Wir brauchen einen Impfstoff gegen Trump

Seit der Präsidentschaftswahl schreibt der Schriftsteller T.C. Boyle für uns darüber, wie es in den USA nun weitergeht. Folge 7: Ein Zeckenbiss mit Folgen, Trumps politische Zukunft und das Ende des Albtraums. 

Foto: Peter-Andreas Hassieben, Hanser-Verlag

Ich bin natürlich nicht der Erste, der darauf hinweist, aber der Erfolg der sozialen Medien bietet nicht nur Millionen von Menschen eine Art Heim, er ermöglicht auch den abscheulichsten Typen, ein Publikum von Gleichgesinnten zu finden und Propaganda, Hass und Unwahrheiten zu verbreiten.

Vom ersten Tag seiner nihilistischen Herrschaft an hat Trump die sozialen Medien genutzt, um jeden seiner Gedanken und jede seiner Launen in die Köpfe seiner 75 Millionen Anhänger zu feuern – und mit welchem Ergebnis? In der Woche seiner Amtseinführung vor vier Jahren schoss George Orwells »1984« an die Spitze der Taschenbuch-Bestsellerlisten, weil die Menschen verstehen wollten, was genau da gerade passiert und wohin Doppelzüngigkeit am Ende führt. Heute wundert sich niemand mehr. Die Lügen und der Hass, geschürt von einem kriminellen Präsidenten, haben zu einem gewaltsamen Putschversuch geführt, fünf Menschenleben gekostet und der Glaubwürdigkeit unserer Demokratie einen Schaden zugefügt, der über Generationen nachwirken wird.

Während ich Randalierer im Kapitol beobachtete, tobte eine andere Art von Aufruhr durch die Zellen meines Körpers

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Wo stehen wir also jetzt? Die gute Nachricht ist: Die Demokratie hat gewonnen, wenn auch erschütternd knapp. Trump wird nie wieder für ein Amt kandidieren können, außer als Kandidat einer dritten Partei, wie der Hassprediger George Wallace vor ihm. Der Albtraum wird verblassen. Die neue Regierung wird kommen. Das Virus wird mit Wucht bekämpft werden. Die Welt wird ein besserer Ort sein.

Aber ich möchte kurz persönlich werden. Ich habe die COVID-Regeln von Beginn der Pandemie an strikt befolgt und den Kontakt mit der Außenwelt – also der Welt der Menschen – eingeschränkt. Von Anfang an habe ich meinen Trost in der Natur gesucht, und fast jeden Tag finde ich mich auf einem verlassenen Wanderweg oder an einem fast leeren Strand wieder, wo ich spazieren gehe und nachdenke. Ich genieße es, ein lebendiges Wesen zu sein, unter all den anderen auf dieser Erde, unserer Heimat und Zuflucht. Gut. Ich habe Glück gehabt. Aber zwei Tage vor dem Putschversuch kam ich von einer Wanderung in den Bergen nach Hause und spürte einen tiefen Schmerz in meinem rechten Unterarm. Als wäre ich irgendwie verletzt. Dann entdeckte ich die Zecke, Ioxdes scapularis, festsitzend in meinem Fleisch. Das Insekt ist winzig klein, nicht größer als ein Pfefferkorn, aber es überträgt Borreliose und Schlimmeres. Innerhalb von Stunden entzündete sich der Arm, mein Hausarzt diagnostizierte (via Telemedizin) eine schwere bakterielle Infektion und verschrieb mir ein starkes Antibiotikum. Während ich also auf dem Bildschirm die Randalierer im Kapitol beobachtete, tobte eine andere Art von Aufruhr durch die Zellen meines Körpers.

Das hat die Dinge ein bisschen ins rechte Licht gerückt. Wir sind alle verwundbar, auf absehbare wie auf unvorhergesehene Weise. Covid hat uns im Griff, die Bakterien liegen auf der Lauer, unsere Regierung wird von innen heraus zerfressen. Was wir jetzt noch brauchen, ist ein Impfstoff gegen Trump, Cruz, Hawley und Konsorten. Den müssen wir entwickeln, so schnell es geht. Wir haben keine Zeit zu verlieren. Das hat der Mob in Washington D.C. am 6. Januar überzeugend demonstriert.