Ach ja, die glücklichen Dänen. Darf man überhaupt noch einen Artikel schreiben, ohne zu erwähnen, dass dieses Volk in jeder Studie zum Thema Lebensglück seit Jahren Spitzenreiter ist und die Deutschen irgendwo im letzten Drittel dümpeln? Solche Umfrageergebnisse hängen natürlich entscheidend vom jeweiligen Glücksverständnis ab. Während in Deutschland perfektes Glück vermutlich nur durch die Kombination von Lottogewinn, ewigem Sommer und Ehe mit George Clooney erreichbar ist, genügt den Dänen eine warme, hyggelige Grundzufriedenheit, gesichert durch gutes Einkommen, Feierabend um vier, Carlsberg-Orgien am Wochenende. Und das unbezahlbare Gefühl, alles richtig zu machen, erkauft durch strengen Anti-Individualismus und das Diktat der Gleichheit. Alles wird darauf abgeklopft, ob es samfundsrelevant ist, sozial sinnvoll. Und herausstehende Nägel werden eingeschlagen: Große Abweichungen von der Hyggeligkeit ernten im günstigsten Fall Stirnrunzeln.
Trotzdem kann Kopenhagen auch Rebellen eine Heimat bieten. Der ehemalige Freistaat Christiania (mit seinem Schild »Sie betreten jetzt die EU« am Ausgang) ist das eine Beispiel, ein SZ-Leser-Auftrag führt mich zu einem anderen. »Finde das Grab von Link Wray«, wünscht sich Christian. Dass sich Link Wray, einer der besten Gitarristen der Welt, dessen Instrumentalhit Rumble 1958 auf dem Index landete, weil sein grollender, wütender Sound nichts Gutes verhieß, ausgerechnet im beschaulichen Kopenhagen niederließ, ist schon bemerkenswert genug. Dass er sich testamentarisch wünschte, in der Christianskirche beigesetzt zu werden, noch viel mehr. Dass er jetzt tatsächlich seit 2005 in der historischen Krypta unter der Kirche liegt, am meisten. Flemming Pless, der Pastor der Christianskirche, macht nur Andeutungen, wie es dazu kam, erzählt, dass Bob und Bruce daran beteiligt waren. Und in der Tat: Bob Dylan hat nach Link Wrays Tod eine Woche lang jedes Konzert mit Rumble eröffnet, Springsteen soll sich ebenfalls an der Finanzierung des Grabs beteiligt haben.
Gleich mehrere Leser wünschten sich, dass ich nach Louisiana fahre, das wunderschön am Øresund gelegene Museum dreißig Kilometer nördlich von Kopenhagen. »Legen Sie sich mit einer Zimtschnecke auf die Hangwiese« – erledigt! »Finden Sie heraus, ob der kleine Raum von Yayoi Kusama auch bei Ihnen einen Glücks- und Grinserausch auslöst« – tut er! Kusamas Installation The Gleaming Lights of the Souls darf nur von zwei Personen gleichzeitig betreten werden. Man steht auf einem schmalen Steg über Wasser und ist umgeben von Hunderten von Lichtkugeln, die alle paar Sekunden die Farbe wechseln – ein rauschhaftes Erlebnis, gegen das die in Christiania verkauften fertig gerollten Joints (vielen Dank für den Auftrag, T.) gar nichts sind.
Für einen Leser eine Reservierung im »Noma« besorgen: keine Chance, nicht mal mit Pressebonus, die sind da eisern. Ein Termin im Februar? »Sprechen Sie am 31. Oktober ab 10 Uhr morgens noch mal vor, bitte.« »Noma« ist nun schon im zweiten Jahr zum besten Restaurant der Welt gekürt worden, seitdem ist ein Tisch so schwer zu bekommen wie … sagen wir: ein Vierer im Lotto. Und das nicht nur dank der spektakulären Küche, sondern auch, weil die Mannschaft so übermenschlich charmant ist. Als sie 2010 zum ersten Mal ausgezeichnet wurde, flogen alle nach London. Und trugen auf der Bühne T-Shirts mit dem lachenden Gesicht ihres gambischen Tellerwäschers Alieu, der als Einziger nicht dabei sein konnte, weil sein Visum nicht rechtzeitig kam. Der letzte Job fiel ins Wasser: Ich sollte den Cheerleader und Fotografen für eine 15-köpfige Schwimmgruppe aus Berlin geben, die die »Christiansborg Rundt« mitschwimmen wollte, einen zwei Kilometer langen Rundkurs um die Stadt. Eine sehr lustige Truppe, die sogar mit Perserkatze als Maskottchen angereist war, aber leider nicht zum Einsatz kam. In der Nacht vor dem Wettkampf ging ein heftiges Gewitter nieder, die Gesundheitsbehörde zog die Reißleine: Durch die Überschwemmung der Kanalisation Gefahr von Kolibakterien im ansonsten unbedenklichen Hafenwasser. Das hatte ich selbst schon kennengelernt: Ich bin im Auftrag von Dieter im Havnebadet vom Sprungturm gehüpft und habe mir anschließend beim Trocknen auf den Holzbohlen das Kopenhagener friluftsliv angeguckt. Das Glück ist so einfach: beim kleinsten Sonnenstrahl alles stehen und liegen lassen (der Winter ist lang genug zum Arbeiten) und mit Kind, Kegel und einem Sixpack nach draußen. Kopenhagen war die perfekte Stadt zum Luftholen und Sichfallenlassen in diesem glücklichen Jahr.
Foto: Camillo Büchelmeier