SZ-Magazin: Herr Saviano, wie gut ist das Gedächtnis der Camorra?
Roberto Saviano: Sehr gut. 1993 hatte ein Clan in Neapels Stadtteil Secondigliano den Erben eines anderen Clan-Bosses umgebracht, man nannte ihn den »Kleinen Prinzen«. Am nächsten Tag hängte der Clan des Kleinen Prinzen eine Liste an die Kirchentür, mit den Namen all derer, die man für verantwortlich hielt. Die Liste bedeutete: Übergebt sie uns, sonst werden ihre Verwandten büßen. Den Vorletzten haben sie letztes Jahr umgebracht, also 13 Jahre nach dem ersten Mord. Der Letzte auf der Todesliste sitzt noch, man wartet mit der Hinrichtung bis zu seiner Entlassung.
Wie lange wird die Camorra wohl bei Ihnen auf Rache sinnen?
Schwer zu sagen. Die Camorra verändert sich ja ständig. Wer mich heute hasst, kann morgen schon tot sein. Allerdings haben die Carabinieri in meinem Fall einige Anzeichen dafür gefunden, dass man sich noch lange an mich erinnern wird. Nach dem Motto: Wir warten, bis die öffentliche Aufmerksamkeit abebbt.
Welcher Camorra-Clan will Sie töten?
Vor allem der mächtige Clan der Casalesi, über den vor meinem Buch nie geredet wurde, zumindest nicht landesweit. Zwei Casalesi-Bosse sind seit zehn Jahren untergetaucht, ein dritter namens Francesco Schiavone, Spitzname Sandokan, wurde letztes Jahr in erster Instanz verurteilt. Es war der wichtigste Mafiaprozess seit Jahren, aber er fand in Italien kaum Aufmerksamkeit. Dabei soll es natürlich auch während der Berufungsverhandlung bleiben, damit die Richter nicht unter öffentlichen Druck geraten. Deswegen stört mein Buch den Clan so sehr.
Schiavones Bruder Walter dürfte Ihnen ohnehin nicht wohlgesonnen sein. Sie haben sich in Ihrem Buch über seine Villa lustig gemacht.
Walter Schiavone hat sich offenbar sehr aufgeregt. Aber nicht etwa, weil ich über seine Verbrechen oder seine leer stehende Villa berichte, sondern weil ich in sein Klo gepinkelt habe und das auch noch erwähne. Das ist natürlich eine Provokation für ihn, aber so war es auch gemeint. Die Villa ist übrigens sehr schön. Schiavone hat sich die gleiche große Treppe bauen lassen, wie sie Tony Montana in dem Film Scarface hatte. Schiavone zieht sich auch so an wie Montana und spricht wie er. Tony Montana ist für alle Männer in der Camorra der Mythos Nummer eins. Einer, der’s allein schafft, die Welt zu erobern. Der sich alles nimmt, was er will. Und bereit ist, dafür zu sterben.
Schauen sich Camorra-Leute gerne Mafia-Filme an?
Das Kino bestimmt sogar ihre Mode, schließlich sollen die Leute einen auf der Straße auch erkennen können. Als man Cosimo Di Lauro, den Sohn eines Camorra-Bosses, verhaftete, riefen kleine Kinder am Straßenrand »Die Krähe, die Krähe« – Di Lauro war wie Brandon Lee im Film Die Krähe gekleidet. Die vor zwei Jahren erschossene Patin Immacolata Capone zog sich an wie Uma Thurman. Man hält die Pistole heute auch nicht mehr gerade, das ist altbacken. Man hält sie beim Abfeuern quer wie die Jungs aus Pulp Fiction. Neapolitaner sind davon besessen, sich zu zeigen, Angst zu verbreiten. Sizilianer wie Bernardo Provenzano stellen ihre Macht nicht so obszön zur Schau. Scarface aus dem Jahr 1931 war ja auch ein Film über Al Capone, der kein Sizilianer war; seine Familie stammte aus einem Dorf nahe dem Vesuv. Mario Puzo, der Autor von Der Pate, ist auch kein Sizilianer. Puzos Figur Vito Corleone hatte kein sizilianisches Vorbild, sondern Frank Tieri, einen Italo-Amerikaner aus Neapel.
Sie haben undercover als Lagerist im Hafen von Neapel für die Camorra gearbeitet, sind monatelang mit kleinen Dealern durch die Vororte gestreift, haben kleine Textilfabriken und große Baufirmen der Camorra beobachtet – warum haben Sie sich für ein Buch in so große Gefahr begeben?
Aus Wut. Das mag kein edles Motiv sein, aber ich wollte nicht nur Zeugnis ablegen, ich wollte meiner Wut mit dem Tippen Luft machen. Ich habe zu viele Unschuldige auf dem großen Leichenberg der Camorra landen sehen, lauter Jungs, die nichts mit ihr zu tun haben wollten.
Wer weiß eigentlich, wo und mit wem Sie sich im Augenblick aufhalten?
Meine Familie, meine Leibwächter, sonst eigentlich niemand. Nicht einmal meine Freunde.
Wo sind Ihre Leibwächter?
Ich habe sie zum Essen geschickt. Inzwischen bin ich mit denen ja schon befreundet. Ich besitze die sogenannte dritte Schutzstufe: gepanzerter Wagen, zwei Carabinieri, rund um die Uhr. Im Süden Italiens gehören Leibwächter zum Alltag. Hier in Rom nicht, aber in Kampanien sind Leibwächter ein Statussymbol, auf das kein Bürgermeister verzichtet, selbst wenn er nur einen Chauffeur bräuchte.
Leben Sie inzwischen in Rom?
Ich lebe nirgendwo mehr, sondern wechsle alle zwei, drei Tage meinen Aufenthaltsort.
Haben Sie Angst?
Nicht vor dem Tod. Ich fürchte mich weit mehr vor der Verleumdung durch die Camorra: Als ein Clan den Pfarrer in meinem Heimatort Casal di Principe um-brachte – ich war damals noch ein Kind –, behauptete man sofort, er habe die Mädchen betatscht und sei pervers gewesen. Jede Stimme, die sich gegen die Verbrecher erhebt, wird desavouiert. Vor körperlicher Gewalt fühle ich mich durch meine Leibwächter recht gut geschützt. Allerdings ist meine Bewegungsfreiheit stark eingeschränkt.
Bereuen Sie, das Buch geschrieben zu haben?
Das nicht, aber natürlich vermisse ich mein altes Leben. Insofern hat das Buch mein Leben ruiniert. Ich bin ja kein Staatsanwalt oder Mafia-Ermittler, ich bin Schriftsteller, der gern auch mal über andere Dinge schreiben würde, aber so ein Buch brandmarkt dich und nimmt dir auch die Leichtigkeit für andere Themen. Am meisten tun mir allerdings meine Eltern leid. Sie werden bis heute geschnitten. Anfangs erzählte ich, sie hätten mit mir gebrochen, damit man sie nicht in Sippenhaft nimmt.
Leben Sie wie ein untergetauchter Mafioso?
Ja, nur haben die Untergetauchten mehr Angst. Ich bin fröhlicher. Camorra-Leute im Untergrund müssen sich selbst vor den eigenen Leuten fürchten. Aber seit ich mit Leibwächtern lebe, gleichen sich unsere Leben immer mehr an. Staatsanwälten, Richtern und Ermittlern geht es ebenso. Besser geht es nur Camorristi, Mitgliedern eines Clans, die sich noch frei bewegen können.
Befinden sich denn viele Camorra-Leute auf der Flucht?
Einige. Bosse wie die Gebrüder Russo, die mit ihrem Boot die Erde wie ein Tsunami umkreisen. Sie gehen nie an Land. Andere haben nie ihr Heimatdorf verlassen: Michele Zangaria, Antonio Iovane – die sind seit elf Jahren in einem Ort mit zwanzigtausend Einwohnern nicht aufzufinden. Michele Zangaria versteckte sich sogar einmal in einer Kirche, in einem eigens eingebauten Versteck. Er traf seine Leute im Beichtstuhl, saß dort, wo der Priester sitzt.
Wie viele Clans gibt es in Neapel?
Hunderte von kleinen Banden, die auf Erpressung spezialisiert sind, bis hin zu den großen Unternehmerkartellen, die überall auf der Welt ihre Finger drin haben.
Wann sind Sie aus Neapel geflüchtet?
Freitag, den 13. Oktober vergangenen Jahres. Die Drohungen häuften sich damals. Vermissen Sie die Stadt? Sehr. Trotz aller Widersprüche, trotz der Anschuldigung seitens der Stadtverwaltung, ich hätte Neapel mit Dreck beworfen. Aber ich liebe meine Heimatstadt, nur deswegen konnte ich so viel von ihr erzählen.
Trauen Sie sich noch nach Neapel?
Ja, aber nur mit der Eskorte. Ich stehe auch in ständigem Kontakt mit der örtlichen Anti-Mafia-Einheit und den Carabinieri, die mich beschützen. Das ist schön: Beide Gruppen haben sich sofort um mich geschart. Damit haben sie auch den Wert meines Buches anerkannt. Das kommt nicht oft vor in Italien. Intellektuelle gelten zumeist als harmlose Narzissten.
Stimmt es, dass erst ein Aufruf Umberto Ecos dazu führte, dass Sie Geleitschutz bekamen?
Nein, ich bin Eco sehr dankbar, aber er mahnte nur, Menschen in meiner Lage nicht im Stich zu lassen. Heute schützt mich ohnehin mein Ansehen, man kennt mein Gesicht. Für Unbekannte ist es viel gefährlicher, sich gegen die Camorra zu stellen. Vor ein paar Jahren haben sie den Gewerkschafter Federico del Prete umgebracht. Ein Kronzeuge berichtete, die Bosse hätten sich vor dem Mord über seinen Bekanntheitsgrad informiert: »Werden die Zeitungen über ihn berichten?« – »Nein.« – »Das Fernsehen?« – »Nein.« – »Dann können wir’s machen.«
Stimmt es, dass Sie nach Erscheinen Ihres Buches im Restaurant oder beim Bäcker nicht mehr bedient wurden?
Das kam vor. Besonders als ich im Fernsehen über die Dinge sprach, wurden manche Leute mir gegenüber misstrauisch. Ich wurde zum Aussätzigen in den einfachen Vierteln Neapels, dort, wo ich lebte. Einige baten mich, ihren Laden nicht mehr zu betreten. Dieses Buch hat gewisse Kreise genervt.
Haben Sie die Camorra genervt, weil Sie im Unterschied zu vielen Schriftstellern vor Ihnen erstmals auch Namen der wichtigsten Familienclans nennen?
Das Buch stößt in erster Linie auf, weil es gelesen wird. Die erste Auflage betrug 5000, jetzt sind es allein in Italien 800 000. Es wird gelesen, weil es wie ein Roman angelegt ist, aber die Wirklichkeit zum Inhalt hat, mit Namen und Quellen. Das Buch nervt die Clans, weil ich wirtschaftliche Zusammenhänge aufzeige.
Womit verdient die Camorra am meisten – Drogen, Müll, Mode?
Sicherlich mit Kokain und Zement. Und Müll. Der ist so lukrativ wie Kokain, aber das Abfallgeschäft ist kompliziert, nur die mächtigsten Clans betreiben es. Seit dreißig Jahren kommt der Müll vom Norden nach Kampanien, im ganzen Land wurde er vergraben. Die Camorra importiert den Müll zu einem Viertel des Preises, den die Stadt Neapel für ihren Müll in deutschen Verbrennungsanlagen bezahlt. Haute Couture bedeutet im Vergleich dazu nur ein kleines Zubrot. Haben die großen italienischen Modehäuser denn zwei Jahre nach Erscheinen Ihres Buches etwas geändert an Ihrer Auftragsvergabe? Nein, sie haben mich nicht mal verklagt. Die Modehäuser vertrauen nach wie vor ihren Subunternehmern und schieben so die Verantwortung von sich. Aus den kleinen, von der Camorra kontrollierten Nähfabriken Neapels stammt das Kleid von Melanie Griffith, das sie bei der Oscar-Verleihung trug, Madonnas Schuhe im Musical Evita stammen aus Mugnano bei Neapel. Nein, die Modelabels haben nichts verändert, schlimmer noch, es gibt Hinweise darauf, dass die großen Labels sich jetzt schon selbst fälschen und Modelle wie Stoffe gegen Provision freigeben, um diesen größeren Markt selbst zu bedienen und zu kontrollieren.
Warum arbeiten sogar Firmen mit großem Renommee mit der Camorra zusammen?
Weil solche Geschäfte große Vorteile bringen: niedrige Kosten, beste Qualität, keine bürokratischen Hindernisse. Am Bau kommen die Kabel vom Schwarzmarkt, der Sand vom Strand. Alle wollen mit der Camorra zusammenarbeiten, auch wenn sie keine Knarre vors Gesicht gehalten bekommen. In Süditalien zahlt jedes Bauunternehmen Schutzgeld. Damit man eine Ausschreibung gewinnt oder einen günstigen Kredit oder Versicherungen bekommt. Und wenn die Polizei kommt, kannst du dich als Opfer darstellen.
In Ihrem Geburtsort Casal di Principe sollen allein 570 Baufirmen zugelassen sein.
Eine Familie hat oft bis zu fünf Baufirmen, die in ganz Italien arbeiten. Mafia-Ermittler haben gerade herausgefunden, dass Leute aus dem Umfeld des Verkehrsministers Pietro Lunardi der Regierung Berlusconi die Camorra aufgefordert haben, sich auch an den Ausschreibungen für die großen öffentlichen Aufträge zu beteiligen. Jeder will Geld sparen.
Ist Casal di Principe schlimmer als Neapel?
Ich sag’s mit einem Spruch von uns zu Hause: Im Vergleich zu Casal di Principe scheint Corleone wie von Walt Disney gezeichnet. 44 Prozent der Einwohner von Casal di Principe haben eine Vorstrafe wegen Paragraf 416/2: Bildung einer mafiösen Vereinigung. Es ist eine gutbürgerliche Camorra. Alle Bosse sind Söhne von Grundbesitzern oder Bauunternehmern. Sie haben studiert, im Ausland, auf den besten Universitäten. Kann man in Neapel überhaupt leben, ohne mit der Camorra in Kontakt zu kommen? Nur wer kein Geld verdient oder den ganzen Tag in den Himmel schaut.
Kann ein Tourist Neapel besuchen, ohne die Camorra mitzufinanzieren?
Im Tourismus ist das möglich. Die Camorra besitzt zwar viele Restaurants und Hotels, aber die hat sie schließlich auch in Deutschland. In Berlin gab es sogar einen eigenen Camorra-Laden für hochwertige Fälschungen: Haute Couture und Luxusartikel, die aus den gleichen Fabriken stammten wie die Originale. Die Camorra ist schon lange ein europäisches Problem, die Clans verfügen über sechs Prozent des europäischen Bruttoinlandsprodukts der EU. Es gibt heute weltweit keine Mafia ohne Kontakte zu den italienischen Clans. Die Camorra ist ja auch die erste Verbrecherorganisation, die multiethnisch agiert.
In Ihrem Buch schreiben Sie, wie rassistisch und rückständig die Camorra sei.
Vom Ehrenkodex her ist die Camorra rückständig. Ein Mitglied wurde umgebracht, weil er im Knast ein schwules Verhältnis hatte und so die Ehre des Clans beschmutzte. Das Geschäftsgebaren hat sich geändert: In den Achtzigerjahren kamen die ersten Afrikaner zur Tomatenernte. Der Boss von Castelvolturno, Mario Luise, gab den Befehl, alle Afrikaner umzubringen, und verbot den Leuten, sie zu beschäftigen. Eine Kindergärtnerin, die ihr Haus an eine nigerianische Familie vermietete, wurde bei lebendigem Leib verbrannt. Irgendwann aber verstand die Camorra, dass sie die Einwanderung nicht aufhalten konnte.
Was änderte man?
Die Camorra arrangierte sich mit der nigerianischen Mafia, gab ihnen ein eigenes Territorium, holte so viele Afrikaner ins Land wie nur möglich, brachte den eigenen rassistischen Boss um. Während die Lega Nord in Norditalien immer noch die Einwanderung bekämpft, besitzt die Camorra inzwischen das Monopol auf falsche Papiere. Die strikteren Einwanderungsgesetze haben der Camorra Millionen von Euro gebracht. Die Camorra ist sicher ein rassistischer Haufen, aber sie verstehen etwas vom Geschäft. Ohne die Umsätze der Mafia wäre Italien nicht auf EU-Niveau. Die Spezialtruppe der Anti-Mafia-Einheit spricht allein beim Casalesi-Clan von dreißig Milliarden Euro Umsatz im Jahr. Zusammen mit der Cosa Nostra und der N’drangheta macht das organisierte Verbrechen hundert Milliarden Euro im Jahr. Und wie gesagt: Es ist kein Problem des Südens. Die überteuerten Immobilienpreise in Rom rühren daher, dass der Casalesi-Clan keine Aktien mehr kauft, sondern nur noch Immobilien. Also gibt’s keine Wohnungen mehr, alles weg.
Was unterscheidet die Cosa Nostra von der Camorra?
Ihre Strukturen: Die Mafia besitzt die strenge Hierarchie einer Pyramide, das geht mit der Globalisierung nur sehr schwer zusammen. Die horizontale Hierarchie der Camorra erlaubt ihr, ständig neue Einheiten zu schaffen: Nimm dir fünf Burschen, und stell was auf die Beine, die Camorra erlaubt’s dir. Das macht die Cosa Nostra nicht: keine neuen Familien. In der Camorra zählen Blutsbande nicht so viel. In der Camorra gibt’s viele, deren Eltern nie etwas mit Verbrechen zu tun hatten. Es gibt auch keine ehernen Regeln, oft nicht mal Aufnahmerituale. Ein Boss aus der Gegend des Vesuv hat die Camorra mal so definiert: Business, Business, Business – nichts anderes. Je mehr Geld zu machen ist, desto schärfer werden die Aktionen der Camorra, desto höher steigt die Gewissheit der Camorristi, im Knast zu landen oder umgebracht zu werden.
Wie hoch ist für ein Camorra-Mitglied das Berufsrisiko zu sterben?
Der Tod ist kein Berufsrisiko, er gehört zum Berufsbild. Jeder Anfänger weiß: Ich will Geld, Frauen, ein gutes Leben und sterben wie ein Mann. In Casal di Principe ist man mit vierzig ein alter Mann. Auf dem Friedhof liegen viele Zwanzigjährige. Dieses Jahr gab es schon siebzig Tote durch die Camorra. Siebzig – das wäre in jedem Land eine Schlagzeile, hier nicht.
Wann haben Sie Ihren ersten Toten gesehen?
Mit zwölf Jahren. Ich hätte nicht gedacht, dass so viel Blut aus einem Körper fließen kann. Und Blut, vermischt mit Sägemehl, ist der schlimmste Geruch, den ich kenne. Ein Körper, der am Boden liegt, kommt einem immer klein vor, ganz klein. Als sie Dario Schirillo erschossen, einen unschuldigen Buben, betete ein Priester, Don Antonio, kniend vor der Blutlache – sie hatten den Leichnam schon weggeschafft. Und als er da kniete, hupte hinter ihm ein Auto: Der Fahrer wollte über der Blutlache parken und bat den Priester, den Weg frei zu machen. So ist der Krieg. Alles wird sofort vergessen. Im Irak, im Kosovo, in Süditalien. Weiter im Text. Das ist grausam, aber auch die einzige Weise, es durchzustehen. Schrecklich.
Foto: Contrasto/Laif