»I gave the world the biggest dance craze ever«, sagte Hank Ballard in einem Dokumentarfilm namens Twist. Das klingt ein bisschen größenwahnsinnig, entspricht aber den Tatsachen: Bis heute hat kein Modetanz, nicht mal der Lambada, eine ähnliche Manie auslösen können wie der Twist; und obwohl viele glauben, Chubby Checker habe den Tanz erfunden, stammt der Original-Song »The Twist« doch von Hank Ballard, der ihn 1959 schrieb und als erster veröffentlichte.
Auf Bear Family ist nun eine große Box namens Nothing But Good erschienen, die auf fünf CDs das Gesamtwerk von Hank Ballard & The Midnighters aus den Jahren 1952 bis 1962 präsentiert. Dieser Aufwand ist gerechtfertigt, handelte es sich bei der Gruppe doch um einen der stilbildenden R&B-Acts der Fünfziger, dessen zahlreiche knackige Tanznummern den Weg zum Northern Soul und schließlich Funk der Sechziger wiesen. Den höchsten Wiedererkennungswert auf dieser Box haben Hits wie »Work With Me Annie«, »Finger Poppin' Time«, »Let's Go, Let's Go, Let's Go« und natürlich »The Twist«, von dem auch eine Demo-Version enthalten ist. Doch wie immer bei Bear Family liegt der eigentliche Reiz darin, sich in all jenes Material zu vertiefen, all die erfolglosen Singles und vergessenen B-Seiten, das eigentlich längst im Orkus der Musikhistorie verschwunden war.
Dort entdeckt man viele humoristische, leicht anzügliche Lieder und flotte Tanzsongs; erstaunlich oft präsentiert sich Ballard aber auch als leidender Bluesmann; und sogar eine Version des Gershwin-Klassikers »Summertime« ist enthalten. Man könnte befürchten, dass es irgendwann langweilig würde, sich durch 150 Songs eine mittelbekannten Sängers wie Hank Ballard zu hören, doch belegt diese Box erneut die bleibende Anziehungskraft des R&B der Fünfziger: die Harmonien der Midnighters, das knisternde Gitarrenspiel, die treibenden Rhythmen und der Gesang von Hank Ballard tragen dazu bei, dass diese Musik auch nach fünfzig Jahren nichts von ihrer Frische verloren hat.
Hank Ballard hat die frühen Motown-Gruppen beeinflusst, die nachhaltigste Wirkung erzielte er jedoch bei einem Jüngling aus Augusta, Georgia, der 1954 zu einem Midnighters-Konzert erschien: James Brown. Von Ballards Beispiel angeregt, beschloss Brown, es selbst im Showbusiness zu versuchen; seine ersten Aufnahmen machte er für Federal/King – Ballards Label – und den cholerischen Plattenboss Syd Nathan. Als Ballards Karriere Ende der Sechziger zum Erliegen kam, dankte es Brown seinem einstigen Förderer, indem er ihn in seiner Revue auftreten ließ.
Dennoch hatten beide ein schwieriges Verhältnis. In einem Interview, das der US-Journalist Kirk Siksbee 1993 geführt hat, sagte Ballard über Brown: »James used to follow us around on our gigs in Georgia and I used to be his idol. He was all Hank Ballard at one time. 'Cause I stuck with him when nobody wanted him. I couldn't go near JB now; he's too evil a personality. He wants it all. Nobody will ever make it with James because he pretends he cares about other people, but he wants everything for himself. He's too authoritative. And I'm not gonna be subservient to anybody. He's bad blood for me.«
Auch zu Syd Nathan äußert sich Ballard in dem zitierten Interview: »A lot of people hated Syd, but I liked him. I didn't make a lot of money in royalties but he did care about me; he looked out for my interests. With Syd, you could come off the road and go right into the studio in Cincinnati to record if you had some ideas – no problem. But Syd couldn't hear hits. He hated 'Honky Tonk' by Bill Doggett, and that record took off like a bat outta hell! (...) That's how I lost 'The Twist'; he just couldn't hear it. They put out 'Teardrops' and they thought that was the hit. I kept sayin', 'Turn it over for 'The Twist'. That's the monster!' And Syd never would spend any money on record promotion.«
Hier klingt die Tragik von Hank Ballards Karriere an: Bis zu seinem Tod im Jahr 2003 haderte er damit, dass nicht er selbst, sondern Chubby Checker mit »The Twist« den Welthit landen konnte. Daraus folgt mein mein einziger Kritikpunkt an der ansonsten famosen Bear-Family-Box: Im Begleitbuch beschreibt Bill Dahl sehr detailliert die Aufnahmesession der Midnighters, aber er unternimmt keinen Versuch, den Charakter Hank Ballards zu ergründen. Die Musik lernen wir hier kennen, der Mensch bleibt uns verschlossen.