Wir haben neue Küchengeräte, einen Induktionsherd und einen Backofen. Das Induktionsding ist eigentlich ein einziger Touchscreen, alles wird durch Berührung aktiviert. Oder eben nicht, denn die Bedienung funktioniert nicht so gut, wenn man einen Topf in die Nähe der Bedienfelder schiebt oder mit fettigen Fingern auf ihnen herumdrückt. Noch schlimmer ist es beim Ofen, der zwar zwei Drehknöpfe hat, dazwischen aber – was ich zunächst übersehen hatte – ebenfalls einen Touchscreen. Gar nicht selten komme ich, wenn ich mich an die Küchenzeile lehne, mit dem Hintern dagegen, woraufhin es grässlich piept und ich in die Knie gehen und auf dem Touchscreen bestätigen muss, nichts vom Ofen zu wollen, »OK«. Auch jede Mietautofahrt beginnt inzwischen damit, dass ich mich, wie es im entsprechenden Dialogfenster heißt, »mit dem System vertraut« machen muss. Also: einen weiteren, speziell für dieses Auto entwickelten Touchscreen erforschen. Weil die Mietzeit begrenzt ist, fahre ich los, ohne dies getan zu haben, und stochere deshalb an gerade grün werdenden Ampeln oder während der Fahrt auf der Bildschirmoberfläche herum. Über Kühlschränke, Toaster und schmierige Touchfelder im öffentlichen Raum, etwa an Fahrkartenautomaten oder Packstationen, will ich hier gar nicht erst sprechen.
Glücklicherweise scheint sich das Blatt aber gerade gegen die Touchscreens zu wenden. Die einflussreiche Tech-Bloggerin Taylor Lorenz wirft die Frage auf, ob wir den Höhepunkt der Touchscreen-Ära erreicht haben, und beschreibt, was das Wall Street Journal die »rebuttonization« nennt, also die Rück-Verknopfung von Bedienelementen. Ihre Beispiele: Telefonhüllen mit Tastenfeldern, die Rückkehr von Blätterknöpfen bei E-Readern oder die Abschaffung der 2016 eingeführten »Touch Bar« von Apple, einer bei Laptops oberhalb der Tastatur angebrachten Leiste, die nun wieder durch Tasten ersetzt wurde. Auch das neue iPhone16 hat wieder einen Bedienknopf.
Im Wall Street Journal erklärt der Autor Christopher Mims, Touchscreens seien so allgegenwärtig geworden, dass sie inzwischen billig erschienen, während haptische Kontrollelemente durchdacht und exklusiv wirkten. Sebastian Stroschein, Professor für Industrial Design und Interface Design an der Hochschule für Gestaltung und Kunst in Basel, wurde vor gut drei Jahren auf der Design-Webseite Galaxus mit den Worten zitiert: »Touchscreens gehören nicht ins Auto oder in die Küche.« Weil sie nicht zuverlässig funktionierten und nicht schön seien. Es würden vor allem, sagt er, billige Displays verbaut, um Geld zu sparen und Modernität vorzugaukeln. Er sehe aber kein Ende des Trends in den nächsten paar Jahren. Auf meine Frage, ob diese Einschätzung sich inzwischen geändert hat, sagt Stroschein heute: »Bezogen auf Fahrzeughersteller scheint es eine geringfügige Rückbesinnung darauf zu geben, dass sich primäre Bedienfunktionen über haptische Tasten und Regler besser steuern lassen.« Die Umsetzung sei aber oft unzureichend: Tasten und Regler, die »lächerlich klein« oder zu tief angebracht seien.
Bei anderen Produkten ist der Trend aus seiner Sicht aber ungebrochen. Gibt es vielleicht ein grundsätzliches menschliches Bedürfnis, Knöpfe zu drücken? Stroschein sagt, dieses Bedürfnis gebe es, und zwar »zunehmend auch bei einer jungen Generation, die mit Touchscreens aufgewachsen ist: die in vielen Bereichen anzutreffende Tendenz zum Analogen«. Zum Beispiel sei der große Erfolg der schwedischen Unterhaltungselektronik-Firma Teenage Engineering auch dadurch zu erklären, dass es bei ihren Produkten »zahlreiche intuitiv bedienbare Tasten mit einem guten Druckpunkt in zeitlosem Design gibt«.
»Der Knopf bietet uns die Möglichkeit, unsere Alltagsexistenz in gewissem Maße sozusagen zu enttechnologisieren«
Dass sich Formulierungen wie »intuitiv bedienbare Tasten« und »guter Druckpunkt« für mich so schön anhören, liegt vielleicht an dem, was die Medienwissenschaftlerin Rachel Plotnick »screen fatigue« nennt, Schirm-Ermüdung. Sie hat ein ganzes Buch über das Knöpfedrücken geschrieben und sagt in einem Interview, viele Menschen seien »ausgehungert nach physischen Knöpfen«, weil sie sowieso gefühlt schon ihr ganzes Leben beim Scrollen und Swipen auf Bildschirmen verbringen: »Der Knopf bietet uns die Möglichkeit, unsere Alltagsexistenz in gewissem Maße sozusagen zu enttechnologisieren.« Eine wichtige Leistung beim Design von Maschinen und Geräten ist es, die Komplexität zu reduzieren. Wenn es Knöpfe gibt, haben die Menschen, die das Gerät gestaltet haben, entschieden, was die wichtigsten Funktionen sind und wie sich diese Funktionen anhand der einfachen Parameter An/Aus und Weniger/Mehr abrufen lassen. Ich muss als Bediener kaum noch etwas machen, nur einfache Entscheidungen treffen und die körperliche Empfindung genießen, die entsteht, wenn ein Schalter einrastet, ein Knopf gedrückt bleibt oder beim Drehen genau den richtigen Widerstand leistet.
»Und dann erblicke ich in der dunklen, leblosen Oberfläche des Touchscreens, was er mir als Ursache allen Übels zurückspiegelt: meine eigene ratlose Fresse«
Beim Touchscreen ist es umgekehrt. Hier macht es sich die Gestaltung ganz einfach, indem sie nur ein Feature verbaut, einen Schirm. Sobald ich als Benutzer des Geräts diese Scheibe berühre, öffnet sich für mich die ganze ungeordnete Komplexität der Maschinenbedienung. Es gibt keinen Grund, irgendwas wegzulassen, weil alles in die Software passt und alles irgendwie erreichbar ist. Es sei denn, der Schirm friert ein, weil ich falsch darauf herumgedrückt habe. Der Touchscreen ist damit die perfekte Verkörperung der aktuellen Konsumwelt, das zentrale Ding der Gegenwart: Es ist meine eigene Schuld, wenn ich mich nicht zurechtfinde. Er enthält alles, was ich brauche, und es liegt nur an mir, wenn ich es mit meinen Fingern nicht begreifen kann. Der Touchscreen geht aus, weil ich nicht mehr weiß, wo ich noch hinlangen soll, oder weil ich ihn durch Nutzerfahrlässigkeit zum Absturz gebracht habe. Und dann erblicke ich in seiner dunklen, leblosen Oberfläche, was er mir als Ursache allen Übels zurückspiegelt: meine eigene ratlose Fresse.
Darum sehne ich mich nach der Einfachheit der Knöpfe. Sie haben mir nie die Schuld gegeben, sie haben nie so getan, als wüssten sie mehr als ich. Sogar ihre Versprechen waren wunderbar und einfach. Anfang des Jahrhunderts fuhr ich einen VW Jetta II, mit ganz wenigen Extras – neben dem Drehzahlmesser und dem Tacho befanden sich oben im Armaturenbrett genau sechs Schalter. Eine obere Reihe mit Warnblinkanlage, Heckscheibenheizung und Nebelschlussleuchte. Und darunter eine Reihe mit drei funktionslosen Tasten. Sie sagten mir: Guck mal, du kannst dich, wenn du willst, eines Tages für noch genau drei Dinge entscheiden, die dein Auto dann auch noch kann. Nicht mehr und nicht weniger. Wenn du dich dafür entscheidest, musst du auf keinen Fall jemals mehr leisten, als An oder Aus zu drücken. Wenn du es nicht tust, kommst du trotzdem klar, und du wirst bis ans Ende der Laufzeit deines Autos vor Augen haben, wie klar die Entscheidungen sind, die dich durchs Leben führen. Von einem Touchscreen habe ich mich niemals so verstanden gefühlt.