»Zum Jammern findet sich immer was«

Ständig diese Kälte, ständig diese Erkältungen - der Mensch, die Gesellschaft, wir alle sind völlig krank. Der Schauspieler und Hypochonder Josef Hader über, hatschi, Gesundheit.  

SZ-Magazin: Nass, kalt, windig. Jetzt ist wieder die Zeit, in der alle krank sind. Sie auch?
Josef Hader: Nein, diesen Winter hab ich Glück. Nur ein wenig Schnupfen und Halsweh. Fieber wär blöd - da darf man sich nicht anstrengen. Sonst kriegt man Herzmuskelentzündung. Und die hat man dann in sich, lang und unbemerkt. Und dann stirbt man plötzlich. Und weiß gar nicht, woran.

Also war der warme Herbst ein Glück für Sie?

Ach, ich erkält mich eher, wenn es warm wird. In der ersten Frühlingssonne kann man sich eine Erkältung holen - und gleichzeitig Sonnenbrand! Ist mir auch schon passiert. Gefährliche Zeit, das Frühjahr.

In den U-Bahnen stecken sich jetzt alle gegenseitig an. Trauen Sie sich noch raus?

Ich hab s ja gut. Ich stehe meistens auf der Bühne, da sind Tröpfcheninfektionen eigentlich nur in der Richtung denkbar, dass ich beim Reden in die erste Reihe hinuntersprühe. Umgekehrt müssten meine Zuschauer in so einem hohen Bogen ganz feucht herauflachen, das ist eher unwahrscheinlich.

Kleine Inventur: Was haben Sie gerade alles? Was zwickt?

Vor einem Monat habe ich mir beim Fußballspielen den Daumen verstaucht. Seitdem geht das überhaupt nicht weg. Ich wollt schon zum Arzt, aber mein Bühnentechniker hat mir gesagt, dass nix ist. Dem Mann vertrau ich.

Warum gerade dem?
Ach, der muss dauernd schwere Sachen heben, der hat sich sicher schon viel verstaucht.

Geben Sie es zu: Sie sind nur froh über die Ausrede, weil Sie nicht zum Arzt gehen müssen.
Könnt sein.

Karl Kraus hat geschrieben, eine der verbreitetsten Krankheiten sei die Diagnose. Ist es besser, gar nicht so genau zu wissen, was man haben könnte?

Also mir helfen Diagnosen immer. Ich bin sehr arztgläubig, das heilt besser als jede Medizin. Bei vielen Medikamenten ist es ja so, dass die keinen hundertprozentigen Wirkungsgrad haben, sondern gerade mal ein paar Prozent mehr als ein Placebo. Das heißt, der Volksmund hat recht, wenn er sagt, der Glaube ist die beste Medizin. Außer man zieht in Kreuzzüge oder macht ein Selbstmordattentat, da wirkt sich der Glaube dann eher nachteilig auf die Gesundheit aus.

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Manche Menschen sagen, ab einem gewissen Alter sollte man gar nicht mehr zum Arzt gehen, weil der immer irgendwas findet.
Gerade bei Männern ist dieses Indianerdenken sehr verbreitet. Ich war aber nie ein harter Hund. Ich habe zum Beispiel einen Husten, der kommt immer nach längeren Erkältungen, der wird dann zu einem Bronchialkatarrh. Dann geht er in ein Asthma-Vorstadium, wo ich schon so krampfartig huste. Das hatte ich viele Jahre lang. Dann hat mir ein Lungenfacharzt erklärt, was da genau passiert. Seitdem kommt der Husten nicht mehr.

Unter welchen eingebildeten Krankheiten leiden Sie?
Einmal hab ich einen Knoten bei mir ertastet. Da war ich wirklich überzeugt, ich hab was Schlimmes. War aber nur eine Zyste. Die sind mit Wasser gefüllt und fühlen sich an wie Luftballons. Das weiß ich jetzt, also falls wieder eine kommt, kann ich das gleich vordiagnostizieren.

Ist das nicht ungeschickt aus Sicht des Hypochonders?
Nein, herrlich! Ach so? Aber dann kann man doch nicht mehr so gut leiden und jammern. Ach, zum Jammern findet sich schon immer was.

Jammern Sie viel?
Nein, ich leide mehr so vor mich hin und bin beleidigt, wenn dieses feine, dezente Dahinleiden niemandem auffällt.

Hat Hypochondrie auch gute Seiten?
Natürlich! Hypochonder sind meistens gesund - und wenn sie wirklich was haben, entdecken sie es früher als andere Menschen. Dadurch werden sie steinalt. Und die, die sich immer einreden, dass sie gesund sind und nichts sie umhauen kann, die passen zu wenig auf, und es erwischt sie viel früher.

Danke schön, das war's, es ist vorbei

Da helfen nicht mal Schirm und Kapuze: Der Winter ist gemeingefährlich, aber vor dem Frühling graut Hader erst recht.

Woran merkt der Hypochonder, ob er tatsächlich was hat?
Also ich bin fast beruhigt, wenn ich was entdecke, weil es grad dann nie was Schlimmes ist. Ich glaube, die wirklich tödlichen Krankheiten schleichen sich an, man merkt ewig nix, und auf einmal heißt es: Danke schön, das war's, es ist vorbei.

Strenggläubige Menschen empfinden Krankheit als Prüfung Gottes. Macht das den Umgang mit Krankheit einfacher?
Das ist ein sehr alttestamentarischer Zugang. Den würde man heute fast nur noch in gewissen amerikanischen Bundesstaaten vermuten … Wobei die abseitigen religiösen Haltungen ja auch bei uns derzeit eine gewisse Breite erreicht haben.

Wie meinen Sie das?

Na ja, die Katholiken schießen sich grad ins 19. Jahrhundert zurück, in die völlige Bedeutungslosigkeit, das ist ja unübersehbar. Es sind in den letzten zwanzig Jahren alle Menschen mit einem normalen Bezug zum Leben eher abgeschreckt worden, da mitzuarbeiten.

Andererseits kommen die Menschen gerade jetzt, in Krisenzeiten, wieder auf den Glauben. Neulich hat Thomas Gottschalk ein langes Interview über Religion gegeben und aus der lateinischen Messe zitiert. Die Leute lesen so etwas jetzt gern.
Ich glaube, wir haben es mit den letzten Generationen zu tun, die mit dieser kulturellen und sozialen Prägung aufgewachsen sind. Das merkt man ja sogar in dem Dorf, wo ich herkomme - Nöchling, 900 Einwohner. Als ich klein war, war jeden Sonntag zweimal die Kirche voll. Heute ist sie einmal zu einem Drittel gefüllt. Mit alten Leuten. Wir werden sicher noch hie und da ein Interview lesen, wo ein Prominenter stolz was vorbetet, aber auf lange Sicht wird die Kirche eine Sekte werden. Und wenn man konservative Bischöfe hört, dann sind sie sogar stolz darauf, weil irgendwann nur noch die ganz wahren Gläubigen da sind.

Aber es könnte ja eines Tages ein moderner, aufgeklärter Papst kommen.
Da müsste wirklich Gott die Hand im Spiel haben und jemand gewählt werden, den alle ganz falsch einschätzen. So wie seinerzeit Johannes XXIII. Da haben alle geglaubt, das ist ein alter Mann, der wird nix anrichten - und dann hat er alles umgekrempelt und die Kirche geöffnet. Das war der Papst, der sich im Testament extra einen schlichten Sarg gewünscht hat. Und dann haben ihn der polnische Papst und dessen späterer Nachfolger seliggesprochen und stellen ihn jetzt in einem Altar der Peterskirche einbalsamiert hinter Glas aus wie einen Pfingstochsen. Nachdem sie alle seine Reformen zunichte gemacht haben. Da könnte man die Wut kriegen, wenn man gläubig wär. Zum Glück bin ich nicht gläubig.

Kann Krankheit auch was Gutes sein?
Natürlich. Ich freue mich, wenn ich meine Mailbox neu besprechen kann: »Ich bin krank, rufen Sie nur in äußersten Notfällen an!« Ich sage alles ab. Ich schlafe viel. Krank sein ist richtig schön.

Macht Krankheit kreativ?

Es gibt natürlich große Künstler, große Autoren, von denen man weiß, dass sie sich wegen einer schweren Krankheit nicht mit Unnötigkeiten aufgehalten haben. Sie waren quasi fokussierter - und sind eigentlich durch die Lebensbedrohung noch größere Künstler geworden.

Hypochonder sind verhinderte Mediziner, die zu faul waren, zu studieren

Zum Beispiel?
Thomas Bernhard.

Aber leicht hatte der es nicht.
Am besten ist, also natürlich nur künstlerisch, eine lebensbedrohende Krankheit, die aber kein Zeitlimit setzt. Man konzentriert sich anders, wenn der Tod in Sicht ist.

Thomas Bernhard fand: Es ist alles lächerlich, wenn man an den Tod denkt.

Ganz genau! Der wäre mit Anfang zwanzig fast an seiner Lungenkrankheit gestorben, hat aber überlebt. Den Rest seines Lebens hatte er ständig die Bedrohung vor sich: Es kann jeden Moment zu Ende sein. Also hat er nur noch für seine Bücher gelebt. Und für seine Häuser. Und für seine Schuhe. Unglaublich, wie viel Schuhe der gehabt hat! Da sind in seinem Haus in Ohlsdorf mehrere Regale ausgestellt, aber der größte Teil liegt noch im Keller.

Was würden Sie machen, wenn Sie erfahren, dass Sie eine tödliche Krankheit haben?
Ich würde alles Unnötige weglassen. Ich würde nicht mehr so viel über die Dörfer ziehen und überall auftreten. Ich würde nicht so lang auf deutschen Autobahnen herumfahren. Eigentlich lauter vernünftige Sachen, die ich jetzt auch schon tun sollte.

Warum tun Sie sie jetzt nicht?
Na ja, ich werde halt nicht so schnell gescheiter, wie ich älter werde. Ich hinke immer so zehn bis 15 Jahre nach. Vor allem würde ich mich aufs Schreiben konzentrieren. Schreiben ist das Schönste an meiner Arbeit, wie eine Droge, aber biologisch. Mit allen Symptomen, auch mit Entzug - man wird immer verzweifelter, wenn einem nichts einfällt. Und dann kommt der Moment, wo man eine Idee hat, und plötzlich ist man euphorisch und schreibt bis fünf Uhr morgens und kann zwei Stunden nicht einschlafen, weil man sich so freut.

Auch eine Art Krankheit. Fieber.
Ja! Noch dazu lebt man in zwei Welten. In der echten ist man eine Marionette wie alle anderen. Und in der Schreibwelt darf man alles bestimmen, da ist man der Chef. Das ist nicht schlecht.

Wird es kompliziert, wenn man zwischen den Welten wechselt?
Ja, sehr. Ich habe auch schon in kroatischen Urlaubsorten am Dorfplatz im Café geschrieben, ganz offen. Da war ich immer nach wenigen Tagen der Dorftrottel. Sie müssen sich vorstellen, da sitzen die Kroaten und sehen jemanden, der die ganze Zeit mit sich selber redet, dann wieder was hinschreibt, dann redet er wieder, schreibt was hin … Außerdem habe ich damals mein Programm Hader muss weg geschrieben. Da kommt ein Mann vor, der sich ständig zwischen den Beinen kratzt, das habe ich dann beim Schreiben automatisch auch gemacht, ich hab mir immer alles vorgespielt. Nach Kroatien kann ich nie wieder fahren.

Den Menschen gibt es jetzt schon sehr lang - trotzdem erkältet er sich verlässlich jeden Winter wieder. Was glauben Sie: Warum hat die Evolution uns nicht längst abgehärtet?
Ein Grund könnte sein, dass unsere Vorfahren nur dort gewohnt haben, wo es warm war. Erst als wir die Kultur erfunden haben, die Waffen, das Feuer, sind wir dann in die Kälte gezogen. Vielleicht haben wir da biologisch gar nichts verloren.

Also bleibt uns nur: ausweichen in den Süden?
Früher bin ich ab und zu im Februar nach La Gomera geflogen. Aber dort waren dann erstaunlich viele Kabarettisten. Nett, aber es beeinträchtigt die Erholung.

Wie sieht es aus, wenn Sie zum Arzt gehen?

Ich bin einer von den unangenehmen Patienten, die schon ganz genau die Symptome benennen und selbst mögliche Diagnosen vortragen. Da verdreht jeder Arzt die Augen.

Lesen Sie im Internet nach, was Sie haben könnten?

Ich habe einen Pschyrembel zu Hause, das große medizinische Nachschlagewerk. Da schaue ich ständig rein.

Eigentlich das Gefährlichste, was der Laie machen kann.
Ja, ich weiß genau, dass ich da zu jedem Symptom ganz viele tödliche Gründe finde. Aber da ich bisher noch nicht gestorben bin, gehe ich davon aus, dass es immer was anderes auch sein kann. Ich glaube, dass der Hypochonder nicht nur jammern will, sondern sich für den Menschen und seine Krankheiten interessiert. Das ist oft ein verhinderter Mediziner, der nur zu faul war, Medizin zu studieren. Und der einzige Patient, der ihm zugänglich ist - das ist er jetzt selber.

Wenn Sie so viel nachlesen, haben Sie ein ordentliches Halbwissen.
Zurzeit interessieren mich die neuesten Forschungsergebnisse über Bauchfett. Das ist nämlich sehr ungesund im Vergleich zum normalen Körperfett. Die, die rundherum Fett haben, so birnenförmig, die leben lang. Im Bauchfett gibt es aber ungesunde Botenstoffe, die überall im Körper kleine chronische Entzündungen auslösen, was wieder eine Vorstufe von Krebs sein kann. Deswegen sagt auch der Chef der Weltgesundheitsorganisation, er nimmt jeden Tag ein gering dosiertes Aspirin, das ist gut gegen Entzündungen und verdünnt das Blut.

Andere schlucken jeden Tag irgendwelche Nahrungsergänzungsmittel. Vitamin C.

Bringt nur was, wenn die Enzyme schon drin sind. Ganz wichtig! In einer Frucht sind Flavonoide drin, die das Vitamin zerlegen können. Also Vitamin C immer mit Flavonoiden nehmen.

Mein Lieblingswort aus der Medizin: »Ösophagusvarizenblutung«

Haben Sie ein Lieblingswort aus der Medizin?
Sehr gut gefällt mir »Ösophagusvarizenblutung«. Das habe ich sogar in einem Drehbuch verwendet. Ösophagusvarizenblutung, das ist, wenn bei schweren Alkoholikern die Blutgefäße im Rachen porös werden und platzen. Wenn diese Alkoholiker dann blutverdünnende Medikamente nehmen, kann es passieren, dass sie in ihre Speiseröhre hineinbluten. Die können regelrecht in den eigenen Magen hineinverbluten. Eine faszinierende Sache.

Sie meinen: scheußliche Sache.
Aber auch faszinierend! Ich habe einen Kollegen in Wien, den Lukas Resetarits, den kennen Sie als Kottan, der war sogar schon mal bei einer Hämorrhoiden-Operation im OP dabei.

Wer will denn so was?
Ich denke, wir sind so ein bisschen verhinderte Ärzte.

»Wir« - die Österreicher? Die Hypochonder? Die Kabarettisten?
Wir österreichischen hypochondrischen Kabarettisten.

Warum sind die Österreicher so fasziniert vom Tod?
Nicht so sehr die Österreicher allgemein, eher: die Wiener. Die Beschäftigung mit dem Tod ist etwas Ostösterreichisches.

Macht der Salzburger das nicht?
Ach, der Salzburger ist ja quasi ein Bayer. Dass das Thema Tod im Osten, in der Wiener Gegend, so eine große Rolle spielt, könnte damit zu tun haben, dass die zwangsweise Beschäftigung mit den unangenehmen Seiten des Lebens - auch die Angewohnheit, darüber Witze zu machen - aus dem jüdischen Humor kommt. Andererseits … in Norddeutschland gibt es auch viel schwarzen Humor. Ich bin zwei Wochen nach dem 11. September im Bremer Schauspielhaus aufgetreten. Vorher habe ich den Inspizienten gefragt: Sollte man dem Feuerwehrmann nicht sagen, dass ich auf der Bühne rauche? Und der sagt: »Ach, die sind jetzt ganz andere Sachen gewöhnt.« Das war in einer Zeit, wo ganz Deutschland Trauer trug und sich gefragt hat, ob überhaupt je wieder ein Witz erlaubt sein wird.

Noch eine ganz andere Krankheit: die Liebe. Befällt den Menschen, hat manchmal sogar ähnliche Symptome zur Folge, fiebrige Zustände, Gänsehaut.
Vor allem, wenn man richtig unglücklich verliebt ist. War ich in meiner Jugend oft. Ein sehr schönes Fieber. Weil man ja immer hofft und so intensiv lebt und sich so freut auf ganz kleine Momente, die dann eh nix bringen. Ich habe das aber nie als rein unglückliche Zeit erlebt, sondern immer auch ein bissl genossen.

Das kann man im Rückblick sagen, aber wenn man mittendrin steckt?
Nein, auch damals, ich hatte immer Freude an dieser Intensität.

Aber meistens kann man in solchen Situationen nicht viel draus machen, man leidet halt so vor sich hin, oder?
Man könnte Lieder komponieren oder Gedichte schreiben. Beethoven und Schubert haben viel gemacht aus ihrem Liebeskummer. Bei mir geht das leider gar nicht, ich bring nur was zusammen, wenn es mir gut geht.

Die alte Frage: Entsteht die beste Kunst immer aus Unglück?

Es gibt natürlich unter den großen Künstlern viele unglückliche. Die Schauspieler, die ich besonders verehrt habe, waren sehr oft unglückliche Existenzen. Zum Beispiel Norbert Kappen. Ein Deutscher, der am Wiener Burgtheater in den Siebzigerjahren viele Hauptrollen gespielt hat. Alle hatten Angst vor ihm, weil er sich so reingesteigert hat in seine Rollen, dass sie nicht sicher waren, ob er die Desdemona nicht wirklich würgt.

Was wurde aus ihm?
Hat sich erschossen. Mitte der Achtzigerjahre.

Lassen Sie uns noch kurz über den Patienten Europa reden. Europa hat gerade ziemlich Grippe, oder?
Dem Euro geht’s schlecht, den Märkten, den Banken, den Menschen.   Ja, ein böser Katarrh. Es gibt ja Leute, die die Krise regelrecht begrüßen, weil sie finden, das bisherige Wirtschaftssystem als solches funktioniert nicht richtig. Die haben völlig recht. Die Sache ist nur: Bis jetzt haben wir ja keine richtige Krise, sondern nur eine Krise im Finanzsystem. Was ist, wenn eine wirkliche Krise kommt, eine, die die ganze Gesellschaft erfasst? Wir Europäer haben ja eine echte Krise in unserem Leben noch nie erlebt. Was wir heutzutage als Krise bezeichnen, ist gar nicht vergleichbar mit dem, was früher eine Krise war, Kriege, Katastrophen.

Beunruhigend ist es trotzdem.

Ja, aber ich habe Angst davor, was passiert - auch politisch -, wenn mal eine richtige Krise kommt. Wenn unser Lebensstandard rapide sinkt. Wenn in ärmeren Ländern alles noch viel schrecklicher wird, weil sie dann gar nichts mehr exportieren können, weil wir auch nichts mehr kaufen. Die einen rutschen vom absoluten Existenzminimum dorthin, wo sie eigentlich nur noch sterben können. Und wir werden von unserem hohen Ross so runtergeschraubt, dass man Angst haben muss um die Demokratie. Kann alles kommen.

Was sollen wir dagegen tun?
Als Einzelner kann man gar nichts tun. Und wir sind eine Gesellschaft der Einzelnen. Also warten wir - wie auf den Schnee.

Biografie:
Der Österreicher Josef Hader, 49, ist Schauspieler, Kabarettist und Drehbuchautor. Mit Soloprogrammen wie Privat und Hader muss weg entwickelte er eine Art Antikabarett, das auch Zuschauer begeistert, die mit Kleinkunst eigentlich nichts anfangen können. Erfolge feierte er als Schauspieler vor allem als verkrachter Ex-Polizist Simon Brenner in den Krimis Komm, süßer Tod, Silentium und Der Knochenmann. Hader lebt in Wien und tritt regelmäßig im gesamten deutschen Sprachraum auf.

Fotos: Paul Kranzler