Seit Helen Mirren vor ein paar Jahren die Queen gespielt hat (und dafür den Oscar bekam), tut sie alles, um das züchtige Image wieder loszuwerden: Bei der legendären Comedyshow "Saturday Night Live" ließ sie zwei Fotos von sich einblenden, eines zeigte sie im sexy roten Bikini, in dem sie ein Paparazzo im Urlaub abgeschossen hatte, auf dem anderen lag sie runzlig und nackt in einer Badewanne. »Ich wurde zwar zur Dame des Britischen Empires ernannt«, sagt sie, »aber ich rauche Zigarren und habe Tattoos!«
Das Interview mit Helen Mirren findet in einer Suite im »Four Seasons Hotel« in Beverly Hills statt. Sie trägt ein eng anliegendes, graues Kleid, dazu extrem hochhackige, glänzende Satinpumps. Nicht vergessen: Die Frau ist 65! Irgendeine Assistentin schenkt Tee ein. Über die Beschaffenheit des Tees haben vorher bereits fünf Personen mehrere ernste Telefonate geführt. Die Queen ist sie nicht, aber eines kann Helen Mirren nicht leugnen: Sie ist Britin.
Helen Mirren: Oohhh nein! Sie haben mir heiße Milch gegeben! Also ehrlich, was ist bloß mit den Amerikanern los?
SZ-Magazin: Haben natürlich keine Ahnung, wie man britischen Tee macht. Als ich vor 25 Jahren nach Los Angeles zog, habe ich jeden Abend geweint.
Wegen des Milchtees?
Nein. In Los Angeles spricht man die gleiche Sprache wie in England, aber die Kultur und der Stil sind ganz anders. Mein Mann und ich sind beide keine Beverly-Hills-Typen. Wir gehen lieber zum Mexikaner als auf den Rodeo Drive, trotzdem bin ich wegen meines Mannes nach Los Angeles gezogen. Die ersten Jahre waren sehr schwierig für mich. Niemand kannte mich. Ich war nicht auf Hollywoods C-Liste, ich war auf der Y-Liste, und alle verfügbaren Rollen gingen an Schauspielerinnen, die einen Namen hatten.
Klingt absurd, wenn man bedenkt, dass Sie gerade Ihre Hand- und Fußabdrücke auf dem Walk of Fame verewigt haben.
Das hat viele Jahre gedauert. Als ich Anfang zwanzig war, prophezeite mir ein Wahrsager, dass ich großen Erfolg haben werde, aber erst mit Ende vierzig, und genau so war es. Als er das sagte, war ich erst enttäuscht, aber dann dachte ich: Okay, entspann dich und mach, was dir Spaß macht.
Und so konnten Sie den steinigen Anfang in Hollywood wegstecken?
Na ja, am Anfang bin ich zum Filmen immer nach Großbritannien zurück. Als Taylor (der Regisseur Taylor Hackford, Anm. d. Red.) mich das erste Mal auf eine Hollywood-Party mitnahm, war die Tätowierung auf meiner Hand ein großes Manko. Ich log, ich hätte sie im Gefängnis bekommen, und alle waren entsetzt, dass ein erfolgreicher Filmregisseur wie Taylor Hackford sich mit so einem Wesen einließ. Heute hat jeder ein Tattoo, damals war es ein Skandal. Das liegt lange zurück. Los Angeles ist internationaler und feiner geworden. Damals war es ein Kaff.
Wie kam es zu dem Tattoo?
Ach, ich habe mich mal in einen Indianer verliebt. Wir waren mit einer indianischen Theatertruppe unterwegs und wurden zu einem Powwow auf einem Reservat eingeladen, eine große Ehre für eine Nicht-Indianerin. Da wurde viel getrunken, und nach einigen Brandys hat mir eine Indianerin das Tattoo auf die linke Hand geritzt – das indianische Zeichen für Gleichheit. Es tat unglaublich weh, und ich dachte, ich werde ohnmächtig. Ich habe es nie wegmachen lassen, weil es mich daran erinnert, dass ich mal ein böses Mädchen war.
In Ihrem aktuellen Film Arthur ist es Ihr Job, als Kindermädchen das wilde Leben eines exzentrischen Milliardärssöhnchens in ruhige Bahnen zu lenken. Sie selbst wollten nie Kinder?
Ich habe nicht die geringsten Mutterinstinkte. Ich liebe Kinder, ich finde sie lustig und inspirierend, und ich halte Eltern, die ihre Freiheit für das Glück ihrer Kinder opfern, für die Helden unserer Gesellschaft. Trotzdem, selbst wollte ich nie welche.
Jetzt haben Sie trotzdem zwei Stiefsöhne. Wie gut kommen Sie denn mit Alex und Rio zurecht, den beiden Söhnen Ihres Mannes, die er mit in Ihre Ehe gebracht hat?
Rio, der Älteste, war 15, als ich einzog. Ich hatte null Erfahrung mit Kindern, aber die beiden waren großartig. Taylor hatte sich für mich von seiner Frau getrennt, und mein Erscheinen war für die beiden mit viel Schmerz verbunden. Aber sie haben mich willkommen geheißen, und wir haben viel voneinander gelernt. Dabei sind wir sehr verschieden. Ich bin ein Arbeiterkind, die beiden sind in Hollywood aufgewachsen, glauben Sie mir, das merkt man. Ich liebe die beiden, und je älter ich werde, desto mehr wird mir klar, dass Familie das Wichtigste im Leben ist.
Sie selbst sagten immer, Sie sehen keinen Sinn im Heiraten.
Weil ich nie wirklich verstanden habe, warum die Menschen heiraten. Wenn man heiratet, um sich danach scheiden zu lassen, ist das schrecklich. Nicht, dass ich ein moralisches Problem mit Scheidung habe, aber oft kämpfen sich Leute nicht durch ihre Schwierigkeiten, um dann gestärkt da rauszukommen, sondern sie geraten in stürmisches Fahrwasser und geben auf. Außerdem heiraten viele Frauen doch nur, weil sie das Kleid wollen und die Party und die Torte. Sie wollen für einen Tag im Mittelpunkt stehen, es ist so traurig. Der Traum dauert einen Tag, danach müssen sie ihr ganzes Leben mit dem Typen verbringen.
Warum haben Sie Ihren Mann nach 14 Jahren Beziehung trotzdem geheiratet?
Also, wegen des Kleids bestimmt nicht. Als Schauspielerin habe ich das Glück, ständig Traumkleider zu tragen. Mein Hochzeitsjackett war von der Stange und um siebzig Prozent reduziert. Wir haben geheiratet, weil es geholfen hat, unsere Familien zusammenzuschweißen. Das hat funktioniert. Seine Söhne, meine Stiefschwester, meine Nichten und Neffen – heute gehören wir alle zusammen, und alles nur wegen dieser Hochzeit.
Was lieben Sie an ihm?
1985 war er mein Regisseur in Weiße Nächte, aber wenn mir damals jemand gesagt hätte, er sei der Mann meines Lebens, hätte ich ihn ausgelacht. Er ist der unsexistischste Mann, den ich kenne. Er ist nicht neidisch auf meinen Erfolg, unterstützt mich und lässt mir große Freiheiten. Er ist auch explosiv, irrational und konfrontativ, das war neu für mich, ich gehe Konflikten lieber aus dem Weg, aber wir haben uns zusammengerauft, und nach 14 Jahren gab es einfach keinen Grund mehr, nicht zu heiraten.
»Unsexistischst« ist ein interessantes Wort. Sie gehören zu den wenigen Feministinnen, die es sich leisten können, sich vor der Kamera ständig auszuziehen.
Ständig? In Arthur bin ich ziemlich hochgeschlossen unterwegs.
Ihr Schauspielkollege Russell Brand hat trotzdem gesagt, dass er Sie für sexy hält.
Und ich ihn. Vor fünf Jahren war ich komplett Russell-frei, jetzt bin ich Russell-abhängig. Bei den Dreharbeiten zu Arthur habe ich ihn dabei erwischt, wie er meine Büstenhalter in der Garderobe befingert hat, und ich habe mich damit gerächt, dass ich eine seiner Unterhosen gestohlen habe.
In Ihrer letzten Dankesrede haben Sie gesagt …
… dass wir den 18- bis 25-jährigen Penis nicht so verehren sollten. Der ist nämlich recht klein. Aber das Filmbusiness ist eine sexistische Angelegenheit. Es tut weh, Kolleginnen zu sehen, die brillant sind und nicht einmal die Möglichkeit haben, sich vor der Kamera ihren Lebensunterhalt zu verdienen.
Wen oder was sollen wir stattdessen verehren?
Die Vielfalt und Komplexität des Lebens. Es ärgert mich, dass viele männliche Kollegen, die nicht so genial sind, ein nettes Auskommen haben und sich der Tatsache nicht einmal bewusst sind, dass sie einen Vorteil haben. Es geht mir ebenfalls auf die Nerven, dass ich immer gefragt werde, wie ich es schaffe, in meinem Alter noch so gut auszusehen.
Also wir haben nichts gesagt.
Jaja, aber damit übt man auf uns Frauen noch mehr Druck aus, und damit will ich nichts zu tun haben. Ich bin nicht schön, ich werfe mich nur gern in Schale. Ob ich gut aussehe, ist doch total unwichtig. Warum zum Teufel muss man mit 65 noch sexy sein? Man muss zufrieden, glücklich und gesund sein, das ist alles. Frauen werden unterschätzt und unterbewertet.
Aber Sie doch nicht!
Nicht mehr. Ich habe Glück gehabt, doch es geht ja nicht nur um mich, sondern auch um andere Frauen. Bei Arthur bestand das komplette Filmteam aus Frauen. Das war spannend. Und wenn die europäischen Staatslenker zusammenkommen und die Hälfte sind Frauen, nicht nur Angela Merkel, dann hat sich etwas geändert.
Wie stark haben Ihre Eltern Sie beeinflusst – die feministische Mutter und der linksliberale Vater?
Als ich jung war, zwanzig oder dreißig, hat es mich stark beeinflusst. Als Theaterschauspielerin bei der Royal Shakespeare Company habe ich nach einer Macbeth-Inszenierung gegen die Verschwendung der Kostüme protestiert, das hat sogar mal das britische Parlament beschäftigt, aber man wächst aus solchen Dingen raus, wird objektiver – das Denken verändert sich.
Zeitweise waren Sie schon sehr politisch.
Nicht wirklich. Ich war immer sehr misstrauisch Politikern gegenüber. Ich weiß, dass Menschen für das Wahlrecht gekämpft haben, aber ich finde es wirklich schwierig, diese Politiker zu wählen. Einmal habe ich in England für die Grünen gestimmt, ich fand sie mutig und notwendig, aber das ist lange her.
Haben Sie die feministische Ader von Ihrer Mutter?
Ja, absolut. Die Ironie der Geschichte ist, dass sie nie gearbeitet hat. Sie war Hausfrau. Da sie aus der Arbeiterklasse stammte, schien es ihr erstrebenswert, nicht zu arbeiten – das war für sie ein Aufstieg. Aber sie hat mich dazu erzogen, finanziell immer unabhängig zu sein.
Als Sie am Theater gegen die Verschwendung bei den Kostümen protestierten, haben Sie das auch deshalb gemacht, weil Sie wissen, wie viel Arbeit in handgenähter Kleidung steckt?
Ich habe sogar die alte Singer-Nähmaschine meiner Mutter aufgehoben, eine mit Tretpedalen, und nehme sie auch her. Meine Mutter hat damit all unsere Kleider genäht. Sie war zwar nicht die beste Schneiderin, aber viel Geld hatten wir nicht. Es war die Zeit, ehe man überall billige Kleidung kaufen konnte.
Was haben Sie zuletzt selbst genäht?
Einen Morgenmantel aus Leinen. Es ist wirklich schwierig, einen schönen Morgenmantel zu finden.
Helen Mirren, 1945 in London geboren, hieß eigentlich Elena Vasilievna Mironova - ihr Großvater war Mitglied der russischen Militäraristokratie. Trotzdem wuchs sie im Arbeitermilieu auf, ihr Vater war Taxifahrer. Mirren hat drei Golden Globes gewonnen, außerdem - im Jahr 2007 - den Oscar für The Queen. Am 5. Mai läuft der Film Arthur an, in dem sie als Kindermädchen ein verwöhntes Milliardärssöhnchen zähmen muss.
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