Meikes Reisebüro (9): Barcelona

Zwölf Monate, zwölf Städte – unsere Kollegin fährt ein Jahr lang um die Welt und erledigt Leser-Aufträge. An Katalonien konnte sie sich erst nicht recht gewöhnen. Aber am Schluss lernte sie dort sogar die Beamten lieben.

Barcelona und ich: Das hat gedauert. Puta madre, was hat mich die Stadt genervt am Anfang! Dieses Lärmige, Stickige, sich ohne Rücksicht Auslebende, der dreckige Strand, die touristenverachtenden Kellner, die eindringlichen Warnungen vor dem grassierenden Taschenklau, die man ungefragt von jedem bekommt – es kam mir alles so verdammt spanisch vor nach meinem Monat im aufgeräumten, frisch gelüfteten Kopenhagen. Kann es sein, dass mir in Europa die Unterschiede zwischen den Städten noch mehr auffallen als im Rest der Welt, weil ich hier unbewusst nach der großen Union suche, die man uns seit Jahrzehnten einbläut? Jedenfalls: Barcelona und ich, das war wie in einer schlechten Beziehungskomödie. Wir haben uns gehasst und wussten doch, dass wir uns am Ende kriegen würden.

Dazu haben wie immer viel die Leseraufträge beigetragen: Wie soll man auch eine Stadt blöd finden, deren kilometerlange Strandpromenade man entlangbummeln soll, vom Morgen bis in die Nacht, um zu beobachten, wie Menschen und Stimmungen kommen und gehen, als wären sie Gezeiten? Oder eine Stadt, in der man in der stets brechend vollen Absturzbar »Xampanyeria Can Paixano« eine Flasche Cava Brut für verhängnisvolle drei Euro kriegen kann? (Die Sandwiches dazu sind neuerdings Pflicht vom Wirt, um das Schlimmste zu verhindern.) Und selbst die muffigen Verkäuferinnen im legendären Espadrilles-Laden La Manual Alpargatera fand ich am Ende charmant, nachdem sie sich herabließen, mir zu zeigen, wie man die Bänder richtig bindet. Kann aber auch sein, dass mich all der Cava milde gemacht hat.

Wie immer profitiere ich immens von den Jobs der Leser. Friederike Sachs erteilt mir den Auftrag, ihren Vater zu umarmen und von der Mutter die Nachricht »19« zu überbringen – und Siegfried Sachs gibt mir zum Dank eine zweistündige Führung über die alle vier Jahre stattfindende Textilmaschinenmesse ITMA, durch ohrenbetäubende Spinn- und Webmaschinen, die sonst kein Sterblicher zu sehen bekommt. Dass eine Jeans in der Herstellung zwischen sechs (Indien) und acht (China) Euro kostet, und zwar jede Jeans, auch die später für 250 Euro verkauften Designerteile – wieder was gelernt. Ach, und »19«? Wird nicht verraten, ist aber bezaubernd.

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Manchmal bleibe ich aber einfach nur ein Trottel. Die Leser geben mir die schönsten Jobs, dann kommt was dazwischen, dann noch mehr, am Ende gibt es nur noch eine Chance – und die versemmle ich. So war das beim Auftrag von Samvel Mkhitaryan, ein Heimspiel des FC Barcelona zu besuchen und ein durchgeschwitztes Trikot von Messi zu besorgen. Ich habe bis zum letztmöglichen Termin gewartet: am 25. September gegen Atlético Madrid. Und dann: keine Karte mehr gekriegt, keine Lust, im Regen mit Schwarzhändlern zu zanken. Zu Hause zähneknirschend das Spiel verfolgt: 5:0, drei Tore von Messi. Mann, wäre das Trikot durchgeschwitzt gewesen! Tut mir sehr leid, Samvel, diesen Elfer habe ich verschossen. Aber so musste ich mir gar nicht erst die Frage stellen, wie ich Messis Trikot im Kampf gegen die anderen 95 000 Zuschauer errungen hätte.

Um so mehr habe ich mich in den letzten Job reingehängt. »Am 9. August ist meiner Tochter ihre Handtasche in Barcelona gestohlen worden, vier Stunden vor Abflug. Sie wurde in einer Polizeistation abgegeben, könnten Sie sie wohl abholen?« Kinderspiel, dachte ich. Die leichteste Übung der Welt, wo muss ich hin?

Doch die Tasche hat sich inzwischen auf eine Odyssee begeben. Von der Polizeistation zur polizeilichen Sammelstelle an der Plaça Catalunya, von dort zu Gericht Nr. 1 und weiter zu Gericht Nr. 11, wo sie zwar registriert wurde – nur weiß keiner, wo sie wirklich ist. Ohne schriftliche Anfrage geht sowieso nichts, klar. Dann erkrankt die zuständige Dame plötzlich längerfristig, eine Vertretung gibt es nicht. Zum Irrewerden. Kann man wirklich nichts machen? Nein, bedauert das deutsche Konsulat. Der Vizekonsul und die Generalkonsulin empfangen mich, um mir bei dieser Gelegenheit einen Crashkurs in Konsulatsarbeit zu geben. Die Niederlassung Barcelona ist für die Stadt, die gesamte Ferienregion an der Südküste und die Balearen zuständig; genauer: für die geschätzt 200 000 Deutschen, die dort ständig leben. Man muss sich das Ganze wie eine Art Landratsamt vorstellen: Geburts- und Sterbeurkunden, Passangelegenheiten, Sozialhilfe – das ziemlich genaue, staubtrockene Gegenteil der champagnerseligen Diplomatenpartys, die einem beim Stichwort Konsulat einfallen.

Dazu kommen echte Notfälle: vereinsamt sterbende Deutsche, deren Angehörige ermittelt werden müssen, geistig Verwirrte und Teenager-Ausreißer, die von der spanischen Polizei aufgegriffen werden. Da bleibt den zehn deutschen Konsulatsangestellten keine Zeit, einer Handtasche hinterherzujagen – schon gar nicht bei 310 gemeldeten Diebstählen pro Tag, Dunkelziffer unbekannt. Trotzdem sei der Erwartungsdruck hoch: Bitte mal schnell Geld und neue Papiere zum Flughafen bringen, ja? Schließlich sind wir Steuerzahler! Sorry, liebe Steuerzahler, die ihr hier auch gern mal angetrunken in Badehose vorm Schalter steht: Die Leute im Konsulat haben was Dringenderes zu tun, zum Beispiel eine Messerstecherei innerhalb einer deutschen Schülergruppe auf Klassenfahrt zu managen.

Liebe Frau Tripps, das mit der Tasche wird vielleicht nie mehr was, aber glauben Sie mir: Am Ende hatte ich das deutsche Beamtenwesen fast so lieb wie Barcelona, das mir mit all seinem Wahnsinn, seiner Lautstärke, seinem Tempo erst den Verstand und dann das Herz geraubt hat.

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Foto: Camillo Büchelmeier