Es kann jeden Mitarbeiter treffen. Dann reißt einen morgens nicht das Weckerklingeln aus dem Schlaf, sondern die Frage: Warum, bitte schön, präsentiert die heutige Style-Beilage der London Times die 18 coolsten Sonnenbrillen, aber von uns ist keine mit dabei? Oder: Wieso schmelzen die Pralinen für »Armani Dolci« seit zehn Tagen im Zoll von Shanghai? Wer für, neben, hinter oder unter Giorgio Armani arbeitet, der muss gelegentlich schlaftrunken nach einer Antwort grübeln, auch wenn der Boss längst wieder aufgelegt hat, um sich von seinem Privattrainer durch Dehnübungen jagen zu lassen. Wer ein Imperium führt, der vergeudet keine Zeit.
Das Forbes-Magazin platziert Giorgio Armani auf Platz 116 der reichsten Menschen der Welt. Analysten schätzen sein Vermögen auf 4,6 Milliarden Dollar, er selbst beziffert den Wert seines Unternehmens auf fünf Milliarden Euro. Der Name Armani ist fast so bekannt wie Coca-Cola, Armani ist – 21 000 Menschen in 42 Ländern haben gerade darüber in einer Online-Umfrage abgestimmt – das begehrenswerteste Modelabel der Welt. Wer nun wissen will, wie das geschehen konnte, der bekommt von guten alten, ewig währenden Tugenden zu hören. Wenn Giorgio Armani über seine Arbeit spricht, fallen zwei Worte immer wieder: Disziplin und Ausdauer. Und das in einer Branche, die das Alte und Ewige mit Inbrunst verabscheut und sich lieber an leicht vergänglichen Tugenden wie der Schönheit erwärmt. Der Alleinherrscher über ein Unternehmen, das einen Jahresumsatz von 1,4 Milliarden Euro macht, rund 5000 Menschen beschäftigt und Produkte in 37 Ländern verkauft, hat sein Leben mit geradezu militärischer Strenge organisiert. »Ich war schon dreißig, als ich meine Karriere begann. Ich hatte also immer das Gefühl, etwas nachholen zu müssen.« Armani verkörpert den traditionellen italienischen Unternehmergeist, er ist Padre Padrone. Hart gegen sich selbst, hart gegen andere, aber auch fürsorglich und väterlich – das ist sein Ruf in der Branche. Was nicht klappt, regt ihn auf, er hasst Überraschungen, seine Ungeduld gegenüber Mitarbeitern ist ebenso bekannt wie seine Zurückhaltung, was Lob angeht. Gabriella Forte, jahrelang rechte Hand Armanis, drückt es so aus: »Es kann zwar passieren, dass Giorgio dir am Morgen sagt, du bräuchtest ein neues Lifting, aber niemals, dass er dich am Abend für deine Arbeit lobt.«
In der nicht nur feier-, sondern auch feuerfreudigen Mailänder Modeszene hält er ungewöhnlich lange an seinen Mitarbeitern fest. Am Ende des Jahres entscheidet er höchstpersönlich, welcher Angestellte sich einen Bonus verdient hat. Er quält niemanden mit kapriziösen Stimmungsschwankungen, und wenn er heute ein Schaufenster mit dem anthrazitfarbenen Anzug ausgestattet sehen will, dann wird das morgen immer noch so sein. Armani weiß, was er will und was nicht.
Was er verabscheut, sind zum Beispiel Partys. Abseits in einer Ecke stehen, bloß kein Small Talk und keine Hände schütteln – so kennt man Giorgio Armani, wenn er die Menschenmengen auf seinen Gala-Abenden an sich vorbeiziehen lässt. »Nicht dass mir die Leute auf die Nerven gehen«, versichert der unglückliche Gastgeber, »aber ich kenne sie nicht, also ziehe ich mich irgendwann zurück. Ich bin niemand, der sagt: Heute lasse ich es krachen, ich hab’s mir verdient. Am Ende solcher Abende frage ich mich immer: Womit, um Himmels willen, habe ich die letzten drei Stunden verbracht?«
Armani gehört zu jener aussterbenden Generation von Modemachern, denen es nicht reicht, zweimal pro Jahr den genialischen Modeschöpfer auf dem Laufsteg zu geben. Er habe, sagt er, sich »selbst immer als Angestellten betrachtet – nie als Designer oder Couturier«. Keine Geheimrezepte, sondern eine simple wie anti-modische Weisheit: »Es reicht, sich und seinem Stil treu zu bleiben.« Sogar wenn seine Sachen von Chanel inspiriert waren, meint er, sei am Ende doch immer Armani dabei herausgekommen.
Das Imperium, das sich Giorgio Armani aufgebaut hat, umfasst Möbel, Handtaschen, Fahrräder, Kinderkleidung, Blumen, Schokoladen, diverse Kleiderlinien. Vor zwei Jahren hatte seine »Privé«-Couture-Kollektion Premiere, mit einem in Dubai ansässigen Immobilienkonzern wurde eine Zusammenarbeit für den Bau und die Einrichtung von 14 Luxushotels vereinbart, bei den Mailänder Männerschauen im Juni präsentierte er eine Sneaker-Linie, mit der nächsten Herbst/Winter-Saison wird es eine maßgeschneiderte Herrenkollektion unter dem Namen Armani geben: Fatto a Mano su Misura. Eine derartige Bandbreite an Produkten klingt nach kreativem Tod und unkontrolliertem Wachstum à la Pierre Cardin, doch bei Armani funktionierte die Umwandlung einer Mode- in eine Lifestylemarke.
Er sei »sehr geradeaus«, antwortet Armani, wenn man ihn nach den Gründen für den Erfolg seiner vielen Marken fragt. »Ich entwerfe nur für meine Kunden. Es ist sinnlos, Kleider oder Accessoires anzubieten, die nicht praktisch sind.« In den letzten Jahren sei es zu einer Inflation von Luxusprodukten gekommen, klagt er: »Jede Saison eine neue In-Bag, lächerlich. Ein mit viel Geld und Werbung von den Konzernen aufgeblasenes System, das daran vorbeigeht, was die Leute wollen: weniger.« In Zeiten der Krise müssen die Menschen sich auf etwas verlassen können, und »eine Marke wie Armani verleiht Sicherheit und Orientierung«.
Armani versichert, persönlich neunzig Prozent dessen zu kontrollieren, was sein Haus verlässt – von der Luxuslinie Borgonuovo bis zu den Jeans und den Uhren. »Meine Mitarbeiter machen die Vorarbeit, aber immer gebe ich am Ende mein Okay. Deshalb ist mein Produkt begehrenswert geblieben.« Tatsächlich eint seine verschiedenen Linien ein stringentes Image. Armani ist Armani, kein Gemischtwarenladen: Mit Kleidern macht er 52 Prozent seines Umsatzes, das ist heutzutage enorm viel im Vergleich zu anderen Umsatzriesen. Armani ist auch nicht Christian Dior, wo ab und an ein billiger Lippenstift für Teenies im Sortiment mitläuft. Manche sagen, sogar die Blumen von Armani Fiori würden diese gewisse Eleganz und Kühle ausstrahlen. Wie er es schafft, dass seine unterschiedlichen Linien nicht verwässern? »Jede meiner Linien entsteht für einen ganz bestimmten Markt, und danach richten sich dann Preise, Look, Distribution und Lage der Geschäfte.«
Kein anderer Modemacher hat das Prinzip der Corporate Identity so verinnerlicht wie Armani. Er selbst ist Teil davon: Damit er mal nicht im üblichen Aufzug – blaues T-Shirt, schwarze Baumwollhose, weiße Turnschuhe – zu sehen ist, muss schon die Mailänder Scala nach mehrjähriger Renovierung mit einem Festakt öffnen. Wenn Giorgio und seine Clique zur Weihnachtszeit an den Stränden von St. Barth sonnenbaden, dann liegen alle auf den gleichen schwarzen Badetüchern. Armani bestimmt sogar, welche Musik seine Mitarbeiter in ihren Büros hören dürfen: Latin-Lover-Pop und mediterrane Balladen, Giorgios Lieblingsklänge eben, in Endlosschleifen abgespielt.
Armani gehört zu jenen wenigen Glücklichen, die ihre Zwangsneurose in ein Vermögen verwandeln können. »Es ist essenziell für mich, alles Überflüssige zu entfernen«, sagte er 1981, da war er gerade dabei, die Mode zu revolutionieren mit Anzügen, aus denen er alles Unnötige an Wattierung und Versteifung beseitigt hatte. »Alles muss eine Verwendung haben und in Harmonie mit seiner Umgebung bestehen.« Also entfernte er, weil er sie vulgär fand, auf seinem Grundstück auf der Ferieninsel Pantelleria sämtliche Hibiskuspflanzen. Die Crew an Bord seiner vierstöckigen Luxusyacht Mariù trägt einheitlich graue T-Shirts, Shorts und Sonnenbrillen, die Kajütenfenster des Schiffes sind rechteckig, nicht rund. Er ertrage die Unordnung nicht, das hat er immer wieder gesagt, sowohl die geistige als auch die physische.
Der Mann sieht für sein Alter blendend aus. Er habe seinen Körper mit 55 Jahren entdeckt, sagt er. »Damals kam ich von der Oscar-Verleihung nach Mailand zurück und sah mich im Fern-sehen: ein unschönes Dickerchen.« Seither absolviert er täglich anderthalb Stunden Gymnastik plus zweimal die Woche Schwimmen, denn: »Nichts ist schlimmer, als die Kontrolle über seinen Körper zu verlieren.«
Als er vor zwei Jahren eine achttägige Reise durch China absolvierte, tat er das im Stil eines nimmermüden Jünglings. Auf Jetlag, Geschäftseröffnungen und Botschaftsempfänge folgten Galadinner, Modenschauen, Fernsehauftritte um Mitternacht. Am letzten Tag, bei der Rückkehr nach Shanghai – der mitreisende Tross hält sich kaum noch auf den Beinen – hat Armani seinen Auftritt: Er springt aus der Ankunftshalle des Hongqiao-Flug-hafens hinein ins Blitzlichtgewitter und stellt sich in Pose, als wäre Ricky Martin sein älterer Bruder. Er gibt Autogramme, kurze Interviews, ob seines ungewohnt extrovertierten Benehmens wird er gefragt, ob er ein Popstar sein wolle. »Nein«, antwortet er, »aber die Jahre vergehen und ich versuche den Erfolg auszukosten, solange es noch geht.«
Armani wurde am 11. Juli 1934 geboren, er wuchs in den Kriegsjahren auf, und als die vorbei waren, »da hatten wir nicht viel. Es wurde getragen, was im Hause war.« Vater Ugo arbeitete als Speditionsmanager und Mutter Maria gab sich »immer große Mühe, auch mit wenigen Mitteln elegant auszusehen«. Dem kleinen Giorgio gelang das leider nicht: Er musste die Hosen seines Vaters auftragen, nachdem sein Bruder sie auch schon getragen hatte. »Seit-her leide ich fast schon körperlich unter mangelnder Perfektion.«
Ursprünglich wollte er Chirurg werden, doch nach fünf Semestern Medizin geht er zum Militär, aus Mangel an abgelegten Prüfungen und weil er kein Blut sehen kann. Die Mode fängt ihn nach einem Assistentenjob im Fotostudio des Mailänder Kaufhauses Rinascente. 1966 verliebt er sich in Sergio Galeotti, einen elf Jahre jüngeren Architekten. Armani ist damals 32 und er hat die perfekte Ergänzung gefunden: Giorgio entwirft, was bald die Mode umwälzen wird, Galeotti erledigt die Geschäfte. Gemeinsam gründen die beiden 1975 die Giorgio Armani S.p.A.
Erfolg, das ist der richtige Ort zur rechten Zeit, in diesem Fall: Anfang der Achtzigerjahre in Mailand. Italien hatte damals keinen Yves Saint Laurent und keine Haute Couture, dafür aber eine Textilindustrie von Weltformat und ambitionierte Stoff-Fabrikanten. Massiv unterstützten die nun ihre aufstrebenden Designer und lieferten die Strukturen für den Boom des italienischen Prêt-à-porter, der zur Industrie gewordenen Mode. Als Galeotti 1985 mit 41 Jahren an Aids starb, wurde aus Armani, dem stilista, plötzlich ein imprenditore, ein Unternehmer. »Ich habe große Erfolge nie in der Liebe gesucht«, sagt Armani rückblickend. »Meine Arbeit hat immer dominiert und vielleicht hat sie mich zu dem gemacht, der ich bin. Immer muss ich mir meiner Sache sicherer sein als andere, muss ich bereit sein, Entscheidungen zu fällen.« Dazu brauche er allerdings, hat er einmal beteuert, nie länger als fünf Minuten.
Als in den Neunzigern die Luxusgüterkonzerne wie LVMH oder Gucci ein Modelabel nach dem anderen kauften, blieb Armani scheinbar untätig, ein Typ von vorgestern und Liebhaber des vermeintlich überkommenen italienischen Familienmodells. Heute kann er mit Genugtuung auf die krisengeschüttelte Konkurrenz blicken und konstatieren, dass »bei Vuitton eigentlich bloß die Accessoires funktionieren, und auch bei Dior verkaufen sich die Kleider nicht«. Na gut, modische Avantgarde machen seit Jahren die anderen, doch es sind Armanis Umsätze, die auch in schlechten Zeiten wachsen, wachsen, wachsen: Der Gewinn stieg 2005 um 23 Prozent auf 155 Millionen Euro, der Umsatz um zehn Prozent auf 1,43 Milliarden Euro.
Die Weichen für seine Zukunft stellte Armani etwa 1999. Damals kaufte er Lizenzen zurück und Industriebetriebe auf, die seine Kollektionen hergestellt hatten. Sich aufs Wesentliche konzentrieren, das war sein Motto. Und kein Geld leihen. Er rühmt sich, noch nie einer Bank auch nur eine Lira oder einen Euro geschuldet zu haben, in den Neunzigern häufte er so viel Cash an, dass er jahrelang der italienische Steuerzahler Nummer eins war. Immer wieder verweist er stolz darauf, sein Unternehmen habe genügend Ressourcen, in ein organisches Wachstum zu investieren. Auch in diesem Jahr wird Armani – »um unabhängig bleiben zu können« – sagenhafte siebzig Prozent des Cashflow seiner Unternehmungen reinvestieren.
Armani steckt seine Nase in alle Bereiche seines Konzerns. Doch die Kunst des Delegierens beherrscht er nicht. Wenn er mal ein paar Tage im Urlaub oder auf Geschäftsreise in Shanghai weilt, dann läuft daheim gar nichts mehr. Dann wird sogar die Wahl eines Showrooms für eine völlig nebensächliche Pressepräsentation hinausgeschoben bis zur Rückkehr des Meisters. Was soll werden aus Armani, wenn Giorgio nicht mehr da ist?
Der Mann, der auf alles eine schnelle Antwort weiß, rätselt seit Jahren über der immer wichtiger werdenden Frage nach der Zukunft der Giorgio Armani S.p.A. Mal erzählt er Le Monde, dass er das Unternehmen komplett verkaufen wolle, weil er seiner Familie, also den beiden Nichten Roberta und Silvana, nicht die Last der Konzernführung aufbürden wolle. Mal zieht er einen Börsengang in Erwägung, dann wieder lehnt er ihn kategorisch ab. Als es hieß, er habe – à la Ralph Lauren – Interesse am Einstieg einer Bank bekundet, dementierte er postwendend: Wer wolle denn einen Fragen stellenden Banker in seinem Unternehmen haben? Mit Bernard Arnault von LVMH hat er auch schon verhandelt, das dann aber bereut: »Wenn mir jemand Geld geben und dann wieder verschwinden will, ist er willkommen. Aber ich werde niemals die Entscheidungsmacht über mein eigenes Unternehmen abgeben.«
Gelegentlich heißt es, er plane seinen Ausstieg für 2008: Dann werde er den kreativen Teil einem Team überlassen – oder besser doch einem fähigen Einzelkönner? Über mögliche Nachfolger wird viel spekuliert: Narciso Rodriguez, Gaultier, diese Namen sind gefallen, neuerdings ist öfter mal vom Schotten Graeme Black zu hören, einstiger Zögling Armanis und gerade in Diensten des Hauses Ferragamo. Wer blickt denn da noch durch? »Ich bin ein typischer Italiener«, wiegelt Armani ab, wenn man ihn auf frühere Aussagen zur Zukunft des Unternehmens festnageln will. »Ich sage einfach eine Menge Sachen.«
Der Mann will sich nicht trennen von seinem Lebenswerk, er ist geradezu kindisch verliebt in seinen Job und lässt es sich auch heute nicht nehmen, jeder noch so kleinen Anprobe beizuwohnen. »Ich kann nicht sagen, wann ich in Rente gehe«, meinte er neulich, »es könnte das Jahr 3000 werden.« Noch sei er keine lächerliche Figur, noch habe er sein Gesicht nicht liften, seine Haare nicht färben lassen. »Das Wort Pensionierung gehört nicht zu meinem Vokabular, Pensionierung ist wie der Tod. Und ich will nicht sterben.«