Der Mann, der sich mal vor laufender Kamera die Haare am Po und über dem Steißbein mit heißem Wachs abreißen ließ, um mit dem gesäuberten Schlitz das Dekolleté Barbara Schönebergers zu imitieren, sitzt ein bisschen gelangweilt auf einer Bierbank. Er raucht gerade eine Lucky Strike, während sein Kollege Marco Schreyl, von einem Pulk junger Mädchen eingekesselt, Autogramme schreibt. Es ist Drehpause: Daniel Hartwich und Marco Schreyl moderieren gemeinsam die RTL-Castingshow Das Supertalent, die im Oktober anläuft.
In der Jury sitzen Dieter Bohlen, Bruce Darnell und Sylvie, die Frau des Fußballers Rafael van der Vaart. Sie alle warten gemeinsam auf die Entdeckung des deutschen Paul Potts, aber der wird heute nicht kommen. Siggi aus Baden stellt sich vor. Er kann eine Bierflasche auf dem Kopf balancieren und dabei Cha-Cha-Cha tanzen. Hartwich und Schreyl interviewen ihn: »Wie war’s?«, »Wie sehr tut’s weh, von Dieter runtergeputzt zu werden?«, »Kopf hoch, du bist ein super Typ!« Eigentlich, das muss RTL klar sein, ist Daniel Hartwich hier unterfordert. Den Job könnte Schreyl auch allein machen. Hartwich zieht an seiner Zigarette und sagt: »Nur damit das klar ist: Ich empfinde den Job hier nicht als Abstieg! Ich bringe Marco den Kaffee, wische abends die Kantine sauber, mache das Licht aus. Außerdem bin ich samstags zur besten Sendezeit bei RTL zu sehen.« Anfang des Jahres war Hartwich eine Art Geheimtipp im deutschen Fernsehen. RTL gab dem bis dahin unbekannten Radiomoderator mit der markanten Brille und der zur Mitte hin verzwirbelten Frisur eine eigene kleine Late-Night-Show: Achtung! Hartwich. Sie war weder revolutionär noch besonders erfinderisch. Hartwich hatte immer einen Gast im Studio, sprach ahnungslose Menschen in der Fußgängerzone an und stellte ihnen Fragen wie: »Was glauben Sie, wer hat die härtere Linke – Klitschko oder Lafontaine?« Prompt bekam er »Lafontaine« als Antwort.
Hartwich wurde zum neuen TV-Gesicht in einem tot geglaubten Genre. In der Show mit Barbara Schöneberger etwa kam es wegen der Omnipräsenz der Blondine in den Medien zu folgendem Dialog: »Wann immer man eine Zeitung aufschlägt oder in Wanne-Eickel ein Nagelstudio eröffnet wird, sieht man die Schöneberger.« – »Das stimmt nicht!« – »Doch, du kommst doch auch in jede drittklassige TV-Show!« – »Oh, ja. Das stimmt.« Anschließend sang er mit ihr ein Duett. Sie spielte Klavier, und er räkelte sich im Smoking darauf. Das war schlicht: gutes, solides Entertainment. Dann fiel er rückwärts vom Flügel.
Hartwich hatte in kürzester Zeit eine kleine Fangemeinschaft für sich gewonnen; etliche Blogs berichteten begeistert über den 29-Jährigen. Man fand ihn »lustig« und »menschlich«, »nicht so abgehoben wie Harald Schmidt« und »nicht so selbstverliebt wie Stefan Raab«.
Tom Sänger, Unterhaltungschef bei RTL, hat da wohl nicht immer mitgelesen. Er setzte Hartwichs Show nach nur zwölf Folgen ab – und gab ihm stattdessen den Hilfsjob bei Das Supertalent. Jetzt muss Hartwich zusehen, wie Schreyl Autogramme schreibt. »Keine Bange, das geht dir bald auch so!«, ruft Schreyl ihm mit einem breiten Grinsen zu. Da kommt eine RTL-Mitarbeiterin vorbei und schüttelt Hartwich unvermittelt die Hand: »Gratuliere, Daniel! Hab gelesen, du bist mit Achtung! Hartwich für den Deutschen Comedy-Preis nominiert!« Schreyls Gesichtsausdruck lässt vermuten, dass ihm diese Nachricht neu ist. »Ja, vielen Dank«, antwortet Hartwich. »Das wird 'ne schöne Party!« Bleibt zu hoffen, dass RTL ihm bald wieder den Late-Night-Platz frei macht.
Joe Ciardiello (Illustration)