Jeden Morgen, ohne Ausnahme, lesen meine Frau und ich beim Frühstück die Zeitung. Das heißt, zwei Zeitungen: Die »Los Angeles Times« und die Lokalzeitung »The Santa Barbara News Press«. Letztere ist schwer ins Schleudern geraten (und steht kurz vor dem Verschwinden, da sie nur noch vier bis sechs Seiten umfasst), seit sie vor zwanzig Jahren von einer unserer beiden hiesigen Milliardärinnen gekauft wurde. Das heißt, von der, die nicht den Namen Oprah trägt. Ihr Name ist Wendy McCaw, und sie versucht vehement, ihre rechtslastigen Ansichten in einem Wahlkreis durchzusetzen, der eigentlich mehrheitlich liberal ist.
Ihre Zeitung war die erste und eine der wenigen US-Tageszeitungen überhaupt, die Trump 2016 als Präsidentschaftskandidat unterstützten, und sie hat in den letzten vier Jahren unerschütterlich seine Falschdarstellungen und glatten Lügen verbreitet. In einer der letzten Ausgaben, schon lang nach der Wahl, haben sie wieder groß verkündet, der Sieger würde noch nicht feststehen. Aber natürlich hatten sie vor vier Jahren, als das Wahlergebnis exakt das gleiche war wie dieses Mal – nur andersrum–, keine Skrupel, Trump sofort zum Sieger zu erklären.
Wir leben in einer Zeit »alternativer Wahrheiten«, in der Meinungen als Tatsachen dargestellt werden. Wie steht es da um die traditionelle Aufgabe der Printmedien und elektronischen Medien, die Öffentlichkeit zu informieren? Die ist mausetot, fürchte ich. Trump besteht – entgegen allen Tatsachen – weiter darauf, dass die Wahl manipuliert war. Er präsentiert uns Rudolph Giuliani und seinen ganzen Zirkus, der ohne Beweise eine Klage nach der anderen einreicht, um weiterhin Aufmerksamkeit zu erzeugen und Trumps Anhänger aufzupeitschen. Dabei ist es in Wirklichkeit illegal, dermaßen gegenstandslosen Klagen einzureichen. Wann ist die Kacke richtig am Dampfen? Wann wird Giuliani seine Anwaltslizenz entzogen? Wann wird sich das ganze Land angewidert abwenden? Wahrscheinlich nie. Und während Trump weiterhin versucht, die Präsidentschaft Bidens zu delegitimieren, wird unsere Demokratie immer schwächer. Aber das scheint die Republikaner nicht zu interessieren, ebenso wenig wie bestimmte Zeitungen.
Und wie stehts mit meinem Nachbarn? Ich habe ihn letztens schon mal erwähnt: der Mann, der Trump gewählt hat. Ich weiß nicht, ob er die »Santa Barbara News Press« kauft oder woher er seine Nachrichten bezieht, aber die ständigen zynischen Angriffe auf das Fundament unserer Demokratie bestärken ihn in seiner Haltung. Bestärken ihn in seinem Verdacht, dass die Wahl »gestohlen« wurde, ungeachtet der Fakten, die Zeitungen wie die »Los Angeles Times« präsentieren. Ich habe ihn ein paarmal gesehen, seit ich hier den ersten dieser Briefe geschrieben habe. Wir gehen jeden Abend um die gleiche Zeit mit unseren Hunden spazieren. Wir gehen so freundlich miteinander um wie eh und je. Ich grüße ihn, er grüßt mich. Er ist mein Nachbar. Er ist nett und intelligent, er hat einen feinen Sinn für Humor, und ich mag ihn, wirklich. Ja. Aber er vergiftet die Wahrheit.