Man kann es nicht anders sagen: Mit 72 erlebt Van Morrison gerade eine weitere künstlerische Hochphase. Im vergangenen September erschien sein Album Roll With The Punches, im Dezember kam gleich der Nachfolger Versatile heraus. Kurz vor dessen Erscheinen hatte ich die Gelegenheit, Morrison für eines seiner seltenen Interviews zu treffen, wobei ich ihn auch fragte, warum die neue Platte bereits so kurz nach der letzten erschien. Seine Antwort: »Weil sie fertig war. Ich habe einfach zu viel unveröffentlichtes Zeug herumliegen. Das nächste Album erscheint auch schon wieder im April.« (Das komplette Interview ist hier zu finden.)
So ist es gekommen, seit 27. April ist You're Driving Me Crazy erhältlich, für das sich Morrison mit dem Jazz-Organisten Joey DeFrancesco zusammengetan hat. Der ist im Jazz zwar sehr renommiert, in der Popwelt dürfte sich seine Bekanntheit aber in Grenzen halten, woran man schon erkennen kann, dass es bei dieser Kollaboration nicht um äußere Faktoren wie ein großes Medienecho ging, sondern allein um den Spaß an der Musik. You're Driving Me Crazy ist tatsächlich ein großartiges, ungemein lebendiges Album geworden, bei dem sich Morrison von der Musikalität und Spielfreude der Jazzcracks anstecken lässt; neben DeFrancesco spielt auch dessen Band mit, aber keiner von Morrisons üblichen Begleitmusikern. Vor kurzem hatte ich die Gelegenheit, mit Joey DeFrancesco zu sprechen, wobei der 47-Jährige einige bemerkenswerte Details über die Zusammenarbeit mit Van Morrison verriet. Aber natürlich ging es auch um seine eigene, durchaus bemerkenswerte Karriere.
Sie waren ein Jazz-Wunderkind und sind schon als Zehnjähriger in den Clubs Ihrer Heimatstadt Philadelphia aufgetreten. Gab es einen Moment, an dem Ihnen bewusst wurde, dass Sie ein besonderes Talent haben?
Es stimmt, ich habe schon früh angefangen zu spielen, aber diesen einen Moment gab es nicht. Mir war bewusst, dass ich musikalisches Talent habe, aber ich habe auch sehr früh verstanden, dass man hart arbeiten muss, um etwas aus dem Talent zu machen. Aber da ich die Musik immer geliebt habe, war das nie ein Problem für mich.
Im Jazz ist die Persönlichkeit der Musiker und ihre Gefühlswelt sehr wichtig. Deshalb stelle ich es mir gar nicht so leicht vor, als Kind Jazz zu spielen, weil man viele Dinge, die Erwachsene durchmachen, noch gar nicht erlebt hat. Wie sehen Sie das?
Dass man ein hartes Leben haben muss, um den Blues zu spielen, halte ich für ein Klischee. Ich denke, dass alles, was man erlebt, die Musik beinflusst, die man spielt – auch schon als Kind. Es ist ein Trugschluss, Jazz nur als Erwachsenen-Musik zu sehen. Warum gesteht man einem Kind nicht zu, ebenfalls seine Gefühle rüberzubringen? Natürlich lernt man immens dazu, wenn man älter wird. Mit anderen Musikern zusammenspielen, sich viel Musik anhören, vielleicht sogar die Geräusche von der Straße – all das trägt dazu bei, dass man als Musiker wächst und einen eigenen Sound entwickelt. Das ist das Ziel. Aber das beginnt schon als Kind.
Hatten Sie als Kind denn einen eigenen Sound?
Ich denke schon. Ich habe erstmal natürlich andere imitiert, das ist ja immer so, wenn man lernt. Aber wenn ich mir heute Aufnahmen anhöre, auf denen ich acht, neun Jahre alt bin, klingen sie erkennbar nach mir. Das ganze musikalische Wissen, das ich heute habe, fehlt natürlich noch. Aber ich bin da.
Sie hatten großen Anteil daran, dass die Hammond-Orgel in den späten Achtzigern wieder in den Fokus gerückt ist – zusammen mit der deutschen Musikerin Barbara Dennerlein, die sogar etwas früher als Sie auf der Bildfläche erschien. War Sie Ihnen damals ein Begriff?
Ich habe erst von ihr gehört, als schon ein paar Platten von mir draußen waren. Sie spielt in einem anderen Stil als ich, aber sie hat zweifellos ihren eigenen Sound.
Als Sie 17 waren, hat Miles Davis Sie bei einer Fernsehshow gesehen und für seine Band engagiert. Das klingt wie ein Märchen!
Ja, war es auch. Kurz vor dem Zusammentreffen mit Miles hatte ich bereits mein erstes Album für Columbia Records aufgenommen. Und dann kam der Anruf von ihm – unglaublich! Das Beste an dieser Erfahrung war, dass ich ihn persönlich kennenlernen durfte. Ich habe viel Zeit mit ihm verbracht und ihm eine Million Fragen gestellt, über all seine Platten quer durch die Jahrzehnte, über Akkorde und Harmonien, alles mögliche. Wir hatten eine tolle Beziehung, er war immer ansprechbar für mich und sehr offen. Meine Zeit mit Miles gehört definitiv zu den wichtigsten Dingen, die ich erlebt habe.
Es heißt, er sei mitunter auch ein schroffer, furchteinflößender Mensch gewesen.
Zu mir nicht. Zu mir war er immer sehr cool und sehr nett. Ich war natürlich etwas nervös, als ich ihn zum ersten Mal getroffen habe. Aber ich wusste, dass ich spielen kann, und ich wusste auch, dass er es war, der angerufen hatte und etwas von mir wollte.
Können Sie ein Beispiel dafür geben, was Sie von Miles gelernt haben?
Am meisten beinflusst hat mich folgender Rat: Bei einem Instrument wie Klavier oder Orgel ist es kein Problem, nonstop durchzuspielen – anders als bei Blasinstrumenten, wo man regelmäßig pausieren muss, um Luft zu holen. Miles hat mir geraten, es bei der Orgel genauso zu machen: zu spielen, während ich ausatme, und zu pausieren, während ich einatme. Durch diese Pausen bekommt die Musik mehr Raum, man wird kreativer und kann besser Ideen entwickeln. Ich habe viele verschiedene Dinge von ihm gelernt, aber das ist mein Favorit.
Ich finde es erstaunlich, dass Sie, von ihrer Zeit mit Miles inspiriert, schnell auch noch gelernt haben, die Trompete zu beherrschen.
Die Trompete ist ein krasses Instrument, dass ich sie beherrsche, würde ich eher bezweifeln. Aber die Zeit mit Miles hat auf jeden Fall den Anstoß gegeben, Trompete zu lernen. Er hat mich sehr ermutigt. Mehr brauchte ich gar nicht, um dranzubleiben.
Eine weitere große Legende, mit der Sie zusammengespielt haben, war Jimmy Smith.
Als ich angefangen habe zu spielen, hat mich mein Vater am meisten beinflusst, der ja auch Orgelspieler war. Und direkt danach kam Jimmy Smith. Ich liebe alle Jazz-Organisten, die sind alle gut, aber Jimmy Smith war herausragend. Die Aufnahmen, die er in seinen besten Jahren von Mitte der Fünfziger bis Mitte der Sechziger gemacht hat, haben Maßstäbe gesetzt. Die haben viele Musiker tief beeinflusst, nicht nur andere Orgelspieler. Persönlich war er sehr cool, und ich bin immer gut mit ihm klargekommen. So durfte ich auf seiner letzten Aufnahme mitspielen.
Für mich war immer der Blues ein wichtiger Bestandteil seines Sounds.
Das stimmt, aber die Wahrheit ist doch: Der Blues ist überall dabei. Rock, Pop, Jazz – alles kommt vom Blues. Aus irgendwelchen Gründen ist die Orgel in die Blues-Falle geraten. Das meine ich nicht negativ, aber in dem Instrument steckt viel mehr als der Blues, wie ich und etliche andere Musiker gezeigt haben.
Wie würden Sie jemand, der noch nie den Klang der Hammond B3 oder anderer elektronischer Orgeln gehört hat, diesen besonderen Sound beschreiben?
Die Orgel hat einen organischen Klang, wie man schon am Namen merkt. Es ist ein sehr spiritueller, gefühlvoller Klang, der dich körperlich ergreift. Aber die Orgel kann auch bellen, schreien oder schrill klingen. Wenn man das Instrument wirklich beherrscht, kann man unglaublich viel damit machen – es ist wie ein Orchester, das man an den Fingerspitzen hat.
Sie konnten direkt von Miles Davis, Jimmy Smith und vielen anderen stilbildenden Musikern lernen. Die sind nun aber fast alle tot. Was bedeutet das für zukünftige Generationen von Jazzmusikern?
In der Tat, ich kann mich glücklich schätzen, dass ich so viele meiner Helden kennenlernen und mit ihnen spielen durfte. Aber wenn das nicht so gewesen wäre, hätte ich mir halt ihre Platten angehört, und ich glaube nicht, dass das einen gewaltigen Unterschied gemacht hätte. Klar ist es toll, neben jemand zu sitzen und mit ihm reden zu können, aber für mein Empfinden hat es die heutige Musikergeneration leichter denn je, weil nahezu alles, was je aufgenommen wurde, problemlos verfügbar ist. Du gehst heute einfach auf Youtube, und schaust dir alles an. Als ich angefangen habe, gab es das nicht.
Lassen Sie uns über You're Driving Me Crazy reden, Ihr neues Album mit Van Morrison. Wie haben Sie ihn kennengelernt?
Ich habe ihn zum ersten Mal 1994 in Irland getroffen, als ich mit der Band Free Spirits in seinem Vorprogramm aufgetreten bin. Aber das war nur eine kurze Begegnung. Dann ist er 2014 nach einem Auftritt von mir im Londonder Jazzclub Ronnie Scott's hinter die Bühne gekommen, um zu sagen, wie sehr ihm die Musik gefallen hat. Letztes Jahr im April oder Mai hat sich dann sein Management bei meinem gemeldet, wegen gemeinsamer Aufnahmen. So ging's los.
Wie vertraut waren Sie zu diesem Zeitpunkt mit seiner Musik?
Seine Musik gehört zum Soundtrack unseres Lebens. Aber als klar war, dass wir ein Projekt zusammen machen würden, bin ich natürlich richtig eingetaucht in seinen Katalog und habe mir alles angehört. Erstaulich, wie viele Songs er geschrieben und wie viele Alben er veröffentlicht hat!
Wie haben Sie das gemeinsame Album konzeptioniert?
Ich wusste natürlich, wie sehr er Jazz mag. Und die Orgel. Er hatte immer tolle Musiker in seiner Band, Georgie Fame, Pee Wee Ellis, vom Album Astral Weeks mit Richard Davis und Connie Kay ganz zu schweigen. Auch an seinen Kompositionen und Harmoniefolgen kann man erkennen, dass er viel Jazz hört. Als wir uns dann hingesetzt und geredet haben, war schnell klar, dass wir dieselbe Musik mögen und von ähnlichen Leuten beeinflusst wurden. Van weiß unglaublich viel über eine große Anzahl unterschiedlicher Musiker. Wir haben zum Beispiel über eine Aufnahme von John Coltrane namens »After The Rain« geredet, was manchen vielleicht erstaunen wird. Aber wenn man sich Vans Musik genau anhört, stößt man auch auf viele Einflüsse, die man dort nicht erwarten würde und die aus eher überraschenden Bereichen kommen. Die Version von »The Way Young Lovers Do«, die wir fürs neue Album eingespielt haben, hat etwas von diesem Coltrane-Vibe.
Hat es bei der ersten Probe gleich geklickt?
Wir haben nicht geprobt.
Sie haben also im Studio zum ersten Mal mit ihm zusammengespielt?
Ja, wir sind direkt ins Studio gegangen, ohne Proben. Am ersten Tag haben wir zehn Songs aufgenommen, die meisten als first takes. Am zweiten Tag dann die anderen fünf. Ich hatte ein paar Arrangements vorbereitet, aber als wir uns ein bisschen besser kennengelernt hatten, haben wir an Ort und Stelle neue Arrangements gemacht. Es war unglaublich.
Für mich ist »Magic Time« der Höhepunkt des Albums, dank des inspirierten, wirklich fantastischen Gesangs. Welche der Aufnahmen mögen Sie am liebsten?
In jedem Stück gibt es spezielle Momente, die mir gefallen. Aber ich finde auch, dass »Magic Time« Magie enthält. Da hat alles gepasst.
Beim Stück »You're Driving Me Crazy« ist während des Gitarrensolos plötzlich zu hören, wie Van Morrison lacht. Was war das los im Studio?
Ihm hat das Gitarrensolo einfach so gut gefallen. Wir haben die Stelle dringelassen, weil sie viel über die Energie dieser Platte aussagt, über den Spaß, den wir hatten, und über die Spontanität des ganzen Projekts. Der Song war anfangs übrigens nicht mal auf der Liste. Am Abend des ersten Tags saß ich im Hotel, als Van mich anrief und vorschlug, dass wir am nächsten Tag doch auch »You're Driving Me Crazy« spielen könnten. Warum nicht, habe ich geantwortet. Jetzt ist es der Titelsong des Albums. Auch »Miss Otis Regrets« haben wir noch spontan dazugenommen.
Van Morrison singt natürlich auf dem Album, aber er spielt auch Mundharmonika und Altsaxophon. Wie finden Sie ihn als Instrumentalisten?
Wie er Mundharmonika spielt, mag ich sehr. Das ist cool und funky. Altsaxophon spielt er auch, wenn es auf dem Album zu hören ist, ist das immer er. Er hat Spaß dabei und einen eigenen Sound.
Ich habe ihn letztes Jahr für ein Interview getroffen und dabei auch gefragt, wie er seinen Ton auf dem Saxophon beschreiben würde: Primitiv, hat er geantwortet, und von R&B-Honkern wie Sam Butera und Jimmy Guiffre geschwärmt.
Haha, das macht Sinn. Diese Saxophonisten liebt er!
Außerdem kann ich bestätigen, wie Sie eben gesagt haben, nämlich dass er unglaublich viel über Musik weiß und gerne über einzelne Musiker und Aufnahmen redet – je detaillierter, desto besser.
Wir Musiker machen das rund um die Uhr, sieben Tage die Woche. Wir treiben alle anderen in den Wahnsinn mit unserem ständigen Gerede über Musik. So bin ich, so ist Van, so war Miles, so sind die meisten von uns. Das ist unser Lebensstil. Die Musik hört niemals auf.