ich mich nie unterkriegen lassen.

Wie lange waren Sie auf dem Internat in Beirut?
Bis 1952. Dann entschied mein Vater, dass der Krieg nun lange genug vorbei sei. Er ließ sich in Barcelona nieder, ich kam auf ein Internat in Madrid.

Spanien wurde damals vom faschistischen Diktator Franco beherrscht.
Den habe ich öfter bei Paraden gesehen.

Wurden Sie dort wegen Ihrer Hautfarbe diskriminiert?
Nein, im Gegenteil. Ich war immer der einzige Schwarze, das hat die Leute eher neugierig gemacht. Das war später bei meiner Karriere als Sänger in Deutschland ja genauso. An der Schule in Madrid war ich jedenfalls sehr beliebt, die Schwestern und Cousinen meiner Freunde fanden mich so süß, so nett. So kam es, dass ich ständig auf riesige Landsitze eingeladen wurde, wo Diener mit weißen Handschuhen das Essen servierten.

Nach dem Abitur haben Sie dann begonnen, Medizin zu studieren.
Obwohl ich das gar nicht wollte. Aber mein Großvater war Zahnarzt gewesen, deswegen sah mein Vater wohl einen Doktor Roberto in mir und hat mich selbst bei der Universität angemeldet.

Und während Sie im Hörsaal saßen, haben Sie davon geträumt, auf der Bühne zu stehen?
Ja, so ungefähr. Schon in der Schule war ich immer der Entertainer gewesen und hatte bei Festen für meine Mitschüler gesungen. Ich war sicher, dass mir das Showgeschäft im Blut lag, hatte aber keine Idee, wie ich da reinkommen könnte.

Bis das Schicksal zu Ihren Gunsten eingriff. Haben Sie das auch so gesehen?
Ja, das war Kismet, wie wir in Beirut gesagt hätten. 1956 flog ich nach Frankfurt. Im Flugzeug sprach mich der Regisseur Alfred Weidenmann an. »Ich möchte Sie für meinen nächsten Film engagieren«, sagte er und gab mir seine Visitenkarte. Der Agent meines Vaters hat dann einen Riesen-Vertrag für mich ausgehandelt, so dass ich trotz meiner kleinen Rolle, glaube ich, mehr verdient habe als die meisten anderen Schauspieler. Und ein Jahr danach habe ich den Gesangswettbewerb Dem Nachwuchs eine Chance gewonnen; das war damals das, was heute Deutschland sucht den Superstar ist. So ging es los.

Hat Ihr Vater Ihnen noch einen Rat mit auf den Weg gegeben?
Eine Sache hat er mir tatsächlich gesagt, die mich unheimlich beeinflusst hat. »In deinem Beruf brauchst du eine positive Ausstrahlung«, sagte er zu mir. »Die Leute sollen sich freuen, dich zu sehen. Also lass deine Sorgen und Probleme zu Hause und lächle.«

Diesen Rat haben Sie ohne Zweifel bis heute beherzigt!
Ja, und das ist ein Grund dafür, warum ich nach sechzig Jahren im Showgeschäft immer noch da bin.

Waren Sie seit Ihrer Kindheit eigentlich noch mal in Beirut?
Von 1963 an bin ich dort mehrmals in Nachtclubs aufgetreten. Da kamen dann immer mehr als 50 ehemalige Schulkameraden – das war toll. 1971 war ich zum letzten Mal dort, da habe ich auch wieder das Grab meiner Mutter besucht und gepflegt, das auf einem wunderschönen Friedhof direkt am Meer lag.

Warum waren Sie seitdem nie wieder da?
Den Friedhof gibt es leider nicht mehr. Wie ich gehört habe, steht dort jetzt ein Hotel.

(Kinderfoto: privat; Herzlichen Dank an das GOP Varieté-Theater München)

Foto: Robert Brembeck