Boris Johnson im Schweiße seines Angesichts, Sinnbild für die gerade eher hitzigen Debatten im Britischen Parlament – daraus sind Boulevard-Träume gemacht. Entsprechend titelte die Daily Mail anfang der Woche »Feeling the heat, Boris?«, nachdem der britische Außenminister japsend beim morgendlichen Dauerlauf fotografiert worden war, das T-Shirt klatschnass geschwitzt. Modisch gesehen tritt hier allerdings der nie für möglich gehaltene Sonderfall ein: So etwas wie ein Lob für Boris Johnsons Auftritt.
Für gewöhnlich ist hier ja nichts zu holen. Der blonde Haarflaum wurde hinreichend diskutiert, Anzüge und Krawatten konkurrieren in ihrer Schlunzigkeit mit einem anderen hochrangigen Politiker, dessen blondes Haar ebenfalls hinreichend diskutiert wurde. Privat trägt er klassischen Oxbridge-Look. Umso interessanter erscheint nun dieses Sport-Outfit: hawaiieske Blumen-Shorts, schwarzgrüne Asics-Turnschuhe, graues Baumwollshirt.
Während alle Welt in Hightech-Sportswear investiert und ihre Kilometerzähler mit Facebook synchronisiert, wählt Johnson den quasi-prähistorischen Hobbysportlerlook, der traditionell aus einem alten, ausgeleierten T-Shirt, irgendeiner kurzen Hose und bei Runners Point auf dem Laufband angetesteten Sportschuhen bestand. Was waren das noch für Zeiten, als man sonntags bei der Runde im Stadtpark Jogger traf, die kein übergroßes Sportmarken-Logo auf der Brust trugen, sondern höchstens ein ausgebleichtes »United Colors of Benetton«, was genau der Grund war, warum das T-Shirt seinen neuen Status als Sportklamotte erlangt hatte. »Atmungsaktiv« verstand man als irgendwas, das Schweiß aufsaugte und nicht zu eng am Körper saß, damit die Haut dazwischen noch Luft bekam. Jetzt liegt das hochgerüstete, sauteure Hochleistungssportoutfit schon bereit, bevor jemals auch nur eine Schweißperle geflossen ist.
Andererseits passt der old-school-Auftritt bei Boris Johnson, der es ja auch politisch eher rückwärtsgewandt mag, wiederum ins Bild. Und so ganz ohne Botschaft geht es bei ihm natürlich nie. Die Textzeilen auf dem grauen T-Shirt sind französisch und stammen, wie die Daily Mail herausfand, aus Tim und Struppi, genauer gesagt von Captain Haddock, dem biertrinkenden Freund Tims, der berühmt für seine phantasievollen, irren Flüche ist (einst ein Stilmittel Hergés, um der Zensur zu entgehen). Die neun Zeilen sind denn auch ausschließlich Flüche: Mille sabords heißt so viel wie »1000 Pforten«. Tonnerre de Brest heißt »zum Donner von Brest«. Marins d'eau douce beschimpft jemanden als Süßwasserpirat.
Das T-Shirt ist offensichtlich eine Replik auf das Meme, das Anfang des Jahres die Runde machte: Die Brexit-Task-Force in Brüssel hatte ein Tim-und-Struppi-Poster mit abgewandeltem Cover an der Wand hängen, »Tintin and the Brexit Plan«, bei dem Captain Haddock und Tim in einem Boot sitzen, das mit einem Lagerfeuer in der Mitte abfackeln wird – der EU-Ausstieg als wirtschaftlicher Selbstmord. Fanden die Briten nicht lustig.
Was Johnson mit dem Durchschwitzen des belgischen Nationalguts den Parlamentariern in Brüssel jetzt signalisieren will? Im Zweifelsfall: »Ich hab den längeren Atem. Ihr seid das Auslaufmodell.«
Typischer Instagram-Kommentar: »Eins zwei drei, eins zwei drei.«
Das sagt Theresa May: »Wenn die mal meinen Sport-BH mit Leo-Muster sehen könnten!«
Passendes Buch: »The loneliness of the long distance runner.«
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