Kettenreaktion

Als es in Italien Mode war, schaffte Marcel Reif sich eine Goldkette mit Anhänger aus dem Flaggen-ABC an. In Italien trägt das nun keiner mehr, Reif hält seiner Kette jedoch die Treue – weil sie inzwischen sehr wichtig ist für die Beziehung zu seinen Söhnen.


Wer: Marcel Reif, Fernsehjournalist und Sportreporter

Was: Kettenanhänger »M«, ca. 150 Euro
Warum: Vater-Sohn-Bindung

Es gibt einige Menschen, die sagen, ich sei ein Freak. Andere sagen noch weniger schmeichelhafte Dinge – also bleiben wir beim Freak. Einen Spleen gebe ich auch gerne offen zu: meine Goldkette mit Anhänger. Vor ungefähr 30 Jahren trug wirklich jeder Italiener eine Kette mit seinem Namensinitial aus dem Flaggenalphabet als Anhänger. Mit dem Flaggen-ABC tauschen Schiffe normalerweise News aus. Ich war schon immer italophil und habe mich damals diesem schmucken Modetrend hingegeben. Mittlerweile trägt das in Italien wohl kaum eine Sau mehr. Ich aber schon!

Der Anhänger ist recht klein, vielleicht wie ein Fingernagel. Mein Buchstabe ist das »M«. Die Signalflagge dafür sieht zufällig fast genauso aus wie die Flagge von Schottland. Ich liebe Schottland, das passt also. Den Anhänger habe ich aus einem Laden in Mailand. Die kennen mich da inzwischen schon: Hey, da kommt er wieder und kauft ein »M«. Wobei - das ist nicht ganz richtig. Eigentlich kaufe ich nur noch ein »J«, »T« oder »N«. Das sind die Initialen meiner Söhne. Alle drei haben einen solchen Anhänger mit Kette von mir bekommen, sobald sie einen Hals hatten. Alle drei machen aber auch alles an Sport, was der Herrgott und die Griechen und irgendwelche Ballsportfreunde erfunden haben. Dabei legen sie die Kette ab - und verlieren sie. Und zwar ständig.

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Jedes Mal wissen sie ganz genau: Jetzt macht der Alte Ärger. Ich glaube, sie spüren, dass der Anhänger als eine Art väterlicher Schutz gemeint ist und sind genervt, dass sie deshalb gut darauf aufpassen sollten. Nach dem Verlust kommt also die große Zerknirschung ihrerseits, dann eine Abreibung meinerseits und dann besorge ich einen neuen Anhänger - gespielt erbost, aber in Wahrheit freue ich mich richtig, nun wieder nach Mailand in meinen Laden zu müssen.

Zu Anfang war der Laden in der Mailänder Innenstadt, mitten im Bermudadreieck Modeviertel. Dann war er plötzlich fort. Das war grausig. Mit kaltem Schweiß auf der Stirn und nach fieberhafter Suche spürte ich ihn in einer Seitengasse wieder auf. Ich denke gar nicht daran, daran zu denken, dass es Laden und Anhänger eines Tages nicht mehr geben könnte. Ich bin ein- bis zweimal im Jahr in Mailand und eines der Highlights ist, das Geschäft zu besuchen.

Meine Frau hat keine Flaggenkette. Das ist bei uns so eine Jungsgeschichte, unsere Insignie: männlicher Nachkomme. Wenn meine Frau angesichts der Ketten, die ich ihr bereits umgehängt habe, noch neidisch auf unser Männerding wäre, hätte ich auch definitiv etwas falsch gemacht. Jetzt ist erst einmal mein Enkel Max dran. Noch eine Schottlandflagge.

Ich selbst nehme die Kette niemals ab – zumindest nicht willentlich. Wenn ich zum Röntgen muss, ist das für mich die Hölle: Meine Grobmotoriker-Finger müssen sich am Kettenverschluss abmühen und ich muss mich vom Anhänger trennen. Er gehört da einfach hin, um meinen Hals. Zuweilen, wenn ich auf Gunter Sachs mache und das Hemd einen Knopf zu weit öffne, sehe ich ihn dort auf meiner Brust baumeln und finde: Kann ich absolut noch tragen.

Fotos: DPA, Privat