Geliebter Diener

Rollkofferbesitzer werden in Berlin gehasst. Der Moderator Max Moor bekennt sich trotzdem zu seinem geliebten Rimowa - auch wenn er ihm ab und zu einen kräftigen Tritt verpassen muss.

Wer: Max Moor, Fernseh-Moderator, Schauspieler, Autor, Reporter, Produzent und Sänger
Was: Reisekoffer von Rimowa, um die 400 Euro
Warum: Reise-Zutritt-Versicherung

Es gibt keinen Menschen, der mich so häufig begleitet wie mein Rollkoffer. Proportional betrachtet verbringe ich mehr Nächte mit ihm als mit meiner Frau. Er ist so treu ergeben und erträgt alles, obwohl er ständig schnöde in Container gestopft und auf Gepäcktransportwagen geschmissen wird. Er nimmt meine sauberen Hemden auf und erduldet, wenn meine schmutzigen Hände in seinen Eingeweiden wühlen. Der Koffer ist wunderschön. Er ist blau. Man könnte sagen mitternachtsblau, das klingt romantisch. Oder königsblau, das klingt edel. Ich habe ihn mit einem Streifen rotem Isolierband markiert.

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Sobald er auf dem Förderband um die Kurve fährt, erkenne ich ihn selbst aus der dritten Wartereihe und kann ihn mir schnell schnappen. Der Koffer hat die perfekte Größe für eine Wochenendreise. Wenn es richtig hart kommt, kann man aber auch Utensilien für zehn Tage hineinzwingen. Ich glaube, er schluckt so etwa 50 Liter Hemden und Unterleiblern. In beiden Kofferhälften hat er Innendeckel - die man flexibel fixieren kann, je nachdem wie viel Graffel man dabei hat -, die mir lieber sind als diese widerlichen Spanngurte zum Einhaken. Die meisten Koffer sind ja entweder zu klein oder zu groß, also presst sich alles in Falten oder schlappt lose im Kofferraum herum.

Mit dem nichtvollen Koffer habe ich schon wissenschaftliche Studien durchgeführt. Erst wollte ich die Luft mit Schaumstoff füllen. Leider gibt es die Umsetzung zu dieser Idee noch nicht. Dann habe ich ein Daunenkissen in den Koffer gelegt. Das hat gut funktioniert, war dafür rufschädigend. Das durfte kein Fremder sehen, sonst denken alle, ich bin so ein Verrückter, der nur mit seinem eigenen Kissen schlafen kann. Ich finde ja, dass man Menschen mit ihren Koffer-Problemen ziemlich alleine lässt. Es bräuchte eine Rollkoffer-Selbsthilfe.

Mittlerweile schwelt ja auch überall eine Rollkofferdiskussion. Der Rollkoffer ist zum Politikum geworden. Angefangen hat das in Berlin, dort gibt es eine regelrechte Rollkoffer-Pegida. Er ist ein Lärmgegenstand, in einer Riege mit Düsenjägern, Kindergeschrei und Laubbläsern. »Rollkofferbesitzer« ist eine Beschimpfung. Sie sind akustische Übeltäter. Der wahre Schuldige ist aber doch eigentlich der Straßenbelag. Der deutsche Gehweg ist nun mal überwiegend mit Pflastersteinen und Rillen ausgestattet. Auf Autobahnen löst man das Lautstärkenproblem mit Flüsterasphalt. Es müsste eigene Rollkoffer-Wege und -Zonen geben!

Von der hitzigen Rollkofferdiskussion und den Anfeindungen habe ich in der Zeitung gelesen. Politisch korrekt wie Schweizer sind, trage ich meinen Koffer seither - womit der Vorteil, der Sinn eines Rollkoffers natürlich zunichte wäre. Zuvor habe versucht, ihn nur auf zwei Rädern zu rollen, sogar nur auf einem über das Pflaster zu balancieren, um leiser zu sein. Das wurde nur noch lärmender. Aber ein Rucksack? Ich bin bekennender Rucksackgegner! Rucksackträger sind im Wortsinne rücksichtslos. Sie haben kein Gespür im Rücken, völlig unerwartet drehen sie sich um, und man hat ihren Rucksack im Gesicht oder er räumt irgendetwas bevorzugt zerbrechliches ab.

Der Rollkoffer bleibt bei Fuß. Manchmal motzt mein Koffer ganz leise: »Musst Du schon wieder essen gehen und mich alleine im Hotel lassen«. Ansonsten nimmt er in unserer Beziehung aber die Rolle des stummen Dieners ein. Er ist leicht zu beherrschen, denn er leistet keinen Widerstand. Damit hat er auch eine therapeutische Funktion. Ein Tritt dagegen kann sehr befreiend sein - für mich, nicht für ihn. Er verhindert, dass ich straffällig werde - zum Beispiel gegen einen Rucksackträger.

Den Koffer habe ich für abgeflogene Flugmeilen geschenkt bekommen. Den Markennamen spreche ich jetzt nicht aus, das macht mich noch mehr zum Unsympathen als ich es als Rollkofferbesitzer und Flugmeilensammler ohnehin schon bin. Ich finde es absolut angemessen, ab und zu einen Rollkoffer geschenkt zu bekommen, dafür, dass man sich als großgewachsener Mensch in diese menschenunwürdigen Kisten namens Flugzeug begibt. Jeder hat das Recht auf Platz. Aber während sich die Kleinen in ihrem Sitz räkeln, muss ich meine langen Schenkel qualvoll verstauen. Das ist aber ein anderes Thema.

Wie lange ich diesen Rollkoffer schon habe, kann ich schwer sagen. Meine Tante hatte jahrzehntelang einen Spitz. Eigentlich waren es viele Hunde, die sie immer wieder zu Tode fütterte. War einer verstorben, holte sie sich einen neuen Spitz, der aussah wie sein Vorgänger. Gefühlt hatte sie damit seit jeher nur einen Spitz. So ist das auch mit meinem Rollkoffer. Das gleiche Modell bekomme ich immer wieder geschenkt oder besorge es mir. Ich zittere dem Tag entgegen, an dem er nicht mehr käuflich zu erwerben ist. Manchmal fehlt er auf dem Gepäckband, dann begebe ich mich panisch auf die Suche, wie ein Vater nach dem verlorenen Sohn. Ich könnte nicht verkraften, nicht zu wissen, ob er geschreddert wurde oder auf dem Grund des Atlantiks liegt. Das wäre schrecklich. Und außerdem - wogegen soll ich dann treten?

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Max Moor ist mit seinem Buch »Als Max noch Dietr war« gerade auf Lesereise.