Rainer Langhans

»Das Internet entstammt unseren Visionen! Es ist eine Art Simulation dessen, was wir damals schon ohne Elektronik gelebt haben«

Vor 40 Jahren lehnte Rainer Langhans schon einmal nackt an der Wand – auf dem berühmten Foto der Kommune 1.
SZ-Magazin: Herr Langhans, Sie gelten als der Achtundsechziger schlechthin, was ist Ihnen aus dieser Zeit geblieben?
Meine alte Brille, sonst eigentlich nichts. Ich habe den Weg von 68 immer weiterverfolgt, auch wenn er mich ganz woanders hingeführt hat.

Wohin denn?
Ich bin viel optimistischer als damals. Von den noch sichtbaren Achtundsechzigern bin ich der Einzige, der sagt: Alles ist wunderbar gelaufen, wir haben gewonnen! Wir wollten ja das richtige Leben führen, das wir damals in der Kommune begannen. Ich glaube, dass wir nicht nur kulturell gewonnen haben, sondern, dass sich die Welt durch unseren Anstoß auf der ganzen Linie weiterentwickelt hat. In welche Richtung?
Die jungen Leute wissen heute: Die echte Welt ist schlecht. Deswegen haben sie einen großen Teil ihres Lebens ins Internet verlegt. Und das Internet entstammt unseren Visionen! Die Kommune hatte eine virtuelle bessere Welt aufgebaut – das heutige Internet ist eine Art Simulation dessen, was wir damals schon ohne Elektronik gelebt haben.

Meinen Sie das ernst?
Ja. Im Internet kann sich jeder lieben, jeder kann mit jedem zusammensein. Man braucht kein Geld, es gibt keine Gier, keinen Mangel.

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Die Achtundsechziger haben also erkannt, dass das wahre Glück nicht in dieser Welt zu finden ist?
Nicht in der materiellen Welt, aber in der geistigen. Wir vergeistigen, virtualisieren uns. Das ist eine neue Stufe in der menschlichen Entwicklung. Viele haben damals geglaubt, dass man dazu den alten Körper verlassen muss, was uns in einigen Experimenten, etwa mit LSD, auch kurze Zeit gelungen ist.

Gibt es etwas, an das Sie früher geglaubt haben und heute nicht mehr?
Im Gegensatz zu früher glaube ich heute, dass ein richtiges Leben im falschen möglich ist. Früher dachte ich auch, ich könnte mit meinem Intellekt die Welt verstehen und verändern. Damit bin ich, sind wir gescheitert. Daher habe ich mich mit Frauen wie Uschi Obermaier zusammengetan.

(Lesen Sie auf der nächsten Seite: Ich habe das Gefühl, noch eine gewisse Aufgabe zu haben – dass wir nach der Erfindung der Jugend auch noch das Alter erfinden müssen)

Was ist dann passiert?
Uschi war das genaue Gegenteil von mir: sinnlich, antiintellektuell – eben ganz anders als ich, meine ideale Ergänzung. Der Intellekt ist ein dummer Bursche, der der Ergänzung bedarf. Bis 68 hatte ich diese unendliche Fremdheit in mir. Schon als Kind habe ich mich in dieser Welt wie ein Alien gefühlt. Gern wäre ich wie meine Klassenkameraden gewesen: jung, sorglos, lebenslustig.

Was für ein Kind waren Sie denn?
Ich fühlte mich uralt, furchtbar reflektiert. Ich stritt mich mit meinen Geschwistern, widersprach meinem Vater und wurde daher schließlich in ein christlich-fundamentalistisches Internat abgeschoben.

Wann haben Sie gemerkt: Das ist nicht mein Weg?
Während meines Studiums in Berlin traf ich Leute, die mir halfen zu verstehen: Nicht ich war krank, sondern diese Gesellschaft. Das alles hatte mit den Massenmorden unserer Eltern zu tun. Es steckte auch in uns und wir mussten versuchen, ein ganz anderes Leben zu erfinden. Das haben wir ja dann auch getan.

Mit der Gründung der Kommune 1.
Ja, die Kommune war das Herz der Revolte. Denn Deutschland war nun mal das einzige Land, das böse war. Die anderen waren gut, dort haben die jungen Leute Musik gemacht, haben Aussteiger-Kommunen gegründet – aus Spaß, nicht wie wir mit dem Gedanken: Wir müssen überleben. Wir hatten Angst, dass das Mörderische unserer Eltern auch aus uns herausbrechen könnte.

Die Kommune 1 hat Sie davor bewahrt?
Zunächst, ja! Das war der Unterschied zu Rudi Dutschke – der wollte nur die Verhältnisse ändern. Wir aber fanden das nicht ausreichend! In uns sitzt doch das Übel. Das Kapitalismus zu nennen ist oberflächlich.

Gibt es jemanden, der noch heute das Ideal von 68 verkörpert?
Ich werde oft als der letzte Achtundsechziger bezeichnet. Vielleicht stimmt das sogar, schon allein, weil ich mit fünf Frauen lebe. Für manche war ich aber auch ein Verräter der Bewegung, weil ich durch meine Zeit beim Militär nichts mehr von Gewalt hielt. Darum war ich auch nie empfänglich für die RAF, obwohl auch sie aus der Kommune hervorging.

Gibt es noch ein 68er-Ziel, das Sie heute verfolgen?
Ich habe das Gefühl, noch eine gewisse Aufgabe zu haben – ich weiß noch nicht genau, welche, ahne aber, dass wir nach der Erfindung der Jugend auch noch das Alter erfinden müssen. Es gibt immer mehr Ältere, uns, und wenn wir nicht auch klüger werden, wird das unerträglich: eine Welt, genervt von freudlosen Greisen.

Macht Ihnen das Älterwerden Angst?
Natürlich bin ich auch unsicher, denke: Wie wird das sein, wenn du gebrechlich wirst oder gar ein Pflegefall. Aber eigentlich fühle ich mich gut. Mein Körper wird älter und zieht sich immer mehr zurück – für mich ist das eine Befreiung. Ich habe ihn ja immer auch als Gefängnis, als Unglück empfunden. Jetzt wird er sozusagen weniger und ich fühle mich fast, als würde ich jünger werden, als fielen Fesseln von mir ab.

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