SZ-Magazin: Frau Jagger, 1968 waren Sie 23 Jahre alt – wie haben Sie damals ausgesehen?
Ich war Studentin in Paris und habe die Mode von damals geliebt. Die Looks standen für Individualität und Respektlosigkeit: Da gab es die exotisch-ethnischen Einflüsse, aber auch eine Art Dandyismus in Gestalt von opulentem, viktorianischem Schmuck und Stickereien. Meine Zeit in Paris hat definitiv meine Liebe zur Kunst und Mode entfacht.
Was verbinden Sie sonst noch mit dem Jahr 1968?
Das war eine Zeit, in der junge Leute den Mut hatten, für ihre Ideale und Überzeugung aufzustehen. Es ging um mehr als nur darum, Barrikaden zu errichten und Steine zu werfen. 1968 war ein Wendepunkt in der Geschichte. Die Studenten aus Berkeley, Paris und Mexiko einte eine gemeinsame Sache: der Kampf gegen Rassismus, Imperialismus und Unterdrückung. Wir haben wirklich daran geglaubt, dass es möglich ist, das System zu verändern, ja sogar die ganze Welt. Und wir waren überzeugt, dass man Politiker zwingen kann, einem zuzuhören. Was ist vom Idealismus jener Zeit geblieben?
Ich war bei den Unruhen am Londoner Grosvenor Square im März 1968 dabei, als 8000 Menschen die amerikanische Botschaft belagerten, um gegen den Vietnamkrieg zu protestieren. 2001 war der Geist von damals wieder zu spüren, als viele Millionen Menschen auf der ganzen Welt gegen den Irak-Krieg protestierten. Auch wenn die Politiker nicht auf uns gehört haben – so hat doch jeder einzelne Demonstrant gezeigt, dass es möglich ist, seine Stimme gegen Unrecht zu erheben. Viele Freiheiten, die wir heute genießen, haben wir dem Mut der 68er-Generation zu verdanken.
Welche Lehren können wir heute noch aus dieser Zeit ziehen?
Es ist wichtig, den jungen Leuten Hoffnung zu vermitteln, die späten Sechzigerjahre waren ja abgesehen von den Ausschreitungen auch eine Zeit des Optimismus. Natürlich kann man heute schnell verzweifeln an der Ignoranz unserer Politiker. Aber wir dürfen die Hoffnung und den Glauben nicht verlieren, dass Einzelne Dinge bewegen können.
Brauchen wir noch immer die Revolution?
Wir befinden uns heute an einem Wendepunkt, so ähnlich wie 1968. Damals wie heute brauchen wir eine Revolution der Werte und Prinzipien, die ebenso einflussreich ist, wie es die industrielle Revolution und die amerikanische Bürgerrechtsbewegung waren. Diese neue, globale Revolution muss eine des Gewissens sein. Und sie muss sich den großen Problemen unserer Zeit zuwenden: Menschenrechtsverletzungen, soziale Ungerechtigkeit und Umweltzerstörung.
Was haben Sie für sich persönlich aus dieser Zeit bewahrt?
Es war mir immer wichtig, nicht zynisch zu werden.
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Foto: dpa