Sebastian Edathy lebt jetzt in einem Haus im Orient, das er für 400 Euro im Monat gemietet hat, ganz weit weg von Berlin, ganz weit weg von seinem ehemaligen Wahlkreis, ganz weit weg von seinen ehemaligen politischen Kolleginnen und Kollegen.
In diesem Haus, in dem er mit seinem Hund und drei zugelaufenen Katzen wohnt, erzählt er uns von den Albträumen, die ihn plagen, und davon, wie es dann nach dem Erwachen mit ihm weitergeht. Seine Erzählung erinnert an den Film vom ewig grüßenden Murmeltier. Edathy hängt aber nicht in einer Zeitschleife fest, sondern in einem gescheiterten Leben. Er schaut Hund und Katz zu und erinnert sich an sein altes Metier: »Das ist irgendwie wie in der Großen Koalition: Hund und Katz mögen sich nicht, aber die bringen sich auch nicht um. Man toleriert sich.«
Für andere wäre dieses Haus, in dem wir jetzt mit ihm sitzen, für zwei, drei oder vier Wochen ein Ferienhaus am Rand einer arabischen Stadt; für Edathy bedeuten die Mauern dieses Hauses die Ruinen seiner Karriere. Das Haus ist sein freiwillig-unfreiwilliges Gefängnis; Freigang mit Hund morgens um sechs, dann Müsli und E-Mails aus Deutschland zum Frühstück; es herrsche im Netz »viel Kreativität, was Foltermethoden anbelangt und Varianten, mich ins Jenseits zu befördern«. Dann den Tag totschlagen mit den vergeblichen Versuchen, ein Buch zu schreiben - eine »Realfiktion« über das eigene Schicksal; Edathy hat sich einen strikten Tagesablauf auferlegt, aber der klappt oft nicht; manchmal, wenn er am Abend auf dem Flachdach sitzt und lange über die Dächer schaut, trinkt er viel zu viel. Er fühlt sich arbeitsunfähig, geht spazieren, fährt mit dem Moped herum.
Er habe sich schon ausgebrannt gefühlt, sagt er, bevor alles über ihn hereinbrach; die Arbeit im NSU-Ausschuss habe ihn geschafft und ihn fertiggemacht: Depressive Schübe habe er schon damals gehabt, nach dieser Ausschuss-Anstrengung, und massive Konzentrationsschwierigkeiten. Der NSU, die Morde und die Filme, die die Neonazi-Terroristen darüber gedreht haben: Das waren seine Albträume, bevor das andere Problem, bevor der andere Albtraum begann. Wegen dieses anderen Problems ist nichts mehr übrig geblieben von Edathys altem Leben, von seiner Arbeit gegen den Rechtsextremismus zum Beispiel: Seine Abgeordneten- und Wahlkreisbüros sind aufgelöst, seine Privatwohnung in Rehburg-Loccum auch. Wegen dieses anderen Problems kriegt er noch immer zwei, drei Morddrohungen pro Woche und noch immer an die fünf Mails täglich mit wüsten Beschimpfungen.
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Fotos: Armin Smailovic