P
PC-Gebühr [von PC, »Personal Computer«], auch PC-Steuer oder Computersteuer, seit der Beschlussfassung der Ministerpräsidenten Deutschlands vom 19.10. d. J. gängiges Schlagwort, wonach ab 1.1.2007 eine Gebühr von 5,52 Euro pro Monat für internetfähige PCs von der Gebühreneinzugszentrale (GEZ) erhoben wird. Die P.-G. reagiert darauf, dass inzwischen eine Vielzahl von Haushalten die Fernseh- und Radiosignale ausschließlich via Internet beziehen. Bei jährlichen Rundfunkgebühren für ARD und ZDF von ca. 7 Mrd. Euro pro Jahr erwartet die GEZ durch die P.-G. etwa 10 Mio. Euro Mehreinnahmen.
Poincaré-Vermutung, auch »Jahrhundert-Rätsel der Mathematik« genannte Annahme, die 1904 durch den französischen Mathematiker Henri Poincaré (1854–1912) formuliert wurde und seit dem Sommer d. J. als bewiesen gilt. Die P.-V. beschreibt ein zentrales Problem des mathematischen Teilbereichs der Topologie, der Lehre von der Form von Körpern und Räumen. Als Hilfsmittel, um sich die vielfältigen Körper und Räume in drei und mehr Dimensionen vorzustellen, verwendet die Topologie die drei Grundtypen aus der zweiten Dimension: die Oberflächen von Kugel, Torus (Fahrradschlauch) und Brezel. Mit seiner Vermutung fand Henri Poincaré als Erster einen Weg zur eindeutigen Bestimmung von Kugeln, indem er die zu seiner Zeit bereits bekannte Methode, eine Kugeloberfläche in der zweiten Dimension zu beschreiben, auf die nächsthöhere Dimension transferierte. Den mathematischen Beweis blieb er allerdings mit den Worten schuldig: »Diese Frage würde uns zu weit führen.« In den 1970er und 1980er Jahren konnte die P.-V. schließlich für vier und mehr Dimensionen nachgewiesen werden. Der russische Mathematiker Grigori Perelman (* Leningrad 13.6.1966) lieferte in den Jahren 2002 und 2003 den Beleg für die noch fehlende dritte Dimension und damit für die umfassende Gültigkeit der P.-V. Da Perelman seine Beweisführung nur in drei knappen Manuskripten ins Internet gestellt hatte, dauerte es jedoch mehr als drei Jahre, bis die Fachkollegen sie im Sommer d. J. nachvollzogen hatten. Dass sein Beleg der P.-V. anschließend weit über die Fachkreise hinaus bekannt wurde, lag vor allem an den eremitischen Lebensgewohnheiten Perelmans, der jeglichen Kontakt mit der Öffentlich-keit meidet. Der russische Mathematiker bedient so in Zeiten eines zunehmend auf Transparenz und Teamarbeit ausgerichteten Wissenschaftsbetriebs (→ Exzellenzcluster) ungewollt die Sehnsucht vieler Menschen nach dem allein nach reiner Erkenntnis strebenden Genie.
Poker, Kartenspiel, das zu den Glücksspielen zählt und sich in jüngster Zeit im Internet, aber auch in Hinterzimmern von Gaststuben oder Wohnzimmern wieder großer Beliebtheit erfreut. Ziel beim P. ist es, die beste Kartenkombination zu erhalten und darauf zu wetten, dass dieses Blatt das Spiel gewinnt. Bei der derzeit beliebtesten Pokervariante »Texas Hold’em« (dt. etwa: »Texas-Halt-sie«) kombiniert man zwei verdeckte mit fünf offen liegenden Karten. Nervenkitzel entsteht durch die Erhöhung der Einsätze, die jeder Spieler akzeptieren muss, wenn er nicht ausscheiden will. Der Spielverlauf kann durch gezielt hohe Einsätze (»Bluffs«), undurchschaubare Mimik (»Pokerface«) und eine genaue Beobachtung der Gegner beeinflusst werden. Seit 2005 übertragen die Fernsehsender Eurosport und DSF Pokerturniere wie »Superstars of Poker« oder »Poker World Open exklusiv«, woraufhin Poker in diesem Jahr in Deutschland zum bevorzugten Zeitvertreib von Hobbykartenrunden avancierte. Die Faszination des Spiels wurde schließlich auch durch den neuen James-Bond-Film »Casino Royale« bestärkt, in dessen Zentrum eine lebensbedrohliche P.-Partie steht.
Polonium 210, Isotop des chemischen Elements Polonium, welches die Ordnungszahl 84 und das Elementsymbol Po hat. Polonium wurde im Jahr 1898 von Marie Curie entdeckt und benannt; der Name bezieht sich auf deren polnische Heimat. Das Element kann in Kernreaktoren hergestellt werden und ist hoch radioaktiv. Am 1.11. d. J. wurde der russische Exspion und Regimekritiker Alexander Litwinenko in London mit P. 210 vergiftet; er starb 22 Tage später an den Folgen der Strahlenschäden. Da P. 210 schwierig zu handhaben ist und gewöhnliche Kriminelle nicht ohne Weiteres Zugang zu der Substanz haben, fiel der Verdacht schnell auf staatliche Stellen. Zeitungsmeldungen zufolge ist der britische Nachrichtendienst davon überzeugt, dass der russische Inlandsgeheimdienst FSB hinter dem Anschlag steckt. Über Litwinenkos Geschäftspartner Dmitri Kowtun gelangte das P. 210 auch nach Hamburg: Kowtuns Exfrau, ihre beiden Kinder und ihr Lebensgefährte wurden verstrahlt, allerdings nur so geringfügig, dass keine Gesundheitsgefahr besteht. Inzwischen koordiniert Interpol die Ermittlungen der englischen, deutschen und russischen Polizeibehörden (Stand: 19. Dezember). Einen positiven Nebeneffekt hat die Affäre für das polnische Spezialitätenrestaurant »Polonium« im mittelenglischen Sheffield. Die Namensgleichheit führt zu erhöhtem Publikumsandrang. »Das ist unglaublich«, sagte Geschäftsführer Boguslaw Sidorowicz.
Popetown [engl., »Papststadt«], satirische Zeichentrickserie über das fiktive Leben eines kindlichen Papstes im Vatikan. P. wurde von dem engl. Fernsehsender BBC produziert, allerdings aufgrund von Protesten in Groß-britannien nie gezeigt. Auch in Deutschland kam es bereits vor der Ausstrahlung der Serie auf dem ehemaligen Musiksender MTV zu Beschwerden, die vor allem durch die Werbekampagne für P. angeregt wurden. Zu den Kritikern von P. gehörten u. a. die CSU-Politiker Edmund Stoiber, die Evangelische Kirche in Deutschland, die Deutsche Bischofskonferenz und Thomas Gottschalk. Ein Anzeigenmotiv bildete unter dem Titel »Lachen statt rumhängen« eine lachende Jesusfigur in einem Fernsehsessel vor einem leeren Kreuz ab. MTV zeigte die erste Folge wie geplant am 3. Mai d. J., ergänzte die Ausstrahlung jedoch mit einer Live-Diskussion. Durch die Skandalisierung von P. erzielte der Sender anfangs überdurchschnittliche Einschaltquoten, die allerdings bereits bei der zweiten Folge stark sanken, da sich die humoristische Qualität der Serie als weitaus problemati-scher erwies als ihr blasphemischer Gehalt.
Powerpoint-Karaoke [aus engl. Powerpoint, »Steckdose«, Name des von Microsoft entwickelten, weltweit meistgebrauchten Präsentationsprogramms, und jap. Karaoke, »leeres Orchester«, Bez. für eine besonders in Asien beliebte Freizeitbeschäftigung, bei der Amateursänger zur Musik bekannter Titel singen]. Unter dem Namen P.-K. sorgte in diesem Jahr v. a. im Berliner Nachtleben ein neuer Veranstaltungstyp für Aufsehen. Freiwillige aus dem Publikum müssen hierbei aus dem Stegreif einen Fantasievortrag zu den Diagrammen einer ihnen unbekannten Powerpoint-Präsentation halten. Zur Auswahl stehen dem Internet entnommene Referate aus den unterschiedlichsten Disziplinen (Beispiele: »Die ATR-Systemik inverser Pliasmen« oder »Strategische und operative Steuerung durch Balanced-Scorecard-basierte Führungsformationssysteme«), die in Schwierigkeitsstufen von eins bis zehn eingeteilt werden. Über die konkurrierenden Vorträge urteilt schließlich eine aus Nachtlebengrößen zusammengesetzte Jury mit unbarmherziger Schärfe (»völlig überflüssiger Semiometrie-Teil«). Die mittlerweile in vielen deutschen Großstädten übernommene Veranstaltung, erfunden von Mitgliedern des Berliner Künstler- und Journalistenverbundes »Zentrale Intelligenz Agentur« (→ Digitale Bohème), bietet Partyspaß, formuliert darüber hinaus aber auch Kritik am Powerpoint-Programm, das komplexe Inhalte auf die immer gleichen Darstellungsweisen reduziert.
Prekariat [von prekär, »misslich«, »heikel«], neue, an das Wort »Proletariat« angelehnte Bezeichnung für eine Bevölkerungsgruppe, deren berufliche und ökonomische Lebenssituation dauerhaft unsicher ist. Als Mitglieder des P. galten zunächst eher junge Akademiker, in der Regel aus den geisteswissenschaftlichen Disziplinen, die nach dem Studium nicht in ein festes Beschäftigungsverhältnis eintreten, sondern sich über Jahre hinweg mit einer Aneinanderreihung von Praktika oder kaum bezahlter freiberuflicher Tätigkeit über Wasser halten. Gegen Ende d. J. weitete sich die Bedeutung des Wortes aber zunehmend aus und wandelte sich im öffentlichen Gebrauch zu einem Synonym für → Unterschicht. Der organisierte Protest gegen das P. oder die »Prekarisierung« erreichte nach Italien und Frankreich, wo das Phänomen bereits längere Zeit Gegenstand der soziologischen und politischen Debatte ist, in diesem Jahr auch einige deutsche Großstädte. Am umbenannten »Tag der prekären Arbeit«, am 1. Mai, demonstrierte etwa in Berlin und Hamburg eine Anzahl von Langzeitpraktikanten gegen ihre perspektivlose berufliche Lage. Die Journalistin Mercedes Bunz brachte für jene vor allem in Berlin ansässigen Repräsentanten des P., die Tag für Tag mit ihren Notebooks in Cafés sitzen und an nicht näher definierten »Projekten« arbeiten, den Begriff »urbane Penner« ins Spiel.
Problembär, von Sympathie getragene Umschreibung für männliche, verhaltensauffällige Säugetiere korpulenter Statur. Die Bezeichnung wurde erstmals von dem bayerischen Umweltminister Werner Schnappauf als Synonym für den Braunbären→JJ1 eingeführt und fand anschließend An-wendung auf Männer zumeist bayerischer Provenienz, die durch befremdliches Ver-halten auf Widerspruch stießen. So wurde der Schauspieler Ottfried Fischer nach dem Bekanntwerden seines ausschweifenden Liebeslebens im Juni d. J. ebenso als P. tituliert wie der als Bundeswirtschaftsminister glücklos agierende CSU-Politiker Michael Glos. Der Begriff ist allerdings nicht mit dem des »Risikobären« zu verwechseln, der – nach Angaben des Schweizer Bundesamts für Umwelt – einen P. beschreibt, der bereits Menschen verletzt oder getötet hat.
Public Viewing [von engl. public, »öffentlich«, und engl. viewing, »Anschauen«], im Vorfeld der Fußball-WM 2006 geschaffene Bezeichnung für die Fernsehübertragung von Sportveranstaltungen auf öffentlichen Plätzen. Die Erfindung des Begriffs geht auf den deutschen Sportsoziologen und ehe-maligen Koordinator der Sportministerkonferenz der Länder, Hans-Jürgen Schulke, zurück. Das Konzept des P. V. wurde beschlossen, um v. a. den Hunderttausenden von ausländischen Gästen, die nur für einzelne Partien Eintrittskarten ins Stadion besaßen, die öffentliche Übertragung aller Spiele zu bieten. Es wurden Großbildleinwände errichtet auf sog.→ Fanmeilen, in ungenutzten Stadien, in städtischen Parkanlagen und, wie in Frankfurt am Main, sogar in der Mitte eines Flusses, mit Bildschirmen zu beiden Seiten des Ufers. Im Laufe der Weltmeisterschaft veränderte der Begriff P. V. jedoch seine Bedeutung und wurde rasch zum Synonym für jede Art von öffentlicher WM-Übertragung, auch abseits der eigens dafür errichteten Schauplätze. Sogar jahrzehntealte namenlose Praktiken wie das gemeinsame Verfolgen von Fußballspielen in Kneipen, ursprünglich auf den Mangel von Fernsehgeräten in Privathaushalten zurückgehend, firmierten bei diesem Turnier unter der neuen Bezeichnung. Der durchschlagende Erfolg der offiziellen P.-V.-Areale hing, wie Beobachter notierten, nicht zuletzt mit einer bis dahin ungekannten Bildqualität der Videoleinwände zusammen, die auch bei Tageslicht jedes Spieldetail gut sichtbar präsentierten. Probleme bereitete die Beliebtheit des P. V. – knapp zwölf Mio. Zuschauer verfolgten allein das Halbfinalspiel Deutschland–Italien außer Haus – vor allem den Ermittlungsdiensten von Fernseh-Einschaltquoten, die einräumen mussten, dass ihre Zahlen eine Fehlerquote von bis zu 50 Prozent aufwiesen.
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R
ResistantX [engl., etwa: »Widerständiger X«], Benutzername, den sich der Realschüler und Computerspiel-Anhänger Sebastian Bosse (*Emsdetten/Münsterland 1988 † ebd. 20.11. d. J.), in zahlreichen Internetforen gab. Am 20.11. d. J. betrat Bosse während der großen Pause die Geschwister-Scholl-Schule in Emsdetten, die er bis zum Sommer besucht hatte. Unter seinem schwarzen Ledermantel versteckt, führte er zwei Vorderlader-Pistolen, ein Gewehr und 13 selbst gebaute Rohrbomben mit sich. Bereits auf dem Schulhof eröffnete er das Feuer, danach durchquerte er schießend das Schulgebäude. Bei seinem Amoklauf verletzte der 18-Jährige 37 Menschen und erschoss sich schließlich selbst. In einem psychologischen Beratungsforum hatte R. bereits am 26.6.2004 geschrieben: »Ich fresse die ganze Wut in mich hinein, um sie irgendwann auf einmal rauszulassen und mich an all den Arschl**hern zu rächen.« Auch tätigte der Schüler unter seinem Usernamen mehrere Käufe auf dem Waffen-Marktplatz www.egun.de. Der Amoklauf von R. erneuerte die Debatte über ein mögliches Verbot von gewaltverherrlichenden Computerspielen, sog. Ego-Shootern (→ Lexikon 2002), die bereits vier Jahre zuvor, nach dem Amoklauf Robert Steinhäusers in seinem ehemaligen Gymnasium in Erfurt, in der Öffentlichkeit aufgebracht worden war.
Rhabarberschorle, herbes, saures Mischgetränk mit feinem Himbeeraroma, zu gleichen Teilen kohlensäurehaltiges Wasser und Rhabarbersaft, serviert im 0,5-Liter-Glas. Im Sommer d. J. wurde R. Hauptkonkurrentin der Johannisbeerschorle im Kampf um die Ablösung der Apfelschorle als Konsensgetränk in deutschen Gaststätten. Der Anblick des modischen, zartrosé Farbtons der R. hilft nicht nur über den säuerlichen Geschmack hinweg, sondern macht auch den pelzig-stumpfen Zahnbelag, den die R. durch ihren hohen Oxalsäuregehalt bei den Konsumenten hervorruft, erträglicher. Ob R. bei Verabredungen in Cafés deutscher Großstädte deshalb so beliebt ist, weil »Rhabarber, Rhabarber« unter jungen Menschen als ugs. Ausdruck für sinnloses Geschwätz gilt, ist nicht ermittelt.
Rütli-Brief, Bez. für ein Schreiben des Lehrerkollegiums der Berliner Rütli-Hauptschule an den Bildungssenator der Stadt, Klaus Böger. In dem öffentl. gewordenen Brief vom März d. J. plädieren die Pädagogen für die Schließung der nach dem Schweizer Nationalmythos, dem Rütli-Schwur von 1291, benannten Schule und schildern drastisch den Alltag in dem Gebäude im Stadtteil Neukölln: Gewalt unter den Schülern, Zerstörung des Mobiliars, offener Konsum von Rauschmitteln, Bedrohung des Lehrpersonals. Nach Bekanntwerden des R.-B. deklarierten die Boulevardmedien die Schule zu einer »Terrorschmiede« (»BZ«) und zum Symbol einer gescheiterten Integrationspolitik. Ähnlich einem alkalisch übermäßig belasteten Binnengewässer, in dem sich kein Leben mehr entfaltet, sprachen Beobachter auch von einer »umgekippten Anstalt«, die man verloren geben müsse. Ungeachtet der Tatsache, dass es sich bei den Rütli-Schülern nicht um Fische und Mikroorganismen, sondern um Menschen handelt, wurde in der breiten Öffentlichkeit die Kapitulation des Lehrerkollegiums allein auf die Tatsache des zu hohen Ausländeranteils unter den Schülern zurückgeführt. Die Rütli-Schule proï¬tierte unterdessen von den öffentl. Diskussionen über ihr pädagogisches Versagen: Eine Vielzahl neuer Lehrer sowie Türkisch und Arabisch sprechender Sozialarbeiter hat zu kleineren Klassen, intensiverem Unterricht und einem neuen Gefühl der Zusammengehörigkeit geführt.
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S
Size Zero [engl., »Größe Null«]; 1. Bezeichnung für die Damenkonfektionsgröße Null im US-amerikanischen Katalog-Größensystem (vgl. in Deutschland: Größe 32); 2. Im Lauf d. J. aufgekommene Bezeichnung für Körpertypen, die nach kontinuierlich verminderter Kalorienzufuhr in Kleidungsstücke dieser Größe passen. Die für S. Z. notwendigen Maße entsprechen hierbei der Statur eines durchschnittlich entwickelten zwölfjährigen Mädchens. In der Modewelt wurde das Phänomen S. Z. heftig diskutiert, als die Veranstalter der »Fashion Week« in Madrid im September d. J. fünf untergewichtige Mannequins von der Veranstaltung ausschlossen. Zudem erlagen im Lauf dieses Jahres im Abstand von nur wenigen Monaten zwei Fotomodels dem S.-Z.-Wahn, nachdem sie sich monatelang nur von Äpfeln und Tomaten bzw. von Salat und → Coke zero ernährt hatten. S.-Z.-Körpermaße werden oft durch Zuhilfenahme von Medikamenten gegen Hyperaktivität erreicht, deren Nebenwirkungen zu starkem Gewichtsverlust führen (z. B. Adderall XR). Den konsequentesten Verfechterinnen reduzierter Körpermaße bietet die Kleidungsindustrie bereits noch weiter verkleinerte Größen an: »Negative Zero« (dt.: »Negativnull«) und »Double Zero« (dt.: »Doppelnull«). Berühmte Trägerinnen der S.-Z.-Größe sind: Victoria Beckham, Keira Knightley, Kate Bosworth, Nicole Richie, Lindsay Lohan.
S-R-G, kurzzeitig gebräuchliche Abkürzung für die Farbenkombination Schwarz-Rot-Gold, die nach Artikel 22 des deutschen Grundgesetzes die Nationalflagge der Bundesrepublik Deutschland darstellt. Die Verwendung des Kürzels S-R-G war im Sommer d. J., anlässlich der Fußball-Weltmeisterschaft in Deutschland, Ausdruck der exponentiell gestiegenen Popularität der drei Farben im Vokabular und Alltag der Bundesbürger. In den Jahrzehnten zuvor hatte die Erinnerung an den Missbrauch nationaler Symbole im 20. Jahrhundert auch den unbefangenen Umgang mit den Farben Schwarz-Rot-Gold erschwert. Im Umfeld des sportlichen Großereignisses jedoch legten zahlreiche Bundesbürger derlei Hemmungen ab und dekorierten stattdessen ihre Balkone, Fahrzeuge und Körperoberflächen mit einer Vielzahl an S-R-G-Produkten. Davon beeindruckt, verkündeten berufene und selbst ernannte Historiker bereits das Ende der Nachkriegszeit und den Beginn einer neuen Epoche im Selbstverständnis der Deutschen. Dies erschien jedoch schon wenige Wochen später – angesichts des überraschend schnellen Verschwindens aller Fahnen sowie der Abkürzung S-R-G aus dem Sprachgebrauch – als voreilig.
Stachelrochen, auch: Stechrochen, lat. Dasyatidae. Bis zu drei Meter langer Fisch mit breiten und flachen Brustflossen, die eine Spannweite von mehr als anderthalb Meter erreichen. Der lange, schlanke Schwanz des S. ist mit scharfen Stacheln besetzt, diese wiederum sind mit Giftdrüsen verbunden. Der durch seine TV-Sendung »Crocodile Hunter« weltbekannte australische Tierfilmer und Naturschützer Steve Irwin, 44, wurde am 4.9. d. J. bei Dreharbeiten am Great-Barrier-Riff vor der Nordostküste Australiens von einem S. tödlich ins Herz gestochen. Rund 500 Millionen Fernsehzuschauern war Steve Irwin vor allem durch khakifarbene kurze Hosen, hyperaktives Gebaren und konsequente Todesverachtung ein Begriff. Das australische Parlament unterbrach am Tag des Unfalls seine Arbeit, um den »Crocodile Hunter« zu würdigen, ließ auf Halbmast flaggen und bot ein Staatsbegräbnis an – das Irwins Familie jedoch ablehnte. Nach Irwins Tod häuften sich an australischen Stränden Funde von verstümmelten und getöteten S., die die Vermutung nahelegten, zornige Fans hätten Vergeltung an der Tiergattung geübt.
Stockholm-Syndrom, psychologisches Phänomen, das die emotionale Bindung von Opfern einer Geiselnahme bzw. Entführung zum Täter beschreibt. Wurde im August d. J. auch bei Natascha → Kampusch diagnostiziert, die sich in ihren öffentlichen Stellungnahmen partout nicht abfällig über ihren Entführer Wolfgang Priklopil äußern wollte. Das S.-S. wird initiiert durch die traumatische Stresssituation, in die das Opfer einer Geiselnahme bzw. Entführung gerät: Als Schutz vor dem Täter werden archaische Bindungsmechanismen aktiv, die denen einer Kleinkind-Eltern-Beziehung ähneln. In der Folge solidarisiert sich das Opfer mit dem Peiniger und entwickelt Gefühle, die freundschaftlicher, aber auch zärtlicher Natur sein können. Im Gegensatz dazu werden zur Rettung bestimmte Einsatzkräfte als Bedrohung erlebt. Der Name S.-S. geht auf die Ereignisse vom 23. bis 28.8.1973 zurück, als sich der Kriminelle Janne Olsson in einer Stockholmer Bank verschanzt hatte, um drei Mio. Kronen und die Freilassung des schwedischen Star-Gangsters Claes Olofsson zu erpressen. Er nahm vier Angestellte als Geiseln; eine davon verliebte sich in Olsson.
Störung der Totenruhe, auch Grab- oder Leichenschändung, laut Paragraf 168 StGB ein Straftatbestand, der mit einer Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren geahndet werden kann. Die Bezeichnung ist insofern irreführend, als Tote mehr als nur ruhen, folglich auch nicht gestört werden können; bei der S. d. T. handelt es sich daher vielmehr um die Verletzung von Pietätsgefühlen der Hinterbliebenen. Die S. d. T. beschäftigte in d. J. die Öffentlichkeit, nachdem Fotos von dt. Soldaten in Afghanistan publik wurden, die mit Leichenteilen posierten; auch Offiziere sollen von den z. T. obszönen Bildern Kenntnis gehabt haben. Da Grabschändung in islami-schen Ländern als schwere Sünde gilt, kamen Befürchtungen auf, die Sicherheit der Bundeswehrsoldaten in Afghanistan sei nicht mehr gewährleistet. Diese erwiesen sich jedoch als unbegründet. Auch in Dtl. wurden die auf den Fotos abgebildeten Soldaten nicht belangt, da die Skelette offenbar nicht von einem Friedhof, sondern aus einer Kiesgrube stammten, womit keine S. d. T. vorlag.
Suri, 1. äthiopischer Volksstamm; 2. südamerik. Lama-Art; 3. weibl. Vorname, bekannt geworden durch die Tochter der Schauspieler Tom Cruise und Katie Holmes. Die Wahl des Namens ging nach Aussage des Paares auf die angebl. Bedeutung von S. im Persischen (»rote Rose«) und Hebräi-schen (»Prinzessin«) zurück. Wenig später machten Sprachwissenschaftler jedoch darauf aufmerksam, dass das Wort in beiden Sprachen so nicht existiere. Im Umfeld der Schauspieler setzte sich vielmehr die Überzeugung durch, S. sei von »Surrey« abgeleitet, jener engl. Grafschaft, in der die Scientology-Sekte ihren britischen Hauptsitz habe.
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U
Unterschicht, oft auch Neue U., soziolog. Terminus für Menschen, deren Existenz von Arbeitslosigkeit, Armut und Resignation geprägt ist. Die Erweiterung des Begriffs U. auf N. U. steht für die Tatsache, dass diese Symptome nicht mehr ausschließl. auf die klassischen Gruppen sozialer Gefährdung wie z. B. Menschen ohne Schulabschluss beschränkt sind, sondern sich auf Menschen mit abgeschlossenem Studium, Fremdsprachenkenntnissen und Berufserfahrung ausgeweitet haben (→ Prekariat). Zudem umfasst die Bez. nicht mehr allein die ökonomische Lage einer Gruppe, sondern auch deren kulturelle Präferenzen wie bestimmte Fernsehsendungen. Im Okt. d. J. löste der SPD-Vorsitzende Kurt Beck eine Mediendebatte aus, nachdem er in einem Zeitungsinterview den unpopulären Begriff U. verwendet und angeprangert hatte, zu viele Menschen hätten sich mit ihrer aussichtslosen Lage arrangiert. Ende Okt. sprachen sich die Parteien im Bundestag gegen die Verwendung des Begriffs U. in der Debatte über Armut in Dtl. aus. Er diene als »politischer Kampfbegriff« und habe eine weitere Ausgrenzung der Betroffenen zur Folge.
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W
Waffen-SS, Kampfverband der bewaffneten und kasernierten Einheiten der NSDAP-Schutzstaffel (SS). Die W. ging aus der für den persönlichen Schutz Adolf Hitlers bestimmten Verfügungstruppe und den SS-Totenkopfverbänden, die für die Bewachung der Konzentrationslager zuständig waren, hervor. Die Bezeichnung W. kam etwa im November 1939 auf. Anfangs als militärische Elitetruppe aus Freiwilligen rekrutiert, wuchs die W. im Laufe des Zweiten Weltkriegs zu einer zuletzt mehr als 900 000 Mann umfassenden Nebenarmee heran, deren Divisionen taktisch in die Wehrmacht eingeordnet waren. Im August d. J. überraschte der Schriftsteller und Literaturnobelpreisträger Günter Grass (*16.10.1927) mit dem Bekenntnis, als 17-Jähriger Mitglied der W. gewesen zu sein. Grass hatte seine Mitgliedschaft eher beiläufig in einer Passage seines Erinnerungsbuches »Beim Häuten der Zwiebel« erwähnt, erklärte aber noch vor Erscheinen des Buches in einem Interview mit der »Frankfurter Allgemeinen Zeitung« die Gründe für seine damalige Entscheidung und sein langes Schweigen. Die Resonanz auf das Geständnis war geteilt: Während die Mitgliedschaft selbst vielfach mit Grass’ Jugend entschuldigt wurde, sorgte der späte Zeitpunkt der Äußerung für Kritik. Anders als die Einschätzung seines Werks wurde sein Ruf als intellektuelle moralische Instanz dabei weitgehend revidiert.
Werkstattwagen, 1. kleiner, rollbarer Behälter zur Aufbewahrung von Arbeitsgeräten in Werkstätten; 2. Servicefahrzeug für Schienennetze. Am 22.9. d. J. stieß ein Zug der Magnetschwebebahn »Transrapid« auf der Teststrecke bei Lathen im Emsland mit einem 60 Tonnen schweren W. zusammen. 23 Menschen kamen dabei ums Leben. Der weiß-grüne W. mit Dieselantrieb hatte in den Stunden vor dem Unfall um 9.54 Uhr auf einer allmorgendlichen Routinefahrt die Strecke von Blättern und Ästen gereinigt. Dass er sich noch auf der Strecke befand und der Zug trotzdem mit insgesamt 31 Passagieren an Bord seine Fahrt aufnehmen konnte, führte die Staatsanwaltschaft Osnabrück nach ersten Ermittlungen auf menschliches Versagen des Leitstands und Zugführers zurück. Auch bei zwei Unfällen des Transrapid in den Jahren 2004 und 2005, die lediglich mit Sachschäden endeten, waren jeweils W. involviert.
Wickelvolontariat, abwertende Bezeichnung für den Versuch der dt. Bundesregierung, Väter stärker in die Betreuung ihrer Kleinkinder einzubeziehen. Im Zusammenhang mit der Reform der staatlichen Unterstützung für junge Familien wird bei Geburten nach dem 1.1.2007 zwölf Monate lang Elterngeld gezahlt; erklärt sich der Mann bereit, seine hauptberuflichen Tätigkeiten zum Zwecke der Erziehung ruhen zu lassen, wird das Elterngeld für das W. um weitere zwei Monate verlängert. Als Urheber der Wortschöpfung gilt der CSU-Landesgruppenchef im Bundestag, Peter Ram-sauer, der mit dem Begriff W. die Einführung der Vätermonate diskreditieren wollte. Nach eigenen Angaben wurde Ramsauer daraufhin von seiner Frau mit den Worten zur Rede gestellt: »Was hast du dir eigentlich dabei gedacht? Das hast du dir mal wieder überhaupt nicht überlegt.«
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Y
Youtube [aus engl. you, »du«, und tube, »Röhre«, ugs. auch »Glotze«], Internet-Videoportal. Der im Februar 2005 von den amerikanischen Unternehmern Steve Chen und Chad Hurley gegründete Dienst wurde innerhalb nur weniger Monate zu einer der beliebtesten Websites und im Oktober d. J. vom Suchmaschinenbetreiber Google für 1,65 Mrd. US-Dollar übernommen (→ My-space). Y. erleichtert die Veröffentl. und das Abspielen von Videoaufnahmen im Internet und regte v. a. die Produktion und digitale Verbreitung von Amateurfilmen erheblich an. Nach Angaben des Unternehmens werden auf Y. täglich 100 Millionen Filme ab-gespielt. Zu den beliebtesten Beiträgen gehören neben Filmtrailern und professionellen Musikvideos private Interpretationen von Musiktiteln (→ Grup Tekkan) und persönliche Videotagebücher, aber auch Propagandavideos politischer Interessengruppen. Besonders aktiven Mitgliedern gelang es, sich Prominentenstatus zu erarbeiten. So gilt als Y.-Star u. a. ein junges Mädchen, das unter dem Namen »lonelygirl15« aus seinem Leben als US-Teenager berichtete, sich aber im September d. J. als 19-jährige Schauspielerin aus Neuseeland entpuppte.
Screenshot: www.youtube.com
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Z
Zwergplanet, Bezeichnung für Himmelskörper, die sich auf einer Umlaufbahn um die Sonne befinden und eine kugelförmige Gestalt besitzen. Der Titel Z. wurde am 24.8. d. J. von der Internationalen Astronomischen Union (IAU) eingeführt; im Unterschied zu Planeten teilen sich Z. ihre Umlaufbahn mit anderen Himmelskörpern. Daher wurde dem langjährigen Planeten Pluto, der als Teil des sog. Kuiper-Gürtels zusammen mit einer Vielzahl von Asteroiden und Kometen um die Sonne kreist, der Status aberkannt; er wurde wie die Himmelskörper Ceres und Eris zum Z. herabgestuft. Die Neudefinition stieß in Fachkreisen auf teils massive Kritik, da nach den Regeln der IAU nun auch die Erde und der Jupiter als Z. gelten müssten. Ihre Umlaufbahn wird von Tausenden kleinen Himmelskörpern gekreuzt.
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Autoren: Andreas Bernard, Julia Decker, Thomas Girst, Sebastian Glubrecht, Kerstin Greiner, Tobias Haberl, Jan Heidtmann, Frank Müller, Barbara Nolte, Max Scharnigg, Rainer Stadler, Harald Staun, Verena Stehle, Lilith Volkert, Johannes Waechter, Dominik Wichmann.
Auswahl und Redaktion: Andreas Bernard, Jan Heidtmann
Illustrationen: Bernd Schifferdecker
Fotos: DPA, LAIF, STOCKFOOD