Sie steckte ihren dürren Körper in Hotpants und zu enge Kleider, aus denen ihre Silikonbrüste quollen. Ihre Haut war zu braun, die Haare waren zu lang; sie kaufte Designerstücke, doch Stilgefühl wächst nicht mit dem Bankkonto: Victoria Beckham war jahrelang ein Image-GAU. »Stoppt sie bitte jemand!«, soll Tom Ford gesagt haben, damals Designer bei Gucci, als Victoria Beckham im Gucci-Dress posierte.
Und plötzlich ist alles anders: Stilvoll, mondän, elegant – so wird Victoria Beckham jetzt beschrieben; seit sie im Dezember ihre neue eigene Kollektion vorgestellt hat, überschütten sie die Kritiker mit Lob: Kleider, die an den Stil von Audrey Hepburn erinnern. Lange war sie nur das Ex-Spice-Girl, bekannt als Posh Spice, das exzentrische Anhängsel David Beckhams. Seit 2004 entwirft sie Jeans, Kleider, Taschen, Sonnenbrillen. 2006 gründet sie ihr eigenes Label »dvb Style« (dvb für David Victoria Beckham). Teenager in ganz Europa kauften die Sachen. Erfolg hatte sie also. Nur die Modewelt nahm sie nicht ernst. Das nagte an ihr.
Was ihr bei sich selbst nicht gelang, klappte beim Ehemann: Sie stylte ihn vom Fußballer und Vorstadtstrizzi zum Sexsymbol; alle liebten ihn, sie blieb die Zicke. Sie veröffentlichte ein Buch mit Modetipps. »Ausgerechnet sie!«, schrieb der Independent. »Wenn eine Frau einen Look untragbar machen kann, dann Victoria Beckham.«
Europa wollte Victoria Beckham nicht verstehen – 2007 zogen die Beckhams nach Los Angeles. Für ihn war der Wechsel zu LA Galaxy nur finanziell ein Gewinn, fußballerisch eine Sackgasse. Der Umzug war ihr Projekt, ihr Neuanfang in einer Stadt, in der Neureichtum und Dekadenz keine Fehler sind, in der man Stars wie Tom Cruise und Katie Holmes zu Freunden machen kann. Hier sollte sich alles ändern.
Zwar wird erst mal die Reality-Show Coming to America, die den Umzug der Beckhams zeigt, verrissen, aber kurz darauf geschieht das Unerklärliche. Ihr zäher Fleiß zahlt sich aus, ihr unbedingter Wille, ganz vorn mitzuspielen, zeigt Erfolg: Sie lässt sich ihr Haar zum Bob schneiden, und die Medien lieben es. Sie nennen den Schnitt »Pob«, Posh’s Bob. Nun ist ihre Frisur ein Vorbild. Immerhin.
Im November 2007 dann beweist sie sogar Humor, spielt eine Gastrolle in der Mode-Comedy Ugly Betty. Dann engagiert sie der Designer Marc Jacobs für seine Kampagne. Für ihn schlüpft sie in große Tüten und Schuhkartons und zeigt Selbstironie. Die britische Vogue fotografiert sie 2008 für das April-Cover – ein Ritterschlag. Sie lässt sich die Haare raspelkurz schneiden und wird dafür noch mehr gelobt als für den Bob.
Die Modelle ihrer neuen Kollektion sind Victoria Beckhams letzter Schritt vom Modeschreck zur Ikone. Dass die Entwürfe stark an den Stil ihres Freundes, des Designers Roland Mouret, erinnern, stört nur Kleingeister. In den Boutiquen hängen ihre Kleider neben den Entwürfen von Designern, die sie früher nicht mal auf Modenschauen einluden. Die Kollektion verkauft sich bestens. »Als Sängerin war ich vielleicht nie so gut«, sagt sie. »Ich fühle, dass ich als Designerin in der Branche arbeite, in die ich gehöre.«
Victoria Beckham ist aus dem Schatten ihres Mannes getreten, von dem man im fernen L.A. so gar nichts mehr hörte. Seit David Beckham an den AC Milan ausgeliehen ist, spielt er wieder guten Fußball. Er möchte bleiben. Sie nicht. Sie will in L.A. bleiben, dem Ort ihrer Neuerfindung. David Beckham ist mit 33 Jahren bald am Ende seiner Karriere, ihre geht gerade erst los.
In ganz Mailand hängen Plakate von Victoria Beckham als Armani-Unterwäsche-Model. Letztens hat sie es hier außerdem geschafft, innerhalb von 15 Stunden in drei verschiedenen Modellen ihrer Kollektion fotografiert zu werden, während er trainierte. Es war ihr Marketing-Erfolg, in einer Stadt, in der Mode genauso ernst genommen wird wie Fußball.