Mit Schal und MÜtze - der neue WM-Look Es wird kalt bei dieser Weltmeisterschaft im südafrikanischen Winter, in den Jahren 1956, 1981, 2006 und 2007 lag dort im Juni sogar Schnee, jedenfalls in höheren Lagen. Was bedeutet das? Diese WM wird andere Bilder malen als andere Weltmeisterschaften. Wo die WM ist, da ist normalerweise der Sommer. Als Maradona 1986 in Mexiko losrannte, um alle Engländer mehrfach auszuspielen und das Tor des Jahrhunderts zu schießen, sah man auf dem von der Sonne ausgedörrten Rasen den Schatten der komplizierten Dachkonstruktion. Der Schatten sah aus wie ein Wegweiser für Maradona.
1990 tanzte Roger Milla bei strahlendem Sonnenschein zum ersten Mal mit der Eckfahne. 1998, gegen Argentinien, tauchte der Holländer Dennis Bergkamp aus der dunklen Seite des Platzes auf, plötzlich stand er im sonnen-überfluteten Teil, nahm einen 50-Meter-Pass auf, traf. »Er kam aus dem Nichts«: Nie passte diese Reporterfloskel besser. Schatten bot oft Orientierung und Schutz bei so einer WM, die Temperatur machte Mannschaften müde, wie die Engländer 1970, im Viertelfinale gegen Deutschland. 2:0 geführt und doch noch 2:3 verloren.
Man sprach von einer Hitzeschlacht, dabei hatte sich die Mutter aller Hitzeschlachten bereits 1954 ereignet, WM-Viertelfinale Österreich gegen Schweiz, Spielort Lausanne. Es war Sommer. Es war so heiß, dass schon nach wenigen Minuten alle mehr taumelten als rannten, Österreichs Tormann Kurt Schmied erwischte es besonders heftig: Sonnenstich. Aber damals durfte noch keiner ausgewechselt werden. Schmied musste durchspielen, orientierungslos, wie in Trance. Hinter dem Tor stand der Masseur und dirigierte den Torwart, »rechts, rechts, rechts«, rief er, oder: »jetzt: spring!« Österreich gewann das Spiel mit 7 : 5, es war der Höhepunkt der Karriere nicht nur von Torwart Schmied, der sich allerdings an nichts erinnern konnte, was er zeitlebens sehr bedauerte, 2007 ist er gestorben.
Hitzeschlachten wird es nicht geben in Südafrika, dafür Brasilianer in Handschuhen und Kameruner, die beim Training Woll-mützen tragen. Womöglich wird der Ausrüster der holländischen Mannschaft für Arjen Robben eine WM-Ausgabe jenes sogenannten Kultkleidungsstücks bereithalten, mit dem er schon in der kalten Bundesliga bewiesen hat, dass es schlechtes Wetter nicht gibt, wenn man eine vernünftige lange Unterhose dabei- hat.
Von Holger Gertz
Die Mannschaft, mit der niemand gerechnet hat
Was bleiben wird? Nordkorea, die Überraschungsmannschaft. Es kann keine andere geben. So wie 1966, als die Nordkoreaner in England die Italiener mit 1 : 0 besiegten und sich selbst fürs Viertelfinale qualifizierten. Den Italienern war die Sache mit dem 0 : 1 durch Pak Doo-Ik so peinlich, dass sie in die Welt setzten, die unermüdlichen Koreaner seien mit 22 identischen Spielern angereist. Zur Halbzeit hätten sie dann die komplette Elf ausgewechselt. Als sie nach Hause reisten, steuerten die Italiener nicht Rom, sondern überraschend Genua an. Dennoch wurden sie nach der Landung von Tifosi mit Tomaten eingedeckt. Warum die Nordkoreaner diesmal dabei sind - und sogleich ein neues Kapitel in der revolutionären Geschichte ihres Landes schreiben werden?
Sie können nur Schnapszahlen. 66 war das 55. Jahr des sogenannten Juche-Zeitalters, das 1912 mit der Geburt der »Ehrwürdigen Sonne« namens Kim Il-sung seinen Anfang nahm. Nun schreiben die Nordkoreaner das 99. Juche-Jahr, statt unbekannter Pak Doo-Iks haben sie auch Legionäre aus dem nichtsozialistischen Ausland dabei: Chong Tese, der »Rooney des Volkes« genannt wird. Nicht, weil er Wayne Rooneys Vorliebe für Prostituierte teilen würde, sondern weil er ein physisch ähnlich starker Torjäger ist. Nordkorea ist wieder bereit für einen großen WM-Schocker. Man qualifizierte sich souverän. Der Außenseiter fürchtet selbst seine schweren Gruppengegner nicht: Brasilien, Portugal, Elfenbeinküste. Aber die unterschätzen das unbekannte Nordkorea allesamt.
Von Javier Cáceres
Warum Afrika wieder keinen Finalisten stellen wird
Der Reporter Christian Ewers hat jüngst Afrika bereist. Gefunden hat er »Die Tragödie des afrikanischen Fußballs«, wie der Untertitel seines Buches heißt, das eine Empfehlung ist für jeden, der sich für die WM warmlesen möchte. Ewers hat auch Samuel Eto’o getroffen, den für Inter Mailand stürmenden Kameruner, den er bat, einen Widerspruch aufzulösen: jenen zwischen dem unglaublichen Talent afrikanischer Fußballer und dem regelmäßigen Scheitern afrikanischer Mannschaften.
Warum sind all die virtuosen Versprechen spätestens im Viertelfinale jäh erloschen? Exemplarisch für das famose Scheitern steht bis heute Roger Milla, ein damals 38-jähriger Stürmer, der sich schon zur Ruhe gesetzt hatte, als er zur WM 1990 gedrängt wurde, die Stiefel noch einmal zu schnüren. Jeden seiner vier Treffer feierte er mit einem Tänzchen im Stile des heimischen Mokassa: hüftschwingend um die Eckfahne herum. Er war der dribbelnde Solist - mit Kameruns »unzähmbaren Löwen« flog er gegen England aus der Manege.
Vorbei, bald vergessen, sagt Eto’o, der junge Löwe: Ob Ghana, die Elfenbeinküste, Nigeria, Kamerun - »wir sind alle reif für den Titel«. Reif ist nicht Südafrika, die Mannschaft des Gastgebers gilt als zu unbedarft. Reif wäre vielleicht auch Algerien, der sechste Teilnehmer des Kontinents, aber Algerien liegt zu weit im Norden, um das schwarze Afrika zu elektrisieren. Endlich eine große Mannschaft zu entdecken, hinter der sich das Herz Afrikas versammeln kann, das scheint für Afrika noch wichtiger zu sein, als eine möglichst konfliktarme WM zu organisieren - das ist die Sache der Südafrikaner.
Auf dem Rasen werden Les Eléphants, die Elefanten, favorisiert, mit Didier Drogba und Salomon Kalou vom FC Chelsea oder Yaya Touré vom FC Barcelona. Die Elfenbeinküste führt die meiste Prominenz im Kader, bekannt und reich geworden in Europa. Doch wie viele große Elefanten verträgt eine Herde? Um dies herauszufinden, wurde der Schwede Sven-Göran Eriksson, 62, als Dompteur verpflichtet. Den Engländern ist Eriksson als »geiler Sven« in Erinnerung, weil er sich vor der WM 2006 hingebungsvoller um eine Verbandssekretärin als um die Teambildung gekümmert haben soll.
Es gibt unzählige Gründe, die Sehnsüchte zerstören können, das weiß auch Samuel Eto’o: »Alles muss bis ins Detail stimmen, wenn man erfolgreich sein will. Wir haben das schmerzhaft lernen müssen, es hat ja früher genug Chaos in afrikanischen Teams gegeben.« Ob Löwen oder Elefanten, ob die Super Eagles aus Nigeria oder The Black Stars aus Ghana, sie alle werden vorbereitet sein wie Europäer und Süd-amerikaner. Am Ende aber wird Afrika wieder traurig sein. Schon allein deshalb, weil die Spanier ein famos organisierter Europameister und die Brasilianer eben Brasilianer sind. Spätestens im Halbfinale ist es vorbei. Und große Elefanten werden große Tränen weinen.
Von Klaus Hoeltzenbein
Der beste Spieler des Turniers
Der ehemals beste Spieler aller Zeiten mit einer 10 auf dem Rücken, der himmlische Diego Armando Maradona, ist bei dieser WM Lionel Messis Trainer bei der hellblau-weißen Nationalmannschaft. Er kenne nur eine Methode, wie man Messi stoppen könne, witzelte ein spanischer Journalist, nachdem Messi für den FC Barcelona wochenlang die prominentesten Verteidiger Europas ausgetrickst hatte: »Indem man ihm Maradona als Trainer zur Seite stellt.«
In der Landesauswahl blieb der wunderbare Messi bisher auffällig unauffällig, was eben auch am taktischen Chaos Maradonas und fremden Mitspielern lag. Der kleine Lio ist mehr Katalane als Argentinier, das rot-blaue Hemd seines Vereins trägt er leichter als das der Argentinier. Vermutlich lässt der bescheidene Messi eher seine spanischen Klubkollegen Xavi und Iniesta glänzen, sie, die ihn bei Barca sonst mit Zauberpässen verwöhnen.
Von Peter Burghardt
Ein Sound, den man nie vergessen wird
Ist es ein Brummen? Oder doch eher ein Dröhnen? Ist es das, was die besonders sprachbegabten Musikschreiber gern als »Klangteppich« beschreiben, der sich unter oder neben oder gar auf Songs legt? Ein Röhren ist es jedenfalls eher nicht, womöglich ein wummerndes Summ-Brummen oder doch ein summendes Brumm-Wummern? Manche sagen, die Vuvuzelas klängen wie ein großer Bienenschwarm, der sich langsam nähert, nicht unbedingt in friedlicher Absicht. Aber klingen sie nicht auch wie ein gigantisches Umspannwerk, groß genug, ganz Afrika mit Strom zu versorgen?
Niemand, der die WM in Südafrika verfolgen wird, kann die Vuvuzelas vergessen: von fast allen südafrikanischen Fans unablässig gespielte trötenartige Gebilde, die nicht tröten, sondern - nun ja, einigen wir uns vorübergehend auf ein brummendes Wumm-Summen. Dank der Vuvuzelas wird dies die erste WM mit einem unverwechselbaren Sound. Gejubelt, gebrüllt, geflucht und geschmäht wird immer, gestöhnt wurde ebenfalls bei noch jedem Weltturnier. Aber nie zuvor ging eine WM so sehr auf die Ohren.
Wenn dereinst ein Blinder bei Wetten, dass . . ? auftritt und wettet, er könne allein am Stadion-Ton der Fernsehübertragungen das jeweilige Turnier erkennen, dann werden sie Südafrika aus der Wertung nehmen. Zu einfach. Manche Funktionäre wollten die Vuvuzelas verbieten lassen, was zum einen an ihrer Funktionärshaftigkeit liegt, zum anderen auf der (durchaus berechtigten) Vermutung gründet, das Geräusch enthebe die Zuhörer allmählich der lieb gewonnenen Realität und überführe sie in den Wahnsinn. Für diese Annahme spricht unter anderem, dass in Deutschland die Menschen die Vuvuzela nach einigem Zuhören als »Uwe Seeler« bezeichneten, weil sie weichgewummersummbrummt glaubten, das klinge ja genauso.
Von Christian Zaschke
Warum über das Thema Gewalt bald niemand mehr sprechen wird
Es ist ja beinahe in Vergessenheit geraten, dass es um Deutschlands Image vor der WM 2006 auch nicht gut bestellt war. Vor einem Land der Hooligans und rechtsradikalen Schlägertrupps waren die Besucher gewarnt worden. Miesepetrig seien die Menschen dort zudem, und überhaupt: das Wetter, oh Graus! Die Gäste fanden dieses seltsame Land dann doch ziemlich angenehm.
Vor dieser WM waren erneut düstere Prophezeiungen zu vernehmen, wegen Südafrikas erschreckend hoher Kriminalitätsrate. Weil es ja alle von Anfang an gewusst haben, wird der Aufschrei beim ersten Diebstahl während der WM unvermeidlich sein. Die Chancen sind dennoch groß, dass das Turnier nicht als gewalttätig in Erinnerung bleiben wird. Südafrika wird sich keine Blamage erlauben. Außerdem sind die Gäste privilegiert, das senkt die Gefahren erheblich.
Durch eine massive Präsenz an Sicherheitskräften werden Besucher geschützt und von den sozialen Brennpunkten ferngehalten werden. Bisher ist es in der Welt nur ein Gerücht, aber auch in Südafrika lässt es sich gut leben. Menschen gehen dort tatsächlich ganz normal ihrer Arbeit nach, fahren mit offenem Autofenster, halten an roten Ampeln, spazieren auf der Straße und verlassen die Wohnung nach Einbruch der Dunkelheit, um sich zu amüsieren.
Und wenn sie nach Hause kommen, legen sie keine schusssichere Weste ab, sondern nur die Jacke. Den Rat der Südafrikaner einzuholen, wie man sich am besten verhält, ist dennoch eine gute Idee. Denn es ist kein Gerücht, dass sie auch die Probleme ihres Landes am besten kennen.
Von Maik Rosner
Diesen Trainer wird die Mannschaft nicht hängen lassen
Als Horst Köhler neulich wochenlang nicht mehr im öffentlichen Leben vorkam, stellte sich die Erkenntnis ein, dass die Bundesrepublik zwar ohne einen Bundespräsidenten auskommt, nicht aber ohne einen Fußballbundestrainer. Der Bundestrainer ist in den Augen der Bevölkerung unentbehrlich. Das ließ sich beobachten, als Anfang Februar die führenden Vertreter des Deutschen Fußball-Bundes mit Bundestrainer Joachim Löw über die Verlängerung seines Arbeitsvertrages stritten.
Anders als Köhlers Abtauchen war der Affront, der Löw durch den DFB widerfuhr, ein Riesenthema. Der Abbruch der Verhandlungen hat bei vielen Deutschen Angst ausgelöst: Sie befürchten, dass der Nationalelf bei der WM in Südafrika wegen ihres vertragslosen Cheftrainers die Orientierung fehlen könnte. Ein Blick in die Historie sollte diese Sorge zerstreuen.
Dass ein Bundestrainer quasi mit der Kündigung in der Tasche ins Turnier geht, das hat es in der Tat zwar noch nie gegeben. Es gab aber bereits eine Situation, die noch viel größeren Schrecken verbreitete: Bei der WM in Italien vor zwanzig Jahren gingen Land und Mannschaft mit der Gewissheit ins Turnier, dass auf den Teamchef Franz Beckenbauer der Bundestrainer Berti Vogts folgen würde. Und was geschah? Deutschland wurde Weltmeister.
Von Philipp Selldorf
Diesen Trainer wird das Publikum nicht vergessen
Die alten Griechen haben eine Menge erfunden. Philosophie ebenso wie die Grundlagen der Mathematik. Auch recht praktische Dinge haben sie sich ausgedacht, den Flaschenzug zum Beispiel, das Zahnrad und natürlich den Gyrosteller. Aber wer hat eigentlich die alten Griechen erfunden?
Es hat bis ins Jahr 2004 n. Chr. gedauert, bis die Menschheit eine Antwort auf diese nie gestellte Frage gefunden hatte: Es war das Jahr, in dem Otto Rehakles mit seiner Mannschaft aus wirklich sehr alten Griechen die Fußballuropameisterschaft gewann, worauf er sofort zum Griechen des Jahres befördert wurde und die Ausnahmegenehmigung erhielt, in Athen die Busspur zu befahren. Nebenbei erfand er etwa die kontrollierte Offensive, die Zahnlücke oder seine Frau Beate. Der Heros hält sich auch im Alter von 71 Jahren für unverzichtbar, vielleicht wollte er auch nur einmal an einer Weltmeisterschaft teilnehmen.
Ach, wird das ein Spaß für Rehakles werden: zu erleben, wie all die unwissenden Journalisten um ihn herum Trainer wie Capello, del Bosque, Lippi oder gar Maradona feiern und ihn, IHN, dabei vergessen. Aber Rehakles wird wieder wissen, auf sich aufmerksam zu machen, er wird auf den Fingern pfeifen und Journalisten beschimpfen, weil sie wieder einmal seine Taktik falsch verstanden haben, die natürlich nur ein griechischer Halbgott verstehen kann.
Von Christof Kneer
Was sich für Afrika ändern wird
Das Erbe der WM - wo wird man es nach dem Abpfiff greifen können? Sicherlich am Kiosk. Denn die Postkarten des Tafelbergs in Kapstadt werden ja nun für alle Zeiten vom mächtigen Stadion in Green Point geschmückt. (Von Verschandelung darf man bei den heiligen Hallen des Sports ja nicht sprechen.) Außerdem gibt es da noch: Straßen, Busse, Züge. Hardware, auf die Südafrika sonst noch lange gewartet hätte.
Ein paar Jobs sicher auch noch - aber längst nicht so viele, wie man den Menschen am Kap anfangs versprochen hat. Ein wenig Katerstimmung könnte sich breitmachen, wenn das große Fest vorbei ist. Dann werden sich die Südafrikaner die Augen reiben und vermutlich feststellen, dass ihr Land nach Sepp Blatter fast noch genauso aussieht wie vor Sepp Blatter.
Zumindest hat er so keinen größeren Schaden anrichten können. Schön wäre es allerdings, wenn all die Gäste, die nach der WM nach Hause fliegen, Südafrika künftig ein wenig anders betrachten als vor ihrer Reise. Ohne Angst und ohne Häme. Das wäre ein gutes Erbe. Weil es die Kraft hat, Klischees zu zertrümmern. Südafrika wird sich durch die Weltmeisterschaft kaum verändern. Das Bild von Südafrika vielleicht schon - wenn der Fußballmonat gut läuft.
Von Arne Perras
Fotos: Michael Poliza; Illustration: Dirk Schmidt