Die gute Form – mit diesem Buchtitel prägte 1957 Max Bill, Bauhaus-Schüler und Mitbegründer der Ulmer Hochschule für Gestaltung, einen bis heute feststehenden Begriff. In der Moralphilosophie ist »das Gute« schon seit Aristoteles bekannt als das, wonach man streben sollte.
Auch der tägliche Sprachgebrauch kennt mehrere Bedeutungen von »gut«, was beim Design Verwirrung stiften kann: Geht es um »gut« als Gegenteil von »schlecht« und meint es dann nicht nur das Design selbst, sondern die Tauglichkeit für einen Zweck, zum Beispiel den Gebrauch? Oder geht es um das Gegenteil von »böse«, was eine menschliche, ja moralische Zuschreibung wäre? Design bestimmt den Alltag, deshalb geht die Frage nach seiner moralischen Dimension uns alle an. Womöglich gibt es sogar einen inneren Zusammenhang, ja eine Abhängigkeit des Designs von der Moral. Das Bauhaus wollte über Gestaltung die Lebensumstände der Menschen verbessern. Der Deutsche Werkbund hatte sich Anfang des letzten Jahrhunderts sogar zum Ziel gesetzt, über die Moral der Dinge, ihre gute Qualität, den Menschen zum Besseren zu erziehen. Und 1964 fanden sich Grafikdesigner zusammen, um in dem Manifest First Things First die Konzentration auf gesellschaftlich relevante Themen zu geloben. Es wurde im Jahr 2000 erneuert. Heute, in Zeiten von Erderwärmung und weltweiter Rohstoffverknappung, ist »grünes Design« das Schlagwort der Stunde.
Alle diese Ansätze eines moralischen Designs – die Erziehung zum besseren Menschen durch die gute Form, die Verbesserung der Lebensumstände, die Auswirkung von Herstellung, Gebrauch und Entsorgung auf die Umwelt, die Auswirkung der ästhetischen Gestaltung auf die Gesellschaft und die Frage einer möglichen Pflicht zur »Verschönerung der Welt« – scheinen auf einer Grundunterscheidung zu basieren: Jedes Designobjekt hat eine materielle Ebene, die sich der Nützlichkeit, dem Gebrauch zuordnen ließe, und eine nichtmaterielle Ebene, die man vereinfacht die künstlerische nennen könnte, den Teil, welchen der Berner Designhistoriker Beat Schneider genauer in die ästhetischen und symbolischen Funktionen aufspaltet. Beide Seiten haben spezifische Auswirkungen auf das Miteinander der Menschen, und begreift man Moral als die Summe der Grundsätze, die unser Miteinander bestimmen, kann keiner der beiden Aspekte losgelöst von moralischen Erwägungen bleiben.
Wie konkret diese im Alltag wirken, zeigt die Diskussion um die Sport Utility Vehicles (SUVs), deren Design eine Mischung aus Luxuslimousine und Geländewagen darstellt. Neben der erhöhten Fremdgefährdung für andere Verkehrsteilnehmer durch Form und Gewicht der SUVs stellt sich die ethische Frage: Ist es vertretbar, ein Auto zu fahren, das 20 oder mehr Liter Benzin auf 100 Kilometer verbraucht, ohne dass es dafür eine Notwendigkeit gibt, etwa den Wohnort auf einer abgelegenen Berghütte?
Zu fragen wäre aber auch, wie Formgebung und Ästhetik solch eines Autos auf die Gesellschaft wirken – vor allem in ihrem symbolischen Gehalt im Sinne Beat Schneiders. Viele der modernen SUVs benutzen die Formensprache der Macht, des Reichtums und der Abgrenzung: Man sitzt höher in ihnen, schaut auf die anderen buchstäblich hinunter. Dazu gesellt sich ein unterschwelliges Bedrohungspotenzial durch die martialische Gestaltung.
(Lesen Sie auf der nächsten Seite: Speziell in einer Zeit sozialer Unsicherheit kann mehr noch als die Zurschaustellung von Luxus gerade die Darstellung von Macht gesellschaftszersetzende Wirkung haben)
Welche Auswirkungen hat solch ein Design in einer Konsensgesellschaft wie der deutschen, die in den letzten Jahren verstärkt über das Thema »Ausgrenzung« diskutiert unter dem Schlagwort des »abgehängten Prekariats«? Dieses Prekariat leidet ja nicht nur an der Nichtbefriedigung materieller Bedürfnisse. Zugespitzt ausgedrückt: Es ist hart genug, von Hartz IV zu leben, verheerend aber für den Zusammenhalt einer Gesellschaft ist das Gefühl der Chancenlosigkeit und Ausgegrenztheit.
Dieses Gefühl wird aber durch die Konfrontation mit einem Design verstärkt, das Macht und Luxus derjenigen nach außen betont, die zentral in der Gesellschaft stehen. Speziell in einer Zeit sozialer Unsicherheit kann mehr noch als die Zurschaustellung von Luxus gerade die Darstellung von Macht gesellschaftszersetzende Wirkung haben und damit allein aus der symbolischen Kraft des Designs heraus ethisch fragwürdig sein. Ein Problem, das die SUVs übrigens mit anderen Luxusautos teilen: Auch in diesem Segment zeigt die Gestaltung weniger Eleganz und Schnelligkeit als vielmehr Kraft, Macht, Aggression und Behauptungsanspruch. Dabei geht es nicht um die subjektive Frage: Was ist schön und was nicht?, sondern um die weiteren Funktionen und Aussagen des Designs.
Das Bauhaus wollte gesellschaftliche Gräben überwinden – mit Design, das Schlichtheit zum Prinzip erhob. Für den Gründungsdirektor Walter Gropius gehörten Design und Ethik zusammen im Sinne einer Sozialmoral. In seinen Grundsätzen der Bauhaus-Produktion forderte er eine neue Werkgesinnung, die sich ausdrücklich auf die soziale Frage bezog. Durch »Einfachheit im Vielfachen, knappe Ausnutzung von Raum, Stoff, Zeit und Geld« und die »Schaffung von Typen für die nützlichen Gegenstände« sollten die Lebensumstände der Menschen verbessert werden. Gropius wollte Ressourcen effizienter nutzen. Wenn Gegenstände so gestaltet würden, dass Materialeinsatz und Herstellung sie günstiger machen, kommt dies sozial Schwächeren zugute, die sich diese Gegenstände dann leisten können. Geht dies mit einer »guten Gestaltung« einher, können die Lebensverhältnisse auch ästhetisch verbessert werden – ein doppelter Gewinn.
Der sozialreformerische Designansatz ist heute gegenüber ökologischen Aspekten in den Hintergrund getreten. Steht in Zeiten des Klimawandels das »grüne Design« in der logischen und legitimen Nachfolge des sozialreformerischen, oder haben wir es nur mit einer Mode zu tun? Ist Grün das neue Rot im Design? Womöglich kommt der Frage nach Energieverbrauch und CO2-Ausstoß heute dieselbe moralische Relevanz zu wie damals den sozialen Anliegen. Andererseits sind – gerade jetzt in der wirtschaftlichen Krise – die sozialen Probleme nicht verschwunden. Hinzu kommt: Ökologisches Design ist meist teurer. Nicht jeder kann es sich leisten. Und welcher Aspekt hat Vorrang: der soziale oder der ökologische? Könnte es, falls ökologisch korrekte Produkte zu einem neuen Statussymbol werden, nicht zu einer weiteren Ausgrenzung finanziell schwächerer Bevölkerungsteile kommen – zu einem Non-Öko-Prekariat? Bei den Biolebensmitteln und der Diskussion, ob man bei Discountern noch einkaufen darf, kann man das heute zum Teil schon erleben.
(Lesen Sie auf der nächsten Seite: War das Massendesign des Sozialismus gut gemeint, aber eben nicht gut gemacht?)
Für Gropius war gutes Design auch eine Frage der Herstellung. Durch Standardisierung sollte die Produktion von Bauhaus-Design so billig werden, dass jeder es sich leisten konnte. Die sozialistischen Länder verfolgten diesen Ansatz später weiter und erhoben ihn beispielsweise in Form des Plattenbaus zum Prinzip. Nicht nur zur Freude der Bewohner: Neben bauphysikalischen Schwächen führte gerade die Uniformität, die geringe Auswahl etwa an Tapeten oder Ausstattung zu Unbehagen, zu einem Gefühl der Monotonie.
War das Massendesign des Sozialismus gut gemeint, aber eben nicht gut gemacht? Der Verdacht liegt nahe, doch spricht der weltweite Erfolg uniformierender Moden und Marken eher dagegen. Und verfolgen nicht Firmen wie Ikea und H & M mit ihren in hoher Auflage günstig produzierten Produkten die Strategie der Standardisierung im Sinne des Bauhauses? Damit wären diese beiden Inbegriffe von Kapitalismus und Globalisierung zumindest in diesem Punkt wirkmächtige Vertreter sozialreformerischer Ideale. Damit wären wir beim Paradox, dass gewinnorientiertes Produktmarketing ohne moralische Absichten die moralisch hochgesteckten Ziele des Bauhauses vielleicht nicht auf dessen ästhetischem Niveau, dafür aber in der Praxis umso erfolgreicher erreicht.
Am Ende bleibt die Frage, wie viel ethische Verantwortung der Designer selbst trägt. Im Manifest First Things First 2000 heißt es dazu, dass die ökologischen, sozialen und kulturellen Krisen die Aufmerksamkeit der Designer fordern. Nötig sei »eine geistige Wende weg vom Produktmarketing und hin zu einer neuen Sinngebung«. Dies blieb nicht unwidersprochen. Im Zentrum der Debatte stand die Frage, inwieweit sich der Designer zum Erziehungsberechtigten der Gesellschaft aufschwingen darf. Der Grafiker Alex Cameron warnte, wenn »der Designer als Vermittler durch den Designer als Priester des Guten abgelöst wird, bedeutet das die Entmündigung des Publikums«. Einer derartigen Entmündigung sei aber, so Cameron, »allemal vorzuziehen, dass die Menschen ihre Entscheidungen selbst treffen – ungeachtet der Tatsache, dass der Designer diese Entscheidungen möglicherweise falsch findet«.
Die erzieherischen Designansätze, wie sie das Bauhaus und der Werkbund verfolgten, reiben sich in der Tat mit demokratischen Grundsätzen. Wer legt fest, was als schön und gut zu gelten hat? Führt solch ein Designidealismus in letzter Konsequenz nicht zu Bevormundung, ja zu einer Gestaltungsdiktatur? Gehört zu den Grundrechten nicht auch das auf schlechten Geschmack? Solch eine Bevormundung wäre tatsächlich höchst fragwürdig, ginge es nur um die Frage: schön oder hässlich. Bei der moralischen Frage von gut oder böse aber kann niemand seine Hände nach getaner Arbeit in Unschuld waschen. Ein Produzent von Landminen kann sich auch nicht darauf berufen, dass er die Kriegsparteien dieser Erde bei der Wahl ihrer Mittel nicht bevormunden will. Design ist nicht ethisch neutral, und ein Designer kann sich ebenso wenig wie jeder andere auf den Standpunkt zurückziehen, was aus seiner Arbeit entsteht, gehe ihn nichts an. Design ist Gestaltung, und zu gestalten beinhaltet Verantwortung.
Rainer Erlinger, 43, ist Mediziner, Jurist und Publizist. Seit sieben Jahren beantwortet er die »Gewissensfragen« unserer Leser.