Zwei für einen: Wenn Tom Hanks (hinten) Larry Crowne spielt, dann spielt Jon Donahue (vorn) Tom Hanks, bevor der Larry Crowne spielt. Kompliziert? Klingt nur so.
SZ-Magazin: Herr Donahue, Sie arbeiten seit zehn Jahren für den Hollywoodstar Tom Hanks als sogenanntes Lichtdouble. Was machen Sie da genau?
Jon Donahue: Beim Film wird vor jeder Szene das Licht neu eingerichtet. Ich bin ungefähr so groß wie Tom Hanks, habe einen ähnlichen Hautton. Trägt er Bart, trage ich auch einen. Und ich weiß ganz genau, wie groß die Schritte von Hanks sind, auf welcher Höhe er die Arme kreuzt und wie er seine Beine übereinanderschlägt. Vor jeder Einstellung nehme ich den Platz von Hanks ein, und der Regisseur probiert mit mir mögliche Bewegungsabläufe aus.
Im Englischen wird Ihr Job Stand-in genannt, also Vertreter. Sprechen Sie auch Text?
Nein, ich bin eher eine Art Tom-Hanks-Platzhalter, ein lebendes Testobjekt. Allerdings kenne ich jedes Drehbuch. Ich muss wissen, was in den Szenen passiert, und bin von Anfang bis Ende des Drehs dabei. Nebenbei kann ich Regisseuren wie Ron Howard, Stephen Daldry oder den Coen-Brüdern bei der Arbeit zuschauen.
Hanks schätzt Sie offenbar sehr. Jedenfalls lässt er Sie in der Business-Klasse aus den USA einfliegen.
Warum nicht? Mein Job ist nicht nur das Standing-in, ich arbeite ihm auf subtile Art zu. Informiere ihn, was am Set los ist. Ob die Kamerapositionen sich geändert haben, umdekoriert wurde, wie die Stimmung ist. Die meisten großen Stars leisten sich den Luxus einer kleinen Entourage: persönlicher Assistent, Leibwächter, Garderobiere. Sie müssen sich ja ansonsten bei jedem Film auf eine komplett neue Crew einlassen. Robin Williams hat mit Adam Bryant seit 20 Jahren den gleichen Stand-in, Tom Cruise arbeitet immer mit demselben Mann genau wie Ben Stiller oder Adam Sandler. Beim Film kostet jede Minute sehr viel Geld. Wir sparen dem Team Zeit, weil der Kameramann mit uns das Licht einstellt; die Stars sitzen da noch in der Maske. Außerdem arbeitet Hanks beim Spielen viel mit dem Körper, er hat eine spezielle, fließende Art, sich vor der Kamera zu bewegen. Die hat nicht jeder x-beliebige Stand-in drauf.
Wenn es heißt »Kamera ab«, sind Sie verschwunden?
Nicht ganz. Dann stehe ich im Abseits am Set und schaue zu.
Ein trauriger Moment?
Nein, ich konzentriere mich auf das, was vor der Kamera passiert. Ich achte auf jede von Hanks' Bewegungen, damit ich sie später akkurat wiederholen kann. Wenn er telefoniert, muss ich wissen, ob er den Hörer an sein linkes oder rechtes Ohr hält. Mit welcher Hand er die Tür öffnet, sich abstützt oder seine Partnerin umarmt.
Sie sind von New York nach Los Angeles gezogen. Wollten Sie selbst ein zweiter Tom Hanks werden?
Davon träume ich nicht mal nachts! Tom ist ein Genie, und ich bin ein Filmfreak, der sehr gut Leute nachahmen kann. Während der Schulzeit in New York habe ich als Vorführer in einem kleinen Kino gearbeitet, dann eine Karriere als TV-Reporter in Manhattan begonnen. Bis mir klar wurde, dass ich spielen und keine Nachrichten vorlesen will. Ende der Neunziger bin ich nach Los Angeles gezogen, um Schauspieler zu werden. Ein Nobody, ohne Kontakte in die Entertainment-Industrie. Ich dachte, ich rutsch da schnell rein. In L. A. wird doch so viel gedreht, dort sitzen die mächtigen Leute, dort werden Träume wahr.
Das haben Sie tatsächlich geglaubt?
Das glaube ich immer noch! Wenn du aufhörst, an deinen Traum zu glauben, kommst du morgens nicht mehr aus dem Bett.
Wie kam es dazu, dass Sie stattdessen ein gefragter Stand-in wurden?
Tja, die Angebote blieben aus, und ich fing an, als Fremdenführer in den Universal-Studios zu arbeiten. Über eine Empfehlung ergatterte ich einen regelmäßigen Job als Lichtdouble bei der Krankenhausserie Emergency Room. Damals sagten mir einige Mädchen, dass ich sie an Matthew Perry erinnere. Sie wissen schon: Friends. Als ich hörte, Perry und Bruce Willis drehen gemeinsam Keine halben Sachen, habe ich mein Foto an das Produktionsbüro geschickt. Ohne Kontakte geht in Hollywood eigentlich gar nichts, aber ich bekam den Job. Und offenbar machte ich ihn gut, meine Nummer wurde weitergegeben. So habe ich für Bradley Cooper, Pierce Brosnan, John Krasinki oder Will Ferrell gearbeitet. Für den Auftrag, Chris Pine im Star Trek-Film zu doubeln, habe ich sogar ein Jobangebot als Schauspieler abgelehnt. Als »Trekki« musste ich das machen.
Immerhin begrüßt mich Julia Roberts mit »Hello, my favourite GPS-Voice!«
Paarlauf: Jon Donahue (links) kennt jede Geste und jeden Schritt von Tom Hanks (rechts).
Und wie kam Tom Hanks ins Spiel?
Ein Bekannter hat mich dem Assistenten der Coen-Brüder empfohlen. Die steckten gerade in der Vorbereitung zu Ladykillers und suchten einen neuen Stand-in für Tom Hanks, seiner war krank. Ich fand es eigentlich aufregender, die Coen-Brüder zu treffen. Hanks selbst habe ich am Set erst gar nicht erkannt: Er trug falsche Zähne, einen Kinnbart und einen zu großen Anzug. Erst scherzte er, dass ich für ihn viel zu bubihaft aussehen würde – Hanks ist 15 Jahre älter als ich. Nach dem Kameratest klopfte er mir dann auf die Schulter und sagte: »Welcome to me.«
Würden Sie ihn inzwischen als Freund bezeichnen?
Wir haben mehr eine freundschaftliche Arbeitsbeziehung. Wenn wir in Europa drehen, gehen wir zusammen ins Kino oder besuchen ein Museum. In L. A. geht wieder jeder seiner Wege. Ich habe weder seine private Handynummer, noch war ich je bei ihm zu Hause. Und er auch nicht in meinem Einzimmer-Apartment. Das ist genau richtig so. Im Filmgeschäft geht es sehr hierarchisch zu, auch wenn am Set mehr Kapuzenpullis als Anzüge getragen werden. Hanks ist der Boss, und ich belämmere ihn nicht mit Autogrammwünschen. Aber er gibt mir das Gefühl, dass er meine Arbeit schätzt. Er ist das, was man in Amerika eine »people person« nennt. Gesellig, nahbar, lustig. Wo Hanks ist, wird gelacht.
Dadurch dass er oft mit großen Namen arbeitet, tun Sie das zwangsläufig auch. Erinnern die Stars sich an Ihren Namen?
»I’m a Stand-in, nothing more, nothing less«, heißt es bei uns. Die meisten Leute vergessen meinen Namen gleich, ich habe mir antrainiert, das ganz rational zu sehen. Warum sollten sie sich auch meinen Namen merken? Ich habe keinen großen Eindruck im Leben dieser Leute hinterlassen. Immerhin begrüßt mich Julia Roberts mit »Hello, my favourite GPS-Voice!« Weil ich in einer Szene mal die Stimme ihres Navigationssystems gesprochen habe.
Kommt Ihnen nicht manchmal Ihr Ego in die Quere?
Wenn es sehr ausgeprägt wäre, hätte ich diesen Job längst geschmissen. Aber ich nehme ihn ernst. Viele Stand-ins bringen einen Stuhl mit ans Set, oder sie lesen in einer Ecke. Das lässt sie faul aussehen. Ich nutze den Leerlauf lieber, um Kontakte zu knüpfen. Oft ergattere ich mir auf diesem Weg noch eine kleine Rolle.
Zum Beispiel?
In Der Krieg des Charlie Wilson spiele ich Partygast Nummer drei. Unter der Regie von Mike Nichols, der Klassiker wie Die Reifeprüfung inszeniert hat. Es gab zwar keinen Dialog für mich, aber es war ein echter Part mit Vertrag. Als ich am Morgen meines Drehtags zu den Paramount-Studios fuhr, sah ich im Rückspiegel meines Jeeps das Hollywood-Zeichen und war glücklich. Ich fuhr auf den offiziellen Schauspielerparkplatz und ging in meinen Trailer. Dort hing meine Kleidung, vorbereitet auf einem Ständer mit meinem Namen, und ich bekam mein Mittagessen lange vor den Statisten serviert.
Wenn Sie das Spielen so glücklich macht, warum arbeiten Sie immer noch als Lichtdouble?
Lange war es so verlockend für mich, weil ich permanent Aufträge bekam. Das Telefon klingelte, ich hatte den Eindruck, die Leute wollen mich. Ich war gut beschäftigt. Als Stand-in verdient man besser als ein Komparse, 154 Dollar für acht Stunden Arbeit. Ein paar Jahre lang sagte ich mir: Was soll’s, dann arbeite ich eben nur als Stand-in. Warum in einer bescheuerten Soap mitspielen, wenn ich in Rom mit Ron Howard arbeiten kann? Kurz vor meinem 40. Geburtstag packte mich doch noch mal der Ehrgeiz. Ich hatte so viel Geld für Schauspielunterricht ausgegeben und wurde immer öfter eifersüchtig: Das könnte ich genauso gut spielen. Das hätte meine Rolle sein können. Warum hat sie dieser talentfreie Amigo?
Vermutlich, weil er nebenbei nicht als Stand-in arbeitet?
Richtig, einmal Stand-in, immer Stand-in. Es ist nicht einfach, den Sprung zurück ins Schauspielfach zu schaffen. Die unterste Hollywood-Kaste ist allerdings die eines »Has been« – jemand, der mal ein Star war und in die Bedeutungslosigkeit abgerutscht ist. Ich muss jetzt erst mal an meiner Bedeutung arbeiten. Deshalb nehme ich keine weiteren Jobs als Stand-in an. Nein zu sagen ist weitaus schwerer als Ja zu sagen.
Bleiben Sie standhaft?
Sicher. Nur bei Tom Hanks nicht.
Fotos: Frank Griebe