Zum ersten Mal in Cannes und direkt auf Krawall gesohlt: Julia Roberts erklomm letzte Woche bei der Premiere ihres neuen Films Money Monster die vielleicht meistfotografierten Treppenstufen Europas mit einem Wahnsinskleid und: nackten Füßen. Nicht, dass das ein unappetitlicher Anblick gewesen wäre – bestens manikürt zeigten sich sogar ihre Fußnägel farblich passend zur schwarzen Abendrobe von Armani Privé. Das Anstößige an Roberts Auftritt ist der offenkundige Bruch mit den Cannes-Konventionen.
Erst vor einem Jahr machte sich große Empörung über die angebliche High-Heels-Pflicht an der Croisette breit. Dem britischen Magazin Screen zufolge sei einigen weiblichen Gästen – darunter sogar von Beschwerden geplagten älteren Damen – aufgrund ihres flachen Schuhwerks der Eintritt zu einer Filmpremiere verwehrt worden. Eine Diskriminierungs- und Gleichstellungsdebatte brach sich Bahn, am Ende entschuldigte sich Festivalchef Thierry Frémaux, sein Personal sei wohl etwas übereifrig gewesen.
Doch nicht nur so mancher roter Teppich fordert - orthopädischer und emanzipatorischer Gewissheiten zum Trotz - unverdrossen die Hackenhöhe.
Die 27-jährige Nicola Thorp etwa wurde kürzlich an ihrem ersten Arbeitstag als Empfangsmitarbeiterin beim Wirtschaftsprüfungs-Giganten PwC in London unbezahlt nach Hause geschickt, weil sie sich weigerte, ihre flachen Schuhe gegen fünf bis zehn Zentimeter hohe Pumps zu tauschen. Unter dem Motto #myheelsmychoice startete die Britin daraufhin eine Online-Petition mit dem Ziel, es Unternehmen zu verbieten, ihre Mitarbeiterinnen zum Tragen hoher Absätze zu verpflichten – mit aktuell fast 138.000 Unterzeichnern.
In scheinbar stillem Protest gegen deren Zwangs-Erhebung häufen sich in letzter Zeit die prominenten Anhängerinnen befreiter Fersen. Susan Sarandon zeigte sich am ersten Abend in Cannes mit Hosenanzug und spitzen Ballerinas, und sogar Victoria Beckham, König der Hacken, die auf zwölf Zentimetern nicht nur über rote Teppiche schreitet, sondern auch mit drei Kindern am Arm einkaufen geht, erschien vergangene Saison zu ihrer Modenschau in Sneakern. Ist das nun die Bequemlichkeit einer Hallux valgus Geplagten oder die späte Einsicht in Sachen Emanzipation?
Der französische L’Express attestierte Roberts jedenfalls, mit ihrem Schuh-Verzicht einen großen Schritt für die Gleichstellung der Geschlechter in Cannes gemacht zu haben - sie sei eine wahre Rebellin. Die Schauspielerin selbst sagte in einem Video-Interview nur, es sei an diesem Abend eben eine Menge Zeit und Aufwand in ihr Auftreten »knöchelaufwärts« geflossen, das solle man nicht vergessen. Dass sie darüber ihre Schuhe vergessen hat – schwer zu glauben. Andererseits ist Roberts auch schon mit Gesundheitslatschen auf dem roten Teppich erschienen und hat 1993 sogar barfuß geheiratet.
Ob freiheitsliebend oder feministisch – wir finden, ein bisschen auf dem Boden gebliebene Fersenhaut kann den konservativen südfranzösischen Bekleidungsvorschriften nur gut tun. Ob sich nächstes Mal jemand in Turnschuhen oder Schlappen hintraut? Oder gar einer der Männer in High Heels? Wird Zeit, dass Tom Cruise mal wieder eingeladen wird.
Wird getragen von: Hippies, Langzeit-Backpackern, Kneippbad-Nehmern, Judokas
Wird getragen mit: einzelnen Dreadlocks, kurzen Hosen (ganzjährig), Batik, Pareo-Tüchern
Typischer Facebook-Kommentar: Die Braut, die sich traut!
Das sagt Cannes dazu: Jetzt aber mal den Ballen flach halten.
Foto: Getty Images / Andreas Rentz