Timur spinnt. Sagen selbst enge Freunde. Fliegt in einer fünfzig Jahre alten Cessna mit zwanzig Millionären eine Vintage-Rallye durch Afrika bis runter nach Kapstadt. Baut sich in einem Vorort von Kairo ein Haus aus Müll, mit Betonresten aus Abbruchhäusern und alten Flaschen, der Umwelt zuliebe, nicht aus Geiz. Fragt fremde Leute, wovon sie träumen. Verschenkt 130 000 Euro, damit sie ihren Traum verwirklichen können. Sagt, irgendwas werde er dafür schon zurückerhalten, und sei es Liebe.
Timur El Hadidi, Deutschägypter, in Alexandria als Sohn eines Anwalts und einer Mitarbeiterin des Goethe-Instituts aufgewachsen, in Schottland den Master in Wirtschaft abgeschlossen, »im Herzen Ägypter, im Kopf Deutscher«, 41 Jahre alt, schlank, mittelgroß, etwas zu lange Haare für einen Betriebswirt, der um seriöses Aussehen bemüht wäre, aber das ist der Mann mit einem Faible für bunte T-Shirts und Sandalen ohnehin nicht mehr, seitdem er vor fünf Jahren seinen Job als Umweltberater für einen ägyptischen Bau-Multi gekündigt hat. Außerdem: Segler, Motorradfahrer, Vater einer kleinen Tochter, geschieden. Auf den ersten Blick Typ gelangweilter Millionär mit Spleen für Abenteuer und Sozialismus, der sagt: »Wir wissen alle, dass wir in der globalisierten Weltwirtschaft so nicht weitermachen können, deswegen müssen wir eben mal was Neues ausprobieren.«
Viele sprechen davon, Timur El Hadidi hat es getan.
Das Neue fußt auf einer alten Idee: Jeder zahlt nach seinen Möglichkeiten. Die Wirtschaftswissenschaft nennt das »Pay What You Want«, kurz PWYW. In Restaurants und Cafés wurde das weltweit oft ausprobiert und meistens schnell wieder verworfen. Mit Musik hat es funktioniert: Die Band Radiohead verkaufte 2007 ihr Album In Rainbows über das Internet, das machte das Modell PWYW erst berühmt. Verschiedene Zoos und Museen ließen zeitweise ihre Besucher den Eintrittspreis selbst bestimmen, und das klappte. Auch Bäckereien, Bars und Friseure versuchen sich immer wieder an dem Prinzip. Sogar mit Rasierklingen in Supermärkten wurden vielversprechende Testläufe gemacht.
Von Hotels kennt man das weniger. Aber in zwei Gästehäusern auf Heissa Island, einer Insel im vom Assuan-Hochdamm aufgestauten Nil im Südosten Ägyptens, gilt jetzt PWYW. Die Lodges heißen »Nubian« und »Agilika«. »Agilika« ist die größere. Dass die Gäste der beiden Lodges selbst entscheiden, was sie für einen angemessenen Preis halten, hat Timur El Hadidi verfügt, als er sein Geld zwei nubischen Fährleuten schenkte. Der eine baute mit 100 000 Euro die »Agilika Lodge« mit zehn Zimmern und 31 Betten, der andere renovierte sein Haus für 30 000 Euro und baute drei Gästezimmer ein.
»Jugendliche oder Arbeitslose zahlen im Zweifel sogar gar nichts«, sagt Timur El Hadidi, der zum ersten Mal seit einem Jahr wieder Gast ist in den Lodges, die von seinem Geld gebaut wurden. 300 Baumsetzlinge hat er als Geschenk mitgebracht. Er pflanzt sie selbst, jeden Abend zwei Dutzend.
Der flexible Preis verwirrt natürlich Gäste, die zum ersten Mal da sind: Eine Yogalehrerin aus Kairo kennt das von Ashrams in Indien und Hostels auf dem Jakobsweg, aber nun tut sie sich schwer, zwanzig Euro hält sie schließlich für angemessen. Umgerechnet 18 Euro pro Nacht hat ein Vogelbeobachter aus England bezahlt. Inklusive Frühstück, Abendessen und Tee rund um die Uhr. Vierzig Euro gab die ägyptische Berufstrommlerin, samt Trinkgeld. Zehn Euro ein Student. Andere haben gehört, es gebe doch einen Mindestpreis: zwölf Euro inklusive Frühstück. Nein, sagt Timur El Hadidi. »Ein Mindestpreis würde die Sache vereinfachen. Aber ich will es den Leuten nicht einfach machen.«
Auf Heissa Island leben rund 2000 Nubier. Ein Motorrad und ein Lastwagen sind die einzigen Verkehrsmittel. Die zehn Zimmer der »Agilika Lodge« liegen in bunt bemalten Steinhäuschen, Fantasieflaggen wehen auf den Dächern. Ein Mann, der sich Bob Marley nennt und auch so aussieht, begrüßt Gäste mit dem Wort »Chilling« und dem für Nubier typischen weichen Händedruck. Auch nubische Frauen reichen Männern die Hand, sie sind meistens unverschleiert. Alle Nubier blicken einem bei der Begrüßung tief und lange in die Augen.
Zwei Gäste, Angestellte eines Pharmakonzerns in Alexandria, zwanzig Stunden mit dem Zug angereist, drehen zum Frühstück ihren ersten Joint auf der Terrasse. Es gibt Ful, Bohnenbrei, das ägyptische Nationalgericht, dazu Tee, Kaffee und, sofern man es am Vortag bestellt hat, auch Bier. Beide Lodges sind noch eine Art Geheimtipp, die Gäste fanden bisher nur über Mundpropaganda hierher. Rucksacktouristen und Studenten aus Europa und den USA sind gekommen und ägyptische Intellektuelle – von der Revolution deprimiert, froh um einen Ort, an dem weder das Militärregime noch die Muslimbrüder präsent sind.
Ahmad El Esseily zum Beispiel: ein gut aussehender Mann Anfang vierzig, mehrsprachig, Bestsellerautor, Ex-Fernsehmoderator mit Millionenpublikum. Schwingt schon morgens Reden auf der Terrasse. Die Leute hören ihm gern zu. Eine ägyptische Mischung aus Richard David Precht und Günther Jauch. Er hat seinen Job geschmissen, als der Sender ihm vorschreiben wollte, was er zu sagen hätte. Jetzt macht er seinen eigenen Blog und redet, worüber er gerade Lust hat: »Freiheit, Angst, Liebe, Politik, Religion, Lebenshilfe.« Erzählt beim Frühstück Dinge wie: »Bis dreißig sollte ein Mensch sich gefunden haben, um danach all das auszuleben, was in ihm steckt – aber erst muss man den Bus finden, dann die Route.« Oder auch: »Homosexuellen sollte kein Recht auf die Ehe zugestanden werden.« Als er das in der Lodge sagt, bricht ein Sturm der Entrüstung los. Er knickt nicht ein.
Zweimal war El Esseily auf Heissa. Sein Geld reicht noch wenige Monate, in denen er das Leben des letzten unabhängigen Kommentators in Ägypten durchhalten kann. Er kifft nach dem Gebet auf der Terrasse.
Die Polizei bleibt der Insel fern. Auch die Armee lässt die Nubier und ihre Gäste in Ruhe. Einmal wollte ein Offizier nach dem Rechten schauen, aber kein Fischer erklärte sich bereit, ihn überzusetzen. In ländlichen Gebieten wie diesem zahlt in Ägypten niemand Steuern. Auf Heissa kommt der Strom gratis vom Staudamm, das Wasser im See ist trinkbar, und wer Hunger hat, pflückt Guaven vom Baum. Heissa ist eine Art ägyptisches Christiania, wo der Staat einige wenige Leute einfach machen lässt. Die Insel ist auch ein Magnet für Vogelliebhaber, besonders viele Enten aus ganz Europa machen am Ufer Halt auf ihrem Weg von und nach Schwarzafrika. Andere Tiere auf der Insel: Geckos, Skorpione, weiße Füchse und jede Menge Ziegen, die immer wieder gern die Baumsetzlinge fressen, die Timur El Hadidi pflanzt. Seit Neuestem leben auch drei Hunde auf Heissa. Hat der Koch der »Nubian Lodge« aus Kairo mitgebracht. Straßenköter, die ihm zugelaufen waren. Sie schlagen an, wenn Gäste kommen, die sie nicht kennen. Bekannten lecken sie die Hände. Hunde kannte man bisher gar nicht auf Heissa Island, aber jetzt will jeder einen haben.
In den Siebzigerjahren wurden der zweite Staudamm am Nil fertiggestellt, der Philae-Tempel vom Nil-Ufer umgesetzt, Zehntausende Nubier vom Nilufer vertrieben und ihr Land vom See überflutet, der sich zwischen den beiden Dämmen bildete. Seitdem leben die 2000 vertriebenen Nubier auf Heissa. Die »Agilika Lodge« liegt direkt am Ufer, mit Blick auf den Philae-Tempel, der auf der gegenüberliegenden Insel wieder aufgebaut wurde. Vor dem arabischen Frühling war er ein Touristenmagnet, 900 Boote liegen vor Anker, nur vierzig sind derzeit im Betrieb. Die Nubier auf der Insel leben vom Fischen oder halten Ziegen. Arbeit gibt es kaum, außer in den beiden Gästehäusern oder in Assuan, doch die schwarzen Nubier finden in Ägypten lediglich Hilfsjobs. Bisher interessierte sich niemand für die Insel.
Um zwanzig Uhr Mittagessen, so nennen das die Leute auf der Insel, auf der man lange schläft und bis tief in die Nacht diskutiert. Die Tage sind zum Reden zu heiß.
Ein Ägypter kocht in der »Nubian Lodge«. Sie hat drei Zimmer, eine Bar und ein Restaurant, in dem man auf Kissen am Boden sitzt und auf den See blickt. Der Koch heißt Mahmoud El Antaki, Spitzname Pati, ein Ägypter aus Kairo, 36 Jahre alt. Sein Englisch ist perfekt. 18 Jahre lang hat er in Lima, Buenos Aires, Miami, Santa Monica und San Francisco gekocht. Aus Heimweh kehrte er zu Familie und Freunden zurück nach Kairo. Doch er hielt es nicht lange aus: »Der Lärm, der Dreck, das Geld, tiefgefrorenes Lamm, Fisch aus Schweden – alles pervers.« Vor sechs Monaten reiste Pati nach Heissa, um ein paar Tage abzuschalten. »Die Insel hat mich geheilt. Und dann hat Bibi mich gefragt, ob ich bleibe und bei ihm koche.«
Bebyaro, kurz Bibi, gehört die Lodge. Einen bürgerlichen Nachnamen hat er nicht. Bibi ist Nubier, die Lodge hat er Pati kostenlos überlassen. Bibi fährt lieber noch Boot. Bringt Touristen von Assuan zum Philae-Tempel auf der Nachbarinsel und später wieder zurück. Nur Gästen, die ihm gefallen, verrät er, dass man auf Heissa auch großartig zu Abend essen und übernachten kann. Bibi sagt: »Meine Mutter hat mich so erzogen, immer zu geben und nicht an das zu denken, was man dafür bekommt. Patis Restaurant belebt das Geschäft, es war gut, es ihm zu überlassen.«
Zwei Töchter hat Bibi. Salli, die jüngere, hat er nach El Hadidis Ex-Frau benannt.
An Bibis rechtem Zeigefinger fehlen zwei Glieder. Abgequetscht, als sein Boot gegen ein anderes schrammte. Seinem Bruder ist das Gleiche passiert, auch ihm fehlen die vorderen zwei Glieder des rechten Zeigefingers. Inshallah, sagt Bibi mit einem Lachen.
Mahmoud El Antaki hat in Gourmetrestaurants gearbeitet und kocht jetzt auf einem Sechzig-Euro-Gasherd. Sechs Lehrlinge hat er, jede Woche bringt er ihnen ein anderes Gericht bei. Zum Beispiel Ceviche mit Tilapia aus dem Nil. Oder Tilapia gebraten in Butter – »das lässt den Fisch für sich selbst sprechen«. Dazu Kumquats in einer Sauce aus Orangen, Zwiebeln, Guaven- und Zuckerrohrsaft. Danach Lamm aus dem Ofen. Der Koch hat es mit seinem japanischen Messer selbst geschlachtet und nach den islamischen Halal-Regeln ausbluten lassen. Wie man das macht, hat er sich aus einer niederländischen Dokumentation abgeschaut. Er sah dem Tier dabei in die Augen und bat um Entschuldigung. Sein Lehrling hat der alleinerziehenden Mutter in der Nachbarschaft gleich ein Stück Fleisch vorbeigebracht. »Das ist unter Nubiern selbstverständlich. Jeder hilft jedem. Bei Hochzeiten bauen die Leute dem Brautpaar ein Haus, und bei einer Beerdigung kommen alle zum Weinen vorbei«, sagt El Antaki. »Das Irre ist: Egal ob sie den Toten gekannt haben oder nicht, ihre Tränen sind echt! So einen Zusammenhalt kenne ich nicht aus Kairo.«
Mahmoud El Antakis Essen kostet einen Fixpreis, wie in einem normalen Restaurant. Für die drei Gästezimmer zahlt jeder Gast, so viel er will. »Das funktioniert und trägt sich.« 16 Euro bekommt El Antaki im Schnitt für ein Zimmer, sagt er. Das decke die Kosten – und lasse mitunter Spielraum für kleine Investitionen. Sogar Bäder haben Bibi und er in jedes der drei Zimmer der »Nubian Lodge« einbauen lassen. Um etwas auf die hohe Kante zurückzulegen, reicht der Gewinn nicht. El Antaki hält sein geringes Einkommen nicht davon ab, die nächsten Jahre bei den Nubiern auf Heissa verbringen zu wollen.
Geld auf der Bank bringe nichts Gutes, sagt Timur El Hadidi, dabei hat er in den vergangenen fünf Jahren selbst von Zinsen gelebt. »Die Bank steckt Geld in Aktien, die Fondsgesellschaften kaufen im Zweifel Waffen davon, bei den Nubiern kommt nichts an. Niemand hat auf Heissa je investiert. Das Geld ist der Grund, warum die Welt nicht funktioniert.«
2010 kam Timur El Hadidi erstmals auf die Insel. Damals noch mit seiner Frau. Sie besuchten ein Musikfestival. Beim Übersetzen auf dem Boot lernte er Felix Beshir kennen, einen nubischen Fährmann und Fischer, der ihm von seinem Traum erzählte, einer Öko-Lodge auf seinem kleinen Grundstück am Ufer. Öko insofern, als Beshir über Nachhaltigkeit nachgedacht hatte und kleine Quader bauen wollte, die sich in die Felsenlandschaft schmiegen. Timur El Hadidi sagt: »Ich nahm ihn erst nicht ernst, aber ein paar Tage später zeigte mir Felix das Stück Land, und ich war sprachlos, so schön war das da.«
El Hadidi ging zurück nach Kairo. Telefonierte gelegentlich mit Beshir. Vor sechs Jahren erreichte der arabische Frühling Ägypten, und Timur El Hadidi ging in der Hauptstadt mit vielen seiner Freunde auf den Tahrir-Platz. 18 Tage harrten sie aus, Tag und Nacht, bis Mubarak vom Präsidentenamt zurücktrat. Die jungen Leute dachten, sie hätten etwas Großes erreicht. Timur El Hadidis Vater, ein Anwalt in Alexandria, prophezeite: »Jetzt werden sie alle übereinander herfallen und sich gegenseitig umbringen.«
Der Vater starb kurz darauf. Timur El Hadidi und sein Bruder erbten Geld und ein paar Mietshäuser in Alexandria. Timur hatte das Gefühl, die Revolution unterstützen und seiner Heimat etwas von seinem Erbe abgeben zu müssen. Er erinnerte sich an Felix Beshirs Traum – »und wie hätte ich mein Geld sinnvoller ausgeben können, als es den Underdogs Ägyptens zu stiften?« Seine Mutter unterstützte ihn in seinem Vorhaben, sein Bruder schüttelte den Kopf.
Timur El Hadidi kehrte zurück nach Heissa und begann, mit Beshir zu bauen. Der fragte, ob El Hadidi einen Vertrag wolle? Nein. Aber El Hadidi hatte gehört, Mick Jagger habe einmal ein Restaurant in New York eröffnet, bei dem es keine Festpreise gab (tatsächlich war es Jon Bon Jovi mit seiner »Soul Kitchen« in New Jersey). Die Idee hatte ihm schon immer gefallen, jetzt ergriff El Hadidi die Gelegenheit, sie mit Beshir umzusetzen. Der war einverstanden.
Sie engagierten einen Bauingenieur, kauften Ziegel, verschifften Zement, Sand, Farbe, Möbel. Ein Drittel der 100 000 Euro, die El Hadidi gab, kostete allein der Transport auf die Insel. Mit dem Rest wurden Maurer bezahlt – und Bäume gepflanzt. Heissa Island war so gut wie baumlos, als El Hadidi kam. An fehlendem Wasser lag das nicht, eher an fehlendem Geld. Und an der Lethargie, mit der sich die Nubier auf der Insel ihrem Schicksal ergeben hatten, meint El Hadidi.
Ziegen fraßen die ersten Bäume. El Hadidi baute Gitter, um die Jungpflanzen zu schützen. Der Bauleiter wurde an einem Checkpoint auf dem Festland von der Armee verhaftet. El Hadidi besorgte einen Anwalt und holte ihn aus dem Gefängnis.
Seit 2015 steht die »Agilika Lodge« mit ihren zehn Bungalows, dem Trakt mit großem Gemeinschaftsbad und der Terrasse mit Restaurant, Bar und Küche. Die »Nubian Lodge« wurde 2016 fertig.
Es gibt keine Verträge auf Heissa und kein Katasteramt. Alles wird per Handschlag besiegelt. Felix Beshir, der Geschäftsführer der »Agilika Lodge«, hat Timur El Hadidi einen Vertrag über die Schenkung und ihre Bedingungen, auch eine Art lebenslanges Wohnrecht angeboten. El Hadidi schlug aus. Beshir sagt: »Auch meine Kinder werden das Wohnrecht anerkennen. Auf Heissa braucht man dafür keine Verträge.« Das versichert auch Bibi, der Inhaber der »Nubian Lodge«.
Andererseits verlangt Beshir tatsächlich einen Mindestpreis von zwölf Euro für Bett und Frühstück von all jenen, die über einen Reiseveranstalter kommen. Das brauche er, sagt er, für vier bis sechs Angestellte, Frau und zwei Kinder. Außerdem ist er nicht alleiniger Besitzer des Grundstücks, sondern gemeinsam mit seinen drei Brüdern, denen er eine Art Pacht zahlt. Und die Saison dauert ja nur von September bis Mai, die Sommermonate sind mit bis zu fünfzig Grad zu heiß. Da liegen die Inselbewohner den ganzen Tag im Wasser und sehnen die Nacht herbei.
El Hadidi nimmt den Bruch der PWYW-Vereinbarung achselzuckend zur Kenntnis: »Der Turbokapitalismus hat die Leute in ganz Ägypten versaut. So eine Idee braucht Zeit. Das Land steckt im Chaos, wirtschaftlich und politisch, wir sind Teil des Chaos.«
Ein unverbesserlicher Gutmensch? Natürlich, wahrscheinlich auch naiv. Andererseits interessieren sich auch konservative Wirtschaftswissenschaftler für das Modell Pay What You Want, obwohl es der klassischen ökonomischen Annahme von Nutzenmaximierung und Kostenreduzierung widerspricht. Aber mit PWYW kann man neue Kunden gewinnen und gute Werbung betreiben – und Rivalen vom Markt drängen. Viele Kunden sind durchaus bereit, einen guten Preis zu bezahlen, wenn sie wissen, wohin ihr Geld fließt.
Timur El Hadidi wettet auf dieses Experiment sein eigenes Geld, und viel ist von seinem Erbe nicht mehr übrig. Einige Mietshäuser in Alexandria hat er noch, aber die Mieteinnahmen reichen nicht für sein Leben in Kairo, erst recht nicht für eine jährliche Vintage-Rallye mit dem Flugzeug. Bald müsse er wieder arbeiten, sagt er. Vielleicht in der Geschäftsführung der »Agilika Lodge«, vielleicht wird er einen Verband für Öko-Gasthäuser in Ägypten gründen.
Immerhin: Beide Gästehäuser auf Heissa schreiben schwarze Zahlen. Die Gäste geben tendenziell mehr als die kostendeckenden zwölf Euro. Timur El Hadidi meint: »Pay What You Want ist kein Modell für die gesamte Gesellschaft. Aber alle gängigen Modelle haben versagt. Man muss doch irgendwas ausprobieren.«
El Hadidi wünscht sich auf Heissa noch mehr Tourismus, mehr Lodges, mehr Jobs, eine bessere Infrastruktur und weniger Jugendliche, die vor Langeweile in die Großstädte fliehen – und meistens schon nach kurzer Zeit resigniert zurückkehren. »Mehr Geld würde den Leuten auch die Lethargie nehmen«, sagt er mit Blick auf einen Plastikmüllberg am Ufer. »Mit Geld kommt die Hoffnung auf ein besseres Leben, dann achten die Leute auch mehr auf die Umwelt.« – »Unsinn«, sagt Ahmad El Esseily, der Ex-Fernsehmoderator. »Es gibt keinen Grund, nicht jetzt schon den Müll einzusammeln. Ich glaube nicht daran, dass die Menschen achtsamer werden, sobald sie nur alle eine Satellitenschüssel auf dem Dach haben und einen Basketballplatz im Hof. Entweder du kümmerst dich um andere oder du tust es nicht. Überhaupt sind die Leute hier nicht in einer desolaten Lage. Sie könnten alle so chillen, wie Bob Marley es tut. Schau dir sein Grinsen an. Der weiß sein Leben hier zu schätzen.«
Dann sagt El Esseily noch: »Der Mensch ist nicht für die Großstadt gemacht. Die Zukunft der Menschheit liegt in ländlichen Gemeinden mit 1000 bis 2000 Bewohnern, wo sich die Menschen selbst versorgen – so wie hier.« Viele Gäste der »Agilika Lodge« schöpfen bei der Abreise Wasser mit der Hand aus dem Stausee. Wer einmal aus dem Nil trinkt, wird immer zurückkehren, heißt es.
Fotos: Daniel Delang