SZ-Magazin: Freuen Sie sich schon auf die Weltmeisterschaft?
Nick Hornby: Hm, ich schaue immer gern Fußball im Fernsehen, aber sehr viel mehr würde ich für die WM nicht machen. Ich finde, der größte Wandel im Fußball ist, dass in den letzten zwei Jahrzehnten die Nationalteams durch die Vereinsmannschaften ersetzt wurden.
Wie meinen Sie das? Bei Länderspielen ging es doch immer darum, die besten Spieler aus den Klubs zusammenzuführen, weil die Vereinsmannschaften nie so gut sein konnten wie die Nationalteams. Inzwischen ist es genau umgekehrt: Es gibt reihenweise Nationalspieler, die in ihren Vereinen kaum eingesetzt werden. Hätte man sich vor 20 Jahren einen englischen oder deutschen Nationalspieler auf der Bank vorstellen können?
Haben Sie überhaupt daran gedacht, zur WM nach Deutschland zu kommen? Nein. Die englische Nationalmannschaft interessiert mich einfach nicht genug. Und obwohl sich viel geändert hat, gibt es immer noch einen harten Kern von England-Fans, mit denen ich nichts zu tun haben möchte. Wenn ich mich richtig erinnere, habe ich mir die englische Mannschaft zum letzten Mal bei der Europameisterschaft 1996 angeschaut, das Halbfinale gegen Deutschland. Es war eines der besten Spiele, die ich je gesehen habe. Sehr dramatisch mit Verlängerung und Elfmeterschießen. Trotzdem interessiere ich mich viel mehr für meinen Klub als für mein Land.
Der inzwischen verstorbene Radio-DJ John Peel hat gesagt, dass er als Fan des FC Liverpool das Nationalteam unterstützen würde, in dem gerade die meisten Spieler aus seinem Verein spielen. Halten Sie es mit Arsenal auch so? Nein, aber ich kann das verstehen. Für mich war einer der aufregendsten Momente, als im Finale 1998 zwischen Brasilien und Frankreich Vieira auf Petit spielte – beide damals Arsenal-Spieler – und Petit dann das dritte Tor für Frankreich erzielte. Ich habe noch die Titelseite einer Boulevardzeitung gerahmt an der Wand hängen: »Arsenal win the world cup«. Bei der WM in Deutschland werde ich Thierry Henry bei Frankreich verfolgen, Kolo Touré bei der Elfenbeinküste …
… und Jens Lehmann im Tor der Deutschen, obwohl er im Finale der Champions League vom Platz geflogen ist? Über das Endspiel gegen Barcelona will ich gar nicht sprechen. Als Lehmann im Halbfinale in der Schlussminute einen Elfmeter hielt, da habe ich noch gesagt, dass Lehmann der größte Deutsche aller Zeiten ist. Wenn es um Konstanz geht, war er sogar unser Spieler des Jahres. Deshalb hat es mich nicht überrascht, dass er Nummer eins in Deutschland wurde. Inzwischen hat er ja das abgelegt, was Arsenal-Fans auf die Nerven ging: Einerseits rannte er unmotiviert 40 Meter aus dem Tor, und wenn ihn ein Stürmer attackierte, hätte Lehmann ihn am liebsten niedergeschlagen.
Aber finden die Engländer das nicht lustig? Ja, aber auf ähnliche Weise hat er auch vorletztes Jahr den Saisonhöhepunkt kaputt gemacht. Arsenal brauchte damals beim Erzrivalen Tottenham nur noch ein Remis, um Meister zu werden. Sie führten früh 2:0 und spielten fantastisch, selbst als Tottenham den Anschlusstreffer erzielte. Aber in der 91. Minute schubste Lehmann völlig grundlos einen gegnerischen Spieler um und es gab einen Elfer. So wurden wir Meister, nachdem wir in der letzten Minute noch ein blödes Tor kassiert hatten!
Was hat sich seitdem verändert? Lehmann hat sich besser akklimatisiert. Es macht den Eindruck, als ob er die Abwehrspieler dirigiert. Und zu Thierry Henry, der sich auf dem Weg in die Halbzeitpause beim Spiel in Madrid über irgendetwas beschwert hatte, soll er gesagt haben: »Nimm mal lieber die Hände aus den Hüften und schieß ein Tor.« Zwei Minuten nach der Pause hat Henry fünf Gegner ausgespielt und das Siegtor erzielt.
Kann man sagen: Nach Klinsmann ist Lehmann der zweite deutsche Fußballer, den die Engländer akzeptieren? Ja, weil Fußballfans es mögen, wenn ein Spieler ein bisschen spinnt. Gibt es irgendwo während einer Partie einen Zusammenstoß von zwei Spielern, rufen jetzt alle: »Komm, Jens, hol sie dir!«
Arsenal ist unter Trainer Arsène Wenger zu einer internationalisierten Mannschaft geworden, in deren Elf oft kein einziger Engländer steht. Stört Sie das? Die Internationalisierung stört mich nicht, allerdings hat die steigende Qualität einen Effekt der Distanzierung, Fußball fühlt sich mitunter wie Kino oder Theater an. Außerdem sind die Erwartungen riesig. Manchmal sieht es gegen schwächere Teams der Premier League so aus, als wäre Arsenal 75 Minuten am Ball, und dann ist es frustrierend, wenn sie nur viermal treffen. Ein Freund, Fan einer ziemlich schlechten Mannschaft, hat nach so einem Spiel gesagt: »So ist der Fußball inzwischen: Jeder ist frustriert. Mein Team hat hoch verloren und deins nicht annähernd so hoch gewonnen, wie sie könnten.«
Aber hieß es nicht schon in Ihrem Roman Fever Pitch, der normale Zustand eines Fußballfans sei »bittere Enttäuschung«? Das stimmt so nicht mehr, weil bei Arsenal heute mehr als nur das Ergebnis zu sehen ist. Früher war der Fußball so schlecht, dass es bei einer Niederlage keinen Trost gab. Heute sieht man, selbst wenn sie nicht gewinnen, immer etwas Verblüffendes. Aber um ehrlich zu sein: Sie verlieren kaum noch Heimspiele.
Richtig begeistert klingen Sie trotzdem nicht. Bin ich auch nicht. Das entscheidende Moment im Profisport ist doch eigentlich, dass man nicht weiß, wie es ausgeht. Aber wenn man heute eine Jahreskarte für Arsenal oder Chelsea, vermutlich auch Milan oder Bayern hat, schaut man sich die meisten Heimspiele nur noch an, weil man hofft, dass es ein tolles Tor gibt, oder um festzustellen, wie hoch sie gewinnen werden.
Und was ist aus dem leicht depressiven Fußballfan Nick Hornby geworden, den Sie damals beschrieben haben? Ein depressiver, der nicht mehr viel hat, weswegen er depressiv sein kann.
Gab es nach dem Erscheinen von Fever Pitch eine Zeit, in der Sie das Interesse am Fußball verloren haben? Nein, aber die Art von Interesse hat sich geändert. Über Fußball lese ich inzwischen vor allem in Boulevardzeitungen, weil sie die kulturelle Agenda des Spiels bestimmen: Was hat Wayne Rooney gemacht und wer will den Verein wechseln? Selbst wenn die Informationen nicht stimmen, ist es doch das, worüber im Stadion geredet wird.
Interessieren Sie sich für ausländischen Fußball? Ich finde, dass italienischer Fußball wenig attraktiv ist, dafür sehe ich mir relativ viel spanischen Fußball an.
Was wissen Sie über die Bundesliga? Dass die Bayern wieder vorne waren, außerdem interessiere ich mich wegen meines deutschen Verlegers für den 1. FC Köln. Daher habe ich auch immer ans Ende der Tabelle geschaut. Ich glaube aber, dass wir alle zu viel Fußball sehen.
Sie sind des Fußballs müde? Wenn man mir als Kind gesagt hätte, dass ich nur einen Knopf drücken müsste, um alle Spiele in Europa zu sehen, wäre ich vor Freude geplatzt. Aber inzwischen habe ich einfach nicht mehr so viel Appetit darauf. Ich schaue mir Spiele für fünf Minuten an und stelle sie dann ab. Außerdem kann ich es kaum noch ertragen, überall Fußballspieler zu sehen.
Warum? Es macht die Fantasie im Verhältnis zu einem Spieler kaputt. Ein Star wie Thierry Henry ist im Laufe einer Woche so oft im Fernsehen, in Zeitungen, in Werbespots und auf Plakaten, dass man samstags im Stadion denkt: Seltsam, dass dieser Mann hier tatsächlich Fußball spielt.
Fever Pitch erschien vor 14 Jahren, als der Fußball nicht nur in England am Boden war. Was hat sich seither verbessert? Es gibt weniger Gewalt. Ich finde es auch gut, dass mehr Frauen ins Stadion kommen, weil es dadurch zivilisierter zugeht. Andererseits sind in England die Eintrittspreise dramatisch gestiegen, ich bezahle jetzt 1500 Euro für eine Jahreskarte im schlechtesten Teil des Stadions, eine einzelne Karte kostet 60 Euro. Die Klubs argumentieren zwar immer, dass ein Konzert oder ein Theaterbesuch auch nicht billiger sei, aber man geht nicht zwanzigmal im Jahr ins Theater. Fußball lebt doch von Leuten, die jedes Mal kommen.
Sind die neuen Zuschauer, die solche Preise bezahlen können, keine echten Fans mehr? Das ist ein Mythos, der in den Zeitungen genauso verbreitet wird wie die Behauptung, dass Fever Pitch für diese Leute verantwortlich sei.
Es heißt, Sie hätten Fußball literarisch salonfähig gemacht. Ich bin dafür beschuldigt worden, dass diese Leute aus der Mittelschicht das Buch gelesen haben und Fußballfans geworden sind. Ich habe sogar das Wort »Hornbysierung« gehört, was bedeuten soll: Raus mit der alten working class und rein mit der Mittelschicht! Analytisch bekommt man mit solchen Thesen schnell Probleme, denn die Stadionkatastrophe von Hillsborough und das damit verbundene Ende für Stehplätze oder Rupert Murdochs Pay-TV mit all den Fernsehgeldern haben sicher eine wesentlich größere Rolle gespielt. Aber es gibt diese Eigentümlichkeit beim Fußball, dass die eingesessenen Fans keine neuen Fans wollen. Da heißt es immer: Und wo warst du vor zehn Jahren?
Also ist es ziemlich schwer, Fan zu werden. Jedenfalls muss man erst ein paar Jahre den Mund halten. Bis man dann sagen kann, dass einen der neue Spieler an einen alten erinnert, den die anderen schon vergessen haben.
Es ist leise geworden in englischen Stadien, seit es dort keine Stehplätze mehr gibt. Ich wünschte, es wäre mehr Krach.
Schreien Sie während des Spiels? Ja.
Und beleidigen gegnerische Spieler? Und die eigenen.
Müssen Sie sich als öffentliche Person nicht zurückhalten? Ich habe eine Jahreskarte für meinen Platz seit 17 Jahren, die Leute dort kennen mich. Sie wären eher irritiert, wenn ich schweigend dasitzen würden. Ich muss mich nicht bremsen.
Tragen Sie einen Arsenal-Schal? Nein.
Ein Trikot? Nein, das Trikot kommt nur im Finale oder in einem entsprechenden Spiel zum Einsatz. Manchmal trage ich im Winter eine Arsenal-Wollmütze und im Sommer eine Baseballkappe. Aber das Ganze ist so kommerziell und es gibt etwas in mir, was sich dagegen wehrt.
Planen Sie Ihr Leben immer noch um den Spielplan von Arsenal? Ja, wenn es geht.
Sie sagen also eine Einladung zur Buchpräsentation im Ausland ab, weil es im Ligapokal gegen Sunderland geht? In der vergangenen Saison war es mir zwischendurch peinlich, dass ich für lange Zeit kein Spiel verpasst hatte. Dann bekam ich eine schöne Einladung nach New York und ich habe mit Absicht zugesagt, obwohl an dem Tag ein Spiel war. Ich wollte sagen können: »Ich wäre gern gekommen, aber ich musste nach New York.« So wie meine Freunde, die manchmal nicht im Stadion sind, weil sich ein Geschäftstermin in der City so lange hingezogen hat. Am Tag der Reise hat Arsenal in der Champions League aber gegen die schwächste Mannschaft der Gruppe gespielt – und qualifiziert für die nächste Runde waren sie auch schon. Ich glaube kaum, dass ich fehlen würde, wenn es wichtig wäre.
»Fever Pitch« von Nick Hornby, 49, ist die wohl erfolgreichste literarische Auseinandersetzung mit dem Thema Fußball und hat bereits vor 14 Jahren jene Entwicklung eingeleitet, deren Höhepunkt wir nun bei der WM in Deutschland erleben: die Etablierung von Fußball als allumfassendes gesellschaftliches Phänomen. Der Roman, der das von Enttäuschung und Leidenschaft geprägte Leben eines Arsenal-London-Anhängers beschreibt, begeisterte auch Nicht-Fußballfans, genauso wie er Leute zum Lesen brachte, die diese Beschäftigung sonst nicht zu ihren Hobbys zählten. 1995 folgte der Roman »High Fidelity«, der auf ähnlich unterhaltsame Weise die Geschichte eines Popbesessenen schildert und Hornby zum Bestsellerautor machte. Und während die Kritik zunehmend literarische Tiefe vermisste, landete Hornby einfach den nächsten Hit, »About A Boy« von 1998, dessen Verfilmung mit Hugh Grant ebenfalls weltberühmt wurde. Zuletzt erschien »A Long Way Down«, Hornbys bislang düsterster Roman.