SZ-Magazin: Frau McCartney, als Sie vor 15 Jahren bei Chloé anfingen, lästerte der ehemalige Chloé-Designer Karl Lagerfeld noch, man hätte für den Job einen bekannten Namen nehmen sollen – allerdings aus der Mode, nicht aus der Musik. Haben Sie ihn jemals darauf angesprochen?
Stella McCartney: Nein. Solche Sachen nehme ich nicht allzu ernst. Das war seine Sicht der Dinge, und wahrscheinlich hatte es mehr mit ihm als mit mir zu tun.
Es heißt, Sie seien damals oft wütend gewesen, weil alle immer glaubten, alles über Sie zu wissen.
Wütend? Nein, ich bin niemand, der oft wütend ist. Und: Ich glaube nicht, dass irgendwer wirklich irgendwas über irgendjemanden weiß.
Ihr eigenes Modelabel gibt es seit elf Jahren, Sie kleiden Frauen wie Rihanna oder Kate Winslet ein und haben gerade die Uniformen des britischen Teams für Olympia entworfen. Sind Sie entspannter als früher?
Ich bin definitiv gelassener geworden. Am Anfang beschäftigte es mich sehr, welche Einstellung die Leute mir gegenüber hatten. Wenn man jung ist, macht man sich so viel Druck. Ich habe ständig versucht, meine Herkunft zu rechtfertigen. Ich war der Typ, der viel arbeitete und gut sein wollte. Meine Familie sollte stolz auf mich sein können. Und dann wird man älter und stellt fest: »Gott, habe ich mich verrückt gemacht!«
War es am Ende weniger ein Segen, sondern vor allem eine Verantwortung, eine McCartney zu sein?
Kann man so sagen.
Andererseits wussten Sie immer, dass Sie weich fallen würden, wenn Sie scheitern.
Ans Scheitern habe ich nie gedacht. Ich mache einfach meine Arbeit, wie andere Leute auch. Und natürlich bin ich mir bewusst, wie viel Glück ich habe. Andererseits würde es meine Firma nicht geben, wenn es keine Frauen gäbe, die unsere Produkte mögen, egal wie weich das Polster für mich ist.
Stimmt es, dass Sie 2001, als Sie zusammen mit der Gucci-Gruppe Ihr Label gründeten, die Marke nur »Stella« nennen wollten?
Stimmt. Wenn du in der Mode deinen eigenen Namen auf ein Label drückst, hat das ein unglaubliches Gewicht. Und dann auch noch diesen Namen! Da gab es einen Moment, in dem ich dachte, wenn ich doch bloß etwas anderes nehmen könnte, vielleicht würde mich das freier machen.
Das sah die Gucci-Gruppe offensichtlich anders, am Ende ist es doch »Stella McCartney« geworden.
Ist doch auch eine große Ehre, eine Marke unter deinem Namen zu führen. Wird heute immer seltener.
Sie sind 40 geworden, Ihr Vater wird in wenigen Tagen 70, mittlerweile haben Sie Ihre eigene Familie mit vier Kindern. Hat sich Ihr Verhältnis verändert?
Schon komisch, einen anderen Designer würden Sie das nicht fragen. Mein Vater ist, wer er ist, und ich könnte jetzt sagen, okay, ich rede drüber, unser Verhältnis ist super! Aber das hat nicht viel mit meiner Arbeit zu tun, oder?
Aber man fragt jemanden, der vier Kinder hat und aus einer Familie mit vier Kindern stammt, schon mal, ob er seinen Eltern jetzt häufiger Fragen stellt wie: »Wie habt ihr das gemacht damals?« Auch wenn der Vater nicht zufällig Paul McCartney heißt.
Mag sein, ich habe zu meinem Vater tatsächlich häufiger in letzter Zeit gesagt: »Hey, ihr hattet doch auch vier!« Natürlich zieht man Vergleiche und fragt um Rat. Wie wahrscheinlich jeder das mit seinen Eltern macht.
Wie viel übernehmen Sie bewusst oder unbewusst?
Ich glaube schon, dass man bis zu einem gewissen Punkt seine eigene Erziehung imitiert. Ich bin auf einer Farm in Sussex groß geworden und habe es geliebt, auf dem Land zu sein, ich habe mich sicher und beschützt gefühlt. Mein Mann und ich haben jetzt selbst eine Farm und fahren mit den Kindern raus, wann immer es geht. Wenn ich zu lange in der Stadt bin, sehne ich mich nach Ruhe und Frieden.
Das Life Magazine veröffentlichte 1969 eine Titelgeschichte mit der Überschrift »Der Fall des verschwundenen Beatle«. Wie abgeschieden war Ihr Leben damals?
Abgeschieden eben. Wir wohnten nicht in der Nähe irgendeines Ortes. Meine Geschwister und ich waren eigentlich den ganzen Tag draußen in der Natur, ich bin viel mit dem Fahrrad gefahren.
Keine Nachrichten über den Ex-Beatle, keine Zeitung?
Nein, meine Eltern waren keine Zeitungsleser, ich kaufe noch heute keine, nur nach den Modenschauen kriege ich einen Stapel mit den Kritiken.
Und dann ging die ganze Familie plötzlich auf Tour mit den Wings, der neuen Band der Eltern. Die Umstellung muss für ein Kind doch riesig gewesen sein.
War sie auch. Ständig unterwegs, in großen Städten. Und plötzlich stellst du fest, dass deine Eltern berühmt sind und eine ganz andere Seite an sich haben. Mir war das vorher gar nicht so bewusst. Und dann kommt man nach Rio de Janeiro, und zwei Millionen stehen vor der Bühne und starren deine Eltern an. Das war ein Moment des Erwachens für mich. Die Tourneen waren insgesamt eine sehr lehrreiche Erfahrung. Zu reisen ist das größte Geschenk, das man seinen Kindern machen kann. Du lernst andere Kulturen kennen, siehst, wie andere Menschen leben, und fängst an zu verstehen, dass die Welt sich nicht nur um deine kleine Insel dreht.
Ihre ältere Schwester Mary sagte in einem Interview einmal, dass die Menschenmassen ihr damals Angst gemacht hätten. Wie war das bei Ihnen?
Hm, war ich eingeschüchtert? Bestimmt. Aber das ist eine seltsame Erfahrung für ein Kind, die ich schwer beschreiben kann. Irgendwie gewöhnt man sich daran.
Ich versuche nicht, irgendwem meine Überzeugung aufzuzwingen
Stella McCartney mit einem Model auf dem Laufsteg, am Ende einer Show
Wie Ihre Mutter Linda McCartney sind Sie überzeugte Vegetarierin und verwenden auch in Ihren Kollektionen keine Tierprodukte. Wie haben Sie das damals Ihren Geschäftspartnern erklärt? Modelabels verdienen in der Regel doch das meiste Geld mit Accessoires – aus echtem Leder und Tierhäuten.
Richtig, wir sind immer noch die Einzigen in der Luxusindustrie, die keine toten Tiere verarbeiten. Aber die Gucci-Leute sind damals auf mich zugekommen, sie wussten also, worauf sie sich einlassen. Und ich bin sehr stolz darauf, meine Überzeugung nie in Frage gestellt zu haben. Wir sind keine perfekte Marke, in vielerlei Hinsicht arbeiten wir ganz konventionell, aber wir versuchen wenigstens etwas zu ändern.
Wovon hängt das ab?
Bei jedem Entwurf steht am Anfang immer die Frage: Können wir hier ein Biogarn verwenden? Eine Biowolle? Und dann diskutieren wir: Bleicht dieser Stoff mehr aus? Versteht das der Kunde, wenn die Farbe sich verändert, obwohl er mehr dafür bezahlt hat? Es gibt jedes Mal tausend Fragen, die immer erst geklärt werden müssen.
Bei Ihren Events gibt es ausschließlich vegetarisches Essen. Was den deutschen Designer Michael Michalsky, mit dem Sie bei Adidas zusammenarbeiteten, einmal dazu veranlasste, heimlich hinter der Garderobe...
... einen Burger zu essen!
Fast. Es war Kentucky Fried Chicken.
Lecker.
Können Sie darüber lachen?
Natürlich. Ich versuche nicht, irgendwem meine Überzeugung aufzuzwingen, ich versuche nur, mich nicht von anderen in meiner Überzeugung verbiegen zu lassen.
Stehvermögen ist Ihnen wichtig?
Interessant. Das war einer der Lieblingssätze meines Großvaters: »Du musst Stehvermögen haben!« Also ja. Ich glaube, das ist eines der wichtigsten Dinge im Leben.
Weil man sonst nicht vier Kinder, einen Mann und eine Firma mit zig Kollektionen unter einen Hut kriegt? Wie machen Sie das eigentlich alles?
Es wäre dumm zu behaupten, dass es einfach ist. Ich habe das Gefühl, ständig zu rennen und nie anzuhalten. Ich versuche meine Kinder immer zur Schule zu fahren und immer zur Einschlafzeit zu Hause zu sein, egal was kommt. Aber dann muss ich wieder verreisen. Mittlerweile habe ich mir die Regel gesetzt, nie länger als vier Tage von ihnen getrennt zu sein. Und dann ist irgendwann Weihnachten und alle Kinder haben Krippenspiele in der Schule, die du alle sehen willst – aber genau da ist auch die stressigste Zeit in der Kollektionsvorbereitung. Also sitze ich schon mal in der Konferenz und muss sagen: Sorry, Leute, ich muss jetzt zur Ballettaufführung.
Klingt trotzdem so, als würden Sie das alles ganz gut hinkriegen. Wo sind die dunklen Seiten der Stella McCartney?
Uuuhh. Ich gehöre nicht zu den Leuten, die sich im Bett verkriechen und so ergriffen von sich sind, dass sie schier zerfließen. Ich weiß, wie glücklich ich mich schätzen kann, und wenn einem das bewusst ist, fühlt es sich irgendwie falsch an, eine dunkle Seite zu haben.
Ihre Freundin Gwyneth Paltrow sagt, Sie hätten eine »Ghetto-Seite« in sich. Was meint sie damit?
Ich schätze, ich habe eine sehr beschützende Art, wenn es um Freunde und Familie geht. Und ich nehme weder mich selbst noch den ganzen Wirbel um Mode und Celebritys allzu ernst und habe damit am Ende vielleicht ein bisschen mehr Spaß. Vielleicht meint sie etwas in der Art?
Sie sind mit bekannten Models wie Kate Moss und Natalia Vodianova gut befreundet, Sie bezeichnen Ihre Firma gern als Ihre Zweitfamilie. Sind Sie ein guter Teamplayer?
Die Modeindustrie ist nicht unbedingt für gutes Teamwork bekannt. Eher dafür, dass der Chefdesigner ein ziemliches Arschloch ist und seine Leute herumschubst und bis tief in die Nacht arbeiten lässt. Die meisten in meinem Team haben Kinder, und selbst wenn nicht, haben sie noch ein Leben. Und ich mag es, wenn sie eines haben. Sie machen dann auch ihre Arbeit besser.
Ihre Eltern haben Sie trotz ihrer Berühmtheit auf eine normale staatliche Schule geschickt. Würden Sie rückblickend sagen, das hat einen Unterschied gemacht?
Definitiv. Ich denke mehr und mehr, wie wichtig das für meine Entwicklung war.
Warum? Weil dort so viele »normale« Leute waren, Sie normal behandelt wurden?
Ich glaube nicht, dass jemand normal ist, nur weil er auf eine staatliche Schule geht, das hat nichts mit Einkommen und Struktur der Familie zu tun. Es war einfach gut für mich. Mein Leben hätte auch ganz leicht in eine ganz andere Richtung laufen können mit den Eltern, die ich hatte. Es wäre viel naheliegender gewesen, in London auf eine Privatschule zu gehen, nur mit anderen berühmten Leuten abzuhängen und sich in dieser kleinen Welt zu verschanzen. Für mich war es gut, nicht zu egozentrisch zu werden und zu verstehen, dass nicht alle gleich sind.
Und wie bringen Sie das jetzt Ihren Kindern bei? Die gehen mit den Schiffers auf eine Privatschule.
Das ist die große Frage, daran denke ich ständig. Ich hätte sie fast auf eine staatliche Schule geschickt, aber am Ende macht es einen Unterschied, ob man auf dem Land oder in der Stadt groß wird. Ich versuche ihnen einzu-bläuen, dass man andere so behandeln sollte, wie man selbst behandelt werden will. Und es ist mir wichtig, dass sie verstehen, dass ihre Mutter und ihr Vater für ihr Geld arbeiten, dass sie nicht zu viel für selbstverständlich nehmen. Mal sehen, was daraus wird.
Fotos: Ben Pruchnie/Getty, Lucas Jackson/Reuters, Jack Dabaghian/Reuters