Die schlechte Nachricht zuerst: Das Comeback der Freiland-Tomate steht in Deutschland nicht unmittelbar bevor. Da gibt sich selbst ein Mann, den alle nur den Tomatenkaiser nennen, keiner Illusion hin. Zu günstig sind hochgezüchtete Hybridtomaten aus dem Gewächshaus, zu verführerisch ihre faltenlose Haut, glatt wie ein Babypopo, druckfest, transportfreundlich, zudem sind sie das ganze Jahr über verfügbar.
Die gute Nachricht: Man bekommt wieder häufiger die alten Ursorten, gelb, lila oder schwarz, oft verschrumpelt, aber immer mit mehr Geschmack. Man findet sie nicht im Supermarkt, sondern auf dem Bauernmarkt. Auch bei Direktimporteuren aus Frankreich, Italien oder Ungarn, wo Sterne-Köche wie Steffen Mezger vom »Bayerischen Hof« in München sich mit Ochsenherz eindecken. Oder man holt sie direkt vom Anbau, wie etwa beim Tomatenkaiser in Österreich. Der Tomatenkaiser heißt bürgerlich Erich Stekovics. Seinen Titel trägt er, weil er in Frauenkirchen im Burgenland 3200 unterschiedliche Tomatensorten anbaut und so viel über sie weiß, dass der Kaiser in Katar und Kuweit sogar als ständiger Berater der Emire verpflichtet wurde.
Seine Lieblingssorten verrät er nur mit Bedenken und der Mahnung zu äußerster Umsicht; kaum auszudenken, wenn sich alle Leute auf des Kaisers Geschmack verließen und auf eine einzige Sorte stürzten – »das würde der Sortenvielfalt nach der Globalisierung abermals schaden«.
Für Saucen rät Stekovics also zur murmelgroßen Gelben Johannisbeertomate, mit intensivem Haselnussgeschmack, oder zu Black Plum, einer pflaumengroßen Moskauer Sorte mit obstigem Geschmack, wenig Säure, sehr mehlig, was ohne langes Einkochen für eine gute Konsistenz von Saucen sorgt.
Für eine Suppe eignet sich besonders die Schlesische Himbeere, eine alte deutsche Sorte, am besten serviert in einer halbierten Yellow Stuffer, einer hohlen Tomate. Für den Salat: die Grüne Moldawische, groß, bis zu einem Pfund schwer, grünbraun gestreift; die Azochian Russian aus St. Petersburg mit leichtem Mangogeschmack; die Moskauer Sorte Paul Robeson, benannt nach einem afroamerikanischen Sänger, der in Moskau in den Siebzigerjahren ein Konzert gab.
(Lesen Sie auf der nächsten Seite: Die neuen alten Tomaten aus den Ursorten brauchen kuriose Geschichten, um gegen die Übermacht der billigen Hybridtomaten bestehen zu können.)
Schließlich Stekovics Empfehlung für den Eigenanbau auf einem bayerischen Balkon, im 20- bis 30-Liter-Kübel, ohne Stock, mit drei bis fünf Liter pro Woche nur mäßig gegossen: Gelbe Johannisbeertomaten oder Black Cherry oder Justinus Zuckersüß, eine alte deutsche Sorte, die saatgutrein bei den Amish People in den USA überlebte und von dort reimportiert wurde. Wie auch German Gold.
Das Geschäft mit den Tomaten ist allerdings hart umkämpft. Siebzig Prozent aller verarbeiteten Tomaten stammen inzwischen aus China, selbst wenn »Made in Italy« auf der Büchse oder Tube steht. Freiland-Tomaten sind viel teurer als Hybridtomaten, eine französische Andenhorn kostet gar 18 Euro pro Kilo und kann in Mitteleuropa erst ab August und auch nur bis zum ersten Frost geerntet werden.
Stekovics meint deshalb: Die neuen alten Tomaten aus den Ursorten brauchen kuriose Geschichten, um gegen die Übermacht der billigen Hybridtomaten aus dem Supermarkt bestehen zu können. Geschichten wie die der Russischen Reisetomate: Eine große Frucht aus mehreren kleinen Gebilden, die wie Knoblauchzehen aneinanderhängen.
Die Frucht soll früher als Reiseproviant in der Transsibirischen Eisenbahn gedient haben; die Reisenden konnten sich immer wieder eine Tomatenzehe herunterbrechen, ohne den Rest zu beschädigen. Stekovics weiß als gelernter Religionslehrer um die Kraft von Mythen und versteht daher einiges von Marketing.
Er hat die Geschichte von der Russischen Reisetomate vor einigen Jahren selbst erfunden, um den Verkauf einer vom Aussterben bedrohten Tomatensorte anzukurbeln. Er log für einen guten Zweck. Das gelang so gut, dass er heute – exklusiv in diesem Blatt – gestehen kann: »Die Russische Reisetomate stammt in Wahrheit aus Südamerika.« Auch dass Tomaten die größte Passion des Tomatenkaisers seien, stimmt übrigens nicht. Chili und Paprika sind es.
Folgende Legenden, allesamt nicht vom Tomatenkaiser erfunden, sondern Ergebnis verschiedenster obskurer Studien zum Objekt, halten sich dagegen hartnäckig: Tomaten stärken die Abwehrkräfte, beugen Prostatakrebs und Sonnenbrand vor, eine transgene Variante soll sogar den Ausbruch von Aids und Hepatitis behindern. Und Tomaten wachsen schneller, wenn man sie mit Rockmusik beschallt. Der Tomatenkaiser hält auch dies für möglich, obwohl er seine eigenen Tomaten niemals so einem Stress aussetzen würde.
Foto: Barbara Bonisolli; Illustrationen: Kirsten Maria Peter