Ist der Ruf erst ruiniert ...

... urlaubt es sich doppelt gut (und muss sich noch nicht mal reimen): fünf Orte, die weit besser sind als ihr schlechtes Image.

KALKUTTA
Manche bezeichnen Kalkutta als City of Joy, andere, wie der inzwischen dort nicht mehr ganz so beliebte Günter Grass, als »Scheißhaufen Gottes«. Ich selbst fahre zwengs indobajuwarischer Entwicklungen gern hin, Kolkata, so der neue Name, ist die Heimat meiner Frau.

Als ich mit meinen Kindern im Goethe-Institut als ein Biermösl mit drei Mini-Biermösln auftrat, füllte schon die Verwandtschaft den Saal. Das war auch gut so, denn der B. B. (Bert Brecht) ist im theaterbegeisterten Kalkutta sehr bekannt, die B. B. (Biermösl Blosn) weniger. Kalkutta ist Tee-Welthauptstadt, mein Schwiegervater (der übrigens ein besseres Hochdeutsch spricht als wie ich) handelt mit bestem Darjeeling, die bengalische Küche der »Nani«, seiner Frau, macht süchtig. Schlechten Freunden rate ich, im Sommer von März bis Juli bzw. zum Monsun Ende Juli/Anfang August hinzureisen (45 Grad, 90 Prozent Luftfeuchtigkeit). Wahren Freunden empfehle ich Oktober/November, bei 25 Grad zur Durga- und Kali-Puja, einem hinduistischen Volksfest, bei dem zehn Millionen Menschen auf den Straßen feiern. Das beträchtliche Kolonialerbe Kalkuttas (siehe Reiseführer) besichtigt man am besten morgens um sechs Uhr, da sind die Straßen noch frei von rußenden Autos, Lkws, Bussen, Tuk-Tuks und wuselnden Menschenmassen.

Meine Kinder lieben das Indian Museum mit dem zehn Meter langen präparierten Krokodil, neben dem Armreife und Ringe aus seinem Magen aufgereiht sind. In der alten Synagoge achten muslimische Wärter penibel auf die Beachtung der Würde des Ortes. Zur Christmette sind die Kirchen voll mit Gläubigen aller Religionen. Kirchturm-MinarettVerbote? Dafür ist Kolkata zu tolerant!

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Stimmt, diese Stadt riecht nicht gut, überall liegen Plastik und Abfall herum, die Elendsviertel der einstigen Hauptstadt Indiens, die durch Flüchtlinge nach Gründung Bangladeschs von zwei auf 18 Millionen anschwoll, wuchern weiter, Fly-over-Trassen werden rücksichtslos durch die Altstadt penetriert. Aber der Lebensmut, die Fröhlichkeit, mit denen ihre Bewohner den täglichen Überlebenskampf führen, ist um Welten beeindruckender als die Botox-Parade der Münchner Maximilianstraße.

Übernachten Fairlawn Hotel, 13/A, Sudder Street, Calcutta 700 016, DZ ab 30 Euro. Tel. 0091/33/ 22 52 15 10. Essen Kewpie’s, Lala Lajput Rai
Sarani, Tel. 24 76 99 29. Unbedingt die typischen Gerichte probieren: Macher Jhol (Fischcurry), Dal with coconut, Rasgulla (Quarkbällchen) und Mishti Doi (süßer Joghurt).
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KAIRO
Warum lachen die Menschen in Kairo noch? Der Schuhputzer, der sich unbemerkt an die Schuhe eines herumstehenden Touristen heranschleicht, auf Müll spielende Kinder, die Verkäufer im Basar? »Hey, Mister, smile!«, ruft einer, der doch – unserem europäischen Verständnis nach – kaum Grund zum Lachen haben dürfte.

Kairo, 18 Millionen Einwohner, vielleicht auch schon wieder mehr, zwei Drittel davon in Slums. Sogar die Friedhöfe werden bewohnt. Der Verkehr eine einzige hupende Blechlawine, die Arbeitslosigkeit astronomisch hoch, schlafende Soldaten auf der Straße und ein bald 82-jähriger Präsident, der gemächlich seinen Sohn als Nachfolger in Stellung bringt. Was gibt es da zu lachen?

In den Hotels am Nil schüttelt man den Kopf. Und gibt Verhaltensmaßregeln gegen den Wahnsinn im Moloch aus: 1. Auf dem Markt niemals handeln, wenn man nicht auch kaufen will. Vierzig Prozent vom erstgenannten Preis gelten als gutes Verhandlungsergebnis. 2. Bei den Pyramiden kein Kamel besteigen, auch wenn der Besitzer meint, es sei gratis, das Absteigen kostet umso mehr. 3. Nur freitags Auto fahren, zur Gebetszeit. Und kein Mensch hält bei Rot.

4. Nichts glauben, was im Innenpolitik-Teil der Zeitungen steht. Taxifahrer wissen viel besser Bescheid. 5. »Malesch« heißt »vielleicht« und bedeutet »niemals«.
6. Oasen der Ruhe: die Teehäuser mit ihren Schischas (man raucht Apfel in Kairo), die Moscheen, das Ägyptische Museum, die Mietboote auf dem Nil oder Bars und Restaurants am Ufer der Insel Gezirah, in denen man ägyptischen Rotwein aus eingeflogenen südafrikanischen Trauben trinkt (so umgeht man in Ägypten hohe Einfuhrsteuern).

Apropos Nachtleben, immer wieder zu hören: Sexuelle Belästigungen oder Überfälle auf Touristen geschehen eher selten. 7. Durch Starren auf den längsten Fluss der Welt erschließt sich irgendwann auch das inoffizielle Motto der größten afrikanischen Stadt: »Inschallah, bukra, malesch – so Gott will, morgen, vielleicht«.

Übernachten Sofitel El Gezirah Cairo, 3 El Thawra Council Street, DZ ab 130 Euro, Tel. 0020/2/27 39 82 44. Renoviertes Hochhaus am Nil, toller Blick, großartiges marokkanisches Restaurant. Essen Khan El Khalili Restaurant, 5 EL Baddistan Lane, im El-Khalili-Basar. Tel. 590 37 88. Unbedingt abends für 20 Euro ein Boot mieten, Tel. 01 22 55 63 83.
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DURBAN
Durban, in Südafrika am Indischen Ozean gelegen, ist eine weiße Stadt. Das hat nichts mit der Hautfarbe zu tun, denn die rund vier Millionen Bewohner von »Durbs« sind mehrheitlich schwarzafrikanischer und indischer Abstammung, also dunkelhäutig. Es liegt eher an den weißen Stränden und an den vielen weißen, oft aus britisch-kolonialer Vorzeit stammenden Hausfassaden Durbans. Das klingt fast lieblich, aber natürlich ist Durban auch von einer im internationalen Öd-Stil erbauten Downtown geprägt, dazu vom Stacheldraht, von den Überwachungskameras und weithin sichtbar plakatierten Securitytelefonnummern.

Hier sind die südafrikanischen Kriminalitätsprobleme nicht weniger bekannt als in Kapstadt oder Johannesburg. Dennoch wirkt Durban unter dem an 300 Sonnentagen erstrahlenden Licht vor dem Hintergrund der dunstigen See manchmal geradezu rein. Und es putzt sich ja auch heraus. Die verlotterten Strandlandschaften voller Betonbuden und touristischer Aufmarschplätze werden gerade einer Generalüberholung unterzogen; und neben das alte Stadion wurde für die Fußballweltmeisterschaft 2010 das von den Hamburger Architekten von Gerkan, Marg und Partner entworfene Moses Mabhida Stadion als elegantes, lichtes Rund gesetzt.

Den Gipfelpunkt des 104 Meter hoch aufragenden Bogens, der das 70 000 Plätze umfassende Stadion trägt und schon jetzt als neues Wahrzeichen von Durban gilt, kann man mit einer Zahnradbahn erreichen. Von hier oben ist der Stacheldraht der Häuser nicht mehr zu erkennen. Zu sehen sind blaues Wasser und das Weiß einer Stadt voller Zukunftslust. Gerhard Matzig

Übernachten Quarters on Florida, 101 Florida Road, Morningside, Durban, 4001, DZ ab 80 Euro, Tel. 0027/31/303 52 46, nur wenige Zimmer, familiär, very charming. Essen 9th Avenue Bistro, gehört zu den Top-Ten-Restaurants Südafrikas. Tel. 031/312 91 34. Unbedingt mit der Zahnradbahn fahren.
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MEDELLIN
Früher galt Medellín als gefährlichster Ort der Welt, dafür sorgte der berühmteste Sohn der kolumbianischen Stadt: Pablo Escobar, König aller Drogenbarone. Inzwischen zählt Medellín zu den angenehmsten Adressen Lateinamerikas, jedenfalls in den besseren Gegenden. Escobar liegt seit 1993 auf dem Friedhof Jardines Montesacro, und eine Tour zu seinem Grab, seinen Anwesen und dem Armenviertel Barrio Pablo Escobar ist eine Attraktion für Touristen. Wem das nicht reicht, der kann außerdem 200 Kilometer südöstlich Escobars Ranch Hacienda Nápoles mit den Nilpferden und Plastikdinosauriern besuchen.

Ansonsten steigt zwar die Mordrate in den umliegenden Hügeln wieder, der Krieg ums Rauschgift geht weiter, aber davon bekommen die Gäste in der Stadt nichts mit. Medellín ist nicht unsicherer als andere Metropolen der Region, hat fast immer Frühling und wird bewohnt von netten Menschen, den Paisas. Frauen sehen oft aus wie Models und sind manchmal auch Models, zu besichtigen in den Shoppingmalls und in den Kneipen am Parque Lleras. Aus Medellín kommen der Bildhauer Fernando Botero – seine dicken Bronzefiguren stehen im Zentrum – und der Sänger Juanes. Es gibt ein Poesiefestival und ein Blumenfestival, man wohnt im »Art Hotel« und isst im Restaurant »Mezeler«, sehr schick.

Wer von oben hinabschauen will, der fährt mit der oberirdischen Metro zur Gondelbahn und hinauf in den Slum Santo Domingo. Droben thront eine Bücherei, dem Guggenheim-Museum in Bilbao nicht unähnlich. Und Medellíns Lieblingstanz bleibt der Tango, Argentiniens Barde Carlos Gardel verunglückte hier. Also: Die Stadt des Kokains ist auch die Stadt der Blumen, der Schönheit, der Poesie, des Tangos.

Übernachten Art Hotel, Carrera 41 No. 9 – 21, Parque Lleras, DZ ab 70 Euro. Essen Restaurant Mezeler, Calle 8 A No. 37 – 20. Unbedingt die Gondelbahn Metro Cable zur Bibliothek von Santo Domingo nehmen, Abfahrt nahe der Metrostation Acevedo
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ROTTACH-EGERN
Rottach-Egern, denkt man, ist wie eine Band, die 35 Jahre nach ihrem größten Erfolg immer noch auf der Bühne steht. Früher, das war die Zeit, als es ganz selbstverständlich nachts ums eins raus ging, von Schwabing an den Tegernsee. Keine dreißig Porscheminuten waren das damals!

Da war dann der Champagner noch kälter, die Lebenslust noch neobarocker und mehr los sowieso, im »Bischoff«, im »Bachmair« und in all den Kellerbars, in denen die Promi-Gastronomie rücksichtslos nach Gold schürfte und dabei schön langsam den Ort versaute. Die Landhausmode wurde hier erfunden, der Zweitwohnsitz auch (allerdings schon von den Wittelsbachern). Und aus der Seestraße haben damals zwei Dutzend Chichi-Boutiquen ein einziges großes Preisschild gemacht.

Diese Luxus-Kruste ist übrig geblieben, als der deutsche Jetset irgendwann lieber nach Ibiza brauste. Unter der Kruste wurde es ruhig, im malerischsten aller bayerischen Malerwinkel. Die Zweitwohnsitze von damals sind heute Altersruhesitze, und selbst der milliardenschwere Otto Beisheim (86) wirft nur noch selten seinen Hubschrauber an. Die Kellerbars sind zu, die Hotels fangen an zu renovieren. Von Schwabing aus sind es jetzt auch nur fünfzig Toyotaminuten hierher, und Berg und See hören ja nicht auf, herrlich zu sein.

In die Restaurants sind junge Köche eingezogen, am Wallberg warten die schneidigsten Schlitten. Und glaubt man den Anglern, war das vergangene Jahr eines der besten beim Fang von Saiblingen und Renken. Wenn das so weitergeht, schafft Rottach-Egern locker ein Revival.

Übernachten Hotel Maier zum Kirschner, Seestraße 23, Tel. 08022/671 10, DZ ab 90 Euro. Essen Zum Zotzn ist die ehrlichste Umgebung, die man sich für Tegernseer Käseknödel wünschen kann. Wolfsgrubstr. 6, Tel. 08022/29 99. Unbedingt auf dem Wallberg beim kleinen Kircherl hoch überm See sitzen und an Ludwig Thoma denken, der unten in Rottach begraben liegt.