»Ich? Ein Fotomodel?« Als mich die Fotografin Sibylle Bergemann 1988 fragte, ob ich mit ihr Modefotos machen möchte, war ich überrascht. Sie hatte mich damals auf der Bühne am Deutschen Theater Berlin entdeckt; ich war 19 und zum Studium auf der Ostberliner Schauspielschule Ernst Busch.
Die Idee, neben dem Theater noch etwas anderes zu machen, gefiel mir, das roch nach Freiheit, nach neuen Möglichkeiten – anfangs habe ich es mehr als Abenteuer und weniger als Beruf empfunden. Es gab in der DDR nicht viele Jobs für Models und die Bezahlung war mager. Wir bekamen pro gedruckte Seite ungefähr zwanzig Ostmark, schminken mussten wir uns selbst – sehr glamourös war das nicht. Dass es etwas Besonderes ist, gleich auf das Cover der Modezeitschrift Sibylle zu kommen, war mir damals nicht bewusst. Später erst wurde mir klar, dass sie als Vogue des Ostens galt, viele renommierte Fotografen haben für sie gearbeitet, Arno Fischer, Roger Melis und eben Sibylle Bergemann.
Für unsere ersten Fotoaufnahmen bestellte mich Bergemann zur Schönhauser Allee in Berlin und sagte: »Geh einfach los und mach.« Innerhalb von Minuten war ich von einer Menschentraube umringt – in der DDR sah man nicht so oft Modeproduktionen auf der Straße. Es gab ja auch wenig individuelle Mode. Wer sich von der Masse absetzen wollte, musste sich selbst etwas nähen. Ich stand also auf der Schönhauser Allee inmitten von Schaulustigen und hatte keine Ahnung, was ich tun sollte. Dann habe ich mich bewegt und versucht, mich in die Mode einzufühlen – Sibylle Bergemann war begeistert, weil ich so natürlich war.
Das Modeln hat mir die Tür zum Westen geöffnet: Als die Mauer 1989 fiel, habe ich meine Sachen gepackt und bin nach Paris gegangen. Mein Geld verdiente ich bei Chanel, Thierry Mugler und Issey Miyake. Ich habe von Paris geträumt, seit wir mit dem Deutschen Theater im Frühjahr 89 für ein Gastspiel dorthin reisen durften. Es hätte für uns keinen größeren Kontrast geben können: Paris im Frühling gegen den grauen DDR-Osten. Wie es in dieser Stadt roch! Wie die Menschen gekleidet waren! Das Leben, das einem überall bunt entgegensprang – ich hab die ganze Zeit geweint, vor Glück und vor Schreck.
Meine zwei Jahre in Paris, die nun folgten, waren leider etwas einsam. Zu Hause in Ostdeutschland brach alles zusammen, in der neuen Stadt hatte ich keine engen Freunde. Aber zumindest konnte ich einer weiteren großen Leidenschaft nachgehen, dem Singen: Ich habe mich am Pariser Konservatorium beworben und wurde genommen.
Mit dem klassischen Gesang habe ich inzwischen wieder aufgehört. Ich hatte zwar Erfolg und viele haben mich ermutigt, weiterzumachen; aber wenn ich eines in den letzten Jahren gelernt habe, dann, mich auf wenige Dinge zu konzentrieren. In der DDR gab es nicht so viele Wahlmöglichkeiten. Diese Fülle von Optionen, die der Westen bietet, hat mich anfangs überfordert – ich wollte nichts verpassen.
Heute konzentriere ich mich beruflich auf zweierlei: Schauspielerei und Schreiben. Ich drehe jetzt seit 15 Jahren fürs Fernsehen. Dann habe ich einen Erzählband geschrieben, er heißt Sommerkuss, sieben Kurzgeschichten, die ich 2008 veröffentlicht habe. Sie kamen gut an, Freunde und Kritiker sagen, ich hätte Talent.
Wenn ich etwas will, setze ich alles daran, es zu erreichen. Geht es schief, fange ich eben etwas Neues an – damit bin ich bisher gut durchs Leben gekommen. Außerdem sage ich inzwischen »Stop«, wenn mir etwas nicht passt. Als Frau wird man dann zwar schnell als zickig abgestempelt, aber ich muss ja nicht allen gefallen.
Ina Rudolph, 40, Fotomodell und Schauspielerin, studierte zu DDR-Zeiten an der Schauspielschule Ernst Busch in Ostberlin. Sie arbeitet als TV-Schauspielerin und Schriftstellerin.
Fotos: Sibylle / Sibylle Bergemann; Alexandra Kinga Fekete