Die Bilder stammen von Michel Comte und sind der Biografie Michael Schumacher. Die offizielle und autorisierte Inside-Story zum Karriere-Ende entnommen, die in der Süddeutsche Zeitung Edition erschienen ist. Den Band können Sie in der SZ-Mediathek für 24 Euro 90 bestellen.
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SZ-Magazin: Herr Schumacher, wie fühlen Sie sich nach den ersten Tagen im Ruhestand?
Michael Schumacher: Gut, vielen Dank! Ich kann nicht klagen.
Sie haben im neuen Film Asterix bei den Olympischen Spielen eine Rolle übernommen. Sind Sie ein guter Schauspieler? Nein. Ein Schauspieler muss in andere Charaktere schlüpfen können, ich tue mich da schwer, ich spiele lieber mich selbst: einen Rennfahrer. Der bin ich nun mal.
Rennfahrer bei Asterix? Ja, im Streitwagen. Vier statt 800 PS, Zügel statt Lenkrad. Es war vielleicht das letzte Mal in meinem Leben, dass ich ein Rennen gefahren bin.
Sie hätten ja nicht aufhören müssen. Aber ich wollte aufhören, weil fahren, nur um zu fahren, absolut nicht mein Ding ist. Ich habe mit Corinna gesprochen und später mit Willi Weber, meinem Manager, und mit Jean Todt. Jean sagte: »Michael, bleib erst mal ruhig. Es wäre falsch, überstürzt zu entscheiden.« Er hat versucht meine Entscheidung zu verzögern, er hat wohl insgeheim gehofft, mich umzustimmen. Aber Runde für Runde habe ich mich vom Leben als Rennfahrer verabschiedet. Ich habe mich zum ersten Mal in meiner Karriere selbst gefragt: Warum tust du dir das eigentlich noch an? Warum investierst du so viel Zeit in die Arbeit, wenn du doch lieber zu Hause bei deiner Familie wärst?
Also: warum? Das hört sich jetzt banal an, aber das Formel-1-Fahren war für mich eine reine Spaßquelle, ein wahr gewordener Kindheitstraum: vier Räder, ein Lenkrad, der Zweikampf auf der Strecke. Die Formel 1 war für mich auch das Ausleben einer Faszination, die tief in meiner Kindheit verwurzelt ist.
Sie gelten noch immer als der beste Fahrer. Vielleicht. Aber gerade bei Testfahrten wurde mir immer mehr bewusst, dass ich im Prinzip die Stunden bis zum Ende meiner Laufbahn herunterzähle. Die Rennen selbst machten immer noch Spaß, aber zur konzentrierten Arbeit auf den Teststrecken musste ich mich zwingen. Ich hatte nicht mehr diese absolute mentale Kraft, die mich früher zu Höchstleistungen trieb. Der Aufwand, den man betreiben muss, um ganz oben zu sein, ist immens. Dafür braucht es absolute Motivation, ohne jeglichen Zweifel.
Hatten Sie am Ende auch Angst? Angst ist das falsche Wort. Wir reden von Risiko, aber mit so etwas, mit solchen Sorgen, muss ich mich nicht mehr auseinandersetzen. Das hat sich erledigt. Ich merke jetzt schon, dass ich endlich loslassen kann. Dass ich mich für den Sport nicht permanent mit mir selbst auseinandersetzen muss.
Der Basketballspieler Michael Jordan antwortete auf die Frage, was ihm nach seinem Rücktritt fehle, immer wieder: »Mit den Jungs auf dem Feld zu stehen, Pässe zu spielen, den Ball zu versenken, diese Gemeinschaft werde ich nie wieder so intensiv spüren.« Was wird Ihnen am meisten fehlen? Ich denke, ich brauche dafür Zeit, das zu erkennen. Michael Jordan war kurz nach Ende seiner Karriere bestimmt auch einfach nur erleichtert.
Sie sind also nur glücklich, mit dem ganzen Zirkus nichts mehr zu tun zu haben? Ja, ich bin glücklich. Deshalb mache ich mir auch keine Gedanken, was aus mir wird. Ich will zwar jetzt keinen Bauch ansetzen und dick werden. Aber ich freue mich darauf, einmal keine Verpflichtungen mehr zu haben. Zum ersten Mal nach mehr als zwanzig Jahren.
Ihnen ist also noch nicht klar, was in vier oder sechs Monaten sein wird? Ich will gar nicht, dass mir irgendetwas klar ist. Ich möchte bewusst in eine Art Loch fallen, um mal zu schauen, wie sich das anfühlt. Ich kenne diese Empfindung ja nicht. Irgendwann wird sicher auch der Punkt kommen, an dem ich mich zum ersten Mal im Leben langweile. Und darauf freue ich mich irgendwie. Das wird der Punkt sein, wo ich mir was Neues suchen werde.
Michael Jordan ist zweimal von seinem Rücktritt zurückgetreten. Mag sein. Ich würde jedenfalls nicht zurücktreten, wenn ich schon wieder über den Einstieg nachdenken würde. Außerdem kann man Basketball und Formel 1 nicht miteinander ver-gleichen. Bei uns geht es ja nicht nur um körperliche Fitness. Die Formel 1 verändert sich ständig: die Technik, die Motoren, die Regeln, die Pisten. Wenn du da einmal raus bist, bist du raus.
Wenn der Tag im Leben kommt, an dem etwas endet, was in der Kindheit begann – ist das nicht ein bewegender Augenblick? Nicht, wenn man von vornherein weiß, dass einem dieser Moment bevorsteht.
Sie sprechen über Ihr Karriere-Ende ganz ohne Pathos. Als ginge es um eine geschäftliche Angelegenheit. Ich könnte Ihnen jetzt erzählen, wie wir uns in Monza verabschiedetet haben, mein Team und ich, und alle feuchte Augen hatten. Ist es das, was Sie hören wollen?
War es denn so in Monza? Ja, das waren sehr anrührende Momente, die ich niemals vergessen werde. Trotzdem: Meine Entscheidung war richtig. Außerdem habe ich immer gesagt, wenn ein Junger kommt, der mir um die Ohren fährt, dann ist es Zeit aufzuhören.
Und ist der gekommen? Na ja, nicht wirklich … Andere Dinge sind mir mit der Zeit wichtiger geworden als die Formel 1.
Waren Sie denn mit Ihrer Leistung in dieser Saison zufrieden? Jein. Ein paar Fehler wie zum Beispiel bei meinem Ausrutscher in Melbourne habe ich schon gemacht. Oder in Budapest, wo ich drei Runden vor Schluss mit Heidfeld zusammengestoßen bin.
Sie geben Fehler zu? Angeblich können Sie das doch nicht. Angeblich.
Was haben Sie im vorletzten Rennen gedacht? Sie stehen mit Motorschaden im Dreck und Fernando Alonso fährt an Ihnen vorbei zur Weltmeisterschaft. Darauf habe ich gar nicht geachtet. Ich wollte retten, was zu retten ist. Lösungen finden. Darum geht es, immer. Erst als der weiße Rauch aus dem Heck quoll, war klar: Hier gibt es keine Lösung mehr. Auto kaputt. Zehn Punkte und Meisterschaft weg. Das wars. Schade.
War Alonso der bessere Fahrer oder nur der glücklichere? Ich würde nicht behaupten der glücklichere. So eine lange Saison ist keine Momentaufnahme. Ob er besser war? Ich denke, er hat sich den Titel zumindest verdient. Denn im Prinzip haben wir die Meisterschaft Anfang des Jahres verloren, weil wir da nicht konkurrenzfähig waren.
Wer am Ende gewinnt, ist nun mal der Bessere, oder etwa nicht? Viele Fahrer haben sehr viel Talent und können es nicht umsetzen. Trainingsweltmeister halt. Sie machen dann im entscheidenden Moment irgendwelche Dummheiten oder haben Pech. Ich würde behaupten, Alonso oder ich haben in solchen Momenten auch viel Glück gehabt. Ich habe zum Beispiel von klein auf die richtigen Leute zum richtigen Zeitpunkt getroffen. Das war ein Segen.
Sie waren als Jugendlicher oft in Europa unterwegs, mit Menschen, die Ihre Leidenschaft »Kartfahren« finanziert haben, weil Ihr Vater Rolf nicht genug Geld hatte. Sie haben diese Leute auch mal als »schwierige Charaktere« bezeichnet. War das eine harte Zeit? Es hat sicherlich Momente gegeben, in denen ich nicht unbedingt glücklich war. In denen ich Kompromisse schließen musste, die mir nicht gefallen haben. Aber das war sehr lehrreich und das hat mir mit Sicherheit auch sehr gutgetan.
Was heißt es für einen ehrgeizigen Jungen: einen Kompromiss schließen? Ich bin damals im Kart für verschiedene Leute gefahren, die mir Material zur Verfügung gestellt haben, das ich niemals hätte bezahlen können. Insofern habe ich von ihnen profitiert. Andererseits war es natürlich immer so, dass das beste Material für die zahlenden Kunden reserviert war. Ich bekam oft zweitklassiges Material, Motoren zum Beispiel. Das war zwar einerseits verständlich, andererseits war ich natürlich oft damit nicht einverstanden. Ich habe mich aber zurückgehalten. Mir blieb auch nichts anderes übrig.
Hat Sie die finanzielle Abhängigkeit gestört oder gar gedemütigt? Nein, ich wusste ja, was für einen Pakt ich geschlossen hatte: Ich war fürs Fahren und Gewinnen engagiert worden.
Welche Erfahrungen, die Sie dabei gesammelt haben, prägten Sie auch als Mensch? Es gab oft Situationen, die mir nicht behagten, in denen ich anderer Meinung war. Aber in einer solchen Situation lernst du automatisch, dir selbst Fragen zu stellen: Wie weit gehe ich? Wie weit kann ich gehen?
Wie weit sind Sie gegangen? Nie so weit, dass es heftigen Streit gegeben hätte. Ich war ja abhängig von der Situation, das darf man nicht vergessen. Als ich etwa 17 war, lebte ich für mehr als ein Jahr bei Herrn Neubert zu Hause in Darmstadt. Das hat mir die Familie angeboten, ich durfte dort leben, er hat mir eine Lehrstelle besorgt. Dafür bin ich natürlich dankbar, aber es gab eben auch Momente, da musste ich mir auf die Zunge beißen.
Interessant, dass Sie Ihre ehemaligen Förderer nicht beim Vornamen nennen. Sie sagen »Herr Neubert«. Ist Herr Neubert immer noch eine Person, zu der Sie ein distanziertes Verhältnis haben, obwohl Sie lange bei ihm zu Hause gewohnt haben? Wenn ich mit jemandem über lange Jahre per Sie war, existiert für mich eine Barriere. Das ist eine Respektsperson. Wenn er möchte, kann er mir das Du anbieten, aber ich würde jetzt nicht von mir aus hingehen und Herrn Neubert duzen, nur weil ich der Schumacher bin.
Das ist ein Zeichen von … Erziehung! Mein Vater hat da sehr viel Wert darauf gelegt. Auch meine Kinder werden das lernen. Außer Herrn Neubert gab es da ja auch andere, zum Beispiel Herrn Bergmeister, Herrn Brandes. Oder Jürgen Dilk. Ihm habe ich sehr viel zu verdanken, sowohl im Gokart als auch später in den ersten Formel-Klassen, aber als er mir eines Tages das Du anbot, habe ich mich sehr schwergetan, ihn Jürgen zu nennen. Es hat lange gedauert, bis ich das tatsächlich verinnerlicht hatte. Diese Ehrfurcht vor Respektspersonen konnte ich nicht ohne Weiteres ablegen. Das ist heute nicht viel anders.
Haben Sie bei anderen diesen Respekt manchmal vermisst? Eher eine gesunde Balance im Umgang – und die ist mir wichtig. Ein Beispiel: Zu meiner Anfangszeit, als ich noch im Sportwagen für Mercedes unterwegs war, lauteten die Schlagzeilen bereits »Jahrhunderttalent« oder »kommender Superstar«. Ich wurde total überbewertet, ich hatte damals ja noch gar nichts erreicht. Ich war nur ein kleiner Junge aus Kerpen. »Jubelt mich nicht so hoch!«, habe ich den Journalisten immer wieder gesagt, »denn wenns schiefgeht, möchte ich nicht so tief fallen.« Ich habe versucht, mit den Medien zu reden, einen Ausgleich zu schaffen. Aber ich habe damals noch nicht verstanden, wie das Geschäft läuft. Ich war zu gutmütig, zu leichtgläubig – und irgendwann dann der Trottel.
Sie waren zu naiv? Ich war jung und unerfahren. Es war tatsächlich naiv zu glauben, ich könnte mit Argumenten und etwas gutem Willen bestimmte Menschen überzeugen, die Wahrheit zu schreiben. Das funktionierte nicht. Ich habe irgendwann festgestellt, dass ich mit der Situation einfach überfordert bin. Ich habe mir dann sogar die Frage gestellt: Kannst du nicht ein bisschen lockerer sein – und manchmal nur so tun als ob? Kannst du nicht ein bisschen schauspielern?
Zu Beginn des Gesprächs sagten Sie, Sie seien kein guter Schauspieler. Ja. Ich kann vieles, aber das überhaupt nicht.
Sie haben also überlegt, ob Sie sich für die Medien verbiegen sollten? Eine Zeitlang schon. Ich habe versucht zu lächeln, wenns mir schlecht ging. Zu nicken, wenn ich anderer Meinung war. Wenn eine Situation unangenehm wurde, habe ich mir nichts anmerken lassen. Ich war nicht ich. Irgendwann wurde mir klar: Das hältst du so nie durch. Das schaffst du nicht.
Haben Sie deshalb ein gespaltenes Verhältnis zu Kameras? Wenn Kameras auf mich gerichtet werden, läuft meistens der Ton mit, das Gespräch wird also aufgezeichnet. Wenn ich aber ein privates Gespräch führe, empfinde ich es als selbstverständlich, dass das privat bleibt. Das ist der Hauptgrund. Außerdem fühle ich mich nicht gern beobachtet.
Wann kam der Moment, in dem Ihnen klar wurde: Ich will mich nicht verbiegen? Es gab da keinen konkreten Moment. Es war ein langer Weg und die Erkenntnis entstand beim Gehen. Meine Erfolge haben mir dabei geholfen, denn dadurch bekam ich auch von der Medienseite die Akzeptanz, die mir zuvor gefehlt hatte. Ich wurde souveräner, gelöster, weniger ängstlich. Ich denke, beide Seiten haben sich entwickelt und einen Kompromiss gefunden.
Aber Sie haben bis zuletzt polarisiert. Was, glauben Sie, wird den Menschen von Michael Schumacher in Erinnerung bleiben? Es fällt mir sehr schwer, mich selbst zu beschreiben. Ich will das auch gar nicht. Das können andere meistens besser. Viel hängt davon ab, wie gut man mich kennt. Ich höre immer wieder, dass Menschen, die mit mir sprechen, ein anderes Bild von mir bekommen, angenehm überrascht sind. Im direkten Kontakt bin ich logischerweise viel offener und lockerer als zum Beispiel bei Pressekonferenzen, wo …
… Sie sehr zugeknöpft wirken. Zielgerichtet. Hoch konzentriert. In dem Moment spreche ich über meinen Beruf, da bin ich gedanklich in der Formel-1-Welt. Menschen, die mich nur so kennen, glauben, mich gibts nicht anders.
Der frühere Bundeskanzler Gerhard Schröder schreibt in seiner Biografie über seinen »Hunger«. Auch er stammt aus kleinen Verhältnissen, für ihn war der körperliche Hunger der Antrieb, da rauszukommen. Daraus erwuchs dann eine Art Machthunger, ein unbedingter Siegeswille. War Ihre Herkunft eine gute Voraussetzung, um den Weg nach oben zu gehen, um disziplinierter zu sein als andere? Ich kann Schröders Hunger gut nachvollziehen. Natürlich nicht in körperlicher Hinsicht. Man muss hungrig sein, um seine Ziele zu erreichen. Aber auch ich bin in sehr bodenständigen Verhältnissen aufgewachsen und habe mich in eine Welt manövriert, die mit Bodenständigkeit nicht mehr viel zu tun hat.
So wachsen Ihre Kinder nun auf. Corinna und ich, wir achten darauf, dass unsere Kinder nicht in einer abgehobenen Welt groß werden. Wir versuchen natürlich, ihnen unter die Arme zu greifen, aber wir wollen auch, dass ihnen bewusst wird: Im Leben muss man etwas leisten, um erfolgreich zu sein.
Aber die Welt, in der Sie leben, ist doch nicht die des Otto Normalverbrauchers. Sie könnten Ihren Kindern jeden finanziellen Wunsch erfüllen. Im Grunde genommen müssten Sie ihnen gegenüber eine künstliche Situation der Bescheidenheit erzeugen. Es gibt kein Patentrezept für eine gute Erziehung. Das hat mir mein Vater mit auf den Weg gegeben. Man muss nach bestem Wissen und Gewissen versuchen, seine Kinder an die Hand zu nehmen. Ich bin während meiner Karriere weitgehend normal geblieben und habe mir die elterliche Bodenständigkeit zu großen Teilen erhalten. Natürlich behauptet nahezu jeder Vater von sich, ein zumindest halbwegs guter Vater zu sein. Ich habe mich immer wieder gefragt, wie gehst du damit um, worauf musst du achten? Jetzt sage ich: Es spielt keine Rolle, ob die Kinder in eine arme oder reiche Familie geboren werden, das ist zweitrangig. Viel wichtiger ist die Zeit, die man mit den Kindern verbringt. Wie man sie verbringt, auf welcher Ebene und mit welcher Qualität.
Jetzt merkt man Ihnen an, dass Sie von einer Herzensangelegenheit sprechen. Das stimmt. Unsere Kinder haben sicherlich viel mehr Spielsachen als viele andere, oder als wir jemals gehabt haben. Das ist aber unwichtig. Das merke ich immer dann, wenn wir etwas zusammen unternehmen. Dann werden die Spielsachen ganz schnell nebensächlich. Oder wenn ich sehe, wie viel Spaß speziell unsere Tochter mit den Pferden hat.
Haustiere als Erziehungsmethode? Es ist sehr interessant zu beobachten, welche Persönlichkeitsentwicklung meine Tochter Gina durch die Pferde gemacht hat. Tiere sind Gold wert, denn man muss für sie ein Gefühl entwickeln, viel Zeit investieren, lernen, eine Beziehung aufzubauen, Verantwortung zu übernehmen. Tiere wissen nicht, dass der Papa ein berühmter Rennfahrer ist. Einem Pferd ist das ziemlich egal. Vielleicht haben wir deshalb so viele Pferde.
Wie viele sind es denn? Auf der Ranch sind alle 26 Boxen voll, acht davon mit unseren Pferden.
Auf Ihrem neuen Anwesen in Gland am Genfer See? Nein, ich spreche von Corinnas Ranch in einem Nachbarort. Die Leute glauben immer, Corinna sitze zu Hause und warte auf mich. Ganz so ist das aber nicht. Corinna ist längst eine erfolgreiche Unternehmerin geworden. Man weiß ja, dass sie eine begeisterte Westernreiterin ist. Sie betreibt seit einiger Zeit eine hochmoderne Anlage, die modernste in der Schweiz. Wie sie das managt und wie sie die Leute auswählt, finde ich mehr als beachtenswert. Zum Beispiel hat sie den Australier Martin Larcombe als Trainer gewonnen, der nach einer Pause gerade wieder Weltmeister wurde.
Helfen Sie da in Zukunft mit? Wenn sie will, fahre ich auch mal den Pferdetransporter. Aber Turniere reiten, das ist vorerst nicht geplant.
Herr Schumacher, es zeichnet Sie aus, dass Sie früheren Weggefährten gegenüber immer loyal geblieben sind. Es findet sich kaum jemand, der sich über Sie beschweren würde. Mein Umfeld war und ist mir sehr wichtig. Und jetzt kommen wir wieder auf den Punkt zurück, den ich zuvor versucht habe zu erklären: Menschen, die mich von Pressekonferenzen und aus den Medien kennen, haben ein ganz anderes Bild von mir, als jene, die mich persönlich kennengelernt haben. Weil ich jedem, den ich nicht kenne, eine gesunde Skepsis entgegenbringe. So habe ich auch eine Wand gebaut, die zwischen mir und den anderen steht und kaum jemanden an mich ranlässt. Eine hohe Mauer, hinter der ich mich verschanze.
Ihr Schutzwall schirmt Sie nicht nur nach außen von anderen ab, er hält Sie ebenso gefangen. Das ist ein interessanter Punkt. Denn meine Skepsis hat auch Nachteile, die mir durchaus bewusst sind. Ich werde in meinem Leben wahrscheinlich kaum jemanden kennenlernen, der in mir nicht zuerst den Rennfahrer Schumacher sieht, jene Person, deren Berühmtheit über mich hinausstrahlt. Das ist schade, klar. Aber der entscheidende Vorteil ist, dass ich mich bisher durch meine Mauer vor besonderen Missgeschicken oder Vertrauensbrüchen schützen konnte.
Haben Sie Ihrem Manager Willi Weber von Anfang an vertraut? Willi Weber war für mich ein Unbekannter. Er hat mir eines Tages ein verlockendes Angebot gemacht, das ich nicht ablehnen konnte: Nach der ersten Testfahrt sagte er: »Junge, hier ist der Vertrag. Zwei Jahre fährst du Formel 3, ich stelle das Auto, kümmere mich um die Reparaturen, du kriegst auch noch ein bisschen Taschengeld. Und wenn etwas aus dir wird, manage ich dich.« Das war innerhalb von wenigen Stunden besprochen und auch unterschrieben.
Wo war da Ihre Skepsis? Sie dürfen nicht vergessen: Auch für Willi war das ein Risiko. Mit mir hätte alles Mögliche passieren können: ein Unfall und ich wäre weg vom Fenster gewesen. Das hat mein Misstrauen also nicht beeinflusst. Das war schon in Ordnung so. Schließlich hat er mich als Werksfahrer zu Mercedes gebracht. Mittlerweile sind wir längst Freunde.
Deutschland hoffte, Sie würden eines Tages wieder für Mercedes im Silberpfeil fahren und gewinnen. Warum hat das nie geklappt? Es hat tatsächlich mehrere Gespräche und Treffen mit McLaren-Mercedes gegeben, zum Beispiel 1995 in Monte Carlo. Aber ich habe gemerkt, dass wir nicht wirklich zueinanderpassen.
Zu Mercedes oder zu den Engländern von McLaren? Zu McLaren, oder ehrlich gesagt, zu McLaren-Chef Ron Dennis. Mit Mercedes lief alles ganz gut, wir hätten sicherlich einen Weg gefunden.
Können Sie das erläutern? Ron Dennis hatte eine andere Auffassung davon als ich, wie ein Formel-1-Team funktionieren soll.
Sie haben die Nummer eins beansprucht. Ich habe sie nie gefordert, weder vertraglich noch mündlich, in meiner gesamten Karriere nicht. Meine Auffassung ist die: Zu Saisonstart erhalten beide Fahrer das gleiche Material, sind in jeder Hinsicht gleichberechtigt. Aber bald wird klar, dass ein Fahrer schneller ist als der andere. Dann muss ihn das Team unterstützen.
Sie meinen, Sie sind immer schneller gewesen als der andere. Ja, das meine ich. Nicht in jeder Situation, da spielt manchmal auch der Zufall eine Rolle – aber wenn der zweite Fahrer nur um seines Ego willen einen Grand Prix gewinnen will, während der erste um die WM kämpft, würde ich das als unsinnig betrachten. Warum? Weil das Ziel eines Teams immer darin bestehen muss, am Ende des Jahres vorn zu stehen. Dafür arbeitet jeder hart, diesem Ziel wird alles untergeordnet. Die Formel 1 ist kein Kindergeburtstag.
Erinnern Sie sich noch an Ayrton Sennas Worte, nachdem Sie ihm 1992 beim französischen Grand Prix ins Heck fuhren? Schon. Aber ich glaube nicht, dass Sie das wissen. Das weiß bis heute niemand außer mir.
Das Zitat ist überliefert: »Schumacher ist ein dummer Junge.« Ich würde das jetzt mal als Bild-Schlagzeile abtun.
Hat er das also nicht gesagt? Mag sein, dass er das zu irgendjemand gesagt hat. Aber nicht zu mir.
Was hat er tatsächlich gesagt? Er meinte: »Pass mal auf: Es ist passiert, was passiert ist. Okay. Aber im Gegensatz zu dir komme ich jetzt persönlich und sage, dass du da Scheiße gebaut hast. Ich geh nicht zur Presse und verbreite das über die Medien.«
Was hatten Sie denn über die Medien verbreitet? Ein paar Rennen zuvor hatte er sich aus mir nicht nachvollziehbaren Gründen unfair verhalten. Und nach dem Rennen habe ich mich darüber aufgeregt. An den genauen Wortlaut erinnere ich mich jetzt nicht mehr. Aber er fand das nicht so toll, vor allem, weil ich damals immer noch der Grünschnabel der Formel 1 war.
Der große Ayrton Senna kam zu Ihnen und sagte: »Kleiner, so nicht!«? Das hat er oft gemacht. Damals hatten wir keinen guten Draht zueinander.
Wollte er Sie erziehen? Das war für mich kein Lehrstück, das war eine typische Formel-1-Theaterveranstaltung, wie sie zu Sennas Zeiten üblich war. Was unser Verhältnis viel mehr geprägt hat, ist, dass wir ab 1994 auf einmal viel besser miteinander klarkamen.
Sie hatten sich seinen Respekt erworben? Irgendwann haben wir miteinander gesprochen, wie das Rennfahrer tun sollten: kollegial und offen. Senna gehörte eben einer Fahrergeneration an, die anders getickt hat. Da existierte eine unsichtbare Hackordnung, der sich jeder Neue fügen musste. Den Respekt der Älteren konnte man sich erst auf der Strecke erarbeiten, erfahren.
Wo liegen denn die Unterschiede zwischen seiner und Ihrer Generation? Ich erzähle Ihnen ein Beispiel aus der großen Senna-Zeit, eine im Prinzip unwichtige Testfahrt in Hockenheim: Ich bin auf einer schnellen Runde und Senna fährt gerade an die Box. Er fährt langsam in eine Kurve, guckt in den Rückspiegel, sieht mich – und gibt auf der Geraden plötzlich Vollgas. Was soll ich machen? Ich bremse erst, aber verhungere dann dahinter, weil ich nicht an ihm vorbeikomme. Nächste Kurve, gleiches Spiel. Dann fährt Senna gemütlich in die Box, hat mir aber damit eine Runde kaputt gemacht. Kurze Zeit später: Der gleiche Mist noch mal. Wieder bin ich hinter ihm, wieder in einer schnellen Runde, wieder schaut Senna in den Rückspiegel, wieder ist er in der Kurve langsam und gibt dann auf der Geraden Gas. Ich bin zwar cool geblieben, aber natürlich nervt das und macht einem das ganze Testprogramm kaputt. Wie auch immer: Im Laufe desselben Tages bietet sich mir die gleiche Situation. Ich vorn, Senna hinten. Und was mache ich?
So wie wir Sie in Erinnerung haben: Sie fahren die Kurve langsam und geben dann Gas. Richtig. Aber Senna hat das nicht vertragen. Er bricht seine Runde ab und fährt mir sofort in die Box nach. Er springt aus seinem Auto und mir an den Hals. Da gibt es tolle Fotos.
Wurde das Spielchen zwischen dem alten Senna und dem jungen Schumacher auch mal gefährlich? Es gab immer wieder Situationen, die hart an der Grenze waren. Einmal sind wir gemeinsam mit Vollgas in eine Kurve, ziemlich dicht hintereinander sogar. Plötzlich geht Ayrton vom Gas und biegt erst sehr spät in die Box ab. Ich wusste nicht mehr, wohin ich ausweichen sollte, und bin beinahe in die Mauer gefahren. Das waren so sinnlose Scharmützel, die sich Senna, aber auch Alain Prost, Nigel Mansell oder auch Gerhard Berger oft geleistet haben. Nach dem Motto: »Hör mal, Kleiner! Wir sind hier die Chefs.«
Wurde damals jeder junge Fahrer von den Älteren so behandelt wie Sie oder hat man in Ihnen nur den ungleich gefährlicheren Konkurrenten gesehen? Wenn ich Gerhard Bergers Äußerungen glauben darf, war dieses Verhalten vor allem auf mich gemünzt. Gemocht hat mich zunächst keiner von denen. Ich sei arrogant, sagten sie, weil ich mich über jene Aktionen immer beschwert habe. Das hat den Großen damals natürlich gar nicht gepasst. Mittlerweile pflege ich aber eine gute Freundschaft mit Berger.
Haben Sie später junge Fahrer auch so behandelt? Nein, ich behandelte stets alle gleich. Für mich existiert auf der Rennstrecke ein Ehrenkodex. Hart, aber fair. Dass die gestandenen Fahrer den jungen auf solche Art zeigen, wo es langgeht, das gibt es heute nicht mehr. Wenn aber doch mal was passiert, treffen wir uns danach beim Fahrermeeting und diskutieren darüber.
Wurden Sie bei diesen Meetings nicht am meisten angegriffen? Von Jacques Villeneuve zum Beispiel? Ach, in den Meetings waren Villeneuve und andere dann oft plötzlich ganz still. Außerdem: Wenn mich meine direkten Rivalen angreifen, dann kann ich nicht so viel falsch gemacht haben.
War es kein Fehler, Jacques Villeneuve 1997 beim WM-Finale zu rammen? Wenn es eine Situation in meiner Karriere gäbe, die ich ungeschehen machen könnte, wäre es diese.
Herr Schumacher, haben Sie während all der Jahre auch nur eine Sekunde überlegt, mit dem Rennfahren aufzuhören? Ja. Und nicht nur eine Sekunde lang. Das war 1994, als Ayrton Senna beim Großen Preis von San Marino ums Leben kam.
Welche Gedanken gingen Ihnen damals durch den Kopf? Ich war im Motorsport zu der Zeit schon zwanzig Jahre unterwegs, hatte aber nie irgendwelche schlimmen Erlebnisse gehabt. An jenem Wochenende starb nicht nur Senna, sondern auch Roland Ratzenberger. Ich habe mich sehr intensiv mit dem Tod der beiden auseinandergesetzt und mich gefragt, was mir die Formel 1 und der Rennsport noch bedeuten können. Auch deshalb bin ich damals nicht zu Ayrtons Beerdigung gefahren, sondern zum Testen. Ich musste wissen, ob ich weiterfahren kann, ob mir das Ganze überhaupt noch Freude macht. Außerdem wollte ich nicht öffentlich trauern, alle hätten nur auf meine Tränen gewartet. Ich war später allein an Ayrtons Grab. Mit Corinna.
Sie sind weitergefahren. Also konnten Sie die Angst vor dem Tod verdrängen. In gewisser Weise schon. Solche Unfälle gehörten für mich eigentlich der Vergangenheit an. Zu Niki Laudas Zeiten Formel 1 zu fahren glich noch einem Roulettespiel. Damals waren die Autos, wenn man so will, noch aus Pappe.
Absolute Sicherheit gibt es in der For-mel 1 nicht. Sie hatten selbst einen schweren Unfall, 1999 in Silverstone. Kam da die Angst vor dem Tod zurück? Als ich meinen Fuß auf das Bremspedal setzte, merkte ich sofort, dass das nicht gut ausgehen würde. Es gibt angenehmere Gefühle, als mit Tempo 120 und ohne Bremsen auf einen Reifenstapel zuzurasen. Nach dem Unfall habe ich sofort versucht, aus dem Auto auszusteigen, aber es ging nicht. Ich bekam meine Beine nicht aus dem Cockpit. Eine Stange hatte sich in das Chassis hineingebohrt und mir mein Bein gebrochen. Ich wollte raus, aber es ging nicht. Ich hatte ja bereits zuvor einige Unfälle, ein paar davon waren auch ziemlich heftig, aber bis Silverstone war mir dabei noch nie etwas passiert.
Und dann? Ich lag da, hörte meinen eigenen Herzschlag und der wurde immer leiser und leiser und leiser – es war wie in Zeitlupe: Bumbum-Bumbum-bum – und plötzlich war der Herzschlag weg und ich auch.
Dachten Sie, Sie würden sterben? Ich habe dagelegen, besser gesagt, ich lag neben mir, alles um mich herum war dunkel. Ich habe die Helfer und den Arzt sprechen hören, aber alles wurde leiser. Dazu der nachlassende Herzschlag. Ich hatte Angst. Ich dachte tatsächlich: Jetzt gehts dahin.
Sie tragen ein großes Kreuz um den Hals. Schmuck.
Glauben Sie nicht an Gott? Doch. Aber auf meine Art, nicht wie es die Kirche vorschreibt. Nur so viel: Es gibt da einen, der mich lenkt.
Sechs Wochen nach seinem Horrorcrash stieg Niki Lauda 1976 am Nürburgring wieder ins Cockpit. Doch beim letzten Rennen in jener Saison stellte er sein Auto bei strömendem Regen ab, weil er sich nicht mehr sicher fühlte. Waren Sie je kurz davor, Ihr Auto aus Sicherheitsgründen abzustellen? Nein, aber gerade bei starkem Regen war mir das Fahren schon mal nicht geheuer, weil man kaum etwas sieht. Das Visier ist voller Tropfen, früher war es dazu oft noch innen beschlagen, man fuhr praktisch blind. Deshalb bin ich eigentlich nie wirklich gern im Regen gefahren.
Erstaunlich, dabei gelten Sie doch als Regenkönig. Letzten Endes bin ich – und setzen Sie das bitte in Anführungszeichen – auch auf trockenem Terrain »erfolgreicher« gefahren als meine Kollegen. Aber es stimmt schon: Im Regen musst du sensibler, feinfühliger fahren. Der Unterschied zwischen den Fahrern wird stärker sichtbar. Du hast einfach weniger Kontrolle über den Wagen, und sobald es Aquaplaning gibt, fliegst du ab – und das wars.
Zu Benetton-Zeiten hat man Ihnen häufig Unkorrektheiten vorgeworfen. Daraus entstand das Schummel-Schumi-Image. Zum Beispiel 1994 in Silverstone: Die schwarze Flagge, Zeichen der Disqualifikation, ignorierten Sie. Sie verloren später dadurch Ihren zweiten Platz und wurden sogar für zwei Rennen gesperrt. Moment mal! Ich habe diese schwarze Flagge nicht ignoriert. Ich habe sie gar nicht gesehen. Und ich sage ja auch nicht, dass ich damals keine Fehler gemacht habe, nur handelte die FIA ebenfalls nicht fehlerlos. Und ich konnte nicht verstehen, warum ausgerechnet ich der Sündenbock sein sollte.
Aber in den Regeln des Automobilweltverbandes FIA steht, dass … Ach, die Regeln! Es war damals in der Formel 1 völlig normal, in der Einführungsrunde zwischendurch mal vorzufahren und sich dann wieder zurückfallen zu lassen. Und wenn, dann wäre die übliche Strafe eine Versetzung ans Ende des Feldes gewesen. Aber auch das ist nicht passiert.
Man merkt, wie wütend Sie das immer noch macht. Ja, natürlich! Mein Empfinden damals war: Es war alles inszeniert und ich sollte der böse Bube sein. Wir hatten einen großen Vorsprung in der WM, diese Bestrafung kam vielen gelegen. Da hat sich ein regelrechter Trend gegen uns entwickelt. Die Art und Weise, wie Flavio Briatore damit umging, hat wohl auch nicht unbedingt geholfen. Da schwimmst du dann gegen den Strom, der ist so stark, da kannst du noch so viel Kraft haben, da kannst du sagen, was du willst, das interessiert niemanden. Mit dem zeitlichen Abstand muss ich allerdings sagen, dass man da später anders draufschaut, nicht mehr nur die eigene Seite sieht. Das wird vielleicht Fernando Alonso später auch mal so gehen.
Wie meinen Sie das? Ich meine die Situation in Monza in diesem Jahr. Als er sich zu Unrecht bestraft fühlte von der FIA, als er ein Komplott gegen sich vermutete. Ich hatte da sehr viel Verständnis für ihn und konnte seine Reaktion nachvollziehen, weil ich mich in das Jahr 1994 zurückversetzt fühlte. Das habe ich ihm auch nach dem Rennen in Monza gesagt, als wir uns später auf dem Genfer Flughafen trafen.
Sie stehen im Ruf, ein echter Teamspieler zu sein. Könnten Sie aus dem Stegreif fünf Ihrer Mechaniker bei Ferrari nennen und jeweils ihren Geburtstag? Da muss ich Sie enttäuschen. Bei knapp tausend Leuten, die bei uns arbeiten, klappt das nicht mehr.
Als Sie zu Ferrari kamen, war das – salopp gesagt – ein wilder Haufen, der seit mehr als zwanzig Jahren kein konkurrenzfähiges Auto gebaut hatte. Das ist nicht richtig.
Aber Ferrari hatte seit mehr als zwanzig Jahren keinen Titel mehr gewonnen. Das stimmt. Aber als ich zum ersten Mal im 1995er-Auto saß, beim ersten Test in Estoril, fühlte ich sofort, dass man da viel, viel mehr hätte rausholen können. Wir sind mit diesem Auto Zeiten gefahren, die im Verhältnis viel besser waren als jene mit dem Benetton-Weltmeisterauto zwei Monate zuvor auf gleicher Strecke im Zeittraining. Und dabei hatten wir natürlich noch mehr Benzin an Bord.
Mit anderen Worten: Ferrari hatte zwanzig Jahre lang miese Rennfahrer? Ich weiß nicht, ob man das auf die Fahrer schieben kann. Ich habe schnell erkannt, wo uns bestimmte Dinge fehlen. Das Kuriose war aber: Das wusste der Ferrari-Ingenieur auch schon, nur hat er sich schwergetan, es umzusetzen. Er brauchte jemanden, der ihm ein bisschen unter die Arme greift. In der Hinsicht war ich schon wichtig für die Entwicklung bei Ferrari. Ich hatte als Doppelweltmeister das Standing und die richtigen Argumente. Deshalb hatte mich Ferrari ja auch eingekauft.
Wenn Sie sich jetzt vorstellen, dass Sie in einigen Jahren in einem Lehnstuhl sitzen und Ihre Enkel kommen zu Ihnen und sagen: Du Opa, ich hab gehört, du warst ein großer Sportstar, der Größte vielleicht. Aber erklär uns mal, warum hat man dich in Deutschland immer respektiert, aber nie wirklich geliebt? Was antworten Sie dann? Ich glaube, dass derjenige, der sehr oft Zweiter wird, eher Liebe geschenkt bekommt als der ewige Siegertyp. Und dann kommt noch hinzu, dass ich über viele Jahre gemauert und mich abgeschirmt habe. Rennsportfans hatten nie wirklich die Chance zu erkennen, wer denn dieser Schumacher in Wirklichkeit ist.
Wollten Sie von Ihren Landsleuten mehr geliebt werden? Wer will das nicht? Natürlich, ja.
Ihr Image hat sich geändert, nachdem Sie im Jahr 2000 in Monza öffentlich weinten. Dieses Erlebnis markiert genau das, was mich immer zurückschrecken ließ, meine Gefühle offen zu zeigen. Die Reaktionen auf meinen Weinkrampf irritierten mich derart, da wollte ich lieber wieder hinter meine Schutzmauer.
Nachdem Sie die Senna-Marke von 41 Grand-Prix-Siegen im Jahr 2000 einstellten und bei der anschließenden Pressekonferenz heulten, lautete eine Schlagzeile: »Der Roboter weint, weil er ein Mensch geworden ist!« Das ist doch schizophren! Ich soll vorher ein Roboter gewesen sein, und nachdem ich geweint habe, schreibt ein Journalist, ich sei zum Menschen geworden. Bin ich denn nur ein Mensch, weil ich heule? Was war ich denn vorher? Das ist doch grotesk!
Sie haben vorletztes Jahr zehn Millionen US-Dollar für die Opfer der Flutkatastrophe in Südostasien gespendet und wurden dennoch in Deutschland dafür kritisiert. Hat Sie das überrascht? Ich war zu der Zeit im Urlaub und habe das nicht mitbekommen. Außerdem spenden Corinna und ich, weil wir notleidenden Menschen helfen wollen. Meine Asterix-Gage kommt zum Beispiel dem ICM, dem Institut für Hirn- und Rückenmarkskrankheiten, zugute, das ich gemeinsam mit Jean Todt in Paris unterstütze.
International ist die Kritik an Ihrer Person oft um einiges sachlicher gewesen als in Deutschland. Worauf führen Sie das zurück? Das hat damit zu tun, dass der erfolgreiche Sportler im eigenen Land immer viel kritischer beurteilt wird. Nehmen Sie nur das Beispiel Fernando Alonso: Wenn man sich gewisse Kommentare von spanischen Journalisten über ihn anhört, staunt man nicht schlecht. Er ist der jüngste Doppelweltmeister aller Zeiten und die sind unzufrieden mit ihm. Sie schreiben, er sei arrogant, unnahbar und zeige seine Gefühle nicht. Das erinnert mich an etwas.
Gibt es noch Orte, wo Sie Michael Schumacher sein können, ohne der Rennfahrer Schumacher zu sein? Einen Ort gibt es: bei uns zu Hause in der Schweiz. Da darf ich in Ruhe leben. Sonst eigentlich nirgends mehr. Ich war sogar mal in Patagonien, am Ende der Welt. Corinna und ich bei den Pinguinen. Und was passiert? Eine ADAC-Reisegesellschaft biegt um die Ecke …
Wenn Sie nach einem aufwühlenden Rennwochenende mit all den Eindrücken nach Hause gekommen sind, hatten Sie da bestimmte Techniken oder Methoden, die es Ihnen ermöglichten, wieder auf Normalmaß zu schrumpfen? Was meinen Sie?
Zum Beispiel Yoga. Ich habe einiges ausprobiert, mentales Training und so, weil ich wissen wollte, ob es mir für meinen Sport was bringt. Aber ich bin von Natur aus ein sehr ausgeglichener Mensch. Ich brauche so was nicht. Und seitdem die Kinder da sind, kreist mein Leben hauptsächlich um sie. Da brauche ich keine Hilfsmittel, um abzuschalten. Das geht in dem Moment, in dem ich nach Hause komme und meine Kinder sehe, automatisch.
Ihre Kinder Gina und Mick sind neun und sieben Jahre alt. Sie schützen sie sehr gewissenhaft vor der Öffentlichkeit. Hatten die beiden nie das Bedürfnis, ihren Vater bei der Arbeit zu sehen? Sie haben schon manchmal nachgefragt: »Papa, können wir nicht mitkommen?« Aber das war nicht so ohne Weiteres möglich. Das Leben ist kein Wunschkonzert. Erst recht nicht mein Leben.
Verstehen das Ihre Kinder? Es ist schwer, das einem Kind zu erklären. Wenn ich sie zu einem Rennen mitnehmen würde, könnte ich sie nicht beschützen. Denn ich bin sicher, dass einige Kollegen von Ihnen nichts unversucht lassen würden, um meine Kindern zu fotografieren. Aber meine Kinder haben mit der Welt der Formel 1 nichts zu tun. Es sind Kinder und keine Fotomodels.
Gibt es ein Wertesystem, das Sie Ihren Kindern vermitteln? Familie bedeutet Corinna und mir sehr viel. Wir wollen, dass unsere Kinder die Familie als Institution in Ehren halten, weil sie es ist, die einem Halt gibt im Leben. Gerade wenn es mal schlecht läuft. Unsere Kinder sollen wissen, dass sie sich immer auf uns verlassen können.
Sie sind der große Bruder von Ralf. Sie haben ihm – auch wenn er und Sie das nicht zugeben wollen – ein »besseres«, weil sorgenfreieres Leben beschert. Glauben Sie, er ist Ihnen dafür dankbar? Ein sorgenfreieres Leben? Ralf sieht das bestimmt anders.
Sie erwarten keine Dankbarkeit von ihm? Nein. In dem Moment, als ich schon erfolgreich in der Formel 1 fuhr, haben sich für ihn neue Möglichkeiten ergeben. Das bedeutet aber nicht zwangsläufig, dass er es als Fahrer in der Formel 1 einfacher hatte als ich. Ralf musste andere Hindernisse überwinden, zum Beispiel die Erwartungen, an denen er gemessen wurde. Er konnte auch nicht ganz so locker an die Sache herangehen. Es war sicher schwerer für ihn als für mich.
Meinen Sie das ernst? Natürlich kann man argumentieren, dass ich ihm zusammen mit Willi Weber den Weg geebnet, ihn unterstützt habe. Aber letztlich musste er sich immer selbst beweisen und sich seinen Kritikern stellen.
Hat Sie das nicht verletzt, als Ralf auf die Frage nach Ihrem Karriere-Ende antwortete: »Ein schneller Fahrer weniger.« Es hätte mich verletzt, wenn ich nicht wüsste, dass mein Bruder manchmal im Reden schneller ist als im Denken. Ich kenne ihn gut genug, um zu wissen, wie er es wirklich meint.
Haben Sie schon mal darüber nachgedacht, wie es wäre, der kleine Bruder des besten Rennfahrers aller Zeiten zu sein? Ich habe mich sogar sehr oft damit auseinandergesetzt. Das entschuldigt auch manches. Ralf und ich haben früher sehr viel Zeit miteinander verbracht. Es war schön. Seitdem jeder seine eigene Familie hat, sehen wir uns selten. Jeder schaut eben, dass es seiner Familie gutgeht. Das ist auch normal.
Herr Schumacher, Sie haben mit Ihren Erfolgen den Motorsport in Deutschland wieder salonfähig gemacht. Was haben Sie verändert? Ich bin mir schon im Klaren darüber, dass ich für die Entwicklung des Motorsports etwas getan habe, dass der Sport salonfähiger wurde, dass sich durch meine Erfolge ein Gokart-Boom ergeben hat und sehr viele Nachwuchsklassen entstanden sind. Das macht mich schon ein bisschen stolz, gerade weil mir der Kart-Sport noch immer sehr am Herzen liegt.
Anfang der Neunzigerjahre wurde noch heftig über Benzinverbrauch und Tempolimits debattiert. Denken Sie über so etwas nach? Vielleicht stoße ich ja jetzt auf so manchen Widerspruch, aber geschwindigkeitsfreies Fahren sollten wir uns in Deutschland erhalten. Ich vertrete nach wie vor die Ansicht, dass Tempolimits die Anzahl der Verkehrsunfälle nicht minimieren. Ich kenne die Unfallstatistiken unserer Nachbarländer zwar nicht, aber ich wage zu bezweifeln, dass sie ungleich niedriger sind als die in Deutschland. Denn Tempolimits verringern in meinen Augen die Aufmerksamkeit der Autofahrer. Wenn der Verkehr nur noch träge fließt, sind die Teilnehmer versucht, weniger wachsam zu sein.
Wenn Sie auf Ihre Karriere zurückblicken, an welchen Moment denken Sie als Erstes? Japan, 2000. Die Ziellinie. Ich fahre drüber und bin endlich Weltmeister mit Ferrari. Wäre es 2000 wieder schiefgegangen, wer weiß, was aus mir geworden wäre! Vielleicht wäre ich nur Doppelweltmeister und einer von vielen geblieben. Wer weiß das schon.
Jetzt sind Sie siebenmaliger Weltmeister und treten ab. Als erfolgreichster Formel-1-Fahrer aller Zeiten – was steht am Ende dieser Karriere? Da fällt mir ein Satz ein, den klaue ich von der Fußball-Weltmeisterschaft in Deutschland: »Danke für die geile Zeit.«
Wo sind Sie beim ersten Rennen der nächsten Saison? Sicher nicht an der Strecke. Wo dann? Wahrscheinlich zu Hause. Da gehöre ich jetzt hin.
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Was Schumachers Weggefährten über ihn sagen
Eine Karriere in Zahlen