Liebe Fremdgeherinnen und Fremdgeher, liebe Ehebrecherinnen und Ehebrecher, liebe, wie es in unserer Vereinszeitung Bild heißt, Fremdknutscher und Liebesschufte!
Ich darf Sie und euch ganz herzlich zur inoffiziellen Jahrestagung unseres Untreue-Verbandes begrüßen. Auch diesmal möchten wir uns informell über die Kunst des Seitensprungs und die evolutionäre Unmöglichkeit der Monogamie unterhalten. Es gibt dafür im hinteren Saalbereich alkoholische Getränke und gedämpftes Licht sowie die größten Hits der Achtziger- und Neunzigerjahre. Für die Workshops nachher sind noch Plätze frei bei Jürgen in »Ich hab mich halt verliebt - Die 100 besten Emo-Ausreden« und bei Dagmar in »Verdammt, wie kommt der nackte Mann in mein Bett - 100 Sätze, die besser sind als ›Es ist nicht, wonach es aussieht‹«. Bitte meldet euch an und schleicht euch nicht heimlich in einen anderen Workshop, nur weil's euch langweilig wird (Heiterkeit).
Zuerst aber ein paar ernste Worte. Wie Ihr wisst, haben wir eh immer wieder unter schlechter PR zu leiden. Und gerade, wenn es ein bisschen besser läuft (Zwischenruf: »›The Affair‹ auf Amazon Prime war unser ›Sopranos‹!«), kommen Damen und Herren aus unseren eigenen Reihen und reißen mit dem, ich sag jetzt mal auf gut Deutsch: Gesäß (Heiterkeit) wieder ein, was der Vorstand aufgebaut hat. Ja, ich beziehe mich auf die Studie in der Fachzeitschrift Social Science Research, die ergeben hat, dass Menschen, die fremdgehen, überdurchschnittlich empfindlich darauf reagieren, wenn sie selbst vom Partner betrogen werden (betretenes Schweigen). Ja, ich höre betretenes Schweigen (»Hört, hört!«-Rufe). Und es kommt noch schlimmer: Weit mehr Leute, die selbst betrogen haben, lassen sich nach einem Seitensprung des Partners oder der Partnerin scheiden als Leute, die treu waren (betretenes Füßescharren).
Ich sag mal ganz deutlich, schon vom Prinzip her: Liebe Freundinnen und Freunde, so geht das nicht. Mal ganz in Ruhe erklärt, auch für die Damen und Herren auf den billigen Plätzen (Zwischenrufe: »Fummelzone!«, Heiterkeit). Ihr könnt nicht fremdgehen und euch hinterher dann auch noch darüber beschweren, wenn der andere das auch tut. Das ist so, als wenn ihr auf dem Parkplatz vorm Supßermarkt einem den Stoßfänger touchiert und so tut, als würdet ihr eure Visitenkarte hinterlassen, die aber in Wahrheit nur die Rabattkarte vom Kettenbäcker ist, und wenn euch später vorm Haus einer reinfährt und seinerseits abhaut, rastet ihr aus und ruft die Polizei. Merkt ihr selber, oder? Ganz ehrlich. Da muss sich doch mal jeder an die eigene Nase fassen. Dürfte bei dir ja nicht so schwer sein, Jürgen! (Heiterkeit.) Das ist, wie wenn ihr zum Tote-Hosen-Konzert geht, und dann regt ihr euch auf, wenn auf dem Heimweg im Autoradio Helene Fischer kommt. Leute, das ist das Gleiche, nur mit Schlagerbeat! Wenn ihr selber betrogen werdet, nachdem ihr, ich sag mal auf gut Deutsch, nebenan ein Glas Milch von der Kuh geholt habt (Heiterkeit, Zwischenrufe), dann ist das das Gleiche, nur halt mit Schlagerbeat.
Wenn ihr jetzt denkt, gleich fängt er an, irgendwelche Moralphilosophen zu zitieren, nee, darum geht's mir gar nicht. Zwei Sachen nur, dann kommen wir zum heiteren Teil des Abends (Heiterkeit). Erstens, durch solche Studienergebnisse sehen wir Fremdgeherinnen und Fremdgeher nicht nur aus wie die Betrüger, die wir ja sind, sondern obendrein wie komplette Vollidiotinnen und Vollidioten, die nicht begreifen können, dass ihre eigenen Handlungen nicht über denen von anderen stehen. Wollt ihr das? (Betretenes Schweigen.)
Viel wichtiger aber ist mir der zweite Aspekt: Könnt ihr euch bitte auf die guten alten Tugenden besinnen? Wenn ihr fremdgegangen seid und dann erfahrt, eure Partnerin oder euer Partner war, ich sag mal auf gut Deutsch, auch kein Kind von Traurigkeit (Heiterkeit), dann besinnt euch doch bitte auf die großen Vorteile, statt gleich die Scheidung einzureichen. Wenn euer Partner euch betrogen hat und von eurem Betrug weiß, dann könnt ihr sagen »Wir sind quitt!« und müsst euch keine Vorwürfe anhören. Win! Und wenn euer Partner nichts von eurem Betrug weiß, aber ihr von seinem, dann habt ihr einen gut, und euer Gewissen ist wieder rein. Während ihr ihm oder ihr zugleich ein schlechtes Gewissen machen könnt. Win-win!
Und das, liebe Freundinnen und Freunde, ist der Geist, in dem wir uns hier zusammengefunden haben, und auf den wir uns besinnen sollten, und nicht dieses weinerliche Dann-lass-ich-mich-aber-Scheiden-Gedöns, sag ich mal! Das Buffet ist eröffnet.
Illustration: Eugenia Loli