Wer: Ralf König, Comic-Zeichner
Was: Zeichenbrett von Faber-Castell, ca. 50 Euro
Warum: Knollennasen zeichnen
Ich habe mich lange gefragt, ob ich überhaupt so ein Lieblingsteil besitze – dabei lag es die ganze Zeit geduldig vor mir: mein altes Zeichenbrett von Faber-Castell. Im Grunde wäre dazu auch wenig zu sagen. Es ist schlicht und funktional. Mein Zeichenbrett ist aber viel mehr als das. Es liegt seit jeher treu meinem Beruf und dem verzweigten Weg dorthin zugrunde.
1975 beendete ich die Hauptschule. Ich war 15 Jahre alt, dünn und langhaarig und meine schulischen Leistungen waren aufgrund nicht vorhandener mathematischer Vorstellungskraft nicht die besten. An mittlere Reife war nicht zu denken. Ich selbst wollte „irgendwas mit Zeichnen“ machen, nämlich Comics oder Trickfilme. Meine Eltern waren von dieser Kunst weniger überzeugt als ich, also machte mir mein Vater ungefragt eine Lehre als Holzmechaniker klar, denn: Holz hat Zukunft! Ich fand mich plötzlich in der örtlichen Möbelfabrik wieder, inmitten lärmender Kreissägen, Hobelmaschinen und Fräsen. Ständig hatte ich Angst, mir die Zeichner-Finger abzuschneiden. Ich habe es gehasst! Mittwochs in der Berufsschule wurde ›Technisches Zeichnen‹ gelehrt und so kam ich an mein Zeichenbrett. Natürlich versagte ich kläglich. Geometrie war mein Hassfach. Noch heute liegt mir nichts, was zu 100% exakt sein muss, millimetergenau und normiert. Nach 35 Jahren Comiczeichnen beherrsche ich nicht mal die einfachsten Regeln von Fluchtpunkt und Perspektive. Bei mir sitzen am besten zwei Knollennasen auf einem wabbeligen Polstersofa und unterhalten sich – und das kaum verändert auf neun Panels. Da brauche ich keine Perspektivenwechsel. Ich klemme das Papier unten rechts ein – klapp! – dann teile ich die Seite auf und umrahme mit Bleistift und Schiebelineal die einzelnen Bilder. Das war’s.
Das Brett habe ich schon als Lehrling für spaßigere Zeichnungen zweckentfremdet und meine ersten Comicveröffentlichungen darauf gekritzelt: für auf Umweltschutzpapier gedruckte linksalternative Zeitschriften oder den schwulen Kleinverlag in Berlin, der 1979 mein erstes eigenes Heftchen veröffentlichte. Nach fünf Jahren Holzmechanik versuchte ich, die mittlere Reife nachzuholen, und scheiterte einmal mehr an Mathe. Zeitgleich erfuhr ich zufällig, dass man für die Kunstakademie in Düsseldorf kein Abi brauchte. Ich bewarb mich spontan und hatte Glück: Aus 8000 Mappen wurde meine ausgewählt. Ich sagte der Berufsaufbauschule Tschö – nicht ohne dem kunstfernen Mathelehrer eine Karikatur seines Konterfeis zu schenken.
Anfang der 80er betraten mein Zeichenbrett und ich also die Akademie – und das Comiczeichnen wurde mir prompt verboten. Die Kunst sollte eigene Begrenzungen sprengen, und da passt mein Standard A4-Brett nicht ins Gefüge. Ich machte also in Öl und Gips und bastelte bizarre Bühnenbilder und Skulpturen, während ich abends und an den Wochenenden unbeirrt auf dem Zeichenbrett meine Comics zeichnete. Nach dem Studium bewarb ich mich damit bei größeren Verlagen. 1986 zeichnete ich für den Rowohlt Verlag den »Bewegten Mann«, später meine frühen Kracher wie »Kondom des Grauens« und »Bullenklöten«. Auf demselben Brett, auf dem ich mir damals beim technischen Zeichnen haufenweise schlechte Noten eingefahren habe, habe ich bis heute sämtliche meiner Bücher gezeichnet. Die meisten Comiczeichner haben viel größere oder sogar kippfähige und durchleuchtbare Zeichentischplatten. Ich bin da ungewöhnlich kleinformatig. Und mit dem Alter wird man ja auch sentimental und leicht nostalgisch, was den Saft der Jugend angeht. Ich behalte mein Brett und das Stück Vergangenheit. Und so lange ich noch Spaß am Nasenzeichnen habe, wird das ramponierte, vergilbte und zerschrammte Brett weiterhin seinen Dienst tun müssen. Ächz.
Foto: Ralf König