Weiße Strände, alte Autos, Cohibas, Samba, Rum und Co: Auf der letzten Station ihrer Reise fühlte sich unsere Autorin wie eine echte Touristin.
Fast hätte ich Havanna geschwänzt. Beim Umsteigen in Frankfurt war ich nach elf Monaten zum ersten Mal wieder auf deutschem Boden, und kurz dachte ich: Was, wenn ich mich jetzt einfach in einen Zug setze, einen Monat früher als geplant nach Hause komme – heimlich, ohne es jemandem zu sagen – und in irgendeine möblierte Wohnung ziehe? Einen Monat wie ein Fremder in Hamburg wohnen, das schien mir plötzlich viel attraktiver als das schönste Rum- und Samba-Delirium unter kubanischer Sonne. Nach elf aufregenden Städten machte sich zudem, muss ich zugeben, ein gewisses Sättigungsgefühl breit – wie ungerecht Havanna gegenüber, es sich auf vollen
Magen hinunterquälen zu wollen. Aber okay, ein Dessert geht bestimmt noch rein.
Gottlob machten es mir die Aufträge der SZ-Leser zunächst leicht. In der Dämmerung auf der Dachterrasse des Hotel »Inglaterra« einen Mojito trinken und über den schönen Parque Central zu blicken – die einfachste Übung der Welt, danke, Frau Rüther (die Fotos haben Sie bekommen?). Die über die Uferpromenade Malecón meterhoch schwappende Brandung wollte Sylvie Rohrer fotografiert haben, das hatte sie bei ihrem eigenen Havanna-Besuch vor ein paar Jahren wegen ungewöhnlich spiegelglatter See nicht hinbekommen – erledigt. Der Gott des Reisens hat mir ein paar ausgesprochen stürmische Tage in den Dezember eingebaut, an denen der ganze Malecón für den Autoverkehr gesperrt war. Ein Hochgenuss, die berühmte Straße als Fußgänger für sich zu haben und nur mit den Kindern zu teilen, die Wettrennen mit besonders hohen Wellen spielen.
Tja, und dann begann eine lange Strähne von Misserfolgs- und Versagensgeschichten. Einer älteren Dame im äußersten Osten der Insel sollte ich Gladiolensamen für ihren Blumengarten mitbringen – sorry, aber in meinem letzten Ziel Addis Abeba Gladiolensamen aufzutreiben, das habe ich dann doch nicht geschafft. In den spektakulären Dachgarten des »Hotel Sevilla« sollte ich zum Frühstücken gehen (ging nicht, wegen Umbau geschlossen), eine ehemalige Studienkollegin besuchen, einen verschollenen Vater auftreiben, von dem nur eine uralte Adresse existiert und ansonsten jede Spur fehlt – ich bin an allem gescheitert: Keiner da, niemand wusste was, die Auskunftsfreude kubanischer Behörden ist eh minimal. Internet? Nada. Und der Krimiautor Leonardo Padura, den ich im Auftrag von Leser Klaus Weber nach den Rezepten seiner Romanfigur Josefina fragen sollte, war auch gerade nicht zu erwischen.
Eine urkubanische Erfahrung: dass Dinge nicht klappen und nicht mal eine Aussicht darauf besteht, dass sie irgendwann klappen könnten. Resignation ist die Grundstimmung fast aller, mit denen ich gesprochen habe. Selbst der größte Ast, auf dem Kuba sitzt, der Devisen bringende Tourismus, wird systematisch angesägt: Hotelzimmer werden nicht instand gehalten, sondern im Schadensfall einfach dichtgemacht, in einigen der durchweg staatlichen Hotels ist bereits die Hälfte aller Zimmer nicht mehr vermietbar. Straßen werden nicht repariert, sodass Touristenbusse sie teilweise nicht mehr befahren können, Ersatzteile für Taxis fehlen. Hinzu kommt: In den meisten Geschäften muss inzwischen mit der an den Dollar gebundenen Devisenwährung Peso convertible gezahlt werden. Wer keine Verwandten im Ausland hat oder in der Tourismusbranche arbeitet und so an Devisen kommt, kann sich das Leben in Kuba nicht leisten. Die Folge: Lehrer und Ärzte arbeiten lieber als Zimmermädchen oder Fahrrad-Taxifahrer als in ihren eigentlichen Berufen.
Also ein eher deprimierender Monat? Gar nicht. Wie auch, in einer der schönsten, lebhaftesten Städte der Welt? Havanna ist berauschend lebendig in seiner Abgetakeltheit, seltsam heil geblieben in seiner Kaputtheit. Ein Museum der Lebensfreude – aber vielleicht bin ich auch nur der Postkartenhaftigkeit der Stadt aufgesessen. Wie kaum eine andere in diesem Jahr (vielleicht nur noch Honolulu) scheint sie auf fast unheimliche Weise identisch mit den Klischees, die über sie kursieren. Die amerikanischen Oldtimer, die Samba-Bands in jeder Bar, der Rum, die Zigarren, die aus ihren engen Tops quellenden Frauen – es ist fast schon zum Lachen.
Und so geht diese Tour durch zwölf Städte auf ganz untypisch touristische Weise zu Ende. Allen SZ-Magazin-Lesern, die dieses Jahr mit ihren Aufträgen und Anregungen zu einem so besonderen gemacht haben, meinen allerherzlichsten Dank. Inzwischen bin ich wieder in Deutschland, gucke ich mich mit großen Augen um und ahne: Die Heimreise wird noch einige Wochen dauern.
Foto: Camillo Büchelmeier