Wir haben einen der zermürbendsten Monate in der amerikanischen Geschichte hinter uns, die Bürger gebeutelt sowohl von den COVID-19-Zahlen als auch von Trumps schamlosem und fadenscheinigen Versuch, einen Staatsstreich zu inszenieren. Wie fühle ich mich dabei? Ich empfinde nur Abscheu und Furcht. Erst in den letzten Tagen, als Trumps Schergen dem neuen Präsidenten endlich Zugang zu wichtigen Informationen und Finanzmitteln für den Übergang gewährten, hatte ich so langsam das Gefühl, es besteht eine Chance, dass unsere demokratischen Institutionen das alles unbeschadet überstehen.
Natürlich würde ich Ihnen gern einen etwas größeren Überblick darüber bieten, wie es meinen amerikanischen Mitbürgern geht, aber was das angeht, sind Sie vermutlich genauso schlau wie ich. Durch den Lockdown hier in Santa Barbara komme ich nicht raus, abgesehen vom Weg zum Lebensmittelladen einmal die Woche, maskiert und mit Handschuhen. Wenn ich nur mal ins Lower Village runtergehen und ein, zwei Stunden in meiner Lieblingsbar verbringen könnte – das wäre gerade mal fünf Minuten vom Haus weg –, dann hätte ich zehn neue Geschichten für Sie. Aber das ist unter den derzeitigen Bedingungen nicht möglich.
Erstaunlicherweise glauben einige meiner werten Mitbürger, manipuliert durch rechte Propaganda (Eine Maske zu tragen bedeutet, unseren Präsidenten nicht zu respektieren!), immer noch nicht an die grausige Realität des Virus. Sie protestieren weiter gegen die öffentlichen Maßnahmen, die nötig sind, um die Pandemie in den Griff zu kriegen. Während ich das hier am Thanksgiving-Wochenende schreibe, haben Millionen von Menschen alle offiziellen Bitten ignoriert, sie haben ihre Reisepläne nicht geändert, sie haben sich Zusammenkünfte erlaubt, die über ihren unmittelbaren Haushalt weit hinausgehen. Das bedeutet, die Verbreitung des Virus wird in den kommenden Wochen explodieren, die Zahl der Todesfälle wird zunehmen. Vor ein paar Tagen habe ich ein Foto meines Sohnes – Dr. Boyle, der Jüngere – auf Twitter gepostet: Da genießt er sein einsames Erntedankmahl in der Cafeteria seines Krankenhauses in Los Angeles, wo er in den letzten zwei Wochen Dreizehn-Stunden-Schichten geschoben hat und nur einen Tag frei hatte. Die Aussicht auf einen Impfstoff mag uns Hoffnung geben, aber das Schlimmste ist längst eingetreten.
Trotzdem tun wir unser Bestes, und ich möchte Sie nicht mit lauter deprimierenden Nachrichten alleinlassen, deshalb hier zwei Eindrücke für Sie. An dem Tag, an dem die amerikanischen Medien endlich den Sieg für Biden verkündeten, haben meine Nachbarn nebenan, zwei gewöhnliche Amerikaner, die zufällig mexikanischer Abstammung sind, Wimpel aufgehängt, die amerikanische Flagge geschwenkt und den ganzen Tag und bis in die Nacht hinein laut Partymusik laufen lassen. Denn es wurde ja an diesem Tag nicht nur Amerika zurückerobert, sondern auch die Flagge: Die ist unter Trump und seinen Ausgrenzer-Partisanen zu einem Symbol der Unterdrückung geworden, vor allem für die Minderheitengruppen, die er immer dämonisiert, wenn es ihm politisch gerade in den Kram passt. Und auch wir hier drüben haben die Musik aufgedreht und mit unseren Nachbarn gefeiert (natürlich in sicherer Entfernung).
Und dann, am Samstag, kam unser Hausmädchen, wie jede Woche seit fünfzehn Jahren, um dieses große, knarzende alte Haus zu putzen. Sie ist eine mexikanische Immigrantin, spricht kein Englisch. Vor vier Jahren, nach Trumps Sieg, hat sie mich vorsichtig gefragt, wie ich das finde. Als würde ich, der gebürtige weiße Amerikaner, irgendwie automatisch auf der Seite des Mannes stehen, dessen Wahlkampfthema die Ausgrenzung war. Ich sagte ihr damals deutlich, wie ich das fand. Jetzt aber konnte ich sie breit angrinsen und sagen: »Pues, el hombre bueno ha ganado la elección y el hombre muy, muy malo la ha perdido.« (»Also, der gute Mann hat die Wahl gewonnen und der sehr, sehr böse Mann hat verloren.«). Und dann haben wir beide ausgiebig gelacht.