Alarmstufe blau

Artikel über künstliche Intelligenz werden oft mit blauen Roboter-Halbwesen bebildert. So viel zu menschlicher Kreativität. Aber schlimmer ist, wie solche Bilder die Debatte über KI beeinflussen.

Illustration: Miki Kim

Wie würde künstliche Intelligenz wohl einen Artikel über künstliche Intelligenz bebildern? Fragen wir sie doch. ChatGPT-5 schlägt vor: »Eine menschliche Hand, die eine Roboterhand berührt.« Sowie: »Ein Roboter oder Avatar, der auf einem Bildschirm Daten analysiert.« Die Konkurrenz von Mistral entwirft gleich ein Bild, erstellt mit Googles KI-Bild­generator Gemini 2.5: Man sieht einen weiblichen weißen Roboter mit blauen Augen, der auf einer blau schimmernden Hologramm-Tastatur tippt. Daneben auf dem Schreibtisch steht eine Glaskugel, in der ein kleines, blaues Gehirn schwebt. Die KI Llama 3.3 von Meta liefert Fotos von weißen Robotern mit blauen Augen, die in sehr blauen Welten auf Hologramm-Bildschirmen irgendwas tun.

Kann da das KI-Modell Claude Sonnet 4 von Anthropic mithalten? Ja, es kreiert als Fotovorschlag blaue Hologramm-Bildschirme und weiße Roboter, die putziger aussehen als bei der Konkurrenz. Sucht man bei Amazon nach Büchern zum Thema KI, finden sich immer wieder: Roboter, Maschine-Mensch-Mischwesen und viel Blau. Und Google News zeigt als Bebilderung von Nachrichten über KI oft: genau, blau, Roboter, Hologramme. Man findet diese Kombination auch in der Süddeutschen Zeitung.

Das wären ja realistische KI-Darstellungen – wenn wir so im Jahr 2050 leben würden. Diese blauen Wesen und Welten haben aber noch wenig gemein etwa mit dem KI-Sprachassistenten im iPhone, der Probleme hat, herauszufinden, ob ein Supermarkt im Ort um 19 Uhr noch offen ist. KI kann bereits Erstaunliches, macht Investoren und Aktionäre wuschig, steuert Kampfdrohnen, erforscht Krebs. Aber wollte man KI realistisch zeigen, wären es endlose Serverfarmen. Woher kommen also die futuristischen Roboter? Warum soll KI blau sein statt gelb oder grün? Und Androiden weiß, nicht schwarz oder rot? Auf diese Fragen gibt es eine banale Antwort – und eine bedenkliche.

Meistgelesen diese Woche:

ChatGPT erklärt das Blau in KI-Bildern mit Farbpsychologie: »Menschen empfinden Blau un­bewusst als verlässlich und ehrlich, was bei einer Technologie, die Ängste auslöst, beruhigend wirkt.«

Fotos: Getty Images

Die banale Antwort: Weiße Roboter, Hologramme, Datenströme und die dominierende Farbe Blau sind die einfachste und billigste Bebilderung von KI, die man in sogenannten Stockfoto-Datenbanken findet, also in Verzeichnissen von Symbolfotos. Etwa bei Getty Images: Auf die Suchanfrage »künstliche Intelligenz« kann man sich lange durch Bilder scrollen, die blau sind sowie Roboter und Hologramme zeigen. Und mit genau solchen Bildern wurde die KI trainiert, die folglich auch wieder diese Motive erzeugt. Wer wenig Zeit und wenig Platz für Kreativität hat, verwendet so ein Bild – was durchaus sinnvoll ist, weil auf den ersten Blick sofort erkennbar ist: Ah, irgendwas mit KI. So wie man in Ohio oder Peking beispielsweise ein Paar in Lederhose und Dirndl als Motiv für Deutschland erkennen würde.

Damit zur bedenklichen Antwort. Die kommt von Forschenden aus der ganzen Welt, die untersuchen, woher unsere Vorstellungen von KI kommen, wer sie geprägt hat, heute oder vor 2000 Jahren, und wie sie unsere Meinung über künstliche Intelligenz beeinflussen. Tania Duarte war 30 Jahre lang in der Tech-Industrie tätig: »Ich konnte sehen, wie der KI-Hype funktioniert, weil ich Teil davon war, ihn zu erschaffen«, sagt sie. Heute betreibt sie eine kleine gemeinnützige Organisation namens »We in AI« mit dem Ziel, ein besseres öffentliches Verständnis von KI zu erreichen. Die weißen Roboterwesen mit den blauen Augen kennt man ja seit Jahrzehnten, sie haben ihren Ursprung in dystopischen Science-Fiction-Filmen wie I, Robot mit Will Smith oder Steven Spielbergs A.I. – Künstliche Intelli­genz. Mensch-Roboter-Wesen kennt man etwa aus Terminator mit Arnold Schwarzenegger und RoboCop. Prägend waren auch Blade Runner, 2001: Odyssee im Weltraum oder Minority Report.

Wenn Sie ein Bild von weißen Roboter-Armeen sehen, ist es einfach, zu denken: Ein Roboter wird meinen Job übernehmen

»Science-Fiction-Narrative erzeugen Ängste, aber auch Begehren. Man fürchtet sich vor solchen übermächtigen Maschinen, will aber auch ein Stück davon haben«, sagt Tania Duarte. Die Ehrfurcht vor dieser übermächtigen künstlichen Superintelligenz baue einen Mythos auf, von dem die Hersteller von KI profitieren. Bei der Amtseinführung von Donald Trump umgab er sich mit den führenden Köpfen dieser Technik. »Im Moment gibt es ein großes Missverständnis über die Auswirkungen, aber auch Fähigkeiten von KI. Und das wird zu einem gewissen Grad durch Science-Fiction-Stereotype erreicht«, meint Duarte. Menschen glaubten an KI-Fähigkeiten, die nicht existierten, während die Realitäten und eigentlichen Herausforderungen verborgen blieben. »Die Umweltaus­wirkungen, die Arbeitsplatzverdrängung, die Konzentration und Konsolidierung von Macht, verstärkte Ungleichheit durch algorithmische Verzerrung«: alles Dinge, die auf Entscheidungen von Menschen basieren. »Wenn Sie ein Bild von weißen Roboter-Armeen sehen, an Computern oder in Fabriken, ist es einfach, zu denken: Ein Roboter wird meinen Job übernehmen. Aber KI wird niemals Ihren Job klauen. Manager treffen die Entscheidung, Jobs aus Kostengründen zu automatisieren«, sagt Duarte.

Für Alberto Romele, Associate Professor für Kommunikation und Medien an der Universität Sorbonne Nouvelle in Paris, sind irreführende KI-Bilder eine gewollte Entmündigung: »Sie schaffen eine Kluft zwischen Experten und Nicht-Experten. Normale Bürger werden aus den Prozessen der Erfindung, Gestaltung und Umsetzung von KI in der Gesellschaft verdrängt. Diese Bilder regen weder zum Nachdenken an noch zu Kontroversen oder Meinungsverschiedenheiten.« Terminator-Analogien schürten einerseits Frust und Skepsis, zugleich wirke etwa die beliebte Darstellung von Mensch und Roboter als Team oder von Robotern als Gott-Ersatz beruhigend (was man auch über die Farbe Blau sagt), die Super­intelligenz ist hier ja unser Freund. Auf Stockfotos findet man oft Anspielungen auf Michelangelos Deckenfresko Die Erschaffung Adams, nur dass die Hand Gottes eine Roboterhand ist, die den Menschen erleuchtet.

Romele weiß durchaus um die Probleme der Bebilderung von KI: »Kein Bild kann KI wirklich so darstellen, wie sie ist.« Und doch geht es besser. Die Niederländerin Kanta Dihal vom Imperial College in London hat mit Tania Duarte und anderen Wissenschaftlern auf der Webseite betterimagesofai.org Vorschläge erarbeitet, wie KI-Grafiken auch aussehen könnten: Man sieht kaum Blau, dafür bunte Farben und normale Menschen. Echte Handys und Platinen sind zu erkennen statt imaginierter blauer Datenwasserfälle. Die BBC ist an der Datenbank beteiligt, der Stockfotohersteller Getty will bessere KI-Fotos anbieten, auch manche KI-Sprachmodelle weisen inzwischen auf klischee­hafte Bilder hin – aber die Motive werden weiter verbreitet. Dass man den Terminator nicht so schnell besiegt, weiß man ja aus dem Kino.