John Cale ist gut angezogen, gern mit einem kleinen Twist. Kariertes Hemd, längsgestreiftes Jacket, diagonal gestreifte Krawatte. Oder: grauer Anzug mit kurzer Hose. Pink gefärbte Strähne in den mittlerweile weißen Haaren. Dazu trägt er seit Jahren einen Minimalbart unter der Unterlippe, eine Art Markenzeichen. Er weiß, wie man am elegantesten Regeln bricht. Darin hat er mehr Übung als die meisten Männer in seinem Alter.
John Cale ist jetzt 75. In den Sechzigerjahren gründete Cale mit Lou Reed die Band The Velvet Underground. Vorher hatte Cale in London klassische Bratsche studiert, nachdem ihm das Instrument in der Schule zugeteilt worden war: »Niemand möchte ernsthaft Bratsche spielen«. Anfangs standen die Musiker von Velvet Underground konsequent mit dem Rücken zum Publikum, sie wollten anecken, auch mit ihrer Haltung, nicht nur mit ihrer experimentellen Musik. Drei Jahre spielten sie zusammen, dann gingen beide ihrer Wege. Lou Reed starb im Oktober 2013. Und John Cale, der jahrzehntelang fast allergisch auf Fragen nach The Velvet Underground und seinem Freund und Rivalen Lou Reed reagierte, gab 2016 in Paris ein Konzert, bei dem er mit Gästen wie Lou Doillon und Pete Doherty die großen Songs der Velvet Underground spielte. Heroin. I’m waiting for my Man. Sunday Morning. Und man stellte fest, dass The Velvet Underground zu den wenigen Bands gehören, deren Musik nie alt oder altmodisch wird. Weil sie damals so gewagt war.
Auch im Interview mit dem SZ-Magazin wirkt John Cale fast geläutert. Er trinkt grünen Tee, man sieht ihm an, dass er Sport treibt, sein hageres Gesicht ist leicht von der Sonne gebräunt. Cale lebt mittlerweile in Los Angeles, gerade ist er auf der Durchreise nach Wales, dort wuchs er auf, und obwohl Sommer ist in London, friert er. »England halt«, sagt er und schüttelt sich. Man würde sich schon an die ewige Sonne Kaliforniens gewöhnen. Auch wenn ihm Wetter und Landschaften eigentlich nicht wichtig seien. Wenn er sie nicht für seine Arbeit verwenden kann, sieht er diese Dinge nicht.
Auf die Fragen zu The Velvet Underground reagiert Cale tatsächlich freundlich. Aber viel interessanter ist ja eigentlich Wales, seine Heimat, die er damals verließ, so schnell er konnte. Fast fünfzig Jahr später vertrat er sein Heimatland auf der Biennale in Venedig mit einem provokanten Kunstprojekt. »Du kannst vor deinem Land nicht davonlaufen«, sagt er. »Du trägst es immer mit dir herum. Doch es ist mir nur möglich, dieses Land mit mir herumzutragen, wenn es mir fremd bleibt.«
Im Interview mit dem SZ-Magazin erinnert er sich an seine Kindheit, mit einem englischen Vater, einer walisischen Mutter und einer gefühlskalten walisischen Großmutter, die Englisch als Sprache im Haus und am Tisch verbot. Der Sohn konnte nicht mit dem Vater reden. »Meine Mutter hat immer versucht, die Stimmung zu überspielen«, sagt er. »Dieses Verschleiern hat mich wahnsinnig gemacht.« Wie er mit dem alten Schmerz umgeht und wo er sich heute zu Hause fühlt – auch das verrät er im Interview.
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Foto: Shawn Brackbill/ Domino Records