SZ-Magazin: Sie entwerfen Haarschnitte und geben Schminktipps, mit denen man Gesichtserkennung austricksen kann. Wann wurden Sie zuletzt als paranoid bezeichnet?
Adam Harvey: Das ist lange her. Früher wurde mir in der Tat Verfolgungswahn vorgeworfen, weil ich mich ständig beobachtet gefühlt habe. Aber heute weiß jeder: Wir können kaum einen Schritt in der Öffentlichkeit tun, der nicht von Kameras aufgenommen, analysiert und irgendwo gespeichert wird.
Was stört Sie daran?
Dass man der Beobachtung völlig ausgeliefert ist. Ich wohne in New York, da gibt es Überwachungskameras an jeder Ecke. Aber keiner sagt mir, wer diese Bilder sehen kann und was mit ihnen passiert. Oder denken Sie an die Millionen Menschen, die Partybilder ins Internet stellen. Facebook kann diese Bilder längst nach Gesichtern durchsuchen, ohne dass ich das will. Dagegen muss man sich wehren!
Wie wehrt man sich gegen Überwachung?
Mein Vorschlag, sich mit Make-up zu maskieren, ist eine Mischung aus Protest und Kunst. Aber die Grundidee ist einfach: Man muss sich so verhalten, dass Computer einen nicht erkennen können. Bilder werden kaum noch von Menschen ausgewertet, sondern von Rechnern. Und die kann man überlisten.
Wie?
Computer können nicht selber denken, sondern nur Dinge verarbeiten, für die sie programmiert sind. Für Gesichtserkennung werden sie also mit Merkmalen gefüttert, die typisch für Gesichter sind: ovale Form, Abstand zwischen Augen und Ohren, die Symmetrie von Nase und Mund. Also versuche ich diese Eigenschaften mit Make-up oder Frisuren zu verändern.
Und so sollen Leute dann auf Partys gehen oder U-Bahn fahren?
Warum denn nicht? Es sieht doch faszinierend aus, ein bisschen wie aus einen Science-Fiction-Film.
Wie viel Aufwand steckt hinter einem solchen Aussehen?
Sehr viel – allein das Schminken und Frisieren dauert drei Stunden. Jede Haarsträhne ist genau durchdacht. Und es ist paradox: Make-up soll ja eigentlich Aufmerksamkeit erregen. Bei mir ist es umgekehrt. Je besser ich arbeite, desto unsichtbarer wird die geschminkte Person.
Woher wissen Sie, dass die Maskerade wirklich funktioniert?
Ich habe mir Programme besorgt, die Fotos automatisch nach Gesichtern durchsuchen. Eine ähnliche Software kommt auch bei Facebook oder Google zum Einsatz. Und damit habe ich so lange herumprobiert, bis die Bilder nicht mehr als Gesichter erkannt wurden. Das ist natürlich kompliziert, aber ich habe mit der Zeit einige Tricks gelernt, die oft funktionieren.
Welche Tricks sind das?
Zum Beispiel die Nasenwurzel zu überdecken. Oder möglichst verwirrende Linien durch das Gesicht ziehen – sei es mit dem Schminkstift oder einem ungeraden Pony.
Kann man nicht einfach Sonnenbrille und Hut tragen?
Nein, die Programme werden immer besser und würden Sie trotzdem erkennen. Sie müssten schon eine Maske tragen – aber das ist in der Öffentlichkeit teilweise verboten, bei Demonstrationen zum Beispiel. Immerhin die Haare darf man tragen, wie man will. Also verstößt mein Styling nicht gegen die Regeln.
Hat sich schon mal jemand über Ihr Projekt beschwert – immerhin sabotieren Sie ja die Technik mächtiger Firmen?
Im Gegenteil – bei einer Konferenz sagte ein Hersteller von Überwachungstechnik zu mir: Auch wenn Sie es vielleicht nicht wollen – Sie helfen uns, unsere Software zu verbessern, weil Sie zeigen, wo unser System Fehler macht. So trage ich dazu bei, dass der Überwachungsstaat effektiver wird. Keine schöne Vorstellung. Wenn es um das Recht auf Privatsphäre geht, sehe ich mich eher auf der Seite von Edward Snowden.
Welchen Tipp würden Sie ihm geben, damit er unerkannt reisen kann?
Snowden sollte sich die Haare wachsen lassen, am besten mit einer Strähne, die Teile der Augen verdeckt. Und einen dicken Schal über Hals und Kinn tragen. So ist sein Gesicht weniger oval. Auch eine normale Lesebrille kann helfen, weil Sie das Licht reflektiert. Aber selbst wenn Computer an ihm scheitern – er ist so bekannt, dass ihn andere Menschen erkennen würden. Und dagegen ist mein Make-up leider machtlos.
Fotos: Adam Harvey