Die eingebildete Reise

Interviews mit Menschen, die wir gut finden. Diese Woche: Hagen Stehr, der als erster Mensch Thunfische in Gefangenschaft zum Laichen gebracht hat.

    Respekt, Herr Stehr, Sie sind der erste Mensch, der Thunfische in Gefangenschaft zum Laichen gebracht hat.
    Hagen Stehr: Am 12. März um 11.47 Uhr fingen sie an – 35 Tage lang, fünfzig Millionen Eier.

    Das Time Magazine erklärte Ihre Erfindung zur zweitwichtigsten des Jahres 2009. Ihre Fischfarm liegt nahe Adelaide. Sind Thunfische auch in Südaustralien vom Aussterben bedroht?
    Der Südliche Blauflossenthunfisch ist nicht ganz so überfischt wie der Nördliche. Wir haben strengere Gesetze als in Europa. Doch selbst in Australien werden unsere Enkelkinder vermutlich keinen wilden Thunfisch mehr essen können – aber gezüchteten. Ich bin ja eigentlich kein Grüner. Aber die Thunfischzucht wird der Welt guttun. Fischfarmen auf der ganzen Welt haben die Zucht vergeblich versucht. Was ist Ihr Trick?
    Europäer probieren die Zucht auf hoher See, das ist schwierig. Wir haben die Thunfische in Käfigen auf See großgezogen. Sobald sie 200 Kilogramm Gewicht erreichten, brachten wir sie mit Helikoptern in riesige Bassins an Land.

    Sie sperren die Fische in ein großes Aquarium, so einfach ist das?
    Nein, wir schickten sie auf eine Reise, die allerdings nur in ihrem Kopf stattfand: Wir imitierten Sonne, Mond, Sterne mit computergesteuertem Licht, veränderten Salzgehalte und Wassertemperaturen so, dass der ganze Schwarm dachte, er würde seinen üblichen Weg zurücklegen: 200 Meilen vor der Küste von Adelaide nach Westaustralien, nordwärts an Perth vorbei bis nach Indonesien, dann zurück nach Kangaroo Island, wo sie laichen. Diese eingebildete Reise dauert fünf Monate.

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    Das muss doch alles sehr teuer sein.
    Die Europäer haben schon siebzig Millionen Euro ausgegeben, ich nur dreißig.

    Woher haben Sie so viel Geld?
    Ich komme aus Salzgitter, ging zur Fremdenlegion, fuhr zur See, bevor ich 1961 in Südaustralien meine Fischereiflotte Clean Seas aufbaute. Vor der Wirtschaftskrise gehörte ich zu den 200 reichsten Australiern. Geld war kein Problem. Schwieriger war es, Wissenschaftler aus Dänemark, Japan, den USA zu einem kreativen Team zu vereinigen. Für die musste ich abwechselnd General, Mutter, Freund spielen.

    Wann kamen Sie auf die Idee, Thunfische an Land zum Laichen zu bringen?
    Vor drei Jahren. Alle hielten mich für verrückt, selbst meine Familie. Aber ich mache immer das Gegenteil von dem, was andere für gesunden Menschenverstand halten.

    Die geglückte Thunfischzucht, vom Time Magazine als zweitwichtigste Erfindung im Jahr 2009 gefeiert, könnte die Aktien von Stehrs Unternehmen Clean Seas (WKN: A0HL4J) steigen lassen.

    Interview: Lars Reichardt