SZ-Magazin: In all Ihren Videos spielen berühmte Menschen mit. Woher kommt Ihr Interesse für Stars?
Francesco Vezzoli: Seit meiner Kindheit bin ich von Popstars besessen. Meine Mutter erzählt mir heute noch oft, dass ich mit vier Jahren unbedingt zu einem Konzert von Donna Summer gehen wollte. Diven zogen mich an wie ein Magnet. Später interessierte ich mich mehr für Schauspielerinnen. Das war natürlich ein vorsichtiges Ausloten schwuler Identität – nehme ich an, ich war ja noch ein Kind. Ich war auf mich allein gestellt. Also sog ich auf, was ich konnte. Ich war ein kleiner Sonderling. Heute arbeiten die Diven für Sie und helfen Ihnen bei durchaus sonderbaren Projekten.
In dem einem fiktiven Trailer für die Neuverfilmung des Softpornos Caligula zum Beispiel spielt Helen Mirren mit. In all meinen Werken geht es immer um die Instabilität der Identität – die Unmöglichkeit, die Wahrheit über sich herauszufinden: dass man nicht genau weiß, wer man selbst ist.
Aber wie bringen Sie ausgerechnet die Primadonnen dazu, in Ihren Filmen aufzutreten?
Das ist das Geheimnis von Vezzoli! Am Anfang war es sehr hart. Briefe, Briefe, Blumen, Blumen. Ich kann Ihnen die Rechnungen zeigen. Aber eigentlich geht es da-rum, dass du dich mit ihnen hinsetzt und sprichst. Vielleicht ist das meine Kunst, das Überzeugen.
Locken Sie die Stars mit Geld?
Nein! Ich weiß im Vorhinein nicht, ob die Besetzung und die Produktion auch wirklich funktionieren. Du kannst die Stars nicht mit Geld zwingen. Ich meine, was für ein Kunstwerk wäre das, wenn man Natalie Portman eine Million Dollar dafür zahlt, in einem Stück mitzuspielen? Das hat doch keinen Sinn. Fakt ist: Ich habe kein Geld. Ich habe keine Macht. Alles, was ich tun kann, ist eine besondere Situation vor der Kamera herzustellen. Die Zusammenarbeit mit Sharon Stone zum Beispiel lief genauso: eine psychologische Situation der Verwirrung, der Spannung, des Stresses.
(Lesen Sie auf der nächsten Seite: Warum Francesco Vezzoli Stars wie Uma Thurman, Salman Rushdie oder Lauren Hutton vor dem Guggenheim Museum eine Stunde lang frieren ließ)
Sie tritt in Democrazy als republikanische Präsidentschaftskandidatin der USA auf…
Es war nicht einfach, mit ihr zu drehen. Nicht weil sie keine gute Schauspielerin wäre! Sondern weil jeder dachte, dass diese Rolle gefährlich ist: Man könnte denken, dass sie wirklich kandidiert. Wir wandelten auf einem schmalen Grat zwischen Fiktion und Realität. Was ist das erfolgreichste TV-Show-Format unserer Zeit? Die Realityshow. Sieht immer sehr künstlich aus, nicht wahr? Anders ist es bei mir: Wenn man sich Gore Vidal in meinem Video Caligula ansieht, dann ist er nur er selbst, er spielt keine Rolle.
Sie schaffen es, große Stars gegen ihr Image zu besetzen. Und alle machen mit. Die seriöse Oscar-Preisträgerin Helen Mirren als dekadente Römerin in Caligula, der Philosoph Bernard-Henri Lévy als demokratischer Präsidentschaftskandidat in Democrazy und Jeanne Moreau als Reality-TV-Kandidatin…
Alle wirklich großen Filme, die ich gesehen habe, handeln von solchen Fehlbesetzungen! In Im Zeichen des Bösen spielt Marlene Dietrich eine Schwarzhaarige! Und in Zeugin der Anklage hat sie sogar eine doppelte Identität. Mein Liebling: die Garbo. In Ninotschka lacht sie, das galt damals als unerhörter Bruch mit ihrem Image.
Vielleicht ist es die Überschneidung von Realität und Fiktion, weshalb Stars wie Catherine Deneuve, Helmut Berger, und nun Cate Blanchett zusagen, in Ihren Videos mitzuwirken…
Das macht es ihnen vielleicht leichter. Weil die Schauspieler über ihre eigene Rolle reflektieren können, über öffentliche und private Identität. Und über die Art und Weise, wie die Medien heute die Identität eines Stars definieren. Was wiederum Einfluss auf ihre Selbstwahrnehmung hat, versteht sich. Das ist wie bei dem italienischen Autor Luigi Pirandello! Du weißt bei ihm nie, wo du gerade stehst. Darum ging es auch bei meiner Performance im Guggenheim.
Erzählen Sie uns von dem Abend?
Ich habe Pirandello modernisiert, so wie ich die Liebes-Zusammenkünfte bei Pasolini in ein Dating-Spiel verwandelt habe: Das Stück wurde zur Talkshow. Kann sein, dass das absurd und unverständlich wirkt. Es geht um Wahrheit vs. Fake, um Gossip vs. Realität, eine Frau, die die Wahrheit repräsentiert, und zugleich die Wahrheit ohne Gesicht. Die Schauspieler sind auf einer Bühne versammelt, um ein Stück von Luigi Pirandello aufzuführen, So ist es (wenn es Ihnen so scheint). Die Leute auf der Bühne reden stundenlang nur Gossip, Gossip, Gossip über eine Frau, die von Cate Blanchett gespielt wird. Darüber, ob sie die Frau eines älteren Mannes ist oder die Tochter von jemand anderem. Wenn sie selbst auf die Bühne kommt, stellt sie die Wahrheit dar. Aber wenn sie den Satz sagt: »Ich bin, wer ihr denkt, dass ich bin, aber ich selbst bin nichts«, dann geht es um das Scheitern an der eigenen öffentlichen Identität.
Der Abend war eine einzigartige Ansammlung von Stars. Auch im Publikum. Uma Thurman, Salman Rushdie, Lou Reed… Die Schauspieler saßen auf der Bühne im Kreis, ihre Rücken dem Publikum zugewandt, und sprachen den Text des Stücks in Mikrofone hinein.
Eine ziemlich strenge, trockene Angelegenheit. Und am Ende schritt Cate Blanchett in einer schier endlos dauernden Parade die Rampe des Museums hinab, von Blitzlichtgewitter und Stroboskoplicht umgeben, und betrat die Bühne. Die Zuschauer sahen sehr irritiert aus. Vielleicht weil sie merkten, dass sie zum Teil der Performance geworden waren! Das war kein Theater, sondern ein Experiment. Das Guggenheim ist ja ein Platz zum Herumlaufen mit seiner spiralförmigen Rampe und der Rotunde in der Mitte. Und nun saß diese surreale Anhäufung von Leuten da, eine der Olsen-Zwillinge, Rushdie oder Lauren Hutton, die sich alle anschauten, als ob sie dachten: Was zum Teufel geht hier vor sich? Der ganze Saal war das Kunstwerk! Weil jeder begriff, dass es auch um ihn ging. Diese irre Gästeliste, und alle müssen draußen anstehen und eine Stunde warten, wie bei einem Rock-Konzert, und dann bekommen sie 45 Minuten langweiliges, schmerzhaftes Pirandello-Theater geboten…
Und am Ende taucht Cate Blanchett für fünf Minuten auf.
Genau! Wie sie die Rampe im John-Galliano-Kostüm entlangschritt – während ja die anderen Schauspieler nicht halb so glamourös aussahen, immerhin, Natalie Portman trug Prada – das wirkte so wie ein sich endlos hinziehender roter Teppich. Die Paparazzi, die Filmkamera, und Cate Blanchett sagt: »Ich bin, was ich bin, ich bin nichts.«
(Lesen Sie auf der nächsten Seite: "Komm schon, Natalie Portman war mit dabei, verdammt noch mal! Fast jeder auf der Bühne hat schon mal einen Oscar gewonnen!")
Die Gesichter der Zuschauer waren wie eingefroren. Aber keiner verließ den Saal, weil alle anderen auch dablieben. War der Abend für Sie ein Erfolg?
Ich bin glücklich. So eine Performance ist natürlich immer ein Sprung ins Leere. Ich wollte aber nicht respektlos zu den Gästen sein. Sie können sich nicht beschweren, denn ich habe ihnen etwas geboten. Ich habe etwas geliefert, meinen Job gemacht! Ich habe ihnen die größten Stars der Welt versprochen, und die haben sie bekommen. Komm schon, Natalie Portman war mit dabei, verdammt noch mal! Fast jeder auf der Bühne hat schon mal einen Oscar gewonnen!
Mit das Seltsamste an dem Abend war, dass die 76-jährige Anita Ekberg auf einem rosa Lippensofa saß und damit quasi den Logenplatz unter den anwesenden Prominenten innehatte. Warum haben Sie sie dazugeholt?
Sie war das i-Tüpfelchen. Und sie saß auf einer Mae-West-Couch, stellte also die Überblendung gleich zweier Sexsymbole dar. Es war meine Art zu sagen: »Nur falls ihr es noch nicht begriffen habt: Hier geht es echt surrealistisch zu!« Sie war die prototypische Zuschauerin des Abends. Sie passte doch wunderbar ins Guggenheim: Ich meine, wen sonst hätte man nehmen sollen? Sie hat in dem besten Film aller Zeiten mitgespielt, La Dolce Vita, der gleichzeitig ein Film über Paparazzi ist… allora … da haben wir’s!
Gab es bei der Produktion Probleme?
Nur der Hairstylist war kurz vor Beginn der Vorführung plötzlich verschwunden. Nein, es hat alles funktioniert. Die Spannung fiel von mir ab, als ich sah, was für einen großen Zirkus ich veranstaltet hatte. Viele Zuschauer müssen es gehasst haben. Sie haben es nur akzeptiert, weil es Kunst war. Vielleicht haben sie sich gelangweilt. Vielleicht war die Performance arrogant, aber vielleicht handelt Kunst oft von Arroganz. Aber a) es ging immerhin um Pirandello, b) wer hat schon einmal ein so erstaunliches Set-up gesehen, c) wer hat schon einmal all diese Schauspieler zusammen auf einer Bühne gesehen? So etwas werde ich aber auf keinen Fall wieder machen.
Es war nur dieser eine Abend im Guggenheim? Keine Wiederholung?
Auf diese Art kommentiere ich den Kunstmarkt. Im Markt geht es doch nur um eines. Wie viel ist der Warhol wert, wie viel der Picasso. Sotheby’s: Immanenz! Christie’s: Immanenz! Ich finde das großartig. Kann es mir aber nicht leisten. Mir geht es um: Transzendenz! Um die momentane Erzeugung eines magnetischen Feldes. Darum geht es doch in der Kunst: Du stellst etwas auf einen Sockel und sagst: Das ist es. Das bewegt mich, das berührt meine Sensibilität oder was auch immer. Meine Performance im Guggenheim lässt sich nicht in Geld aufwiegen. Denn sie ist da – und schon wieder weg. Es dauert nur eine Nacht. Wie ein Sexabenteuer: Du siehst jemand Schönen auf der Straße, vielleicht ist er sogar zu schön für dich. Ihr habt Sex – und du siehst ihn nie wieder. Und vielleicht verliebst du dich sogar. Wie bei meinem Video Democrazy: Ich gebe dir eine Minute – und du siehst das Video nie wieder. Für mich ist das der einzige Weg, kritisch mit den Regeln der Kunst-Produktion umzugehen. Du musst den Augenblick erkennen und ergreifen.
(Lesen Sie auf der nächsten Seite: "Also, wenn einer sagt: Ich möchte ein Video kaufen, sage ich: no. Sagt er: Ich biete fünf Millionen; sage ich: no!")
Und den kann man nicht kaufen.
Nein. Wenn du kein Sammler bist, was schert dich Jackson Pollock? Okay, es sind hübsche Tropfbilder. Aber das Einzige, was interessiert, ist der Moment, als sie entstanden sind. Wut, Wildheit, Malerei. Wenn du drei Pollocks hast, was zur Hölle nützen sie dir? Es geht darum, eine Illusion zu erzeugen. Für mich ist die traditionelle Art, Kunst zu machen, vorbei. Ich finde es spannend: Gerade in New York, das so sehr vom Einfluss des Marktes angetrieben ist, ein Projekt anzubieten, in dem nur eine Diva auftaucht und dann wieder verschwindet… man soll fragen: War das wirklich sie?
Und was sagen Sie einem Sammler, der Ihre Kunst kaufen will?
Ich werde ihn ein Papier unterschreiben lassen, dass er eine Videodokumentation des Guggenheim-Events erwerben kann. In 100 Jahren. Nein, in 63. Aber dass er jetzt zahlen muss. Das klingt nach einem smarten Konzept für ein Kunstwerk.
Sie könnten Video-Stills oder Requisiten verkaufen!
Hab ich nie gemacht. Die Gagosian Gallery hat es netterweise verstanden, dass ich nicht einmal vom Video des Guggenheim-Abends eine Edition produzieren wollte. Ich will nicht die Anwesenheit der vielen Stars für Marktzwecke ausnutzen. Ich möchte mit ihrer Anwesenheit nur das Spiel mit der Identität zeigen. Cate Blanchett ist die gefragteste Schauspielerin der Welt. Also, wenn einer sagt: Ich möchte ein Video kaufen, sage ich: no. Sagt er: Ich biete fünf Millionen; sage ich: no! Das ist meine Reaktion auf die Hollywoodisierung des Kunstmarktes: Hier habt ihr Cate, und jetzt nehm ich sie euch wieder weg. Okay, bei fünf Millionen rufe ich Cate an und frage, sag mal, können wir eine Ausnahme machen?
Wie ist es mit Künstlern: Sind sie auch auf ihre Art Schauspieler?
Es ist komplizierter: Ein Künstler spielt immer, aber immer nur sich selbst. Die Selbstinszenierung gibt es schon lange, bei Dalí zum Beispiel, aber heute sind es so viele Dalís! Das ist langweilig. Also finde ich eher Gefallen daran, in meinen Inszenierungen anderen ihre wahre Persönlichkeit zu stehlen. Schon als Junge war ich fasziniert von Fotografien. Ich habe all diese Bücher gekauft, von Nan Goldin, Annie Leibovitz, Robert Mapplethorpe, ich war verrückt nach dem Liz-Taylor-Porträt von Helmut Newton. Diese Fotos erzählen davon, dass jemandem etwas gestohlen wird – und zwar seine Identität. Wie bei Pirandello. Die Identität wird durch die Abbildung umgeformt zu einem öffentlichen Bild. Ich versuche diese Mechanismen vorzuführen, im Guggenheim ebenso wie in meinen Filmen. Auch wenn ich eigentlich der Meinung bin: Die Videokunst ist tot.
Bitte? Warum das denn?
Alle großen Videokünstler der Generation, die vor meiner kam, haben in letzter Zeit erklärt, dass sie jetzt Kinofilme machen wollen. Douglas Gordon, Pipilotti Rist, Matthew Barney. Die Künstler, wegen denen ich Videokünstler geworden bin! Shirin Neshat, mein Idol: sie auch! Die Videokunst wird hollywoodisiert. Eine Parodie auf Videokünstler, die Kinofilme machen wollen, hab ich schon hinter mir: Caligula. Das wäre also geschafft. Nein, mein Punkt ist: Das Museum hat sich geändert. Als diese Künstler anfingen zu arbeiten, war die Videokunst ein Fragment, ein Detail. Die Museen waren in der Lage, sie zu schützen. Heute sind die Institutionen viel zu groß, die Kunstwelt ist mit Hollywood vergleichbar: Die Videokunst geht verloren wie ein Polaroid inmitten lauter Gurskys. Videokunst verkauft sich nicht. Dauert sie länger als eine Minute, schalten die Leute ab. Sie ist tot.
(Lesen Sie auf der nächsten Seite: "Sie wollen nur Informationen, etwa so: Ich mache hier ein Projekt, da ein anderes. Was tust du 2009? Och, ich fahre in Urlaub. Das heißt: Ah, der ist faul. Sofort verkaufen!")
Deshalb dauert Democrazy genau eine Minute?
Es ist so ziemlich das kürzeste Video, das ich je gemacht habe: Simultane Doppelprojektion, eine Minute lang: Das verwirrt die Leute. Sie denken: War’s das? Also bleiben sie länger. Weil Sharon Stone in dem Video so großartig ist. Das wollte ich: Ich zeige etwas und dann nehme ich es wieder weg. Push & pull. Es ist ein bisschen SM…
…und es ist Videokunst!
In Ordnung. Aber ich will einfach nicht mehr als Videokünstler bezeichnet werden. Ich bin auch in der Lage, Installationen, Fotografien und Stickereien zu produzieren. Diese ganze Idee bewegter Bilder ist so »youtube«. Ich verwandle das Guggenheim in ein Theater; dort wird eine Performance aufgeführt. Die neue Herausforderung lautet: Wie viel Theater verträgt ein Museum?
Keine Videos mehr.
Keine Videos mehr. Stattdessen kommt etwas Neues. Ich könnte mir vorstellen, etwas mit dem Kinsey-Report zu machen! Eine interaktive Website, mit Interviews und Clips. Das ist Videokunst, die das Internet heimsucht. Oder nur mein energischer Versuch, kein Filmregisseur zu sein. Weil jeder einer sein möchte. Jetzt habe ich erst mal zwei Projekte. Nach dem Pirandello-Stück folgt im Jahr 2009: eine Oper in der Met. Vielleicht wird Bertolucci sie inszenieren? Und für die Moskau-Biennale würde ich gern ein Ballett im Bolschoi-Theater aufführen.
Es scheint, als hätten es Künstler momentan schwer?
Man wird genau überprüft. Seit der Kunstmarkt zum Ersatz für den wirklichen geworden ist, schauen sich die Leute Künstler an wie Aktien. Sie rufen dich an und tun so, als würden sie plaudern. Aber sie wollen nur Informationen, etwa so: Ich mache hier ein Projekt, da ein anderes. Was tust du 2009? Och, ich fahre in Urlaub. Das heißt: Ah, der ist faul. Sofort verkaufen! Für Künstler wie Agnes Martin oder Donald Judd war das anders: Der Markt kam zu ihnen, als ihre Identität sich gefestigt hatte. Heute ist das extremer, weil es schneller geht. Und die jungen Künstler dürfen sich nicht beschweren. Genau wie Schauspielerinnen. Wenn sie sich über Paparazzi beschweren: Das hat auch keinen Sinn. Daher das Pirandello-Projekt: Es geht um Institutionen und wie man sie benutzt und um Erwartungshaltungen und wie sie unterlaufen werden. Oder erfüllt.
Die Museen orientieren sich auch an Hollywood. Das Guggenheim zeigt Mode und Motorräder.
Wissen Sie was? Wir sollten an dieser Stelle über meinen Kollegen Takashi Murakami reden. Darüber denke ich schon die ganze Zeit nach. Er hat im MoCA Los Angeles einen kompletten Louis-Vuitton-Store in seine Ausstellung integriert. Sofort bringt er mich damit in einen Konflikt: Wie weit darf man in der Kunst gehen? Ist es obszön, ein Geschäft in seine Ausstellung zu stellen? Ich finde: ja! MoCA-Direktor Paul Schimmel ist die Person, von der ich so etwas am wenigsten erwartet hätte. Religion im Museum: Vertreibt die Händler aus dem Tempel! Ich bringe Cate Blanchett ins Guggenheim – er Louis Vuitton ins MoCA. Aber ich tue es à la Brecht und er à la Coco Chanel. Aber vielleicht hat er recht! Murakami überspringt die europäische Autorität in Sachen Kultur. Er springt direkt von Japan nach Hollywood.
(Lesen Sie auf der nächsten Seite: "Dann entwirft er das Cover für Kanye West, und Kanye West tritt auf der Eröffnungsparty auf. Allora! Das ist nicht gut.")
Jetzt kann man Louis-Vuitton-Handtaschen oder sogar Kommoden im Museum kaufen. Die Kommode kostet eine halbe Million Dollar.
Ein Shop mitten in der Show. Es ist faszinierend. Wenn das passiert, muss irgendeine Wahrheit darin liegen. Sonst würde es nicht passieren. Ich frage mich: Ist das ein Louis-Vuitton-Store oder ein Murakami-Louis-Vuitton-Store? Davon hängt ab, wer den Vorteil davonträgt. Ich habe Louis Vuitton wegen eines Kostüms für die Performance im Guggenheim angefragt. Ich habe sogar John Galliano wegen eines Dior-Kostüms aus dem Film Zeugin der Anklage von Billy Wilder angefragt. Es ging darum, ob sie Zeichnungen oder Skizzen herausgeben. Nun ja, das ist eben old school. Murakami: Das ist new school – hol dir gleich den ganzen Laden ins Museum. Dann entwirft er das Cover für Kanye West, und Kanye West tritt auf der Eröffnungsparty auf. Allora! Das ist nicht gut. Aber man kann nicht mehr dran vorbei. Es ist passiert. Murakami geht in die Kunstgeschichte ein damit. Ich bin eifersüchtig! Wie wird es weitergehen?
Murakami wollte von Anfang an nichts anderes sein als: banal und superflach. Das hat er geschafft.
Sobald ich mich der Popkultur nähere, sehe ich: Murakami. Bei Louis Vuitton, in jedem Museumsshop, in der Mangawelt. Er taucht tief ein, ich bewahre mir kritische Distanz. Aber er begeht einen radikalen Vatermord. Er übernimmt Verantwortung.
Eines Ihrer Projekte ist es, Bilder von First Ladies zu sticken. Wie wichtig ist Politik für Sie?
Sehr wichtig. Besonders das Verhalten der Politiker. Ich bin kein Moralist, aber ich mag die Bilder von William Hogarth. Mir gefällt es, die Dekadenz und Ausschweifungen der herrschenden Klasse zu beobachten. Da sind Italien und die USA sehr großzügig. Es gibt immer einen Sexskandal. Daran lässt sich gut ablesen, wie sehr die Medien die Politik infiltriert haben. Politiker waren schon immer menschlich und korrupt, seit den Tagen von Caligula. Aber statt Tacitus erzählen heute die Medien diese Geschichten.
Sie denken an Berlusconi oder Sarkozy?
Eher Cécilia Sarkozy! Ich bin sehr überrascht über die Scheidung der Sarkozys. Ich dachte, die Rolle der First Lady würde ihr Spaß machen. Berlusconi ist Citizen Kane. Aber Sarkozy und seine Frau waren wie bei Tschechow und Proust! Sie spielten ihre Rollen so gut. Sarkozy wird Blairs Charisma erben. Er besucht Bush, aber seine Frau nicht. Weil sie sich nicht wohl fühlt. Wie smart ist das denn! Er muss – aber die First Lady hat eben keine Lust. Wundervoll.
Aber nun hat sie auch keine Lust mehr auf ihren Gatten.
Sie will ihre Freiheit. Ich weiß nicht, wie viel sie davon bekommen wird. Sie wird vielleicht noch mehr zu einer französischen Jackie O. werden, als wenn sie First Lady geblieben wäre. Ich lese Magazine aus aller Welt, glauben Sie mir: Diese Frau hat schon gewonnen. Sie hat ein sehr starkes öffentliches Image erzeugt. In einem Monat! Cherie Blair ist eine liebenswerte Frau, hat aber keinen Stil. Barbara Bush? Vergiss es. Angela Merkel, Entschuldigung, aber nicht mal John Galliano kann da etwas ausrichten. Cécilia Sarkozy ist cool, sie ist pushy und glamourös. Die Medien lieben sie, Männer fühlen sich sexuell zu ihr hingezogen. Jetzt müsste so eine Art Onassis auftauchen. Kommen Sie, stellen Sie sich mal vor, sie heiratet Rupert Murdoch: Was für ein Paar das wäre!
Eine Diva, wie geschaffen für Sie.
Sie ist eine Dominatrix. Ich ziehe den Hut vor ihr. Sie wäre die perfekte Pirandello-Besetzung. Die Linken und die Rechten würden nie für die Schönheit stimmen. Aber sie lieben es, glamouröse Frauen zu verehren.
Fotos: Matthias Vriens; "Hillary & Socks Clinton" 2007 und "Barbara & Millie Bush" 2007, Tintenstrahldruck und Wasserfarbe auf Leinwand mit Metallstickereien im Rahmen, von Francesco Vezzoli; Trailer für eine Neuverfilmung von Gore Vidals Caligula, 2005, 35-Millimeter-Film auf DVD, 5 Minuten von Francesco Vezzoli; Election Posters for Democrazy (Sharon Stone vs. Bernard-Henri Lévy), 2007, Digitaldruck auf Papier von Francesco Vezzoli; Democrazy, 2007, Videoinstallation, 1 Minute, UniCredit Group Collection, Courtesy MAXXI - Museo Nazionale Arti XXI Secolo, Rom, von Francesco Vezzoli.
Eine Nacht in New York - die Performance von Francesco Vezzoli:
Die Edition 46 - Künstler gestalten ein SZ-Magazin
Vezzolis Geheimnis -
der Philosoph Bernard-Henri Lévy über Vezzolis Theorien
So ist es (wenn es Ihnen so scheint) - Bilder der Performance
Großes Kino - Alle Darsteller auf einen Blick.
Luigi Pirandello - Der Autor des Stücks "So ist es (wenn es Ihnen so scheint)"
Die englische Original-Version des überarbeiteten Theaterstücks von Luigi Pirandello