Lange Zeit haben wir in dieser Kolumne versucht, die nicht enden wollende Flut an sogenannten »Datingtrends« zu ignorieren. Schon weil es hanebüchen ist, stinknormales und seit Anbeginn der Menschheitsgeschichte praktiziertes Arschlochverhalten plötzlich zum »Trend« zu erklären und in unterschiedliche Kategorien einzuteilen. Aber nun hat das Beziehungsanbahnungsportal ElitePartner in einer Studie mit mehr als 11.000 Teilnehmern endlich valides Datenmaterial zusammentragen, wie verbreitet und damit trendtauglich bestimmtes Datingverhalten tatsächlich ist. Und siehe da: Je aufregender der Trendname, desto wahrscheinlicher, dass es sich hier um ein Nischenphänomen handelt.
Nur acht Prozent der Studienteilnehmer gaben an, jemals mit Gatsbying in Berührung gekommen zu sein (»potentielle Partner auf Social-Media-Plattformen beeindrucken wollen«), ebenso wenig scheint Cushioning (»sich in einer Beziehung andere Dates warmhalten, damit man im Fall einer Trennung weicher fällt«) genügend Menschen zu betreffen, um ernsthaft von einem Trend sprechen zu dürfen. Beim artverwandten Benching (»sich immer mal wieder melden, ohne verbindlich zu werden«) konnten immerhin 16 Prozent Erfahrungen vorweisen. Beim Ghosting, dem plötzlichen Abbruch jeglichen Kontakts, sozusagen der Mutter aller Datingtrends, meldeten 24 Prozent der Befragten einschlägige Erfahrungen an, wobei hier die etwas schwammige Definition des Begriffs der Grund sein könnte: »Wir haben uns ein paar Mal geschrieben, dann hat sie nicht mehr auf meine SMS reagiert und sich nie wieder gemeldet« fällt beim Ghosting in dieselbe Kategorie wie «Nach 20 Jahren Ehe hat sie das Konto leer geräumt, ihren Namen und ihre Telefonnummer geändert und ist für immer aus meinem Leben verschwunden«.
Vielleicht liegt es aber auch an den dem amerikanischen Dating-Kosmos entlehnten Begrifflichkeiten, die es Deutschen schwieriger machen, sich mit den genannten Datingtrends zu identifizieren. Um sich tatsächlich etwas unter Gatsbying vorstellen zu können, müsste man Der große Gatsby gelesen haben, ein Buch, das in den USA Schullektüre ist und Kindern zeigen soll, wie man ordentlich feiert, wenn man es sich leisten kann, und wie schwer es für junge Frauen mitunter sein kann, sich zwischen zwei sehr attraktiven Millionären zu entscheiden. Besser wäre es, im Datingtrendsegment nicht immer nur in Richtung USA zu schielen, sondern im deutschen Alltag nach Verhaltensweisen zu suchen, die sich auf die Beziehungswelt anwenden lassen. Dafür würde sich beispielsweise der Prozess der Regierungsbildung eignen, der uns in den vergangenen Monaten ja viel über die Fallstricke menschlichen Miteinanders gelehrt hat. Statt Cushioning, Benching und Gatsbying wären folgende Beziehungstrends denkbar:
Lindnering
Potentielle Partner durch eine Fülle sinnlicher Fotos wahnsinnig vor Begierde machen. Bei ersten Dates durch smarte Gesprächsführung darüber hinweg täuschen, dass Fotos und Realität weit auseinander klaffen. Sobald sich das Gegenüber zu seinen Gefühlen bekennt und sich auf eine Beziehung einlassen will, einfach aufstehen und gehen mit den Worten: »Lieber nicht kopulieren als falsch kopulieren.«
Seehofering
Seinen an Größe und Bedeutung weit überlegenen Partner über Jahre gängeln, demütigen und beschimpfen, sich trotzdem bei Familienfeiern lautstark über »mangelnde Dankbarkeit« und »schlechten Stil« beklagen.
Scholzing
Wegen optischer und inhaltlicher Durchschnittlichkeit zur perfekten Projektionsfläche für alle möglichen Wünsche werden, im richtigen Moment die Klappe halten und darauf setzen, dass sich beim Werben um den potentiellen Partner die Großmäuler alle selbst ins Bein schießen. Schließlich als einzig solide Alternative gesehen werden.
Özdemiring
Vorm Altar sitzen gelassen werden, den Schmerz über das gebrochene Herz in kreative Energie umwandeln und mit leidenschaftlichen und viral gehenden Wutreden dem Ex nochmal vor Augen führen, was er oder sie sich da hat entgehen lassen. Wahlweise den Schmerz mit viel Cannabis betäuben.
Steinbrücking
Sich über Jahre als absolut beziehungsunfähig erweisen, in der Liebe kaum Erfolg haben, dennoch als Autor von Beziehungsratgebern gutes Geld verdienen.
Kramp-Karrenbauering
Bei der Hochzeit dem sozialen Druck widerstehen, den eigenen Namen aufzugeben und den des Partners anzunehmen, gleichzeitig das Potential und den Wiedererkennungswert eines in seiner Unaussprechlichkeit absurd anmutenden Doppelnamens erkennen.
Merkeling
Nach der Trennung kurz ein bisschen tindern, nach ein paar missglückten Dates der Kinder wegen doch wieder zum Ex zurückkehren, obwohl man sich eigentlich schon länger nichts mehr zu sagen hat. Insgeheim die Zeit herbeisehnen, wenn die Kinder groß genug sind, so dass man guten Gewissens einfach ausziehen kann und mit dem ganzen Beziehungsscheiß nichts mehr zu tun haben muss.
Illustration: Sammy Slabbinck