SZ-Magazin: Können Sie sich noch an den Tag erinnern, als Sie das erste Mal »Hip-Hop-Cop« genannt wurden?
Derrick Parker: Das muss vor ungefähr zehn Jahren gewesen sein, als ich noch als Ermittler in der Mordkommission gearbeitet habe. Weil es in New York so viele Gewaltverbrechen gab, die mit Hip-Hop in Verbindung standen, wurde jemand innerhalb des New York Police Department gesucht, der sich ausschließlich dieser Fälle annehmen sollte. Ich hatte dafür die Voraussetzungen, weil ich zuvor auch als verdeckter Ermittler im Drogendezernat gearbeitet hatte: Ich kannte das Ghetto. Mein Chef erklärte mir, dass ich künftig alle Hip-Hop-Kriminalfälle in New York bekommen würde. Am Ende des Gesprächs klopfte er mir auf die Schulter und sagte: »Von nun an bist du ein Hip-Hop-Cop.«
Was waren das für Verbrechen?
Schießereien, Entführungen, Einbruch, Diebstahl, Erpressung, Drogen- und Waffenhandel, Mord. Besonders oft wird der teure Glitzerschmuck der Rapstars geraubt, das sogenannte Bling-Bling. Foxy Brown ist in ihrer Wohnung überfallen worden, Busta Rhymes wurde gleich zweimal komplett ausgeraubt. Haben Sie allein gearbeitet?
Am Anfang bestand die Hip-Hop-Einheit nur aus mir. Heute ist sie natürlich viel größer.
Existieren beim NYPD noch andere Abteilungen, die sich mit Musikrichtungen beschäftigen?
Nein, nur eine für Hip-Hop. Wenn es ähnlich viel Gewalt in der Pop-, Soul- oder Rockmusik geben würde, hätte man auch dafür Einheiten gebildet.
Rocker gehen aber auch nicht besonders zärtlich miteinander um.
Sie ermorden sich aber nicht gegenseitig, schließen sich selten in Gangs zusammen und führen auch keine Kriege gegeneinander. Gewalt ist ein Teil der Hip-Hop-Kultur. Morde wie die an den Rappern Notorious B.I.G., Tupac oder Jam Master Jay von Run-DMC passieren in der Rockszene nicht.
Was haben Sie den ganzen Tag als Hip-Hop-Cop gemacht?
Ich musste herausfinden, wer mit welcher Gang sympathisiert, wer sich in Songtexten gegenseitig schlechtmacht, wer mit wem im Streit liegt – in der Szene heißt das: mit jemandem einen »Beef« haben.
Mussten Sie dafür jeden Tag einen Schwung neuer Platten kaufen?
Ein Budget für Platten stellt das NYPD leider nicht. Aber ich habe gute Kontakte in die Szene, weil ich viele Jungs noch aus meiner Zeit als Drogencop kenne. Die arbeiten jetzt als Manager für Rapper oder als Bodyguards.
Was unterscheidet einen Hip-Hop-Kriminalfall von einem anderen?
Die »Beefs« bauen sich über Jahre auf. Oft endet so ein Streit tödlich, weil in der Szene viele Waffen kursieren. Und häufig sind Stars die Opfer – das macht alles noch komplizierter.
Welche Waffen lieben Rapper besonders?
Coole Waffen natürlich, Maschinengewehre, neun Millimeter, automatische Waffen – Sie wissen schon: alles, was groß ist, glänzt und in Filmen vorkommt.
Was war der schwierigste Hip-Hop-Fall, den Sie je lösen mussten?
Alle Fälle organisierter Kriminalität sind kompliziert. Man muss eng mit dem FBI und der Drogenbehörde zusammenarbeiten. Meistens ging es dabei um die Zerschlagung extrem gewaltbereiter, gut organisierter Gangs. Wir mussten bei den Außenflügeln anfangen, uns dann zur Mitte vorarbeiten bis hin zu den Köpfen. Diese Jungs morden für ihr Geschäft, für Crack, für Kokain, und weil sie so viel Geld machen, bringen sich rivalisierende Gangs gleich komplett um. Ein unvorstellbares Gemorde ist das, und du steckst mittendrin.
Sind diese Fälle zu vergleichen mit der organisierten Kriminalität der Mafia?
Sie können die Art der Organisation vergleichen, ja: Nach außen erscheinen die Köpfe als Geschäftsmänner, die in der Rapindustrie aufsteigen, sie bauen aber gleichzeitig eine kriminelle Organisation auf: so jemand wie Kenneth »Supreme« McGriff zum Beispiel, der über die Plattenfirma Murder Inc Drogengelder gewaschen hat. Es gibt noch mehr Vergleiche mit der Mafia: In der Hip-Hop-Szene kooperiert auch keiner mit der Polizei, kaum jemand sagt aus. Und es werden sehr viele Menschen umgebracht.
Vor allem in den schwarzen Vierteln New Yorks kann man überall T-Shirts oder Gürtelschnallen mit der Aufschrift »No snitching« kaufen. »Nichts verraten«, das scheint das Credo der Szene zu sein.
Ist es auch. Niemand redet. Keiner vertraut der Polizei. Als sein Bodyguard vor seinen Augen erschossen wurde, weigerte sich Busta Rhymes, der Polizei zu erzählen, wen er gesehen hatte. Eine Rolle spielt auch, dass »Snitching« das Ende einer Rapkarriere bedeuten kann.
Dass Rapper nicht gut auf Polizisten zu sprechen sind, zeigt sich an Songs wie Fuck tha Police von N.W.A. oder Ice-T’s Cop Killer. Was macht Rapper so wütend auf Polizisten?
Viele werden grundlos aufgehalten, festgenommen, durchsucht – natürlich wegen ihres Äußeren, dieses »Bad Boy Style«. Es gibt aber auch Polizisten, die Gangsterrappern den Krieg erklärt haben, weil die zu Gewalt aufrufen und sich zu Gangs bekennen, so wie Snoop Dogg zu den Crips. Und manche Cops behandeln dann auch Rapper schlecht, die keine Kriminellen sind.
Dabei spielt vermutlich auch Rassismus eine Rolle. Immerhin ist die Rapkultur vor allem schwarz.
Das ist definitiv ein Problem, auch im NYPD.
Und Sie als Hip-Hop-Cop standen zwischen den Fronten? Zwischen Polizisten und Rappern?
Das war das Schwierigste an diesem Job. Ich musste verbohrten Polizisten beibringen, dass es in der Rapindustrie nicht nur Gangster gibt. Der Rapszene musste ich klarmachen, dass die Gewalt ihre eigene Industrie killt. Der Rapper The Game zum Beispiel könnte im Moment in New York bestimmt kein Konzert geben. Die Cops würden es nicht sichern können: Sein »Beef« mit 50 Cent ist zu groß. Bei der Polizei würden Morddrohungen eingehen, die Gangs würden gegeneinander antreten. Die Veranstalter hätten schon damit Probleme, einen Ort für das Konzert zu finden. Game müsste Tag und Nacht beschützt werden... Ach was, das NYPD wüsste schon zu verhindern, dass er kommt.
In dem Song Who Shot Rudy rappten Screwball über den fiktiven Mord am damaligen New Yorker Bürgermeister Rudy Giuliani. Darüber war Giuliani sicher nicht erfreut.
Mann, war der sauer! Die Aufforderung, gegen Screwball zu ermitteln, kam direkt aus Giulianis Büro. Ich bestellte Screwball ein, die heulten und sagten, sie wollten doch nur ein cooles Stück machen. Ich sagte, hey, es ist Giuliani-Zeit, ihr glaubt doch nicht, dass er sich das gefallen lässt? Sie mussten vor Gericht und sich danach offiziell entschuldigen.
Bekommen Superstars eine Sonderbehandlung, wenn sie festgenommen werden?
Politikern und Priestern werden nicht immer Handschellen angelegt. Aber als Puff Daddy, Shyne und Jennifer Lopez nach dieser Schießerei im »Club New York« festgenommen wurden – Puffy hatte Dollarscheine in die Menge geworfen, es wurde herumgeballert, drei Personen erlitten Verletzungen –, traf ich spätnachts ein. Puffy saß schon in der Vernehmung. Ich ging in die Zelle zu Jennifer Lopez. Und was sah ich? Frau Lopez, mit den Handschellen oben an den Gitterstangen festgemacht, die Arme gestreckt, in ihrem kurzen Kleid, weinend. Ich habe sie sofort losgemacht. So kann man niemanden behandeln. Den »Perp Walk« habe ich ihr auch erspart, den Gang durch die Journalisten. Manche Polizisten versuchen, Leute damit zu demütigen.
Wie ging es JLo nach dieser Verhaftung?
Katastrophal. Sie musste auch noch mit ihrer Mutter telefonieren, die die ganze Zeit in den Hörer schrie, sie hätte sich nie mit diesen schwarzen Rappern einlassen dürfen.
Puffy kam aus dieser Sache wieder heraus, richtig?
Ja. Aber sein Freund Shyne sitzt seitdem eine zehnjährige Haftstrafe ab, weil ihm nachgewiesen werden konnte, dass auch er geschossen hatte. Puffy kommt immer aus seinen Fällen heraus. Ich habe so oft gegen ihn ermittelt, dass er irgendwann zu mir sagte: »Hey, du kannst mich Puff nennen.« Unter Polizisten hatte er den Spitznamen »Teflon Don«, weil an ihm alles abperlt wie an Teflon.
Wenn Sie sich zufällig treffen, unterhalten Sie sich dann?
Nein, wir sagen nur kurz »Hi«.
Haben Sie die Szene auch mit verdeckten Ermittlern infiltriert?
Ja, wenn es nötig war. Die Gewalt nahm aber so zu, dass das nicht mehr reichte. Andere Polizeistationen fragten an, ob ich ihre Einheiten schulen könnte.
Wie sah so ein Hip-Hop-Training aus?
Das erste fand in Miami statt, der Lieblingsstadt vieler Rapper. Eine Woche lang hielt ich vor mehr als 200 Cops Vorträge über »Bling-Bling«-Überfälle und Rapstreitereien. Danach wurde ich in viele Polizeibehörden eingeladen, nach New Orleans, Atlanta, Las Vegas, Los Angeles.
Der Schmuck der Rapper scheint wirklich Probleme zu bereiten.
Definitiv. »Chain Snatching«, Kettendiebstahl, ist ein großes Thema. Manche Rapper rufen sogar im Radio dazu auf, einem rivalisierenden Rapper die Kette zu stehlen – manche sagen gar: Hey, ich geb demjenigen 10000 Dollar, der meinem Feind die Kette klaut.
Viele Hip-Hop-Fälle können nicht aufgeklärt werden, wie die Morde an Tupac, Notorious B.I.G. oder Jam Master Jay. Woran liegt das?
Die größten Fehler liegen in der Polizeiarbeit. In allen Fällen hatten die Ermittler keine Ahnung von Hip-Hop und der Tragweite dieser Morde. In Las Vegas, wo Tupac erschossen wurde, setzten Polizisten die Zeugen unter Druck – keiner hat kooperiert. In Los Angeles, wo Biggie ermordet wurde, gab es korrupte Cops, manche sind später gar als Gangmitglieder aufge-flogen. Unterlagen gingen verloren, Zeugen wurden nie befragt, Informationen mit anderen Polizeidienststellen niemals aus-getauscht – eine einzige Katastrophe.
Biggies Beerdigung in seiner Heimatstadt New York ging in die Hip-Hop-Geschichte ein – Tausende begleiteten den Sarg.
Und ich musste die Sicherheit gewährleisten. Viele denken ja bis heute, dass Biggie aus Rache für den Mord an Tupac umgebracht wurde. Nach Biggies Tod entbrannte ein wahres Gemetzel unter den Gangs, wir befürchteten Straßenschlachten. Ich ließ Scharfschützen auf die Dächer stellen, setzte ein Drittel der New Yorker Polizei ein. Dem Einsatzkommando erklärte ich alles über den Rapkrieg der Ost- gegen die Westküste, den Streit zwischen den Plattenfirmen Death Row in Los Angeles und Bad Boy in New York. Der Hass zwischen diesen Labels war so groß, dass im Büro von Death Row Bilder der Feinde hingen: Puff Daddy in einem Ballett-Tutu, Dr. Dre, wie er von einem Transvestiten anal penetriert wird, und das Mordopfer Notorious B.I.G. als Miss Piggy verkleidet. Die meisten Polizisten wussten von alldem nichts. Ehe der Trauerzug losging, hatten wir noch ein Problem: Der Sarg war durch Biggies Körpersäfte verschmutzt, wir mussten einen neuen besorgen.
In Tupacs Fall weisen heute viele Indizien auf den Mörder hin. Aber wer, denken Sie, hat Biggie umgebracht?
Wenn nicht so viele Fehler geschehen wären, hätte Orlando Anderson, ein Mitglied der Crip-Gang, des Mordes an Tupac überführt werden können. Dann wurde er erschossen. In Biggies Fall existieren verschiedene Mutmaßungen, viele drehen sich um Suge Knight, den Besitzer von Death Row. Biggies Mutter hat mittlerweile die Polizeibehörde von Los Angeles verklagt, weil so viele Informationen verloren gegangen sind. Ich weiß nicht, warum die da drüben so viele Skandale haben – wir hatten auch ein paar in New York, aber dort ist es wirklich schlimm.
Wusste jeder in der Rapszene, dass Sie der Hip-Hop-Cop waren?
Nein, ich fiel nicht besonders auf mit meiner Hautfarbe, weiten Jeans und Baseballkappe. Viele hielten mich für einen Talentsucher, weil ich auf so vielen Partys herumhing. Eigentlich wollte das NYPD meine Existenz verschweigen.
Was ist passiert?
Meine Enttarnung war ein Unfall: Ich hatte ein Dossier über die HipHop-Szene angelegt, ein Buch mit mehr als tausend Seiten, darin alle vorbestraften Rapper. Es wurde auch an andere Polizeibehörden weitergegeben, etwa nach Miami. Eine Journalistin erfuhr zufällig davon. Weil es in Miami, anders als in New York, eine Art Auskunftspflicht gegenüber der Presse gibt, mussten die dann mein Buch an die Presse geben. Wir konnten es nicht glauben! Danach brach ein Sturm über uns herein: Man warf uns Rassendiskriminierung vor, Menschenrechtsorganisationen schalteten sich ein, die Presse tobte, ich stand im Kreuzfeuer.
Warum war das Buch nicht als Geheimakte versiegelt?
Sollte es eigentlich sein, ja. Für diesen Fehler mussten wir hart bezahlen. Und ich steckte die meisten Schläge ein.
Wie reagierte die Szene?
Ich war der Sündenbock und kam plötzlich in vielen Songs vor: Pebbles schrieb ein Stück über die Hip-Hop Police, Jay-Z rappte über mich und auch Kanye West: der Hip-Hop-Cop gehe um und beobachte alle schwarzen Rapper. Zum Glück hat sich die Aufregung heute wieder gelegt.
Arbeitet das NYPD noch immer mit diesem Buch?
Sie führen es weiter, aber das Grundgerüst stammt von mir.
Treffen Sie heute manchmal noch Gangster von früher?
Immer wieder. Neulich war ich sogar mit einem essen, den ich zwar niemals eingesperrt habe, aber ich war ihm immer auf den Fersen – dem früheren »O.G.« von Brooklyn, Supreme Magneto. »O.G.« nennen wir die Bosse eines Viertels, bei denen alles zusammenläuft – eine Abkürzung für »Original Gangster«. Supreme saß im Restaurant und wir kamen ins Gespräch – das war eine ähnliche Szene wie Robert De Niro und Al Pacino in Heat, nur dass wir beide schon in Rente sind. Er war ziemlich erstaunt, wie viel ich über ihn wusste, und er wusste eine Menge über mich. Als er sich verabschiedet hatte und mit dem Auto davonfuhr, sah ich tatsächlich diesen Aufkleber auf seinem Auto: »Ich bremse auch für Kinder.«
Warum sind Sie beim NYPD ausgestiegen?
Ich war unzufrieden, die Zusammenarbeit zwischen den Polizeibehörden klappte schlecht. Die großen Hip-Hop-Mordfälle in anderen Städten konnten nicht aufgeklärt werden. Jetzt denken die schwarzen Minderheiten: Hey, sie können Saddam Hussein in einem Erdloch finden, aber nicht Tupacs und Biggies Mörder? Als Jam Master Jay, DJ von Run-DMC, ermordet wurde, hat mich der Rapper Eric B. gebeten, bei der Aufklärung zu helfen, obwohl ich gar nicht mehr bei der Polizei war. Er hatte Angst, dass die Ermittler wieder schlampig arbeiten könnten und der Fall nie aufgeklärt würde.
Was dann auch so war.
Ja, sie haben es einfach nicht geschafft, der Zeugin ein ordentliches Schutzprogramm zu garantieren. Es hieß ja immer, dass die beiden Mörder Skimasken trugen, als sie bei Jam Master Jays Studio klingelten. Das ist falsch. Lydia, eine Mitarbeiterin von Jam Master Jay, hat den Mördern die Tür geöffnet, weil sie sie auf der Überwachungskamera erkannt hatte. Sie hat mir auch die Namen genannt, sie wird jedoch nicht vor Gericht aussagen. Sie kennen die Mörder? Ja, mein Gott, das ist verrückt, nicht wahr? Einer nahm sogar an Jam Master Jays Beerdigung teil und trug die gleiche Kleidung, die das Opfer immer anhatte: weiße Adidas-Turnschuhe und einen schwarzen Hut.
Im Hip-Hop ist offenbar gar nichts heilig?
Heilig? Nein. Heilig ist da nichts.
Derrick Parker, 45, arbeitete 20 Jahre als Ermittler bei der New Yorker Polizei, sechs Jahre davon als Verantwortlicher für alle Kriminalfälle der Hip-Hop-Szene. Nachdem er die Polizeiarbeit 2002 aufgegeben hatte, schrieb er seine Erfahrungen mit Gangster-Rappern und organisiertem Verbrechen im Buch »Notorious C.O.P.« nieder, das auch in Europa erscheinen wird. Heute leitet er eine Sicherheitsfirma, die auf Hip-Hop-Veranstaltungen spezialisiert ist.