Das Doppelleben der gelben Weste

Bislang galten die leuchtenden Überzieher als Arbeiter-Kleidungsstück einerseits, als Raver-Accessoire andererseits. Seit den brutalen Protesten in Frankreich sind sie vor allem: ein höchst politisches Stück Stoff.

Auf den Barrikaden in Paris: Demonstranten in gelben Westen, die gegen die hohen Spritpreise protestieren, aber vor allem gegen die Politik von Präsident Emmanuel Macron.

Foto: AFP

»Sie ist gelb, sie ist hässlich, sie passt zu nichts – aber sie kann Leben retten.« So warb Karl Lagerfeld vor rund zehn Jahren in Frankreich für die gelbe Warnweste im Auto. Der in Paris lebende Designer trug sie sogar selbst auf den Plakaten, was damals höchst überraschend war. Mittlerweile wäre es undenkbar. Denn die gelbe Weste ist längst nicht mehr »Must have« für den normalen Fahrzeughalter, sondern plötzlich Erkennungszeichen einer breiten französischen Protestbewegung: der »Gilets Jaunes«, der gelben Westen.

Dass sich Gruppen nach ihren Erkennungszeichen benennen oder danach benannt werden, hat Tradition. Die »Sansculottes« rebellierten in langen Hosen ohne Kniebund gegen den Adel, die Nelkenrevolution im Portugal der Siebzigerjahre geht auf die Blumen zurück, die sich abtrünnige Soldaten in die Gewehrläufe steckten, vergangenes Jahr gingen Frauen mit so genannten pinkfarbenen »Pussyhats« auf die Straße und bezeichneten sich selbstironisch auch mal als solche.

Auch Karl Lagerfeld ist seit einigen Jahren ein Freund der Warnweste.

Foto: www.securite-routière.gouv.fr

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Jetzt also gelbe Westen. Als »Statement Piece«, wie es in der Mode immer heißt, ziemlich unschlagbar: grelle Farbe, große Fläche, reflektierende Streifen. Der Warnhinweis ist quasi miteingebaut, weshalb die Weste für die Protestbewegung, die vor allem ein Denkzettel an Premier Emmanuel Macron sein soll, prädestiniert ist. Außerdem schwingt hier gleich noch das Automobil mit, der Protest entzündete sich ja an gestiegenen Benzinpreisen und Ökosteuer. Vor allem aber ist die Gilet Jaune mehrheitlich ein Kleidungsstück von Straßenarbeitern – Müllabfuhr, Baustellenarbeiter, Ordner, Feuerwehr – also ein unübersehbares Signal von denen da unten an die da oben.

In den ersten Tagen der Bewegung witzelten manche Ex-Raver noch, so seien sie in den Neunzigern auch auf die Straße gegangen. Seit Steine über die Champs-Élysée fliegen, verschweigt man diese Modesünde lieber, und die gerade noch ultrahippen Hosen und Jacken mit Reflektorstreifen aus der aktuellen Calvin-Klein-Kollektion haben plötzlich auch einen etwas anderen Beigeschmack. Aber nicht nur in der Mode ist kulturelle Aneignung ein heikles Thema. Die Protestbewegung verleibt sich hier ja ebenfalls eine Uniform ein, die abseits der Demonstrationen weiter zum (Arbeits-)Einsatz kommt.

Wer bei der Autopanne die Straßenverkehrsordnung befolgt, steht am Seitenstreifen schnell als Sympathisant da. Auf Twitter kommentierten einige Nutzer bereits, dass die einen Westen für die anderen Westen anschließend wieder den Müll wegräumen müssten und posteten Bilder von der Pariser Stadtreinigung beim Aufräumen. Das seien die mit der eigentlichen Courage. Die gelbe Weste führt momentan ein kompliziertes Doppelleben.

Zur besseren Unterscheidung wurde für Emmanuel Macron und seine reichen Anhänger bereits eine eigene (satirische) Warnweste angeregt: Das Gilet Jaune mit Louis Vuitton Logoprint als mögliches Produkt der »Élysée Boutique Officielle«. Zum Preis von lediglich 55 Euro; garantiert ohne Reichensteuer.

Wird auch getragen von: Ordnern, Ex-Ravern, Pannenhelfern
Das fragt das ADAC-Mitglied: Darf ich noch von gelben Engeln sprechen?
Passender Song: Yellow von Coldplay