Spitz auf Knopf

Knöpfe bemerkt man oft erst, wenn sie fehlen. Dabei haben sie sich inzwischen zu begehrten Kunstwerken gemausert. Ein Besuch beim Knopfmacher der Pariser Haute Couture.

Eine der erotischsten Szenen der Filmgeschichte stammt nicht aus 9 ½ Wochen, schon gar nicht aus Basic Instinct, sondern aus Martin Scorseses Zeit der Unschuld. Daniel Day-Lewis sitzt mit Michelle Pfeiffer in einer Kutsche, sie sind Liebende, die nicht zueinander kommen dürfen. Und dann passiert es: Er zieht seinen Handschuh aus und knöpft mit der rechten Hand ganz behutsam den ihren auf. Einen Knopf nach dem anderen, kleine Perlen, bis er ihr Handgelenk freigelegt hat und sie sanft darauf küsst. Dass danach noch richtig geknutscht wird, ist eigentlich nebensächlich. Der Knopf-Akt allein sei für ihn so erotisch gewesen, als hätte man Pfeiffer ganz ausgezogen, sagte der berühmte Kameramann Michael Ballhaus über die von ihm gedrehte Szene.

Wenn sich im Film Knöpfe öffnen, tut sich in der Fantasie gleich eine ganze Welt auf. Frauen brauchen nur mit beiden Händen die Knopfleiste ihrer Bluse berühren, schon sieht man förmlich, wohin das Ganze führen wird. Ein Mann, der sich hastig vom obersten Knopf seines Kragens befreit, streift womöglich gleich das ganze Hemd ab. Henry Fonda soll in Spiel mir das Lied vom Tod darauf bestanden haben, dass er und nicht Claudia Cardinale selbst in der Bettszene Stück für Stück ihre Bluse aufknöpft. Ausdruck maximaler Überlegenheit – und visueller Spannungsbogen während eines Dialogs, der mit dem Band am Ende der Knopfleiste einen Höhepunkt erreicht.

»Coco Cuba«-Knöpfe aus der letzten Cruise Collection.

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Im normalen Leben dagegen spielen Knöpfe keine große Rolle. Sie sind vor allem Mittel zum Zweck, ziemlich analoge Schnittstellen, die kaum auffallen. Jedenfalls so lange nicht, bis eines der kleinen Dinger abfällt und plötzlich unauffindbar ist. Genauso wie der Ersatzknopf, der stets in einem winzigen Plastiktütchen mitgeliefert wird, aber nie da ist, wenn man ihn braucht.

Auf den ersten Blick halten Knöpfe ja tatsächlich nur ein Kleidungsstück zusammen. Meist tun sie das ganz diskret, in der Farbe des Stoffes. Doch schon wie viele von ihnen geschlossen oder offen gelassen werden, kann das Auftreten entscheidend verändern. Frauen entscheiden damit, ob sie sich sprichwörtlich zugeknöpft geben oder eher betont locker, »unbuttoned«, wie die Engländer sagen. Südländer lassen angeblich immer einen Knopf mehr auf als andere Europäer, und die Hemden des freigeistigen Gunter Sachs standen in den Siebzigern gern bis zum Bauchnabel offen.

Viele Modelle werden von Hand zusammengesetzt.

Manchmal muss man sich die Knöpfe nur kurz wegdenken, um ihre wahre Bedeutung für einen Entwurf zu erkennen. Die schwarzen Mäntel mit den weißen Knöpfen, die die Designerin Phoebe Philo für Céline in der vorletzten Winterkollektion präsentierte: Ohne die markanten Kontraste hätten sie nie die gleiche expressionistische Wirkung erzielt. Die mit Goldknöpfen versehenen sexbetonten Versace-Kleider: nur halb so skandalös. Der berühmte Dufflecoat: ohne die Knebelverschlüsse aus Horn oder Holz schlicht kein Dufflecoat.

Wie viel Arbeit und Sorgfalt mitunter in Knöpfe gesteckt werden, versteht man am besten, wenn man nach Plailly nördlich von Paris fährt. Hier sitzt Desrues, die berühmteste Knopfmanufaktur der Welt. Allein für Chanel werden in dem langgestreckten Flachbau eine halbe Million Knöpfe pro Saison gefertigt, außerdem arbeiten die rund 230 Handwerker für Marken wie Louis Vuitton oder Nina Ricci. Begonnen hatte es 1929 mit einer kleinen Werkstatt in der Rue Amelot am Rande des Pariser Viertels Marais. Christian Dior, Coco Chanel, Jeanne Lanvin, Yves Saint Laurent – sie alle gaben ihre Knöpfe sowie ausgefallenen Modeschmuck bei Georges Desrues in Auftrag. Prunkvolle, detailverliebte Designs mit Schmucksteinen, Wappen, Gesichtern. Vor allem mit dem Haus Chanel, das allein für die Kostüme jede Menge verschiedener Modelle verwendete, verband ihn eine enge Zusammenarbeit, weshalb der Luxuskonzern die »Maison Desrues« 1984 schließlich kaufte. Viele Spezialbetriebe der Mode hatten im immer schneller und härter werdenden Wettbewerb bereits schließen müssen. Nur durch die Übernahme konnte Chanel sicherstellen, das über Jahrzehnte aufgebaute handwerkliche Können nicht zu verlieren, auf das Karl Lagerfeld für seine aufwendigen Haute-Couture- und Prêt-à-porter-Kollektionen angewiesen war. Desrues expandierte daraufhin kräftig, nicht zuletzt weil Chanel und die anderen Modehäuser immer mehr und immer größere Kollektionen entwarfen. Die Werkstatt platzte aus allen Nähten, 1995 zog sie in die Peripherie nach Plailly.

Kopf der Knöpfe: Sylvain Peters sorgt seit knapp 15 Jahren dafür, dass die Entwürfe aus dem Chanel-Atelier bis ins Detail umgesetzt werden.

Mit betulichem Handwerksbetrieb hat Desrues heute nicht mehr viel zu tun, hier herrscht eher konzentrierte Labor-Atmosphäre. Die Arbeiter tragen blaue und weiße Kittel, sitzen mit Gummihandschuhen an Werktischen oder vor Computern mit 3-D-Programmen. Dazwischen Sylvain Peters, ein Mann mit tätowierten Unterarmen, der seit knapp 15 Jahren dafür zuständig ist, dass jeder Entwurf aus dem Chanel-Atelier auch exakt so umgesetzt wird. »Wenn Karl Lagerfeld sich Knöpfe aus Hirschgeweih wünscht, dann kriegt er Knöpfe aus Hirschgeweih«, sagt Peters.

Bei Desrues wird auch der Modeschmuck von Chanel gefertigt.

Gut ein Dutzend Arbeitsschritte dauert es, bis ein Knopf fertig ist. Für die aus Metall beispielsweise wird zuerst eine individuelle Wachsform gefertigt, in der die einzelnen Stücke gegossen werden. Dann wird jeder Knopf von Hand geschliffen, poliert, an kleinen Drähten für die Elektrolyse aufgehängt, lackiert, vielleicht noch mit dem berühmten Doppel-C versehen. Am Ende besteht er dann hoffentlich den ultimativen Stress-Test: Kein Knopf lande an einer Jacke oder einem Kleid von Chanel, den Lagerfeld nicht persönlich abgenickt habe, versichert Peters.

Wenn Modeleute untereinander ein bisschen gemein sein wollen, dann loben sie nicht das Komplettoutfit des anderen, sondern sagen lediglich: »Schöne Knöpfe.« Ein vergiftetes Kompliment, so als würde man bei einem Porsche 911 die Autoantenne abfeiern. Dabei sind manche Knöpfe durchaus kleine Kunstwerke. Der nordirische Designer Jonathan Anderson versah in seiner Männerkollektion für vergangenen Winter Mäntel und Tuniken mit skulpturalen Metall- und Keramikknöpfen. Karl Lagerfeld bestellte für seine kürzlich auf Kuba gezeigte Cruise Collection bei Sylvain Peters und seinem Team silberne Halbmonde, die auf beiden Seiten der Tweedjacken angebracht wurden und sich beim Schließen vereinen. Jedes Kollektionsthema wird bis ins Detail umgesetzt, jeder Knopf muss perfekt zum Entwurf passen. Für die legendäre Prêt-à-porter-Schau, in der ein ganzer Eisberg in das Grand Palais verfrachtet wurde, ließ man Metallknöpfe mit kleinen stilisierten Iglus gießen. Für Sylvain Peters keine große Sache. »Hier ist jeder Knopf ein Mini-Schmuckstück«, sagt er.

Genau das war ursprünglich auch die Aufgabe von Knöpfen, wie sie in Südostasien bereits vor rund 4000 Jahren getragen wurden. Kleine Muscheln, die rund und dreieckig gefeilt waren, mit zwei Löchern darin zum Annähen – allerdings nur zur Zierde. Auch in Europa hielt man die sackartige Kleidung damals mit Nadeln und Gürteln zusammen. Erst im 13. Jahrhundert, als die Mode enganliegender und die Stoffe empfindlicher wurden, entdeckte man zum Schließen die Knöpfe und schneiderte ihnen Knopflöcher dazu. Es soll sogar eine regelrechte Knopf-Inflation gegeben haben, es gab Kleider mit manchmal mehr als 200 Stück. Eine heillose Fummelei, die übrigens auch erklärt, warum viele Männer- und Frauenhemden bis heute die Knopfleisten auf verschiedenen Seiten haben: Wohlhabende Frauen zogen sich damals nicht selbst an, also wurden die Knöpfe links angebracht, damit sie eine Anziehhilfe mit der rechten Hand schließen konnte. Männer knöpften ihre Kleidung eigenhändig zu, bei ihnen war die Knopfleiste dementsprechend auf der rechten Seite.

Fummelarbeit: Für das Elektrolyse-Bad, das die Metallknöpfe auch vor dem Rosten bewahrt, werden sie einzeln per Hand an feinen Drähten aufgereiht.

Im Design dagegen spiegeln Knöpfe durchaus den Zeitgeist wider. Im Archiv von Desrues stapeln sich unzählige Holzschubladen voller Knöpfe wie reich gefüllte Schatztruhen. In den Sechzigern waren die Entwürfe vor allem groß und bunt. In den Achtzigern: goldverziert, mit Löwenköpfen, oder gleich ganz aus Gold. In den Neunzigern wurde es minimalistischer. Heute gäbe es so viele Kollektionen, da sei alles dabei, sagt Sylvain Peters. Zuletzt haben sie viel mit Hologrammen und Farbverläufen experimentiert, schimmernde Partikel aus der Kosmetikherstellung in die Lackierungen gemischt, um immer wieder neue Effekte zu erzeugen.

Welche neuen Knöpfe Lagerfeld für die nächste Prêt-à-porter im Oktober bei Desrues bestellt hat? Peters schiebt eine weiße Pappe mit aufgeklebten, sehr bunten Knöpfen rasch unter einen Stapel Papiere. »Wir arbeiten an ersten Entwürfen, aber die heiße Phase beginnt erst kurz vor der Schau, wenn wir die definitiven Vorgaben aus Paris bekommen.« Dann muss wieder alles ganz schnell innerhalb von zwei bis drei Wochen umgesetzt werden. Bis zu 20 000 Knöpfe, dazu Schmuck. 15 000 Arbeitsstunden für eine einzige Laufstegpräsentation. Ob das nicht doch ein bisschen übertrieben sei? Für etwas, das den meisten hinterher wieder nicht auffällt? Peters schaut verständnislos, blickt zu einer kleinen Transportstraße, von der gerade halbfertige Tweedknöpfe herunterpurzeln, und sagt: »Überhaupt nicht.«

Fotos: Jo Magrean